Gedanken zu Rock-Session 5 (Sounds-Diskurs)

Mit Kritik an SOUNDS ist unsereins ständig konfrontiert. Hilfreich ist da vor allem die von Bekannten mündlich ausgesprochene Kritik, das Feedback im Alltag. Hilfreich können auch Leserbriefe sein, auch wenn sie meistens eher demoskopisches Material abgeben. Anlaß dieses Artikels aber ist professionelle Kritik, wie sie sich durch Zufall gerade jetzt häuft. Als Beispiel soll ein Artikel des ansonsten verdienstvollen „Rock-Session“-Herausgebers Klaus Humann dienen, den zum Anlaß nehmend äußert sich unser Mitarbeiter Klaus Frederking über SOUNDS. Gemeinsam ist all diesen Kritiken, daß sie (Ausnahme: Frederking) nicht nur nicht hilfreich sind, sondern auch an einem Mythos stricken, ein Klischee verfestigen, mit dem zu leben unangenehm ist. Zunächst zu einer typischen Äußerung.

Kurt Martin Dahlke, der Pyrolator: „Mir wird dieser Handlungsablauf immer deutlicher bewußt. Die landläufige Musikpresse ist von der Industrie bezahlt. Ob das nun SOUNDS ist, oder wer auch immer. Die sind von der Industrie bezahlt. Ob das nun die Verlagsgesellschaft ist oder der Chefredakteur selbst, das spielt im Prinzip keine Rolle. Bestimmte Produkte sollen gefördert werden, um mehr Geld reinzukriegen. Und die sagen natürlich an ’nem bestimmten Punkt, nee Leute, jetzt bremst euch mal mit eurem Alternativkram und schreibt mal über Sachen, die wir auch verkaufen wollen.“ Ein Statement, das sich in seiner unbefangenen, unreflektierten Naivität kaum unterscheidet von dem Satz: „Politik ist ein schmutziges Geschäft“, wie ihn Klischee-Rentner angeblich nach der „Tagesschau“ ausstoßen. Aber warum soll sich der Pyrolator, den ich sonst sehr schätze, auch genaue Kenntnisse aneignen über Dinge, die ihn nur am Rande betreffen, er ist ja auf anderes spezialisiert. Blöd ist nur, daß der „Rock-Session“-Autor, der dieses Statement zitiert, darin „die Geri-Reig-Philosophie des Plan“ findet: „Etwas Eigenes machen. Sich absetzen. Sich bewußt querstellen zu vorgegebenen Verfahrensweisen (…) ein unabhängiges Label zu betreiben ist ein politische Entscheidung“. Du meine Güte!

SOUNDS ist abhängig von Anzeigen. Diese werden zu einem nicht unerheblichen Teil aus der Schallplattenindustrie aquiriert. SOUNDS hat erwiesenermaßen, zu meiner Zeit jedenfalls, nie sein redaktionelles Konzept von dieser Abhängigkeit beeinflussen lassen. Weil man Sachen wie den Plan wichtig findet, macht man sich Ärger, halst sich sinnlose Diskussionen auf, und hört dann sowas. Soweit die menschliche Seite.

Die andere Seite ist die mangelnde Aussagekraft solcher Sätze. Im Kapitalismus wird alles von irgendwelchen Industrien bezahlt. Das Geflecht der Abhängigkeiten ist ein Dickicht. Dies festzustellen ist eine Binsenweisheit. Wichtiger wäre, sich Gedanken zu machen, wie jemand mit den vorgegebenen Voraussetzungen eines Gesellschaftssystems umgeht. Ich wage die Behauptung, daß SOUNDS die von allen an Kiosken im normalen Vertrieb erhältlichen Musikzeitschriften der BRD und GB die freieste ist, diejenige, die inhaltlich so wenig Beschränkungen unterliegt, daß wir zeitweilig einen Anteil von über 50% unabhängigen oder Importplatten in unseren LP-Kritiken hatten, an denen die heimische Industrie nicht einen Pfennig verdient. Daß es Kraft kostet, so etwas durchzusetzen und zu verteidigen, dürfte eigentlich nicht zu schwer vorstellbar sein. Sich darüber Gedanken zu machen, müßte für einen Kritiker der Kritik mit lohnenswerteren Erkenntnissen und Beobachtungen belohnt werden, als das ewige nörgelnde Herumreiten auf den äußerlichen ökonomischen Bedingungen oder Zwängen. Interessant ist, wie ihre Wirksamkeit eingedämmt bis vermieden wird, nicht, daß es sie in einem, ohnehin nur nebulös verstandenen, ökonomischen Zusammenhang irgendwie doch geben müßte.

In der gleichen Ausgabe macht sich Klaus Humann, seines Zeichens Herausgeber der „Rock Session“, ausführliche Gedanken über SOUNDS. In zwölf Mini-Kapiteln rechnet er mit uns ab, auch wenn ihm dabei so oft die Beispiele des „Beispiel SOUNDS“ ausgehen, daß er allgemeine Auslassungen über Rockjournalismus einflicht, die der unschuldige Leser ebenfalls auf SOUNDS beziehen müßte. Schon im Vorspann wird da ein horribles Bild vom Rock-Kritiker gezeichnet („Talking-Heads-Halstuch, Bob-Seger-Mütze, Eagles-T-Shirt, Greg-Kihn-Sweat-Shirt…). Eine Zunft, die sogar das Hemd am Leibe der Gefügigkeit für Korruption verdankt. Es gibt Leute, die so rumlaufen und auch vorwiegend in Promo-Geschenkchen denken. Nur haben sie mit SOUNDS nichts zu tun, auch wenn Humann den Eindruck erwecken will, nur er in der Rock-Session-Einsiedelei sei von derlei weltlichen Anfechtungen frei. Die ersten beiden Kapitelchen beziehen sich auf den Rest der Musikpresse. (Fehler: SOUNDS verkaufte im ersten Quartal ’81 laut NW-Statistik (die sich jeder besorgen kann), 39Tausend, 9Hundert und ein paar zerquetschte pro Heft). In Kapitel drei steht, daß Humann SOUNDS früher charmanter fand. Nun gut. Kapitel vier ist infam: „Seit dem Wechsel ist SOUNDS in meinen Augen effizienter, cooler, angepaßter geworden.“ Effizient heißt wirksam. Ist eigentlich gut, oder? Nicht für Humann, der mit der Wahl dieses Wortes nicht die Bedeutung anpeilt, die man normalerweise unter „effizient“ versteht, sondern Assoziationen wecken will, die sich aus der Verwendung des Begriffs in Kalkulationen und Rechenschaftsberichten multinationaler Konzerne herleiten. Er will sagen: Wir nützen der Industrie. Hoho! Da soll er mal einen Vertreter der Industrie fragen.

Angepaßt? Ein hohles, abgenutztes Wort. Erfunden von einer Generation von liberalen Fusselhippies, die glauben, mit individuellem Habitus die Welt zu verändern. Ab nach Poona mit dem Wort! Aber da es nun mal hier steht, müssen wir es auch diskutieren. An wen oder was angepaßt? An die Belange der Industrie („Der Firmenwunsch ist da Befehl“, Humann)? Als Beispiel für diese Vorstellung zeichnet er ein Bild vom eiligen, unsorgfältigen SOUNDS-Journalisten, der mit dem Taxi auf Firmengeheiß die Vorab-Kassette von der Plattenfirma abholt, in die Maschine bespricht nach einmal Hören, damit die Plattenfirma den Rezensionstext in einer Anzeige für die gleiche Platte verwenden kann. Ein Gespinst, diese Vorstellung! Wir rezensieren schon mal Vorab-Kassetten.

Der Leser muß schließlich wissen, wie die neue Sowieso ist, wenn er sie als Import drei Wochen vor dem bundesrepublikanischen Erscheinungstermin im Laden stehen sieht. Diese Vorab-Kassetten müssen wir der Industrie (falls sie von der Industrie kommen und nicht vom Musiker selber) aus dem Kreuz leiern. Denen ist SOUNDS nämlich längst zu renitent und die Gefahr eines Verrisses viel zu groß, um sich dermaßen ins Zeug zu legen. Humann hat was gegen Schnelligkeit. Dann sollte er die „Zeit“ lesen, die lassen ABBEY ROAD ein Jahrzehnt reifen, bevor sie das Werk als Direct-Master-Speed-Half-Cut wie einen alten Wein rezensieren. Rock-Musik ist schnell Das tägliche Leben, nicht das epochale. Und auch wir haben reichlich Artikel, die Tradition und Geschichte Tribut zollen. Aber Humann weiß selber: „Die Pflicht einer Zeitschrift wie SOUNDS (anders als Rock Session) ist Nachricht, damit Aktualität und Analyse, das Spontane und das Abgeklärte (Ein heillos konfuser Zustand, ein psychologisches Paradox!) die Nähe und die Distanz (nun bricht vollends die dialektische Schulung durch. Diese Forderung ist so wahr wie falsch, sie ist gleichsam die Antizipation des Wahren im Falschen, oder besser die im Irrtum eingebettete Erkenntnis)

Was will der Mann also? Seine Anschuldigungen sind aus der Luft gegriffen, seine Forderungen erreichen einen Abstraktionsgrad, wo sie in totale Beliebigkeit umschlagen. Seine Informationen sind falsch (Auflagenzahlen, Industriekontakte). Im nächsten Kapitel wirft er uns vor, Platten zu verreißen, ohne unsere Erwartungsshaltungen und Kategorien offen zu legen. Dabei fällt folgender Satz: „Wichtig ist das feeling, geil oder nicht geil, das interessiert“. Abgesehen davon, daß die Worte „geil“, „Feeling“ oder auch „Die Stimme“, „Das Wahnsinnigste“ oder „Der Trend“, die er uns später in den Mund legt, in den letzten zwei Jahren zumindest, nicht zum Vokabular von SOUNDS-Kritiken gehörten, bleiben seine Vorwürfe in diesem Kapitel so klischeehaft und vage (unqualifizierte Verrisse) wie ein paar Kapitel weiter der Vorwurf, andere Platten zu gut zu besprechen (Hype). Das läßt sich auf einen abweichenden Geschmack reduzieren, der hier durch einen nachdenklichen Gestus verbrämt wird, aber nichts anderes sagt als: Ihr sagt Pink Floyd ist schlecht, das ist gemein, oder ihr sagt die Slits sind gut, da hat euch wohl die Industrie einen Schein zugeschoben. Unterstellungen, die normalerweise nur in den Leserbriefen vorkommen, die man gar nicht erst abdruckt, weil sie zu substanzlos sind.

Nach der Aufdeckung eines vermeintlichen Gefälligkeitsjournalismus im Falle Lake, der sich vor meiner Zeit bei SOUNDS zugetragen haben soll, kommt die Geschichte mit dem Hype-Verdacht. SOUNDS ließe sich, wenn auch nicht ganz so offensichtlich, aber eben doch, von der Industrie zur Behandlung bestimmter Themen, die der Industrie nützen, verführen. Ohje! Es läßt sich leider nicht vermeiden, daß die eine oder andere gute Gruppe eben bei der Industrie unter Vertrag ist. Aber die Themen haben wir noch immer selbst ausgesucht und zwar nach unseren Vorlieben und oft hatten wir jemanden entdeckt, bevor die Industrie wußte, wer das überhaupt ist: DAF, James White, das gesamte Rough-Trade-Programm, ZE u.v.a.m. Daß die Leute hinterher Verträge abschließen, ist nicht unsere Schuld. SOUNDS begünstigt möglicherweise die Voraussetzungen für eine Unterschrft bei der Industrie, aber sollen wir gute Musik verschweigen, nur damit der Dämon Industrie nicht auf die Idee kommt, armes hilfloses Musiker mit große böse Vertrag zu linken?

Darum kann es nicht gehen und darum geht es auch nicht. Humanns Hype-Unterstellung gipfelt in dem Satz: „Eine Gruppe aus New York oder London schafft es immer viel schneller, als eine Gruppe aus Hannover, Herford oder Schwetzingen“. Ach nee! Wenn sich das ein bißchen geändert haben sollte (abgesehen davon, daß auch heute noch ein deutliches Qualitätsgefülle, nicht nur zwischen New York und Schwetzingen, sondern eben auch zwischen Sheffield und Hannover klafft) dann doch wohl durch die angepaßten, effizienten (eben!) und coolen SOUNDS-Schreiber, die seinerzeit von Oldwavern wie Humann viel Kritik für ihr Engagement ernteten. Der nächste Streich: Ein Zitat aus Chapple/Garofulos „Wem gehört die Rockmusik?“, in dem eloquent beschrieben wird, wie 1975(!) in den USA(!) Rockkritiker durch subtile Strategien zu willfährigen Sklaven des Industrieinteresses werden. Der Text stand April 1980 in SOUNDS. Wir hatten derlei Dinge durchaus also auch reflektiert Aber in diesem Zusammenhang soll der Text natürlich den Eindruck erwecken, er treffe auf die Verhältnisse bei SOUNDS zu. Was wiederum infam genannt zu werden verdient.

Gekrönt wird Humanns „Kritik an der Rock-Kritik“ von einer Gegenüberstellung einer positiven SOUNDS-Kritik (M.O.R.K. über Fleetwood Mac, TUSK) mit einem WEA-Pressetext. Beide haben sprachlich, gedanklich nichts gemeinsam, außer dem Produkt positiv gegenüberzustehen. Daraus schließt Humann: „Die Plattenfirma und ihr journalistischer Partner…“ Nur weil Werbekampagne mit positiver Beurteilung zusammenfüllt, soll da was faul sein. Warum zählt er dann nicht die Dutzende von verrissenen Platten auf, denen ebenso große Werbekampagnen vorausgingen? Hinzu kommt, daß uns Kröhers brillantes, aber opulentes Werk damals nicht reichte als Auseinandersetzung mit TUSK und daher in der gleichen Ausgabe eine Zusatzkritik von Thomas Buttler abgedruckt war, die die WEA-Kampagne explizit angriff. Die ignoriert Humann, man muß wohl sagen, böswillig. Daher kann auch diese Antwort um den Ton des Auge um Auge, Zahn um Zahn nicht herumkommen. So willkommen Kritik normalerweise ist, wenn sie auf vorhandene Widersprüche hinweist, zu unterscheiden weiß. Mit Dämonisierung ist niemandem geholfen. Dafür sind die Zusammenhänge inzwischen ohnehin zu kompliziert. Und auch bei der Industrie gibt es Idealisten, die gegen den Strich schwimmen, die wissen, wessen Interessen sie vertreten und dieses Bewußtsein in ihre Arbeit einfließen lassen, und Leute, denen künstlerische und politische Werte über Wohlverhalten gehen. Aber das wäre wirklich zu kompliziert, gell?

Kritik stelle ich mir so vor, wie Klaus Frederking das in dem vorstehenden Artikel gemacht hat. En Detail. Auch ich halte „Spex“ für eine Alternative zu SOUNDS, die eine andere Methode von Rockjournalismus entwickelt hat. Nur, daß ich im Gegensatz zu ihm, die Methode des unredigierten Erlebnisberichtes für vollkommen unsinnig halte. Der Wert eines solchen Berichts ist mit einem erschöpft, da seine immer gleichen Formeln und wiederkehrende Erfahrungen von den Bedingungen des Tour-Betriebs abhängig sind, nicht von dem spezifischen Charakter der einzelem Gruppe. Somit halte ich Ruffs keineswegs dilettantischen, sondern neuartigen Gedanken zu Jazz im Falle ComSat Angels dem nervtötenden Frage/Antwort-Spiel in „Spex“ für um einiges überlegen. Mein Stray-Cats-Artikel ist, zugegeben, etwas dünn, aber er enthält doch den einen oder anderen weiterführenden Gedanken. Ein Rockjournalist sollte meiner Meinung nach nicht Mythen zerstören, sondern sie als solche kenntlich machen und herausarbeiten, ob sie ein Teil von Selbstdarstellung, selbstgewählten Stil, kokette Relativierung eigener Aussagen darstellen oder ob sie ein kommerzielles Wiedererkennungszeichen der Industrie sind (Ob Mythen oder Nicht-Mythen, ich glaube, wir meinen das Gleiche – K.F.)

„Spex“ entwickelt seine Stärken meiner Meinung nach eher da, wo es SOUNDS ergänzt (das ist nicht arrogant gemeint), wo wenige längere Plattenkritiken stehen, statt vieler kurzen, wie bei uns. Beides ist sinnvoll und beides sollte es geben. In diesem Sinne kann man sich über „Spex“ freuen, aber unterlegen sind wir bestimmt nicht