Gisela Weilemann, Helmer v. Lützelburg, Dominik Graf, Johann Schmid, Wolfgang Büld: Neonstadt

Daß ein Episodenfilm Münchener Filmhochschulabsolventen, der zudem „Neon(urgh!)stadt“ heißt, mit grauslichen intellektfeindlichen Sprüchen für ein pseudodekadentes Publikum wirbt und Gipfel der Marketingpeinlichkeiten ein koksschnüffelndes Mädel auf dem Plakat präsentiert, so ganz anders ist, nämlich gut, kann uns, mit Vorurteilen à la „Südlich von Hamburg beginnt der Balkan“ (Helmut Schmidt) belastete Hamburger nur erstaunen.

Schon der Vorspann, der auch später zwischen den einzelnen Episoden fortgesetzt wird, zeigt, wie ernst und unprätentiös Pop im Kino sein kann. Die mit geringen Mitteln gedrehte Folge von Spots, in denen ein ums andere Mal einer der Filmdarsteller in einer grotesken Frustsituation den Kehrreim von „Paul ist tot“ singt: „Was ich haben will, das krieg ich nicht / und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht“, ist als deutsches Musical optimal. Der Fehlfarben-Satz überschreitet darüberhinaus die spezifische Ratinger-Hof-Schwebel/Hein-Mythologie und sagt Allgemeines über unsere Generation von fetten Kindern.

In Gisela Weilemanns Beitrag „Verliebt, Verlobt, BRD-igt“ (auch hier ist der Film tausendmal besser / charmanter / ergreifender als der abgeschmackte Graffiti-Titel) entwickelt, neben der angenehm zurückhaltend agierenden Christiane F. (deren Mitwirken vom Verleih über Gebühr werbewirksam ausgeschlachtet wird), die Regisseurin selbst tragikomisches Talent, wenn sie in einer Absteige auf ihren Freund wartet (einem lümmelhaften, gleichgültigen Bavaria-Punk) und ihn anpiepst wie eine Sprechpuppe: „Wie findest du mein neues Kleid?“ und noch ergreifender: „Leg dich auf mich drauf!“ Die Episode verliert sich schweifend und leichtfüßig an Ereignisse, die entweder überdeutlich inszeniert sind (Michaela May als Karikatur der Hawksian Woman im Disco Ambiente) oder von schwereloser Zufälligkeit getragen werden.

Im Gegensatz zu Gisela Weilemann setzt Helmer von Lützelburg, der in „Star“ ein bewegendes, manieristisches Sozial-Drama um eine ungeliebte, einsame, dicke Telefonistin inszeniert hat, die sich zum Wochenende in ihrem anonymen Appartment in eine bizarre Schöne der Nacht verwandelt, auf absoluten Professionalismus. Vor dem unwirklichen Glück flieht die Arme panisch und dennoch läßt der nette Postbote nicht locker. Besonders effektvoll ist der Moment, wo der als Sozial-Drama beginnende Film während des Schminkvorgangs den Schritt zum unwirklichen Douglas-Sirk-Melodram tut. Ein Film, der treffend mit dem Jimmy-Ruffin-Klassiker überschrieben ist, der hier zum Einsatz gelangt: „What Becomes Of The Broken-Hearted?“

Dominik Grafs „Running Blue“, ein deutsch-vernebelter Waffenschieber-MAD/BND-Komplott, den man allerdings nicht zu sehen bekommt, sondern stattdessen das Unbehagen des Helden an der Durchsichtigkeit der sich entziehenden Mächte – hier gefällt fast nur eine Szene im verrauchten Speisesaal einer bayerischen Pension, wenn sich der coole Hamburger Wolfgang Fink hysterisch über einen zu klein geratenen Eidotter beschwert.

„Panther Neuss“ ist ein romantischer, leicht verrückter, pubertärer Rebell, wortkarg und poetisch. Eine rasendschnelle Story, die auch die Rapper / Musiker-Talente des Hauptdarstellers Stefan Wood vorführt. Höhepunkt dieser Anthologie ist aber eindeutig Wolfgang Bülds clevere, routiniert-harte Tragödie „Disco Satanica“, die noch einem Brian de Palma zur Ehre gereicht hätte. Tod und Rache kommt über das verderbte Nachtleben wie eine alttestamentarische Plage.

„Why I Love To Live Fast“ nannte Andy Warhol mal einen Essay – diese Filme zeigen, daß man gar nicht so viele Meter Film braucht, um wirklich große Spielfilme zu produzieren. Hello, Hans Jürgen Syberberg!