Green On Red. Die postmodernen Beatniks

Nun ist es geschehen. In diesem Frühjahr touren verstärkt die Häßlich-Mutigen aus Amerika zwischen den Pop-Schönheiten wie Holly in Deutschland herum. Im Gegensatz zu ihnen spielen sie jedoch vor einem 200-Mann-Publikum. Eher fein und klein ist dieses Publikum, eines das Auktionslisten herumreicht. Und schließe ich mich den Songs der Green on Reds, Violent Femmes, Long Ryders, Dream Syndicates, True Wests usw. in irgendeiner Weise an, klebt gleich, fingerbreit, der Vorwurf der Nostalgie am Paisley-Hemd. Heh, fehlen ja nur noch Mittelscheitel und lange fettige Haare und der Anhänger des Rock’n’Roll-Revivals – bitte pur und aus dem Bauch und noch mal pur – sei so perfekt, daß er sich am besten gleich in die 60er Jahre zurückversetzen lasse.

Inszeniert wurde dieses Revival tatsächlich von den amerikanischen Bands, quer über den Kontinent verteilt, massiert jedoch in Los Angeles, aus Verzweiflung über, wie sie alle immer wieder beteuern, und gegen die Invasion der englischen Popmusik. Gegen diese scheußlichen Fakes fangen sie an, in unerschütterlichem Glauben an die Roots der amerikanischen Rockmusik, Gitarre, Schlagzeug und Baß ganz einfach und pur wieder in Betrieb zu setzen. Solche Umtriebigkeit addiert sich dann zu einem „Revival“.

Die Wiederbelebung der Bob Dylans über Seeds bis Velvet Undergrounds dieser Welt ist inzwischen schon so weit vorangeschritten, daß Europa infiziert worden ist und Virgin sich z.B. genötigt fühlt, einem miserablen irischen Poetry-Heini, der sich mit elektrischer Gitarre, Mundharmonika und ein paar dürftigen Drum-Tapes begleitet, blindlings einen 20000 Pfund-Vertrag unterzujubeln, nur weil der Junge wie Bob Dylan im Jahre 1965 ausschaut.

Green on Reds Verwandtschaft mit dem alten Beatnik ist mehr musikalischer denn visueller Art, was noch um einiges vielversprechender fürs Geschäft zu sein scheint, da sich plötzlich alle großen Plattenfirmen um diese Band balgen. Wo nun das neue Album mit dem Titel „Gas Food Logis“ (Hinweisschilder für Raststätten auf amerikanischen Highways) in den nächsten Wochen erscheinen wird, ist noch ungewiß. Die Balz ist noch nicht abgeschlossen. Derweil stellt man sich dem Publikum live, in ausgelappten Hemden und spielt so unspektakulär wie möglich „We shall overcome“.

Wieso aber sind die fünf ein wenig abgerissenen Mittzwanziger aus Los Angeles so begehrt? Ihre ersten beiden Alben („Green on Red“, 1981/Down Here Records und „Gravity Talks“, 1983 auf Slash Records) waren keinesfalls besondere Renner. Während man hinter den „Down Here“-Label-Genossen vom Dream Syndicate doch wenigstens ein kleines Psychedelic-Revival ausmachen konnte, blieben Green on Red eher unscheinbar, ein bißchen Bob-Dylandig mit den all-time-Themen des ewigen Barden bis hin zur Sozialkritik (der arme alte Penner unter der Brücke etc. …) im Hintergrund. Ihre musikalisch allerdings überdurchschnittlich guten Songs gingen schließlich inhaltlich mit „Brave Generation“ in die Offensive. Die Nostalgie wird eliminiert: „1968, I was just a little boy …“ (Leider sieht sich Dan Stuart im Interview dazu veranlaßt, diese Offensive auf ein aus dem Bauch usw. entstandenes Ich herabzuwürdigen und sich als potentieller Benutzer nostalgischer Werte zu präsentieren. Möge es bei diesem Benutzen bleiben.) Ein Green on Red-Konzert hilft einem auf die Sprünge. Die Anhängerschaft, die sich dort einfindet, scheint eine zu sein, die auf das nächste Fusion-Revival und die Eröffnung des Head-Shops um die Ecke wartet. Es ist verboten, sich damit zu solidarisieren.

Doch soll ich mir es wegen dieser Anhänger nehmen lassen, Green on Red zu hören und trotz allem „Brave Generation“ zu applaudieren?

Also nehme ich „brave“ einmal wörtlich: tapfer, stattlich, trotzend, keine Angst haben, bereit sein, mit Gefahr, Schmerz und Leid fertigzuwerden. Das ist genauso originell oder unoriginell wie irgendetwas, zieht sich von Hank Williams durch den frühen Dylan bis Green on Red. Besonders pur oder rein oder gar neu ist es auch nicht. Aber angenehm. Ein Einkauf, der die Lebensqualität verbessert, eine Innovation wie „Strauss-Innovation“, die neuartige Ladenkette in Köln und Düsseldorf. Früher hat man Jeans im dunklen, kleinen Jeans-Laden gekauft und das war zumindest beim ersten Mal ein besonders feines Ritual, das nur in Verbindung mit langen Haaren und viel Gekräuseltem darunter statthaft ausgeführt werden konnte. Heute kriegt man das gleiche Zeug billiger zwischen Schokolade und Keksbüchsen, den Frotteeunterhosen im Angebot, und einer Menge anderen, guten Schrotts in einem großen Laden, der gläsern und chromimitiert wie eine postmoderne Imbißbude funkelt, ein Laden, der eine große Anzahl schön häßlicher brauchbarer Dinge anbietet. Wenn ich nur an diese immer leicht verwaschenen violetten Sweatshirts im Military-Look denke mit dem heroischen Aufdruck am Oberarm: „N.Y. Company“.

Green on Red bekennen sich zu ihrer Häßlichkeit. („Ich bin ein großer häßlicher Sänger, der von häßlichen Dingen singt.“) Doch im Gegensatz zu den Cramps etwa, auf die die gleiche Aussage zutreffen könnte, wird die Häßlichkeit nicht ausgelebt und exzessiv dargeboten, sondern in etwas eher Hübsches, Wertvolles, Literarisches transzendiert. Der Aufdruck auf dem Ärmel macht’s, die Worte, das Namedropping. Die braven Jungen operieren am Projekt des neuen Beatnik-Typus. Zur Veredlung ihrer Songs wünschen sie sich den Produzenten Lee Hazelwood, der u.a. die gute alte Nancy Sinatra zum Laufen brachte.

Diese Idee zeugt nun wirklich von einem gewissen Mut. Auf das die Ware etwas dringlicher werde, was unerläßlich scheint, wenn es die Figuren selber nicht sind.

„Wir sind aus Tucson (Arizona) und sind 1979 nach Los Angeles gezogen. Mein Name ist Dan Stuart. Ich singe und habe die meisten Songs geschrieben.“

Auch „Brave Generation“?

„Ja, was ist falsch daran? Also es ist seltsam, was das Lied überall bewirkt hat. Als ich es schrieb, wußte ich nichts außer dem Kehrreim ‚We’re not brave, we’re not hip, we’re the Brave Generation / What a trip‘. Der Rest purzelte so aus mir heraus, während ich an einer Flasche Bier süffelte. Mann, das kam total aus dem Bauch, auch der besondere Sinn für Humor, der da drinsteckt …“

Und das ganze Namedropping?

„… alles mehr oder minder unbewußt. Die konsternierten Reaktionen in der ganzen Welt haben mich überrascht. Für mich war das nur ein in zehn Minuten entstandenes Gebräu über die Politik meines Lebens bis zum Alter von 22.“

Der Stoff, aus dem man Hymnen macht?

„Hymnen? Ha! Ha! Niemand hat den Text richtig verstanden, nicht einmal ich kann ihn singen. Ach was, nur Improvisationen, Bilder aus meinem bizarren Gehirn. Amerikanischer Lebensstil ’83.“

Mit offensichtlichen musikalischen Verweisen an Dylan und die mittleren Sechziger.

„Für mich klingt das eher wie 47, wie Hank Williams. Aber Dylan lief halt im Radio, als ich ein Kind war …“

… wie es in dem Song ja auch heißt …

„… genau, aber das ist ein subjektiver und kein objektiver Tatbestand. Das trifft allerdings auf all die Bands zu, die aus L.A. kommen und die ‚Paisley Underground‘ oder ‚Psychedelic Revival‘ genannt werden, was eine blödsinnige Bezeichnung ist. Wenn in der Musik der Blasters oder X offensichtliche Anleihen an Chuck Berry oder Blues vorkommen, dann weil sie in den Fünfzigern Kinder waren sowie wir eben in den 60ern groß geworden sind. Aber sie denken nicht darüber nach. Das sind keine gedanklichen Entscheidungen. Das ist genau wie mit den Impressionisten und den Post-Impressionisten. Wenn einer von den Post-Impressionisten gefragt wurde, antwortete er natürlich: ‚Klar, ich bin von Manet beeinflußt‘ und so’n Zeugs. Aber als er das entsprechende Bild malte, da hatte er es einfach getan. Einfach so. So ist das auch mit uns Songwritern.“

Du denkst nicht, wenn du schreibst?

„Nein, ich schreibe mit dem Herzen, mit der Seele.“

Wo speicherst du den Namen William Faulkner; im Hirn oder in welchem Organ? (Faulkner kommt in „Brave Generation“ vor.)

„O.K. Das Namedropping, das ist mehr berechnet. Aber das ist eben auch ein Punkt: Ich bin von Faulkner, Shakespeare oder Ibsen mehr beeinflußt als von irgendeinem offensichtlich verwandten Sechziger-Jahre-Songwriter. Und diese Leute sind von denselben Autoren beeinflußt. Flannery O’Connor zum Beispiel hat tausendmal mehr mit schwerblütigen Südstaaten-Gefühlen zu tun, als, sagen wir, Creedence Clearwater Revival. Versteh’ mich nicht falsch, ich liebe Creedence, aber sie sind aus San Francisco, was soviel mit dem Bayou zu tun hat, wie ich, aber sie gelten als die legitimierten Bayou-Musiker, und zwar weil Fogerty rumgesessen hat und Faulkner gelesen hat und Flannery O’Connor. Neil Young natürlich auch. Ich lasse mich doch nicht von Songwritern beeinflussen. Ich steh auf Fellini, Mann. Auf Bergmann. Woody Allen.“

Da hätten wir sie unheilige Trias derer, die der halbgebildete Mittelklasse-Amerikaner für Kultur hält: Fellini, Bergmann, Woody Allen.

„Ich hasse es, kategorisiert zu werden.“

Wie alle.

Es gibt viele Beobachtungen sozialer Realität in Green on Red-Songs. Rentner, Penner, Alkoholiker, Randgruppen.

„Ich war arm. Ich war arm, seit ich achtzehn Jahre alt war. Ich habe noch unter dem Povertylevel gelebt. Vorher war ich bourgeois, das gebe ich zu. ‚Old Chief‘ ist eine wahre Geschichte über meinen lokalen Penner. Ist das wirklich genug? Alle diese Geschichten sind wahr. Alle. Alles ist mir wirklich passiert.“

Aber der Art und Weise, wie diese Dinge verarbeitet werden, liegt eine bestimmte Haltung zugrunde, die eben sehr an die 60er erinnert.

„Ich war eben acht, 1969. Offensichtlich kommen eine Menge 60er-Themen durch. Ich kann das nicht ändern. Ich kann nicht ändern, daß ich damals jung und beeinflußbar war.“

„Es ist ein Unterschied, ob du eine kulturelle Entwicklung als Kind wahrnimmst, oder ob du als Achtzehnjähriger in einer Friedensdemonstration steckst und eigentlich von der Nachkriegszeit geprägt bist. Und heute bist du vierzig, wählst Reagan und alles war nur eine Phase, Außerdem sind das meine Werte: die 60er-Jahre-Klischees. Ich glaube, daß du nicht besser bist als ich. Ich glaube nicht, daß irgendjemand besser ist als irgendjemand anders. Ich glaube, daß die Menschen im Grunde gut sind. Ich glaube, daß jeder etwas Interessantes zu sagen hat. Ich glaube, daß Krieg böse ist.“

Wo siehst du heute in den Vereinigten Staaten Verbündete für diese Werte?

„Die einzige Person, auf die ich mich beziehen kann, ist Jesse Jackson.“

Ist er nicht auch einfach ein Liberaler wie alle anderen? „Vielleicht ist er nicht so verschieden. Aber, wenn er gewählt worden wäre, wäre das trotzdem sehr gut. Heute haben wir da einen Mann, der Schulmahlzeiten für arme Kinder streicht, der College-Unterstützung für Arme streicht, der Sozialwohnungen streicht und Bomben baut. Also sage nicht, Jesse Jackson würde nichts verändern: Er würde nicht den totalen sozialen Wandel bringen, aber er würde diesen Sozialabbau stoppen. Außerdem: Was für Änderungen? Zuerst bringen kulturelle Änderungen politische Änderungen. Politik ist stets drei Jahre hinter der Straße. Bewege etwas auf der Straße, dann folgt die politische Ebene.“

Hast du irgendwelche historischen Beweise für diese These?

„Na, was soll ich sagen? Die französische Revolution ist von der amerikanischen beeinflußt worden.“

Aber das war beides Politik.

„Na, ich meinte, daß etwas auf der Straße geschehen muß, damit sich in der Politik was ändert“

Ist Kultur für dich das, was auf der Straße passiert?

„Ja. Das, war wir tun, passiert auf der Straße.“

Subkultur.

„Ja, und dann kommen die vierzigjährigen Schreiber und nennen es ‚Psychedelic Revival‘. Dylan hatten sie zwanzig Jahre vorher ‚Folk Revival‘ genannt. Dylan sah sich nicht so, der sah sich nicht mal als Songwriter, der sah sich nur als Dylan.“

Das war kokett.

„Naja. Er ist der Meister der Koketterie.“

Wann und wie bist du zur Musik gekommen?

„1977. Durch Punk. Aber das war im Grunde genommen auch nichts anderes als Woody Guthrie. Jeder sollte in einer Band spielen, es gibt keine Stars mehr. If it wasn’t for Seventyseven I wouldn’t play music. Und ich stehe heute noch dazu und muß dafür ne Menge einstecken.“

Im Konzert ändert er den Text von „Brave Generation“ nach der Zeile „Back in 1968 / I was a little boy“ wie folgt: „Listening to the car radio with Bob Dylan on / but I’m a 77-man.“

„All diese Bands haben damals angefangen, die Bangles, Dream Syndicate. All diejenigen, die geglaubt haben, daß Songs zu schreiben jenseits von Mode und Images noch möglich sein sollte.“

Im Moment seid ihr im Zentrum eines Images.

„Ja. Es ist entsetzlich. In den USA setzt man uns Vorgruppen vor, die ganz und gar in Paisley gekleidet sind und Dylan und Seeds-Nummern covern.“

Was ist daran schlecht?

„Wenn ich irgendetwas zu sagen habe, dann ist meine Botschaft: Be your own Songwriter! Ich bin gegen diese ganze New-Wave-Punk-Modescheiße, weil inzwischen auch Nancy Reagan eine kleine New Wave-Punkette ist.“

Das stimmt. Nancy Reagan ist Cindy Lauper. Warum versuchen englische Bands immer ein Image mühselig und kunstvoll aufzubauen, während amerikanische Bands …

„… alles versuchen, um davon loszukommen. Das liegt daran, daß Engländer Pop machen. Und dazu braucht es ein bißchen Flitter und Tand – nichts gegen Glitter –, aber amerikanische Bands, jedenfalls die, die ich mag, sind purer Rock’n’Roll. Und Rock’n’Roll ist reine, urtümliche Kraft.“

Einerseits die guten alten, neuen Neo-Rockists, andererseits von Literatur mehr beeinflußt als von Songwritern. Wen spricht so etwas eigentlich an? In Grateful Dead Bootleg Ersteigerer Kreisen rund um Magazine wie „Oldiemarkt“ steht Green on Red hoch im Kurs.

„Wir haben ein gemischtes Publikum. Wir haben den alten Hippie, den Black-Flag-Fan. Aber eines muß man sagen: Unser ganzes Publikum besteht nur aus beschissenen Männern. Die einzigen Mädchen, die du siehst, sind von ihren depressiven Freunden mitgeschleppt worden.“

Warum kommen keine Frauen?

„Weil ich nun mal ein großer häßlicher Sänger bin, der von häßlichen Dingen singt.“