7. Hamburger Kinotage

Diesmal vom Herbst in den Sommer verlegt, boten diese Hamburger Kinotage eine eindrucksvolle Demonstration von der Konsolidierung des studentischen Kinogeschmacks. Die „AG Kino“ und ähnliche Organisationen brauchen nicht mehr mit Unbekanntem zu rechnen. Das zeigte ein Programm, das, ähnlich wie im Vorjahr, offensichtlich genau für ein bestimmtes, kohärentes Filmverhalten kalkuliert zu sein scheint und Experimente und Überraschungen nur zuläßt, wo das nötige Etikett vorhanden ist: etwa bei dem armseligen, dümmlichen „Zoo Zero“, der als „Nach ‚Eraserhead‘ ein neuer Animal Horror“ angekündigt war. Da hatte wohl wirklich jemand Radiergummi im Kopf.

Eine auffallende Tendenz war die „Neue Niedlichkeit“. Filme der „Neuen Niedlichkeit“ spielen in soziologischen Freiräumen, wo niedliche oder verschrobene oder schrullige Originale so richtig ihren niedlichen kleinen Neigungen nachgehen können. Man könnte auch von der neuen Harmlosigkeit sprechen oder der neuen Belanglosigkeit. Herkunftsland dieser Bewegung: Frankreich. Schlimmstes Beispiel: „Ma Cherie“.

Es gab einige Dokumentationen zu sehen: Obwohl ich die Frau nicht ausstehen kann, war „Anais Nin“ ein interessanter Film, während „Erich von Stroheim“ nicht hielt, was sein Objekt versprach. Sehr gut: „Simone de Beauvoir“, im Gespräch unter anderem mit Sartre und Alice Schwarzer. Die besten Filme waren zweifellos zwei schwelgerische, barocke, aber ungemein präzise Tashlin-Komödien mit Jayne Mansfield: „Will Success Spoil Rock Hunter?“ und „The Girl Can’t Help lt“, letztere gehört zu den fünf besten Musikfilmen überhaupt.

Aber die waren halt auch schon über zwanzig Jahre alt, und was an Zeitgenössischem geboten wurde, war oft mehr als dürftig. Leidlich interessant, wenn auch von einer ziemlich verblasenen Ästhetik, war Derek Jarmans („Jubilee“) Shakespear-Version „Tempest“, u.a. mit Toyah Wilcox. Das beste am Film war die Musik (vgl. Singles). Nicholas Roegs Frühwerk „Walkabout“ hatte durchaus interessante Momente. Für Leute, die sich mit Roegs manieristischer Filmauffassung anfreunden können (konnten), ist es wahrscheinlich ein Meisterwerk. Selten hat Roeg seine schrägen Bilder so unvermittelt gefilmt wie hier.

Was bleibt, wenn man prinzipiell nicht in ungarische, bulgarische (nach langem Nachdenken und gutem Zureden nehme ich dieses Vorurteil zurück – D.D.) und neu-niedliche-französische Filme geht, waren zwei Überraschungen: „Paradiso“ von Christian Bricout und „Out Of The Blue“ von Dennis Hopper. „Paradiso“ spielt in einer Joy Division-Gegend im Norden Frankreichs. Er erzählt in mehreren Akten die Versuche eines jungen Kunststudenten aus Arbeiterfamilie, im Laufe einer Nacht menschliche, erotische Kontakte zu knüpfen. „Paradiso“ zeigt in kühler, präziser Manier das Elend der Provinz. Dumpfe Niedergeschlagenheit auf Rummelplätzen, fiese tumbe Männer, wehrlose Frauen, mechanischer Sex, Zurückweisungen für den, der außerhalb der Rituale steht oder sie nicht beherrscht.

„Out Of The Blue“ ist Dennis Hoppers Verfilmung einiger Strophen aus Neil Youngs gleichnamigen Song („Hey Hey, My, My“). Er selbst spielt einen halb gescheiterten, halb noch von seiner Umgebung akzeptierten Semi-Outlaw und Proletarier, der auf dem Müllplatz arbeitet und dessen Frau süchtig ist, aber trotz aller Demütigungen etwas Würde bewahrt hat. Seine Tochter, die fantastische Linda Manz, reagiert auf die desperaten Zustände. Sie wird Punk und inszeniert einen nihilistischen Aufstand: „Into The Black“. Linda Manz’ authentisches Spiel macht einen großen Teil der Faszination aus, unterstützt von der quasi-dokumentarischen Kameraarbeit, den langen genauen Einstellungen und von Hoppers stets präsenter guter Einschätzung von der Situation einer Jugend, die nicht nur gegen Zustände rebelliert, sondern auch gegen die gescheiterte Rebellion ihrer Eltern, gegen dieselben Zustände, die mittlerweile ein Teil der Zustände sind.