Harald und Eddi

Nichts gegen Luis Bunuel. Fast hätte ich mal eine Doktor-Arbeit über ihn geschrieben, und gerne lese ich gerade seine alles abstreitenden Dialoge mit Max Aub, aber seine bei der Programmkino-Gefolgschaft erfolgreichsten und für surrealistisch (möglicherweise zurecht) gehaltenen Filme verdanken ihren Erfolg der Tatsache, daß sie ziemlich in die Länge gezogene (was sie auch einprägsamer und größer machte und auch den Spaß erhöht haben mag), nacherzählbare Sketche sind (ich denke etwa an den Würgeengel oder große Teile des Diskreten Charme der Bourgeoisie oder das Gespenst der Freiheit), und also Witze, die immer wieder auf der einfachen Pointe beruhen, daß sich irgendwelche Gruppen, Gesellschaften, Ehepaare oder andere Gemeinschaften darauf einigen, etwas für wirklich zu halten, was nicht wirklich ist (wie der Kinozuschauer, der ja über die Realität des Realen entscheidet, deutlich schon sehen kann: Die Porno-Bilder sind in Wirklichkeit Reisepostkarten, das entführte und eineinhalb Jahre gesuchte Kind steht die ganze Zeit neben seinen entnervten Eltern, es gibt absolut keinen physischen Grund, die Partygesellschaft im Würgeengel nicht zu verlassen etc.).

Alle diese Pointen folgen also der Idee der neuen Kleider des Kaisers, einer Idee, in der das ganze Dilemma der Aufklärung begraben liegt, die eigentlich befreiende Entdeckung des Kindes, daß der Kaiser nackt ist, dermaßen auswälzend, daß sie absolutiert und Redewendung geworden in den Wortschatz liberal-naserümpfender Modekritik eingegangen sind, wo es doch längst interessanter und wichtiger und aggressiver wäre, offensiv mit solchen Nacktheiten zu arbeiten (vgl. Lüge-als-Wahrheit-im-Pop, Jg. 82-84 Sounds, Spex). Bunuel-Filme sind neben ihren vielen anderen Qualitäten manchmal absolute Nackte-Kaiser-Pornos, sich stundenlang daran aufgeilend, wie nackt und was da alles nackt ist und was man da alles sehen kann, auf Einverständnis mit einem Publikum hoffend, das auf seine realen Kleider so derbe und bäurisch stolz ist, daß man sie ihm vom Leibe reißen möchte.

Warum ich das alles erzähle? Diese Spielart des Bunuelismus als Surrealismus (und vice versa) hat endlich ihre richtige sowohl Fortsetzung wie auch Kritik und Überwindung gefunden in der Sketch-Serie Harald und Eddi mit Harald Juhnke und Eddi Arent Montag abends in der ARD. Die extrem kurzen Sketche – in denen zum Beispiel Harald und Eddi einer jungen Dame gegenüber darauf bestehen, eineiige Zwillinge zu sein (was sie durch alle offensichtlichen Unterschiede, die sie einzeln ansprechen und vorführen, zu beweisen versuchen), bis sie einen in die Kneipe hinzutretenden Schwarzen in die Arme schließen und zugeben: Wir haben gelogen, in Wirklichkeit sind wir eineiige Drillinge – leben einerseits von genau dem alten aufklärerischen Sein/Schein-Klarstellungsanspruch, sich solidarisch über ihn amüsierend, lassen aber andrerseits den Lügner triumphieren, Juhnke als New-Age-Arzt etwa, der seinen Patienten mit sichtbarer Axt-im-Schädel auffordert, alles nicht so verbissen zu sehen, das Problem mental zu lösen, die andere Gehirnhälfte arbeiten zu lassen etc., während er außerdem fieberhaft seine Akupunkturnadeln sucht, um seine eigenen Kopfschmerzen zu behandeln. Als er ermattet auf einen Stuhl niedersinkt, hat er sich natürlich in die Nadeln gesetzt und greift sich erleichtert an die Stirn, die Kopfschmerzen sind weg. Einerseits wird so New Age richtig und sichtbar als das, was es ist, kritisiert: Lüge, andrerseits demjenigen Recht gegeben, der im Pop-Sinne richtig lügt.

Aber auch das nur bis zu einem gewissen Grade: Juhnke, Arent und Christine Kaufmann auf der einen Seite eines Zugabteils, nebeneinander, unterhalten sich rhythmisch und in Reimen, Rap-mäßig. Juhnke macht Kaufmann an, Arent ist entrüstet, Kaufmann flirtet zurück, Arent ist entrüstet, Juhnke fällt über Kaufmann her (über den dazwischensitzenden Arent, der ist entrüstet), Kaufmann und Juhnke entschuldigen sich; alle drei verlassen das Abteil. Ihnen hat die ganze Zeit ein würdiger Herr gegenübergesessen, dessen Gesicht von einer Zeitung verdeckt war, die er nun sinken läßt: ein Schwarzer. „Eines muß man den Weißen ja lassen: Sie haben den Rhythmus im Blut.“

Das Lachen über den Kaiser ist ja deswegen so ekelhaft, weil es denunziert (die Denunziation müde damit rechtfertigend, daß es sich um einen Kaiser handelt), Juhnke und seine Leute schmücken sich aber ständig freiwillig und stolz mit irgendwelchen denunzierbaren Abnormitäten und lachen sich über die schlapp, die sich diese Courage nicht leisten, so über den ewig-blöde Wahrheiten petzenden Kindermund triumphierend. Beide (Juhnke und Arent) haben ja schon lange eine Trash-Gefolgschaft, die aus So-schlecht-dass-es-schon-wieder-gut-ist-Studenten besteht, Juhnke wg. „Bild“ & Alkohol, Arent wg. Edgar Wallace, beide haben eindeutig mehr verdient. Juhnke ist schon lange einer der wenigen deutschen Markenzeichen-Schauspieler (der mit Abstand beste Marlon-Brando-Synchronsprecher obendrein), der in der Lage ist, seinen Mythos ständig in Frage zu stellen, bzw. den Teil seines Mythos, der allen vergleichbaren Typen unangenehm wäre, in den Mittelpunkt zu stellen (die Kefir-Kampagne), Eddi Arent ist meisterhaft als Lebemann, Chef, Großkotz, Neurotiker (alles was im Widerspruch zu seiner Kleinwüchsigkeit steht), beide spielen ständig mit Hierarchien, die fast immer Voraussetzung der Sketche sind. Arent okkupiert als Bewerber das Büro des Personalchefs Juhnke, um dann schließlich selber ein Einstellungsgespräch vorzunehmen.

Ein Witz aus einem Richard-Lester-Supermann-Film fällt mir ein, der das Vorbild all dieser superschnellen Komödien-Single-Hits gewesen sein könnte: Das blonde Liebchen des großen bösen Gangsters liest einen Liebesroman. Als der Gangster das Luxus-Appartement kurz verläßt, läßt sie die Zeitschrift sinken, und man sieht, daß sie nur mit dem Cover ein Buch eingeschlagen hatte. Die Kritik der reinen Vernunft. Laut denkend diskutiert sie Kant-Probleme. Als der Boß zurückkommt, setzt sie sofort wieder das dumme Gesicht auf, wickelt das Buch wieder in den Liebesroman ein. Quietscht. Regie bei Harald und Eddi führt übrigens Jung- und Experimentalfilmaltmeister George Moorse.