Die große Zeit der In-Lokale liegt nicht nur in Hamburg definitiv hinter uns. Das größte und glamouröseste In-Lokal war die „Fucktory“, und die wurde Anfang der 70er Jahre von Amts wegen geschlossen: wegen GVs in der Öffentlichkeit!
In-Lokale waren auch die kurzlebigen Unternehmungen des Götz Achilles und seines Vereins „Alles Wird Gut“. Die „Schlachterei“ am Eppendorfer Weg, das „Exil“ in der Gasstraße und das „Dopium“ im „Podium“. In-Lokale müssen Löcher in der Wand sein, schwer zugängliche Heiligtümer, für die man was tut. Sich anzieht, Türsteher besticht und sich vor der Polizei, den Eltern und der Nordelbischen Landeskirche versündigt. In-Lokale müssen illegal sein. Wir reden hier also nur von dem, was „in“ noch in etwa nahekommt, und wir tun dies eingedenk der Tatsache, daß wir „In“ großen Schaden zufügen, wenn wir „Out“ miteinweihen. Oder liest „Out“ die SZENE nicht? Ich fürchte doch („Hallo Out! Wie isses da draußen in ‚Madhouse‘, ‚Wintergarten‘ und ‚Stairway‘?“).
Wenn ein Lokal schon nicht illegal sein kann, dann muß es wenigstens zweckentfremdet werden, um in sein zu können. Die Punk-Revolte fand in Hamburg in der „Marktstube“ in der Marktstraße statt. Zwei glückliche Jahre habe ich in diesem Lokal zugebracht, das heute sicher nicht mehr aufregend genannt werden kann. Der ehemalige Hippie-Laden (die Gnuffel-Schlumpf-Kunst war noch an der Wand, als sich die ersten kalbsköpfigen Jugendlichen zu katzbalgen begannen) hat nach seiner Zweckentfremdung zum Avantgardetreffpunkt (’79-’81) wieder den Weg zur Eckquelle für Your average-Alkoholiker eingeschlagen. Der Nährboden für Großes bleibt gewiß so lange potentiell fruchtbar, wie das Lokal in den Händen von Mac und Sheila bleibt, den großartigsten Wirtsleuten ganz Hamburgs.
Nach der Zwischenphase (1982: „B’Sirs“ und „Schlachterei“ , deseased) übernahm das „Subito“ an der Stresemannstraße die Leitung der Nacht: Der Weg zum intelligenten Vollrausch führt auch heute nicht an dieser Stätte der legendären Alkoholexzesse vorbei. Der geneigte Tourist werfe gefälligst tränenumflorte Blicke auf so legendäre Orte wie den „Munkelgang“ (wo man in Liebe fällt) oder den „Fußballplatz“, wo am Kicker der Nüchterne den Betrunkenen besiegt. Sehr zum Ärger des ohnehin reizbaren Letzteren. Wat ham wir uns bepöbelt! Der sogenannte „Katzenkasten“ ist seit der Entfernung des Kieses („Streu“) etwas heruntergekommen, und die Auswahl der für die Wandbilder zuständigen Künstler ist nicht immer so glücklich. Trotzdem bleibt das „Subi“ (wie seine Freunde es nennen dürfen) trotz harter Konkurrenz in unmittelbarer Nachbarschaft das erste Haus am Platz.
Oder sollte das „Kir“ in der Max-Brauer-Allee ihm gefährlich werden? Nach überstandener Brandkatastrophe hat der Malergeselle Clemens Grün (dessen Nachname zusammen mit den Farben seiner Kleidung die Vereinsfarben eines mittel-bekannten Eimsbütteler Sportvereins ergibt) seine ambitionierte Disco mit gelegentlichen Live-Bands (exzeptionell gut: neulich die Milkshakes) in das Herz der Dinge verlegt (das Bermuda-Dreieck „Subito“ / „Luxor“ / „Kir“).
Die Pappschachtel, die früher „Airport“ und „Neon“ hieß, ist angenehm schlicht und unwavig in rote Farben getunkt und darf auf gar keinen Fall renoviert werden. Man fühlt sich darin wie in Scorseses „Mean Streets“ und akzeptiert die hohen Getränkepreise so lange, bis man einen Blick auf die Rechtfertigungsrhetorik bezüglich dieser Preise wirft, die auf den Getränkekarten des Etablissements eingesehen werden kann. Da ist von Geschäftsphilosophie die Rede und das mögen wir natürlich nicht: Wirt bleibt Wirt und Philosoph bleibt Philosoph und der Schuster bei Barcelona. So soll es sein und keine neuen Sitten bitte, die ungut an das Gebaren überwunden geglaubter Alternativkapitalisten gemahnen. Die Musik ist ziemlich hochwertig in Disco-Lautstärke, und zum Tanzen kommt man in Hamburg sonst ja fast nie.
Wir tapern ins „Luxor“, gleich nebenan, und bestellen eine „Suppe“ (ein oppulenter Milchkaffee, die Spezialität des Hauses. Manchmal verirrt sich eine Tomate in die „Suppe“. Dann ist es eine echte Suppe, denn man kann hier auch essen). Das Publikum des angeedelten Day-and-night-Cafés hat in letzter Zeit stark nachgelassen. Gut abgehangene Medienkerls und -tanten aus dem nahen „Vienna“ wagen in letzter Zeit schon öfter mal den Weg in den vorbildlich von einem sozialistischen Kollektiv um don „Subito“-Mitbegründer Clemens Gärtler geleiteten Alu-Wave-Laden. Angehende Intellektuelle tauschen angehende Gedanken aus („Wenn ich einmal groß bin, werde ich ein Gedanke“), so daß man das „Luxor“ (eigentlicher Name: „Lagos“) am besten nutzt, wenn man zu zweit ist und relativ ungestört von den besten, besoffenen Freunden etwas besprechen will. Am besten geeignet für den Start einer Tour durch das „Bermuda-Dreieck“ und vielleicht für den kleinen Hunger zwischendurch. Eine Erklärung für Jazz-Freunde: Wenn das „Luxor“ der letzten Joe-Jackson-LP entspricht, dann ist das „Kir“ John Lurie und das „Subito“ James White.
Neu auf der falschen Seite der Alster ist das „Scaena“ an der Bramfelder Straße. Hier treffen sich Schüler und Schülerinnen, die um 22 Uhr rührend diszipliniert den veralteten Jugendschutzparagraphen gehorchen, das Lokal verlassen und für die reformierte Oberstufe Platz machen. Junge Boxer und Breakdancer drängen an die Bar und bestellen sich Orangensäfte und alkoholfreie Mixturen. Der Geist ist in diesem Laden nicht gerade beheimatet, obwohl dem Vernehmen nach ein Ehemaliger der Gelehrtenschule des Johanneums dran beteiligt sein soll. Dort aber unterrichtete zumindest zu meiner Zeit der wunderbare, universal gebildete Herr Jul und sagte in Abwandlung einer alten Volksweisheit: „Wer nichts wird, wird Journalist.“ Womit gesagt sein soll, daß man an dieser Schule den gastronomischen Beruf immer noch höher einschätzt als den, den unseresgleichen ausübt. Der Name des Etablissements mutet dann ja auch altsprachlich an.
Wer glaubt, die Breakdance-Media-Craze habe keine Wirkung auf die Kids, kann hier, im hinteren Teil des Lokals, dem lächerlichen Schauspiel beiwohnen, wie junge Hamburger zu sattsam bekannten Dancefloor-Standards von der Sorte Rockwell „Freeze“-Gesten ausprobieren. Dahinter stochern andere Jugendliche mit großen Queues auf kleinem Raum ungelenk an Billard-Tischen herum. Manchmal landet so ein Queue in einer Nase. Und die blutet dann.
Architektonisch-organisatorisch erinnert das „Scaena“ an das „Lucky Strike“ in Manhattan: im ersten Stock mit vollverglaster länglicher Front zur Straße – statt Third Avenue Bramfelder Straße. Kein so großer Unterschied, gilt doch die Third Avenue als die Osterstraße Manhattans. Es ist also wirklich ganz amüsant unter diesen gutaussehenden, gesunden, geistlosen Poppern. „Heilignüchtern“ möchte man mit dem verstorbenen Dichter Hölderlin ausrufen, allein: Das „Scaena“ ist auf der falschen Seite der Alster.
Wie das „Voilà“, das es nie ganz zu „in“ und „B’Sirs“-Nachfolge gebracht hat, das aber hier erwähnt sei, weil Disco in Hamburg sonst nur „Stairway“-, „Madhouse“-Proll-Scheißmusik bedeutet. Immerhin gibt es einen Türsteher, der aber kein richtiger Kommunist ist. Türsteher, die keine Kommunisten sind, sind nicht viel wert.
Bald wird es Sommer, und Jung und Alt, Arm und Reich, Doof und Hübsch, Häßlich und Gesund, Klug und Intelligent, Kind, Hund, Kegel und Gesangsverein strömen wieder ins „Schöne Aussichten“ in Planten un Blomen, dessen Leitung sich unlängst in diesem Blatt – sehr zu meinem Verdruß – von ihrer jungen, schicken Klientel distanziert hat. Mehr Substanz wollen diese Leute. Gott schütze uns vor SUBSTANZ. Der Sommer wird ein Übriges tun, und es wird bestimmt wieder genauso nett und substanzlos wie im letzten Jahr, wenn mit dem Frühling Hamburg seine neuen Menschencreationen ins „Schöne Aussichten“ zu Testvorführungen schickt.
Was die „Aussichten“ für Central-Hamburg, ist das „Café Elbterrassen“ an der Elbchaussee für die Elbvororte. Während aber in den „Aussichten“ Mammon-Sex und Proll-Sex nebeneinander existieren, gibt es dort nur Mammon-Kinder. Zudem die weniger reizvollen Mammon-Kinder aus den Elbvororten, wo doch der gute Mammon Hamburgs in Harvestehude oder am Oberlauf der Alster angesiedelt ist. Alle guten jungen Leute der letzten Zeit kommen aus diesen Vierteln oder dem Proletariat. Die Elbvororte haben seit den Tagen der „Fucktory“ spürbar nachgelassen. Dennoch. Sei’s drum.
Ebenfalls nachgelassen seit den gloriosen Tagen von 1979, als man noch mit angeneonten Westcoastlern zufrieden sein mußte, hat das „Cha Cha“ gegenüber der Musikhalle. Der Neon-Café-Veteran. Eine historische Stätte, die heute von eher minderwertigen Poppern frequentiert wird, die davon nichts mehr wissen. Ebenfalls eine historische Stätte ist das „Café Vienna“ in der Fettstraße, das an schlechten Tagen, bevölkert von Figuren aus Medienwelt und Galerieszene, wie ein Freiticket für den Blues aussieht. Das aber eine angenehme Stammkundschaft zu bieten hat, die was vom intelligenten Saufen vor Mitternacht versteht. Das „Vienna“ ist das Gegenteil von „in“, an Wochenenden zwischen 22 und 22.30 Uhr aus erwähnten Gründen eine gute Wahl.
Auf der Reeperbahn empfiehlt sich der „Club 88“ für das Abrunden von Nächten, die in der Woche um vier Uhr noch nicht zu Ende sein wollen. Wer um des Tanzens willen tanzen geht, der soll meinetwegen in die Schwulen-Disco „Front“ am Heidenkampsweg, gleich daneben ins „Third World“ (elegant, schwarz und proll) oder ins „Disco-City“ (hart-schwarz, tolles Publikum!) am Spielbudenplatz gehen.
Ich gehe nie um des Tanzens willen aus und kann zu diesem Punkt nur weiterleiten, was mir zugetragen wurde.
P.S.: Fast hätte ich das „Vega“ vergessen – trotz eines eher langweiligen Popper-Publikums aus Eimsbüttel (wo eigentlich keine Popper gedeihen) Hamburgs beste Cocktail-Bar mit den besten Barkeepern.




