Interview mit Albert Oehlen

DD: Ist es wichtig für dich, daß Du „bleibst“ und mit welchen Mitteln kann man das erreichen?

AO: Es ist für mich wichtig, daß ich bleibe. Als Materialist bin ich natürlich der Auffassung, daß dieses Bleiben mit dem Tode aufhört, aber ich muß schließlich auch an meine Bilder denken. Dies kann man nicht durch Strategie, sondern nur durch Schaffung von etwas Schönem, präziser durch die „Unterwerfung von Dasselbe“ erreichen; indem man sich unersetzlich macht. Die Schönheit wird bleiben, sie ist das Einzige, das in der Lage ist, eine Strategie zu verfolgen.

DD: Dieser Begriff („Strategie“) ist als ultima ratio jeder Künstlerselbsterklärung inzwischen weitgehend durch „Schönheit“ oder „Qualität“ ersetzt worden. Wie beurteilst Du diese Entwicklung, wie gehst Du selber vor?

AO: Von Strategie sollte man nur reden, wenn man ein bestimmtes Ziel im Auge hat. Welches Ziel aber, außer der Schönheit, könnte Kunst im Auge haben. Schönheit ist in allen Bedingungen von der Wirklichkeit abhängig. Daher ist die Abschaffung der Kunst das schönste Ziel überhaupt, weil damit die Rückkoppelung der Bedingungen der Kunst auf das Leben stattgefunden hätte. Alle Schmerzen oder Wehwehchen der Kunst führen zurück auf den Versuch oder halbherzigen Versuch, sie umzubringen und ihr dadurch Gültigkeit zu verleihen. Hier kann man sehen, daß Schönheit nichts Statisches ist, sondern sich ständig neu zu definieren sucht, indem sie das Ende der Kunst herbeisehnt. Deutlich zu sehen bei allen klassischen „Avantgardeschockern“ bis hin zu Manzoni. Wo man gestern noch dachte, daß diese Blödheit nicht zu überbieten ist, ist man heute gebannt von der Wahrhaftigkeit des künstlerischen Erkennens und der Grazie des Aufbäumens. Die Schönheit hat eine neue Form angenommen und das heißt, alles ist beim Alten geblieben. Dies kann ich zwar erkennen, aber ich kann keine Konsequenzen ziehen, weil ich 1.) wenn ich dies erkannt habe, nicht mehr schlauer werden kann, und 2.) wenn ich aufhören würde Kunst zu machen, ich mich nur in einen anderen, besonders schönen Zustand der Produktivität versetzt hätte. Denn ich bin ja nun mal Künstler und mein Nichtschaffen würde auf den gleichen Grundlagen beruhen wie andernfalls mein Schaffen.

DD: Du hast geäußert, eigentlich müßtest Du auch (wie Lüpertz) Formulierungen wie Anmut des 20. Jahrhunderts vorschieben, denn bei der Offenlegung Deiner Methoden könnten die ehrlich um Verschleierung bemühten Kollegen Dir nachsagen, Du machtest es Dir zu einfach. In Wahrheit gehst Du aber keinen der beiden Wege, wie also gestaltest Du Deine Öffentlichkeitspolitik?

AO: Das Wort „vorschieben“ halte ich für nicht angebracht, da Lüpertz damit die sehr plausibelen Erklärungen zu seiner Arbeit gibt. Ich meine damit, daß es nicht meine Aufgabe sein kann, meine Methode zu erklären, sondern Behauptungen und Forderungen aufzustellen. Der Sachverhalt ist komplizierter, als Du in dieser Frage unterstellst. Du erweckst den Eindruck, als ob der Begriff „Schönheit“ nach oben genannten Erkenntnissen nur noch ironisch verwendbar sei oder zum Verschleiern der wahren Absichten. Es ist aber nicht so, daß ich sage, die Scheiße in Dosen von Manzoni ist schön (zwinker, zwinker, wir wollen doch dasselbe), sondern sie ist wirklich schön, da sie ein besonders extrem formulierter Versuch ist, Klärung zu schaffen, etwas Authentisches, etwas Reines in die Welt zu setzen, das man nicht mehr so schnell verschwinden lassen kann.

DD: Aber ist es nicht so, daß eine Sehnsucht. nach Reinheit und Schönheit demselben reaktionären Grundbedürfnis entspricht, das auch, sagen wir Kounellis, Disler und andere umtreibt, in deren Fall auf die Form ihrer Hervorbringungen projiziert, ist Dein Begriff der Schönheit in diesem Falle nicht viel näher einer Idee der sachlichen Richtigkeit. Ist Manzoni also nicht viel eher schön, weil er recht hat (in diesem Falle), als weil er authentisch ist?

AO: Schönheit steht für „besonderes Rechthaben“ während Reinheit und Authentizität durchaus nichts reaktionäres sein müssen. Vergleiche zum Beispiel reine Scheiße und reine Wäsche. Reaktionär ist, diese Begriffe zum Dogma zu machen, ohne sie mit Inhalten zu belasten. Zum Beispiel Spurensicherung, Dada und Wilde Malerei.

DD: Wenn Künstler naturgemäß immer darum bemüht sind, ihr Arbeiten geheimnisvoller darzustellen, als es ist, zwingen sie dann nicht dem Kritiker eine dumme Fahnder-Rolle auf, der dieser dann auch noch meistens dadurch zu entgehen versucht, daß er sich zu den Erfüllungsgehilfen dieser Künstlermystifikationen macht, indem er poetische Reviews und Katalogtexte schreibt, was noch schlimmer ist, und so die breite Masse daran hindert, gut und schlecht zu unterscheiden?

AO: Künstler sind nicht naturgemäß darum bemüht, ihr Arbeiten geheimnisvoller darzustellen, als es ist. Es liegt vielmehr in der Natur des Feuilletons, hier Abhängigkeiten schaffen zu wollen. Das Kunstwerk selber ist oft so einfach, daß es nur gemacht wurde, weil der Künstler es unbedingt wollte.

DD: Warum sagst Du dann jedesmal, wenn ich Dir ein Zitat als unschlagbaren Beweis für die Dummheit eines lebenden Künstlers liefere, der meine das nicht so ernst? Der sage das sozusagen, um einen Schleier aus charmanter Naivität um seine eben doch viel durchdachteren Werke zu weben? Jedenfalls rechtfertigst Du so oder ähnlich die verbalen Schnitzer von Künstlern, deren Werk Du achtest. Umgekehrt gibt es Künstler, die Autobiographien geschrieben haben, die Dir gefallen, deren bis dahin nicht geschätzten und/oder als uninteressant empfundenen Werke Dich aufgrund der Schriften entzücken und neues Leben gewinnen. Worum geht es also, Werk, Verstand oder beides?

AO: Es geht natürlich nur um das Werk, aber oft ist man erst durch eine Äußerung des Künstlers in der Lage, die Qualität seiner Arbeiten zu erkennen und zu würdigen, da man vorher nicht wissen konnte, auf welchem Gebiet oder besser in welchem Rahmen er sich überhaupt betätigt. Die erwähnten lebenden Künstler der Verstellung bewundere ich nur als solche. Eben wie man eine Lüge bewundern kann. Wenn ein Künstler zum Zwecke der Selbststilisierung besonders seltsame Wege geht und besonders obskure Methoden anwendet, kann das sehr komisch sein. Mehr habe ich darin nie gesehen.

DD: Welche Politiker gefallen Dir?

AO: Die Geschwister Redgrave.

DD: Ist es moralische Aufgabe des Künstlers oder Kritikers intellektuelle Fehler und/oder Bosheiten in der Kunst (also bei Galeristen, Künstlern, Kritikern) aufzuspüren und zu bekämpfen, und wenn ja, inwieweit sollte man berücksichtigen, daß gewisse Dummheiten geäußert werden, um die eigenen Interessen zu unterstützen bzw. zu adeln (Lüpertz in „lui“, Dokoupil im Gespräch mit Maenz in „Flash Art“)?

AO: Das ist die Aufgabe jedes Menschen! Nur sollte man nicht kleinlich bei jeder Enttarnung zur Polizei rennen. Das Ziel ist vielmehr, sich durch die eigene Arbeit in die Position zu bringen, daß man selber Verhaftungen vornehmen kann.

DD: Ist gute Kunst ein unmögliches Projekt?

AO: Nie gewesen!

DD: Ist gute Kunst etwas anderes als eine Scheußligkeitsvermeidungs-Maschine, in dem Sinne, daß von Haus aus jede Produktion peinlich ist und es Aufgabe der Kunst sei, eigentlich unmögliche, unscheußliche Werke zu produzieren?

AO: Das ist immer so gewesen und das haben auch Leute vor uns begriffen, so zum Beispiel der nordische Dichter Hannemann als er sein Gedicht „Krionica“ schrieb:

Augen auf mich
in lebenslänglichem Schlaf
Träume führen mich in die Irre
Zukunft am unvernünftigen Traum
enttäuscht von Versprechungen
verdammt, das Risiko allein zu tragen
Hirn und Seele
in herrischer Wissenschaft gefriert
der elende Traum ist wahr
die Menschheit wird kandiert
Gedanken an Gelächter
Füllen den Kopf des Meisters der Ladung
Worte von Wundern
Ist es Heilung oder schmerzvoller Tod
Ich kämpfe und widerstehe
bis sie alle sehen
das Ende in der Nähe
Doktoren, Anwälte und Agenten
Leben in Angst
Doch ich habe ein fernes Hoffen
die Heilung hat meinen unsichtbaren
Feind getroffen

DD: In einem Gespräch mit Frank Hoenjet über Dein Hitler Portrait sagtest Du an einer Stelle:

Ik heb echter het recht hem te schilderen! Je moet je als schilder afvragen: staat dat gezicht van Hitler voor iets? Associeer je zijn portret inderdaad met de Tweede Wereldoorlog? Waarom zou het portret van Hitler überhaupt voor Hitler staan?

Ik wilde dat je Hitler direct zou herkennen. Ik weet ook dat hij inderdaad met iets geassocieerd wordt. De eerste reactie bij niet al te intelligente mensen, is dat ik hem zou verheerlijken. Maar dan komt de volgende vraag: Hoezo is een portret een verheerlijking?

Hitler ist een beladen begrip. Ik weet dat ik hem met gele haren, een rood gezicht en een blauwe snor niet verheerlijk. Ik weet ook dat ik hem op deze manier niet kan bekritiseren. En ik weet dat ik hem niet kan weergeven zoals hij werkelijk was. Dat is allemaal uitgesloten. Het is slechts een schilderij in de drie basiskleuren en een motief dat aan een belangwekkende geschiedenis herinnert.

Ik heb een optimum aan inhoud. Net is bij de eerste Farbenlehre. Daar was het thema de Hoge Raad die Christus veroordeelde. Een optimum aan histerie. Dan kun je pas echt nadenken over de betekenis van een motief en wat je wil uitdrukken. Meer kun je er niet inleggen.

Bij Hitler is het net zo. Hij is geschikt omdat iederen hem kent. Meer inhoud kun je eenvoudigweg niet aan een schilderij geven. Ik kon ook niet meer kleuren gebruiken dan de drie basiskleuren. Wat dat betreft is het een echt problematisch schilderij. Een schilderij dat zovel inhoudelijk als schilderkunstik optimaal functioneert!

DD: Läuft das nicht auf die Aussage hinaus: Es ist, was es ist?

AO: Niemals.

DD: Was ist es denn?

AO: Also zunächst teilen wir das Kunstwerk in zwei Teile. Erstens den Fetisch, den wir an die Bourgeoisie weitergeben, wofür wir Säcke voll Geld erhalten, welche die uns aber nur geben, wenn zweitens das geistige oder künstlerische Produkt ihnen genug Anlass dazu gibt. Diese Überlegung ist von großer Relevanz seit man uns die furchtbar schöne Frage stellte: Für wen? Diese Frage können wir nun ruhigen Gewissens mit „teils, teils“ beantworten. Die Frage nach der Bezahlung verwerfen wir als fetischistisch und verweisen auf unsere Verweise in unserem Werk oder dessen Haltung gegen irgendwas. Diese zweite Hälfte des Kunstwerkes findet bei den Herren mit den Geldsäcken genauso Verwertung wie der erste Teil, da diese sich alle möglichen Ansichten zueigen gemacht haben, die denen der Künstler oft an Kuriosität nicht nachstehen, kommen wir nun zu dem Schluß, daß es um die Wirksamkeit selbst deutlichster Aussagen ziemlich schlecht steht, weil jede Radikalität im großen Topf des Pluralismus verdampft und zu guter Letzt auch noch das System stützt.

DD: Und was ist mit Hans Haacke?

AO: Da bieten sich drei Möglichkeiten an, dieser Falle zu entgehen: 1. Aufzuhören, 2. sich zurückzuziehen und 3. der Authentizität, dem „Es ist, was es ist!“ subversive Kräfte zu unterstellen. Alle drei Möglichkeiten sind furchtbar weil dumm und bequem und abzulehnen, da sie die Kunst der Bourgeoisie kampflos überlassen.

Wenn sich die Künstler formieren unter der Flagge, auf der geschrieben steht: Meinen Body können sie haben, aber meinen Geist – nie!, so kann das nur im Sinne des Kapitals sein, da das Kapital weiß, was die Künstler nicht wissen: Bisher (einzige Einschränkung) sind mehr Menschen in Guernica durch faschistische Bombenbehandlung umgekommen als Faschisten durch das gleichnamige Bild von Picasso.

Das heißt auf doof-deutsch: Alle Macht kommt aus den Gewehrläufen. Folgerung: Sollte der Künstler ein politisches Gewissen haben, und darüberhinaus sich an einer politischen Veränderung mitschuldig machen wollen, so soll er genausowenig mit sauberen Händen davonkommen, wie jeder andere.

DD: Soviel zu Macht und Verantwortung, doch was wird aus der Kunst?

AO: Die soll auch nicht straflos davonkommen und hier ist der Moment Hans Haacke lobend zu erwähnen. Seine Kunst hätte wirklich die Chance, so häßlich zu sein wie die Verhältnisse es sind, würde er sich nicht zu sehr mit seinen Schokoladenproblemen beschäftigen, die wahrscheinlich nicht die Probleme der Allgemeinheit sind. Da wir nun aber die unbedingte Abhängigkeit und Verantwortung der Kunst gegenüber der Realität zu leugnen verbieten, andererseits aber keine Möglichkeit sehen, die Kunst in unserem Sinne wirksam werden zu lassen, gibt es nur noch eine Möglichkeit: zu versagen.

Es möge nun keiner, der sich die Kunstgeschichte behagen ließ, falsche Moral daraus ziehen und denken, es sei zuletzt mit der Sünde ein leichtes Ding. Er hüte sich, dies zu sprechen: „Nun sei nur ein lustiger Frevler! Wenn es so fein ausging mit diesen, wie solltest du dann verloren sein?“ Das ist des Teufels Geflüster. Denn noch hat man uns des Auftrags nicht entbunden: zu kämpfen gegen Unrecht, Schlechtigkeit, Häßlichkeit und Tod und Verderben. Wollen wir dennoch unbedingt Kunst machen, so soll die Kunst entsprechend aussehen und hier ist plötzlich Authentizität gefordert, nämlich das oben erwähnte Versagen. Hier kann Schönheit entstehen: Ein Gebet, voll unanständiger Inbrunst, das uns zwar nicht weiterhilft, aber den Weg weist. Ich spreche hier von der post-ungegenständlichen Malerei, welche die Umsetzung der prokrustischen Prinzipien in die Kunst ist.

DD: Nenne ein besonders fortschrittliches Motto für die Kunst.

AO: Da fällt mir nur ein Gedicht ein, wieder von Hannemann:

Erwachet bin ich nun
schon schlüpft das Licht davon
behandle deinen
Geist mit Kaffee
Die Dunkelheit ist mein Skalve

DD: Nenne das widerwärtig stinkendste reaktionärste Motto für die Kunst!

AO: Ich glaube, daß ein Motto, wie jede Aussage die für die Kunst gültig sein will, allgemein richtig sein muß. Mein Freund Martin Prinzhorn machte mich auf die allgemeine gesellschaftspolitische Scheiße aufmerksam, die in dem Satz „Es ist, was es ist“ steckt, als er mir schrieb: „Früher hat es wenigstens noch den Betrug mit dem Erwecken der Hoffnung gegeben. Man hat zwar die Leute betrogen und unterdrückt, aber ihnen immer eine bessere Zukunft versprochen. ‚Es ist, was es ist‘ ist der Slogan des absolut Reaktionären, welches sich nicht einmal mehr einer religiösen Heilslehre bedient, sondern von vornherein dafür wirbt, daß Veränderungen prinzipiell und für immer ausgeschlossen sind. Das Gefolge dieses Slogans ist zwar weder besser noch schlechter als die faschistische Gaukelei, der Slogan selbst trägst aber den Geruch der Auf- bzw. Abgeklärtheit und das ist einer der dümmsten Zeitgeistirrtümer.“

DD: Gibt es staatserhaltende Kunst? Und wenn ja, gibt es so etwas wie das Gegenteil davon?

AO: Sieht man von der grundsätzlich staatserhaltenden Kraft der Kunst im Kapitalismus – mit ihrer Aussage „Seht was wir alles aushalten können“ – einmal ab, so gibt es natürlich die widerlichsten Beispiele für Anbiederung und Kumpanei zwischen Künstler und Staat. Leute wie Felix Droese und Horst Jansen können tatsächlich zersetzend wirken und über die Kunst dem Staat gefährlich werden, so wie das 3. Reich letztlich auch bei militärischen Erfolgen irgendwann an Breker und Speer zugrunde gegangen wäre.

DD: Ermuntert gute Kunst den Menschen zur freien Gestaltung seines Lebens und damit zur Revolution oder stützt sie den Kapitalismus, indem sie beweist, daß seine Produktionsweise auch gute Produkte zuläßt?

AO: Die Frage nach der Wirkung von Kunst muß man zunächst losgelöst von deren Qualität beantworten. Sogenannte Staatskunst ist, wie ich vorhin schon angedeutet habe, potentiell zersetzend. Dagegen ist Kunst, die in irgendeiner Form den Staat in Frage stellt, potentiell staatstragend. Dies passiert dadurch, daß Kunst immer dumm ist, weil sie etwas zu idealisieren trachtet, und besonders dumm ist, wenn sie ewas denunzieren will und daher immer den, dem sie dienen will, denunziert. So wird die Staatskunst den Staat lächerlich machen und die Avantgarde eine Menge freiwilliger und unfreiwilliger Witze zum Thema Freiheit abliefern. Politik ist grausam und witzig, Kunst ist, davon zu wissen.

DD: Inwieweit ist Kunst dann überhaupt in der Lage, eine gerechte Sache zu unterstützen?

AO: Das Häßliche an politischer Propagandakunst ist meistens, daß sie die Kraft, die sie unterstützen will, der Gefahr aussetzt, sich durch die Impotenz der Kunst lächerlich zu machen. Trotzdem kann Propaganda das Schönste sein, was Kunst zu leisten imstande ist. Das ist dann der Fall, wenn sie ihre Ohnmacht kennt und sich als Demutsgeste der Politik gegenüber versteht. In diesem Sinne sind die politischen Bilder Immendorffs, die wie Plakate aussehen, deshalb so wertvoll, weil sie keine Plakate sind, sondern die Kunst zwingen wollen, das auszuhalten, während die auf Effekt abzielenden Bemühungen von Felix Droese eine Zumutung sind, indem sich dort Kunst an Politik anbiedert, anstatt daß Politik der Kunst eine Zumutung ist.

DD: Haben die metaphysisch-verklärten letzten Begriffe der Kunsttheorie wie Linie, Handschrift, Bildfindung für Dich irgendeine Bedeutung?

AO: Allergrößte Bedeutung! Sie sind praktisch das Handwerkszeug des Künstlers, wie auch die Fantasie. Die Sache wird nur dann gefährlich, wenn sie metaphysisch verklärt wird, was ja nicht zwingend notwendig ist. Man nennt das Gewichse.

DD: Hanne Darboven hält Joseph Beys für einen Faschisten, Joseph Beys empfahl Tadeusz, Hans Haacke hält Dokoupil für einen subversiven Strategen, Yves Klein portraitierte Arman und Cesar, Warhol sogar Billy Squire und macht gemeinsame Sache mit Basquiat – warum irren große Künstler so oft und was tust Du dagegen?

AO: Irren ist doch menschlich, und wer sich am meisten irrt, ist eben am menschlichsten, sagt Büttners Vater Lothar. Und außerdem weiß ich nicht, was ich täte, wenn Billy Squire mein Freund wäre.

DD: Warum haben wir heute keine großen, dogmatischen Ausschließungs- und Theoriebewegungen wie die SI oder Art & Language?

AO: Es gibt die Prokrustische Internationale.

DD: Wieviele Mitglieder hat sie, wo sitzen die und wie ist das Durchschnittsalter?

AO: Die Zahl der Mitglieder schwankt, da wir ständig durch Ausschlüsse das Durchschnittsalter korrigieren müssen. Zur Zeit beträgt es 29 Jahre und sitzt in Düsseldorf, Hamburg und Graz.

DD: Welche Haltung ziehst Du vor, die des Zweifel oder die der Gewißheit?

AO: Wenn man grundsätzlich bereit ist, alles umzustossen, kann man sich Gewißheit nicht nur leisten, dann ist sie Verpflichtung.