Jefferson Airplane: Up Against the Wall, Motherfucker! oder Die Geschichte des politischen Liedes

Vor 18 Jahren erschien die erste LP von Jefferson Airplane. Zu zeigen ist: Heute denken die jungen Leute keinen Deut anders als damals. Von Phasen und Genies abgesehen, fragen sich 14-24jährige in bürgerlichen Gesellschaften, in ihrer Musik wie in ihrer Literatur, immer dasselbe: Wer bin ich, wo gehe ich hin, wo komme ich her, wie fühle ich mich, fühle ich mich wohl, was ist das eigentlich, Sichwohlfühlen, wo gibts Liebe und was kostet sie, was ist das eigentlich, Liebe?

„Questions, questions, questions. Running into the mind of the concerned young persons of today.“ (Frank Zappa, 1971)

Jefferson Airplane war die erste Band, die den pubertären Ich-Schock plus Sex-Durst für politisch hielt. Die Band, die in ihrer Geschichte paradigmatisch den Zusammenhang zwischen Pop, Pubertät und Politik entwickelte und schließlich jenen Bastard aus Irrtümern gebar, das Jugenddenken nämlich, das heute noch nicht überwunden, in der sechsten und siebten Generation, verdünnt und verschwommen, mündlich weiter überliefert, vor sich hin west. Anhand der Texte von Airplane läßt es sich in seine Leitmotive zerlegen.

Grace Slick war schon Ende 20 als sie 1967 zu Airplane stieß. Sie hatte vorher mit ihrem Ehemann Fred Slick und dessen Brüdern eine Band, die Great Society hieß und schlecht spielte, aber sehr leidenschaftliche, psychedelische Songs von sich gab. Irgendwann gingen alle Slicks nach Indien und sind bis auf den heutigen Tag nicht zurückgekehrt. Außer Grace, die die schwangere Signe Toyle Anderson als Sängerin bei Airplane verdrängte und mit der Airplane-Randfigur Paul Kantner (dritter Sänger und Rhythmusgitarrist) später eine US-Antwort auf die Lennon/Ono-Liebe inszenieren sollte. Für die zweite Airplane-LP „Surrealistic Pillow“ hatte sie zwei Great-Society-Lieder mitgebracht, die zu den ersten großen Airplanes-Hits und -Hymnen werden sollten (Von da an waren alle Airplane-Hits Hymnen): „White Rabbit“ und „Somebody To Love“.

„White Rabbit“ war der erste wirklich populäre Pro-LSD-Song. Anhand von Bildern aus „Alice im Wunderland“ wird zu trockenen Marschrhythmen die Welt der „pills“ und „mushrooms“ besungen. Eingeführt in die Welt der Pop-Musik wird: Phantasie. Natürlich ist „White Rabbit“ in dem Maße attraktiver als die unter dem Credo der Phantasie entstandene Musik späterer und sogar heutiger Tage, in dem LSD als „künstliches Paradies“ attraktiver ist als die vermeintlich natürliche Begabung der Phantasie. Man sieht aber an der Geschichte, daß das Poppige (i.e. künstliche, bewußt künstliche) im Verlauf des Verdünnungsprozesses als erstes aus einer Subkultur entfernt wird und das Unpoppige (in diesem Fall die schönen, beliebigen bunten Bilder) beliebig weiterproduziert wird.

Tom Wolfe beschreibt in seinem „The Electric Kool-Aid Acid Test“ wie bereits in den 60ern die beiden konträren LSD-Attitüden aufeinanderprallten. Die, die lachten und redeten und die, die schwiegen und sich auf einen Berg im Himalaya wünschten. Doch selbst diese Haltung hat noch etwas Nettes, Modernes, wenn man sich vergegenwärtigt, daß auch Leary, Alpers, Laing und Konsorten damals nicht wirklich glaubten, sie hätten sich in indische Heilige verwandelt, sondern das Artifizielle, willkürlich Herbeigeführte des Trips liebten. Und Grace Slick meinte es dann schon eine Portion ernster, wenn Sie am Schluß von „White Rabbit“ forderte: „Leave Your Head!“ Und die Reise nach Innen, ins bürgerliche Innen konnte beginnen.

Viel wichtiger als die Drogen war Sex. Grace Slick hob bei Konzerten gern ihren Minirock und hatte nichts drunter. Die Stones hatten bereits apodiktisch gesungen: Everybody needs somebody to love. Das war zwar schon viel brisanter, als man heute denken könnte, niemand konnte jetzt noch so einfach zölibatäres Leben rechtfertigen, aber trotzdem gingen Airplane wesentlich weiter. „Tears are running down your breast / … / and all the joy within you dies / Don’t you want somebody to love / Don’t you need somebody to love / Would’nt you love somebody to love / You better find somebody to love.“ Eine Hymne. Und Millionen Teenager im ganzen Land schrien: „Ja! Ja! Ja!“ Und to love hieß nicht lieben sondern ficken. Und die Teenager gingen raus und suchten sich jemanden zum Ficken. Und Grace verkündete: „Es kommt darauf an, dem Establishment die Kinder wegzunehmen.“ Eine der Airplane-Erkenntnisse, die heute noch richtig sind.

Die Revolution begann bekanntlich im Privaten und wurde erst später politisch. Bei der dritten Platte „After Bathing At Baxters“ war das Cover „politisch“: Eine Ron Cobb-Zeichnung eines verfaulenden Amerikas über dem einzig noch intakte Werbeparolen („Eat!“, „Drink!“, „Buy it!“) als bizarrer Dreifachdecker das Jefferson-Flugzeug schwebte, benannt übrigens nach US-Präsident Thomas Jefferson, den Airplane als ihren liberal-anarchoiden geistigen Vorläufer verehrten. Auch die radikalsten Hippies sind nämlich gute Amerikaner. Auch The Jam und Julie Burchill sind gute Briten.

„Bathing“ noch von 67 war das experimentierfreudig-wilde Dokument wilder Zeiten. Die Tabus und Grenzen fielen. Die Revolution war vorbei und die Hippies hatten gesiegt: „It’s a wild time / I see people all around me changing faces.“ Unbegrenzter Konsum von Halluzinogenen, Sex und radikales Anderssein, das man für politischen Protest hielt, waren eine Einheit, zusammengefaßt in der „Shiziforest Love Suite“, die dieses Album beschließt und von „Two Heads“ und bedrönten Nachmittagen im Park schwärmt. „Won’t you try?“, rief man den noch nicht Bekehrten zu. Velvet Underground waren zu dieser Zeit in San Francisco und ekelten sich, was das Zeug hält. Paul Morrissey, der dabei war, und bemerkte:

„They call this a light show? I’d rather sit and watch a clothes dryer in the laundromat.“ und: „You know there’s a lot to be said against San Francisco and its love children. People are always so boring, when they band together, you have to be alone to develop all the idiosyncrasies that make a person interesting. In San Francisco, in stead of becoming outcast like your’re supposed to when you take drugs, they organize communities around it! Then they get pretentious and call it a religion – they get hypocritical and say some drugs are good, others are bad … L.A. I liked, because the degenerates there all stay in their separate suburban houses, and that’s wonderful, because it’s so much more modern – people isolated from each other … I don’t know where the hippies are getting these ideas to ‚retribalize‘ in the middle of the twentieth century. I mean in New York and L.A. people take drugs purely to feel good and they admit it. In San Francisco they turn in into causes and it’s so tedious … There’s a lot to be said for the hardcore New York degenrates. After one day in San Francisco you realize how refreshing and unpretentious they are … But what I’m really praying for is a great resurgence of good old alcolhilsm.“

Und Velvet weigerten sich als Vorgruppe von Airplane zu spielen.

Bei „Crown Of Creation“ hatte der Kantner/Slick-Flügel von Airplane immer noch nicht die Mehrheit. Der Kaukonen/Cassidy-Blues-Flügel und der Marty-Balin-Soul-Flügel waren gleichwertig einflußreich, wie der Wille zur Hymne, zur Programmatik, zum Lehrstück, den das in dieser Zeit entstehende Liebespaar verkörperte. Wir schreiben 1968. „Lather“ eröffnet die Platte. Hier erleben wir zum erstenmal: Das Lob des Kindes. Lather ist dreißig und spielt doch lieber im Sand. Seine Mutter schickt ihm Zeitungsausschnitte über seine früheren Freunde: „There was Howard C. Green just turned thirtythree / His leather-chair waits at the bank / And Sergeant Dow Jones, twentyseven years old commanding his very own tank / But Lather still finds it a nice thing to do / to lie nude in the sand …“ Der Hippie als Kind. Der Drop-Out, der unschuldig wird, indem er nur noch spielt, lächelt. Der Urgrund der Lockerheit, des Nicht-so-verbissen-Sehens. Die Absage an die Karriere, an den Streß. Die komplette seitdem gültige Jugend-Ideologie, Fragen des Systems betreffend, findet sich leuchtend und glitzernd in diesem Lied.

Aber damit nicht genug: „You want to know / how it will be / Me and him? / Or me and you? / You both stand there your long bair flowing / Eyes alive your mind still growing / saying: ‚What can we do now that we both love you?‘“ Na, was antwortet wohl Grace: „I don’t really see / why can’t we go on as three“ Großartig, nicht wahr? Die Revolution hat ja stattgefunden. Alles ist möglich, man muß es nur tun. „Do it“ (Jerry Rubin, damals Anarcho-Führer, heute Stockbroker). Sicher gibt es Probleme: „Your mothers ghost stands at your shoulder / face like ice, a little bit colder / saying to you: You cannot do that / it breaks all the rules / you learned in school“ Aber das hindert sie Instant-Befreiten nicht. Und seitdem haben wir Beziehungen und junge Leute, die ihrer Freundin alle Freiheiten lassen und Mädchen, die es okay finden, wenn ihr Freund sich noch etwas austobt. Und Millionen von Menschen, die so tun, als könnten sie in ihrem Privatleben mit einem Federstrich die Gesetze des Kapitalismus außer Kraft setzen.

Der Kapitalismus ist bis zu diesem Zeitpunkt noch kein größeres Problem für Airplane. Sie finden ihn, wenn sie ihn überhaupt als solchen bezeichnen, zwar ätzend, wie alles, was zum offiziellen Amerika gehört, aber er hat ihren Befreiungsversuchen bislang nicht viel entgegengesetzt. Okay, die Studies im benachbarten Berkeley haben etwas Ärger, aber dafür sind ja Country Joe & The Fish zuständig. Für Grace, Marty und Paul stellt sich die Sache zunächst noch so dar: „You and me we keep walking around / and we see / all the bullshit around us.“ In etwa der bis heute gültige Grad an Reflektionsschärfe, den wir bei Jugendlichen vorzufinden gewohnt sind.

Für die Live-LP „Bless Its Pointed Little Head“, das verkiffteste, das Airplane je gemacht haben (sonst war Acid und später Koks ihre Droge) („Happiness in the silver pipe“), coverte man „That’s The Other Side Of This Live“, ein Lied, das schon Eric Burdon ein paar Jährchen früher Spaß gemacht hatte, und das vom Airplane-Freund und Songwriter-Veteran Freddy Neil stammte. Hier hieß es klassisch jugendlich: „Would you like to know a secret / just between you and me / I don’t know where I’m going / I don’t know who I’m gonna be.“ Das klassich-jugendliche, kokette Flirten mit dem Aufgeben materieller Sicherheiten. Der Wille zum Zweifel. Das Streben nach dem Dreck, dem echten unsicheren Treibsand des Lebens. Das Einzige eben, was so ein gut organisiertes Mittelschichtselternhaus nicht auf dem Programm hat. Die vollgeile Verwahrlosung. Vgl. auch Bob Dylan über Edie Sedgewick: „Once upon the time your dressed so fine, threw the bums a dime“ und so weiter: „now you don’t talk so loud / now you don’t seem so proud / about having to be scrounching around for your next meal.“ Als hätte Edie, nur weil sie zu viele Drogen nahm und mit Warhol und Rockern rumzog, je wirklich Sorgen um ihr nächstes Mittagessen gehabt, außer vielleicht der, daß sie dünn am besten aussah. Aber Dylan liebte sie mehr als sie ihn und Bürgerkinder tragen gerne als materiellen Konflikt aus, was in Wahrheit nur auf Gefühlsverwirrungen beruht.

Die ökonomischen Realitäten schlugen bei Airplane denn auch, wie bei den meisten Jugendlichen im Westen, erst im Jahre 69 durch, als es auch bei den Demos härter zuzugehen begann: „We are outlaws in the eyes of Amerika“. Gut. Wissen wir schon. „In order to survive we lie and cheat and steal.“ Das ist relativ neu. Wir sprechen von dem Lied „We Can Be Together“, das Paul und Grace in einem Gespräch mit dem seinerzeit immens einflußreichen US-Jugendführer Abbie Hofmann expressiv verbis als den Versuch bezeichneten, sämtliche Jungdropouts zu einer mächtigen revolutionären Macht zu organisieren. Ein wirklich begeisternder Song. Wieder mal wollte man dem Establishment die Kinder wegnehmen.

„All your private property ist target for your enemy / and your enemy is we.“ Die Aufhebung des Privateigentums wurde nur dieses Mal von einer Hippiegruppe gefordert und das konnte auch nur 69 passieren. Die Euphorie war aus dem Feld des Privaten in ein Politisches gewandert. Freilich politisch im Sinne anarchoid-liberaler Träume, die keinen Millimeter über, sagen wir, Proudhon hinausgingen, aber immerhin: „Look, what’s happenin’ out in the streets / Have a revolution!“

Doch in dem Moment, wo die Radikalisierung ihren Höhepunkt erreicht, keimen dann auch schon die Keime neuer Regressionen. In „Eskimo Blue Day“ „float“-en „bodys“, geht es um „roots“ und „the natural way“, in „Hey Frederick“, musikalisch mit das Beste, was Airplane je gemacht haben, erleben wir den Gipfel der Frauenemanzipation, wenn Grace, die starke Frau (noch so ein ekliges, verdünntes heute noch virulentes Mythem, das bei den mythologisch so übervollständigen Airplane nicht fehlen durfte) zu einem offensichtlich halbpotenten Mann beim Ficken sagt: „Either you go out or you go in all the way.“ Immerhin lustig. (Später sollte sie anläßlich von Sex von „seven inches of Pleasure“ singen. Ein Text für Vanity Six.) Und sogar in der Revolutionshymne „Volunteers“ heißt es: „This generation has no destination“, was dann bei Punk auch wieder passierte: Wenn man sich mal für einen Sommer revolutionär fühlt, kommt im Herbst das schlechte Gewissen in Form von Skeptizismus und Nihilismus.

„Bark“ ist die letzte gute Airplane-Platte. Und geht den Weg ins Vage auf nette Art: „In 1975“ werden großartige revolutionäre Dinge passieren: „All my people rose from the countryside“ (Man war inzwischen in den kalifornischen Bergen im Exil) „locked together hand in hand, against you, Government man“. Ich habe mich dann 75 umgeschaut und es war wirklich nicht viel los.

Dann kam die Phase diverser Solo-Alben, von denen zumindest 73 noch ein gutes erschien: „Baron Von Tollbooth & The Chrome Nun“ von Grace Slick, Paul Kantner und David Freiberg. Darin wird dann endgültig alles durcheinander geworfen: „Paine and Pierce and Robbespierre / Juarez and Danton / Luther King and Lumumba / dead but far from gone / Lenin, Cleaver, Jesus too / Outlaws in their nations / revolutionaires all / dreamed of liberation“. Zu furchtbar, was? Inzwischen ist nämlich, und das ist bis heute so geblieben, völlig egal, was einer denkt, inzwischen zählt nur noch sein way of life. Sei ein Outlaw und zusammen gründen wir eine Partei. Mit Rotationsverfahren.

Jefferson Starship bzw. inzwischen Jefferson Spaceship existieren heute noch in völliger Bedeutungslosigkeit. Die Beschäftigung mit den ersten sechs, sieben Platten dieser Gruppe lohnt dennoch. Eine Gruppe, die alles programmatisch und ideologisch offen aussprach, was bis heute noch den Stoff für die Poesie der Pop-Musik liefert, ist als wertvoll anzusehen.