Joe Baiza / Universal Congress Of. Mecolodics – der gelungene Fehler

Hier muß nochmal ein Musiker entdeckt werden, der Gitarrist Joe Baiza. Jahrelang schlug er sich zwischen Punk und Jazz mit einem Dichter herum, bei Saccharine Trust, kurz war er als der neue Jerry Garcia im Gespräch, mit October Faction verprellten er und ein paar andere Prominente haufenweise Black-Flag-Fans, jetzt hat er die Leute gefunden, mit denen er die Musik, wie wir sie kennen, aus den Angeln heben wird: Universal Congress Of.

Die elektrische Gitarre ist das Instrument des individuellen Ausdrucks in der Rockmusik, im Jazz entspricht ihr das Saxophon oder früher die Trompete. Seit man individuellen Ausdruck für überflüssig hält, seit die Pop-Musik in eine konzeptualistische Phase getreten ist, sich ständig neu zu definieren versucht, neue Technologien zu verkraften versucht, ist die Solo-Gitarre etwas in Vergessenheit geraten. Die sogenannte britische (und auch anderswo erzeugte) Gitarrenmusik war ja immer die Musik eines kollektiven Schramm-Schramm aus Sound- und Gemütlichkeitsgründen, nicht die harte, einsame und lustvolle Wahrheitsfindung des Solo-Gitarristen. Daß man aber nur weil die Fotografie erfunden worden ist, den Pinsel nicht hinzuschmeißen braucht, bzw. daß der Pinsel seine schönsten Zeiten erleben kann, wenn ihm die Fotografie einige lästige Arbeiten abgenommen hat, ist eine Wahrheit, die man spätestens in den 90ern weltweit begreifen wird. Man hört ja auch nicht auf, Romane zu schreiben, weil das Videospiel erfunden worden ist. Zwei Solo-Gitarristen der 80er wird man dann als große Vorläufer der neuen Ära dieses Instruments und des individuellen Ausdrucks in der Musik überhaupt anerkennen müssen: Greg Ginn und Joe Baiza. (Einschub für Freunde und Anhänger der Postmoderne: in der Pop-Musik zeichnet sich ab bzw. ist schon vollzogen, was ihr noch nicht einmal zu denken wagt, die anonymen Diskurse, in die das Subjekt in the first place zerfallen ist, lassen sich wieder bündeln, vom neuen Subjekt zweiter Ordnung, zu sechs Saiten. Vgl. Baiza über die Band als Register in diesem Artikel, a.a.O.).

Während Ginn, von dem an anderer Stelle die Rede sein soll, bereits wieder eine Fast-Schule von neuen Gitarristen beeinflußt hat (deren bemerkenswertester Tom Troccoli ist, ein ehemaliger Flag-Roadie, dessen zwischen Dylan-Covern und heißen Jams rührendst sich ausbreitende Trio-LP Ginn als Bassisten gewinnen konnte), steht Joe Baiza mit seinem Gitarrenspiel ziemlich alleine, dafür hat seine grundsätzliche Musikauffassung ständig an Boden gewonnen und dürfte zu den größten Herausforderungen des SST-Programms gehören. (Unnötig vielleicht hier noch den Exkurs über die Verpöntheit des Gitarrensolos in the first place einzufügen: als alle Angst vor dem ekligen Gitarren-Solo hatten. Warum? Weil es das tatsächlich gab: das eklige Gitarrensolo, eine Selbstzweck-gewordene Erscheinung aus den Kindertagen der Rockmusik, die in all ihren späteren Erscheinungsformen die Ausführenden, egal welcher Couleur, von McLaughlin bis Clapton, nach einmaliger, beeindruckender Ausführung, vom Nachdenken über warum, wie und wozu suspendiert zu haben schien, man tat, kindlich, das und was man konnte, nur weil man es konnte, nicht weil es nötig war. Dieses Problem, das seit dem Gewahrwerden, daß es etwas wie Gitarrengewichse gibt – während von Keyboard- oder gar Groove-Gewichse nie jemand gesprochen hat –, das der Gitarre anhängt, ist auf verschiedenen Ebenen gelöst und abgearbeitet worden; vom Punk, vom Synthi, vom Sampler bis zum Zitat-Gitarren-Gewichse von ABC auf ihrer superintelligenten zweiten LP und dem echten, dummen Saxophon-Gewichse der Sade-Generation. Die Gitarre selbst hat bei Amerikanern, die so verschieden sind wie D. Boon, Bob Mould, Greg Ginn und Joe Baiza längst, nämlich seit den frühen 80ern, Alternativen entwickelt, die vor allem auch deswegen so gut gedeihen konnten, weil sie von diesen europäischen Problemen nichts wußten / wissen wollten, andrerseits aber eben doch davon profitierten, daß die Pop-Musik/Rock-Musik in der Zwischenzeit zwangsläufig eine theoretische, selbstreflektorische Phase durchlaufen hatte, so daß auch ihrem Gitarrenspiel nicht die Selbstverständlichkeit des Könnens, sondern auch abstrakte, gedankliche Entscheidungen zugrunde lagen. Sie begriffen sich ja auch als in unterschiedlichen Auslegungen politische oder philosophische Bands, nur hatten sie eine andere Muße/Ruhe der Diskussion, weil die USA so viel größer und die Charts so viel weiter weg sind, andererseits standen sie unter einem viel größeren Radikalitätsdruck, weil das, was einen dazu treibt, sich als politische Band zu verstehen, plus die existentiellen Nöte, um vieles unvorstellbarer ist als in England oder bei uns. Ende des Exkurs.)

Joe Baiza: „Ich liebe Musik … sie heilt.“

Ralph Gorodetsky (Bassist von Universal Congress Of): „Falsch! Musik schadet, das muß auch so sein.“

Baiza: „Mich macht Musik einfach glücklich, immer, wenn ich etwas auflege.“

Byza hieß der Gitarrist der 1981 als SST 006 debütierenden Punk-Rock-Band Saccharine Trust auf ihrer Mini-LP Paganicons. Die besseren amerikanischen Hardcore-Bands fielen ja von je durch einen Sinn fürs Experimentelle im melodischen Bereich auf, sogar die Dead Kennedys, nur meistens wurden die vom irren Tempo/Krach verschluckt, insofern hörte sich die Paganicons im damaligen Zusammenhang gar nicht so ungewöhnlich an, es war eine Hardcore-Scheibe, die in ein paar andere Tempi gefallen war und die sich bei einem Stück, „A Human Certainty“, ein Meisterwerk, das die Epochen überdauern wird, echt Zeit nahm. Das hatte zwei Gründe: der eine war Sänger/Dichter Joaquin „Jack“ Milhouse Brewer, der weder singen noch straighte Patterns halten konnte und dessen Wortreichtum kein Kehlkopf in Hi-Speed-Gekreische hätte pressen können, der andere war die Musikalität des jungen Mexikaners Byza.

Baiza: „Wir alle (in seiner heutigen Band Universal Congress Of) wollen Musicianship entwickeln, aber wir haben dazu eine Haltung, die uns sagt, daß das Jahrzehnte dauern kann, muß. Es ist aber erst 8 1/2 Jahre her, daß ich mit Saccharine Trust angefangen habe.“

Saccharine Trust

Für Baiza ist die musikalische Entwicklung, die allgemeine wie die individuelle, immer auch ein Bestandteil oder ein Reflex oder ein Vorgeschmack von einerseits Künstlerbiographie und allgemeiner Movement-Geschichte, andererseits will er in beiden Zeiten arbeiten, der Zeit des Pop ebenso wie in der Zeit der Kunst (erstere ist eine Dekade, letztere ein Leben): „Die meisten SST-Musiker sind Künstler, im weiteren oder im engeren Sinne. Ich habe auch als bildender Künstler angefangen (seine scharfen, krickeligen Federzeichnungen schmücken die Cover von beiden October-Faction-Platten und das der Minuteflag-EP) – daher auch das Phänomen, daß Cover von Musikern, entweder der eigenen Band oder von befreundeten Bands, gestaltet werden.“

Es dauerte über 2 Jahre, bis die Paganicons erscheinen konnte, und dann noch mal zwei Jahre bis zur ersten LP Surviving You, Always, wo außer Brewer und Baiza wieder ganz andere Musiker mitspielten, der Drummer der Ur-Besetzung hatte inzwischen Slovenly gegründet, eine nicht zu unterschätzende Band, die mit ihrer zweiten LP auch bei SST gelandet ist. Auf Surviving You, Always hört man die Ambitionen von Brewer und Baiza laut aufeinanderknallen. Brewer ist der Beatnik, der eine Combo um sich braucht, die möglichst wild und laut sein soll, Baiza verfolgt die jazzmäßige Dialektik von Chaos und Ordnung, ohne dafür jazzmäßige Mittel einzusetzen (vielleicht hatte er sie auch noch nicht als für seine Situation geeignet entdeckt). Er schreibt einen einzigen Text: „The Cat Cracker“, ein Traum, in dem „I sank so low inside myself I was safe / I was the catalyst / I was the motivator / I was the receiver of fault / responsibility defined in his own private madness.“

Brewer hält dagegen mit einer Version von Jim Morrisons „Peace Frog“. Baiza ziert ein Beatnik-Bart, der gut unter seinem spicy Mexikaner-Gesicht hängt, während Brewer wie alle Dichter – und der Name schon sagt – biermäßig in die Breite geht; die nächste Platte ist ein zur Gänze live improvisiertes Live-Album. Mike Watt, der schon die erste EP produziert hatte, springt als Bassist ein. Eine abartig gehetzte Platte, ganz den Vorstellungen Brewers auf dem Wege zur heiligen Vereinigung von Jim Morrison und Cpt. Beefheart entsprechend, nicht uninteressant, aber die schwächste auf Platte festgehaltene Arbeit Baizas. Das Cover von diesem Werk, Worldbroken, ziert eine ausdrückliche Billigung der Arbeit des Trusts durch Richard Meltzer, dem großen amerikanischen Musikschreiber, Kulturtheoretiker und Blue-Öyster-Cult-Texter, der neben Kim Fowleys altem Kumpel Harvey Robert Kubernik zu den wichtigsten SST-Unterstützern der älteren L.A.-Szene zu rechnen ist. Höhepunkt und Ende der Saccharine-Trust-Epoche aber ist die letzte LP We Became Snakes von 1986. Joe Baiza hat Verstärkung in dem Saxophonisten Steve Moss gefunden, Brewer werden die Songs auf den massigen Leib geschnitten, Mike Watt back at the controls. Diese Platte hatte mich seinerzeit von Baiza überzeugt, der Vision von einer neuen, über Jazz und Rock hinausgehenden Musik Nahrung gegeben. Baiza hat genau einen Gang runtergeschaltet, Hysterie ausgeblendet und absolut coole, ungehörte Melodien und Gitarrengewusel aufgezogen, die Poetry läuft cool nebenher oder wird ganz von einem Walking Bass ersetzt, wie bei dem Jazz-Meisterpiece „Frankie On A Pony“, und neben Baizas neuer Sicherheit im immer schon angerissenen neuen Musiksystem ist Steve Moss der große Gewinn der Platte; die Zusammenarbeit mit Brewer geht dennoch nicht ehrlos zuende, sondern findet einen gelungenen Abschluß in Longing For Ether. Auf dieser Platte steht auch das Motto der ganzen Bewegung, ausnahmsweise aus der Bibel: „Sing unto him a new song; play skillfully with a loud noise.“

Die Entwicklung zu einer neuen Befreiung zeichnet sich während der Jahre 84-86 bei ausgedehnten gemeinsamen Tourneen von Black Flag und Saccharine Trust ab, die sich gegenseitig zu einer freieren Spielweise antreiben. Dokumentiert ist diese Band-Freundschaft auf den beiden LPs von October Faction, der All-Star-Band von Greg Ginn und Bill Stevenson (Flag), Dukowski und Greg Cameron (SWA), Joe Baiza und Tom Troccoli. Stand die erste unter dem Einfluß vor allem von Dukowski und Troccoli, die nicht zu den Tourbands gehörten und die die anderen zu ihren Ideen von Chaos-Rock sich entspannen ließen, setzt sich bei der zweiten LP, The Second Factionalization, vor allem Baizas (und auch Ginns, vgl. Gone und die Black-Flag-Instrumental-Platte The Process Of Weeding Out) Trieb zum langgezogenen Jammen erstmals durch. Baiza spielt Lead-Gitarre durch das 33-minütige „Pocohontas“ – im Wechselspiel vor allem mit Greg Ginn, und die beiden Äste verhalten sich zueinander wie Trompete (Ginn) und Saxophon (Baiza) – und singt sogar auf „Sam“, dem anderen Stück der zweiten OF: „Oh, das war eine nette kleine Sache, die daraus entstanden ist, daß wir Black Flags Vorgruppe waren, und sie wollten sich damals nicht auf das beschränken, was sie als Flag machten, ein Jahr lang hat das gehalten, aber nach der zweiten Platte haben wir uns nicht mehr getroffen, obwohl noch heute alles offen ist …“

Auf „Pocohontas“ wird aber auch eine nochmalige Verlangsamung durchprobiert („Slower, slower and slower“, schreit einer am Anfang), was in der totalen Langsamkeit von „Certain Way“ (30:01) von der ersten Universal Congress Of gipfelt, ein Stück, das zwar alle Verbote der Post-Wave-Ära durchbricht, durchbrechen muß, aber gleichzeitig mehr offenes freies Land gewinnt als irgendetwas sonst in der Musik der letzten Jahre.

Authentischer Dialog: Warum liebst Du Baiza/Trust/UCO so über alles?

Nun, für jemanden, der unter Schweiß und Tränen durch Soft Machine, Velvet Underground, Grateful Dead und 60er Free Jazz hindurchgegangen ist, muß diese Musik doch der Sound des Columbus sein, die Rundumbefriedigung aller intellektuellen und physischen Bedürfnisse, Hirn-Paradies.

Wieso bist Du nicht eher drauf gekommen?

Ich wollte immer genau die Musik, die vor allem Baiza, aber auch Ginn jetzt verwirklichen, aber angenommen, ich hätte in all den Jahren einen perfekten Musiker gefunden, der alles kennt, was ich kenne, und zu allem bereit ist, und ich hätte ihm gesagt, was er spielen soll, es wäre immer nur Working Week dabei rausgekommen, und wir hätten uns beide unbefriedigt angesehen. Das aber ist der Punkt, nur durch die Praxis, und zwar durch eine extrem intelligent betriebene Praxis, kommst Du über den Working-Week-Fusion-Knoten, dieses Ausgedachte, dieses Laßt-mal-dies-und-jenes-Verknüpfen, hinaus, zu einer neuen Einheit, das ist der Verdienst von Baiza und den ewigen entbehrungsreichen Black-Flag/Saccharine-Trust-Tourneen.

Ende des authentischen Dialogs.

Dunkle Sterne

„Certain Way“ von der 87 erschienenen ersten Universal-Congress-Of-LP mit Baiza, Mike Demers/b, Paul Uriaz/g und Jason Kahn/dr, ist eine Art dissonante Version von Grateful Deads berühmtester Kollektivimprovisation „Dark Star“, es ist „Dark Star“ ohne Garcias mexikanische Süßigkeit, ersetzt durch Baizas mexikanische Würzigkeit; extrem viel Sonne, altindianisches Schamanentum und spanisch-barocke Welt(lichkeits)verachtung gehören zu solch Musik. Wer an den Dingen kratzt, an denen Joe Baiza kratzt, hat zunächst mal das Problem der Tonalität, siehe auch Free Jazz – Baiza will, daß hört man –, nicht dessen Regellosigkeit, die sich vor allem auf den Geist der Kollektivität verläßt, er will eine Harmonie neben der Harmonie, ein paralleles, freie Entscheidungen ermöglichendes System, das man sich vorstellen muß wie Deutsch-Reden in englischer Grammatik oder noch besser als abstrakte Bilder nach Kompositionsgesetzen malen, die für das Malen nach der Natur gegolten haben. Natürlich denkt sich niemand so etwas aus, um seiner selbst willen, aber dies sind die Tricks, die man anwendet, um eine Poesie oder ein anderes Wahrheitsäußerungssystem zu errichten. Mit anderen Worten, du bist in der Nähe von Ornette Colemans Harmolodics und der modernen Kunst und ihren Tricks, wie z. B. dem des Fehlers.

Von der ersten Universal-Congress-Of-Besetzung ist heute nur noch Drummer Jason Kahn dabei, für die zweite Platte, die zwischen einer eigenartig puren Rückkehr zum Blues, irren Crossovers aus 60er-Jazz und alten Punk-Gesangstypen zehn bis zwanzig Wege aufzeigt, weil die Verlangsamung und alles, was auf ihr zu entdecken war, mit der ersten und ihrem 30-Minuten-Stück abgeschlossen war, holte Baiza sich Steve Moss zurück und entdeckte bei einem James-Blood-Ulmer-Konzert den jungen Ralph Gorodetsky, der sich in die Monitorboxen gehängt haben soll und zur Bühne geschrien: „Play That Guitar, Man, Harmolodizice Me!“ Gorodetsky spielte schon bei der zweiten UCO, Prosperous and Qualified, nicht nur Baß, sondern schrieb einige Stücke. Kahn hat inzwischen mit Moss und anderen jungen bebrillten Free-Jazz-Enthusiasten als Zweitband Cruel Frederick gegründet, die sich an originalgetreuen Fake-Jazz-Versionen von Albert Ayler erfreuen und für den UCO oft im Hintergrund aushelfen.

Mecolodics

Baiza: „Es sind zwei unterschiedliche Bands. Universal Congress Of ist eigentlich kein Bandname, sondern ursprünglich sollten dahinter Leerstellen bleiben, die von Platte zu Platte anders aufgefüllt würden. Eigentlich sollte die erste LP von einer Gruppe namens Latino Baby Jesus stammen, aber wir haben die Leute, glaube ich, schon genug verwirrt.“

Gorodetsky: „Aber jetzt ist der Congress eine solide Sache, jetzt wird Musik gemacht, die Band soll so bleiben, und unsere zweite Platte ist Universal Congress Of, erst recht die neue EP This Is Mecolodics.“

Was sind Mecolodics?

Baiza: „Ach, ein komisches Wort.“

Gorodetsky: „… eine lange Geschichte …“

Baiza: „… es ist nur ein Witz.“

Gorodetsky: „Ich will es dir erklären. Mecolodics ist unsere Version von Harmolodics, denn Meco, Abkürzung von Mexikaner, ist sein (Baizas) Spitzname …“

Jason: „Ich sage, Mecolodics ist Harmolodics mit bewußten Fehlern …“

Gorodetsky: „Nein, keine Fehler, es sind Flächen, Flächen für neue Entwürfe, Projektionsflächen für Musiker, eine Art von Regeln, die weder konventionell sind, noch kannst du spielen, was du willst. Es macht spontane Entwicklungen möglich, denn du kannst weder spontan sein, wenn es keine Regeln gibt, noch wenn alles definiert ist.“

Das ewige Problem des Jazz.

Baiza: „(weise lächelnd) … ja, ja, das stimmt schon, es handelt sich um Mißtöne, die einzigartige neue Harmonien hervorbringen, also falsche Töne, die nicht einfach nur falsch bleiben, sondern plötzlich einen neuen Zusammenhang konstituieren, in dem sie richtig sind.“

Gorodetsky: „Denk an unsere Unisoni …“

Baiza: „Genau, als wir gestern in der Knitting Factory (New York, während des New Music Seminars, Anm. d. Verf.) spielten, gab es eine Passage, wo ich völlig falsche Töne spielte, aber exakt im Takt blieb, während Steve superkorrekt mit mir unisono die Melodie hielt, es ergab sich ein wunderbarer Zusammenklang, den ich so gerne hatte, daß ich bei den anderen Teilen des Songs genauso vorgehen mußte, ich hatte wieder etwas gefunden, das den Song erweiterte …“

Gorodetsky: „Das! sind! Mecolodics!“

Baiza: „Aber sowas entsteht nicht oft auf der Bühne, daß Unfälle sich in etwas Schönes verwandeln, das ist ein langwieriger Prozeß, das meiste, was wir spielen, ist schon sehr genau festgelegt, der glückliche Unfall, das ist etwas Seltenes, aber immer wieder schön, aber die erste Regel von Gorodetsky lautet: Keep the Rhythm, Keep the Rhythm, Keep The Rhythm.“

Gorodetsky: „Die Leute merken den Unterschied sowieso nicht, weil sie nicht heraushören können, ob etwas ungewöhnlich komponiert ist, oder ungewöhnlich durch einen Fehler.“

Durch die Einbeziehung des Fehlers in neue Regeln, lernt man auch das dem Fehler Entsprechende absichtlich herbeizuführen?

Baiza: „Wenn ich improvisiere, lasse ich mich fallen, irgendwann merke ich dann, wie ich aus dem Gebiet, das ich kenne, herausgetragen werde, ich muß dann dieses neue Gebiet sichern, abschreiten, kennenlernen, irgendwann werde ich mich dann in das nächste vorwagen können, so geht es immer weiter, und das kann ein sehr gefährliches Spielen sein …“

UCO-Rest: „HaHaHa! Gefährliches Spiel, seht den gefährlichen Mann!“

Hübsche Beine

Baiza: „Ich lasse es drauf ankommen, nennen wir es so.“

This Is Mecolodics ist tatsächlich der knappste, zugänglichste und dennoch nicht weniger atemberaubende Rapport dieser Band. Man weiß nicht, ob man diese, auch immerhin 30-minütige EP oder Prosperous And Qualified in die LP-des-Jahres-Liste aufnehmen soll. Auf der A-Seite hast Du ein langes ausuferndes Improvisations-Stück, „Niños De La Tierra“, 12 Minuten Kinder der Erde, dann der superlakonisch-korrekte Blues „All Your Love“, auf der B-Seite „Happy Birthday“ im Stile Albert Aylers, im Stile Cruel Fredericks, und zwei schöne Nummern im Stile der letzten LP, also Past, Present und Future von Baiza und den Seinen spannungsreich und kompakt; von hier aus ist es nicht mehr weit zum Ruhm; bei ihren zwei Auftritten in New York, einmal bei der SST-Instrumental-Nacht im kleinen Laden, das andere Mal bei der normalen SST-Nacht im großen Laden, kommen sie schon je einmal gestylt und einmal demonstrativ nicht gestylt – je nach der Rolle, die sie sich selbst für den Abend ausgesucht haben – auf die Bühne, besonders Baizas Kostüm war hervorragend, ein goldenes, geschlitztes Kleid, griechischer Fake-Folk: „Joe hat hübsche Beine … Glam-Jazz … wenn Du ins MTV willst, mußt du Beine zeigen …“, lauten die Erklärungen der anderen, bis der Chef zusammenfaßt: „Wir wollen schließlich mit Menschen kommunizieren, bei unserer Musik, die ja viel verlangt, ist vielleicht ein gewisser Humor nötig, das heißt, nein, nicht Humor, das wäre so relativierend, eher Human-ness, denn eigentlich ist unsere Musik verdammt ernst, daß das klar ist.“

Gilt das auch für das, was eure Seitenband Cruel Frederick macht?

„Oh ja, wir spielen auch mit denen zusammen, und das ist natürlich in erster Linie ein Spaß, aber ein tiefer Spaß.“

Gorodetsky: „Auch Always August hatten schon ihre Freude an uns.“

Baiza: „Spielen, Spielen, Live Auftreten ist überhaupt das allerwichtigste. Praxis, Praxis, Praxis …“ … denn nur so hat man was von seinem Genie. Das ist der Punkt: Das Zeitalter des Konzepts und der Theorie in der Musik ist vorbei, es kommt ein Zeitalter des Spielens und der Praxis, aber es wird die Lektionen des letzten beherzt haben, es wird eine Praxis sein, die aller abstrakten Schritte fähig sein wird und muß, sich fallen lassen und sichern kann, brutale konzeptuelle, desillusionierende, verfremdende Techniken, aber unter den Bedingungen eines Live-Auftritts, wo jeder auf und vor der Bühne sofort kapieren muß.

„Der Universal Congress Of ist ein allgemeiner Ort der Erweiterung, wo sehr vieles möglich ist; von ‚Louie, Louie‘ und Ornette Coleman kommend weitergehen … Wir haben alles, von 45-Minuten-Improvisationen bis zu einfachen Blues-Formen, wir spielen alles, so lange und so laut wie eben nötig … von all dem den Universellen Kongress abzuhalten, so habe ich den Namen gewollt.“

Gorodetsky: „Und was hast du jetzt? Eine Bewegung? Eine Religion? Die große Befreiung?“

Baiza: „Hmm … ja … genau!“

Bist Du inzwischen bekannter als zu Zeiten der frühen Trust?

Baiza: „Auf mich bezogen spüre ich den Unterschied zu den Punk-Rock-Tagen gar nicht mal so sehr, aber das ist ja eine größere Sache, und wenn Du Dir ansiehst, was mit der Firma, mit SST-Records, in den letzten Jahren passiert ist, und zur Zeit passiert, dann merkst Du aber, daß da ganz schön was gewachsen ist. Die Dinge haben sich herumgesprochen.“

Wie kann man das forcieren, im Sinne einer Taktik?

„Wir tauchen überall auf, wir sind alles, wir machen Jazz-Shows, Rock-Shows und können das alles, wir sind wie ein Buch, nein, wir sind das Register eines Buches, Du findest Verweise auf alles Mögliche, aber nicht als Zitat hervorgehoben, sondern ineinander übergehend, als Feeling … ich wünsche mir, daß dieses Feeling kommunizierbar wird, daß es durch die Leute durch geht … ich habe mich daran gewöhnt, daß nur selten wirklich etwas geschieht, mit dem Publikum, aber das macht auch nichts, man darf nur nie aufhören …“

Sich-Fallen-Lassen, Sichern durch Referenzaufbau, durch bezeichnen, dann weitervorstoßen, weitergehen, wieder sichern, so entsteht ein Register, aber es fühlt sich dreidimensional an, wie die große Chance der Musik eben, eindeutig und mehrdeutig gleichzeitig zu sein, was in einer Zeit, in der eigentlich alles auf etwas anderes verweist/verweisen muß, in der Musik eine immer größere Chance wird. Wie es October Faction schaffen oder UCO, Welten zu betreten, in denen nichts gesichert ist, um zu sichern und abzustecken, ohne daß sie Angst haben, daß ihnen was verloren geht, ihr Terrain vielleicht, ihre Aufgabe, wenn sie sichern und zugänglich machen, den dreidimensionalen Musik-Space, denn sie sind große Künstler geworden, in all den Jahren, und große Künstler haben niemals Angst, daß ihnen die Aufgaben ausgehen.

Siehst Du UCO auf der Bühne, hast Du die entspanntesten Menschen vor Dir, die Du je gesehen hast, das supereingeübteste Kollektiv, das einerseits für jeden spielt, aber andrerseits auch den Leuten, denen die verrücktesten Improvisationen bekannt vorkommen, noch was bieten will. Für die Instrumental-Nacht stylen sie sich, für die Rock-Nacht sehen sie nur cool und californisch aus, jedem das Seine: Baiza als Beatnik-Buddha mit seiner verschmitzten Miene und seinem Kinnbärtchen, weise und immer zusammenfassend, Schlüsse ziehend, Gorodetsky, der Russe, mit Russen-Temperament, schleudert Witze und Begriffe durch die Gegend, meist schneller als seine Umgebung es verkraftet, Jason Kahn, der Drummer, bebrillt, langhaarig, wie ein ältlicher Surfer, und Steve Moss am Saxophon, der bleiche Zyniker, der jedoch seinem Freund Baiza immer wieder gestattet, ihn zu dem Glauben zurückzuholen, der diese Band zusammenhält, der Glaube an das Gute in einem Menschen, in einem Gedanken, in einer Musik, und das ist eben Westcoast, vielleicht ja doch die modernste Gegend der Welt.

DISCOGRAPHIE

GINN/DUKOWSKI/BAIZA:
OCTOBER FACTION: dto., SST 036.
OCTOBER FACTION: The Second Factionalization, SST 056.

GINN/DUKOWSKI:
BLACK FLAG: Nervous Breakdown, 7″ EP, SST 001.
BLACK FLAG: Jealous Again, 7″ EP, SST 003.
BLACK FLAG: Six Pack, 7″ EP, SST 005.
BLACK FLAG: Damaged, SST 007.
BLACK FLAG: TV Party, 7″ EP, SST 012 (hervorragendes Video).
BLACK FLAG: Everything Went Black, Do-LP, SST 015.
diverse Samplerbeiträge u.a.
RODNEY ON THE ROQ, VOL I/II (jeweils auf Posh Boy), LET THEM EAT JELLYBEANS (auf Alternative Tentacles).

GINN:
BLACK FLAG: My War, SST 023.
BLACK FLAG: Family Man, SST 026.
BLACK FLAG: Slip It In, SST 029.
BLACK FLAG: Loose Nut, SST 035.
BLACK FLAG: The Process Of Weeding Out, Mi-LP, SST 037.
BLACK FLAG: In My Head, SST 045.
TOM TROCCOLI’S DOG: dto., SST 047.
MINUTEFLAG: dto., SST 050.
BLACK FLAG: Who’s Got The 10 1/2, SST 060.
GONE: Let’s Get Real, Real Gone For A Change, SST 061.
mit GONE / BLACK FLAG: Lovedolls Superstar, Soundtrack, SST 062.
dto.: Desperate Teenage Lovedolls, Soundtrack, SST 072.
BLACK FLAG: Annihilate This Week, 12″, SST 080.
GONE: Gone II, But Never Too Gone, SST 086.
diverse Cassetten mit Black Flag …

DUKOWSKI:
WORM: I’m Dead, 7″ EP, SST 011.
WORM: Feast, SST 041.
SWA: Your Future If You Have One, SST 053.
mit SWA: Lovedolls Superstar, Soundtrack, SST 062.
SWA: Sex Doctor, SST 073.
SWA: XCIII, SST 093.
SWA: Arroyo, 12″, SST 153.
SWA: Evolution, CD only, SST 157.

BAIZA:
SACCHARINE TRUST: Paganicons, Mini-LP SST 006.
SACCHARINE TRUST: Surviving You Always, SST 024.
SACCHARINE TRUST: Worldbroken, SST 046.
SACCHARINE TRUST: We Became Snakes, SST 048.
UNIVERSAL CONGRESS OF: Joe Baiza & The …, SST 109.
UNIVERSAL CONGRESS OF: Prosperous And Qualified, SST 180.
UNIVERSAL CONGRESS OF: This Is Mecolodics, SST 204.

alle drei mit verschiedenen Bands auf:
The Blasting Concept Vol. 1, SST 013.
The Blasting Concept Vol. 2, SST 043.