Für mich ist dieser Mann eine der fünf wichtigsten Gestalten der letzten zwanzig Jahre Kulturgeschichte, aber vielleicht ist er auch eine der letzten wichtigen Gestalten überhaupt, denn deren Zeit scheint ja mehr oder weniger vorbei zu sein.
John Cale ist Waliser, 1942 geboren, kam 1963 als musikalisches Wunderkind und Stipendiat nach New York. Dort studierte und arbeitete er mit den Großkopfeten der Minimal Music zusammen (LaMonte Young, Terry Riley etc.), und wirkte bei Aufführungen des Neue-Musik-Guru John Cage mit. 1966 durch Young und Claes Oldenburg an Andy Warhol geraten, gründete er zusammen mit Lou Reed „Andys Rockband“ The Velvet Underground und verwirklichte dem Pop-Mogul den Traum, nun auch dieses Medium zu beackern. Andy verlor nach der legendären Tour mit der Plastic-Inevitable Show das Interesse an Velvet Underground und diese wurden alleine zur wichtigsten Rock-Band aller Zeiten. John Cale stieg nach der zweiten LP, von Lou Reeds tyrannischem Bandleadergebaren zermürbt, aus und versuchte, sein Selbstbewußtsein zu regenerieren, indem er sich auf das besann, was er gelernt hatte: klassische Komposition. Für die Ex-Velvet Underground-Sängerin Nico produzierte or zwei bizarre Alben seltsamster Mischungen abendländischen Traditionen und unkonventionellen eigenen Erfindungen. Eine davon, „The Marble Index“, nannte der Rock-Schriftsteller Lester Bangs nicht ganz zu Unrecht „das wichtigste Kunstwerk der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts“.
Nach diesem Intermezzo wurde Cale Hausproduzent und A&R-Mann, erst bel Elektra, für die er z.B. Iggy & The Stooges entdeckte und produzierte, später bei Warner. Zu seinen weiteren Entdeckungen zählen Jonathan Richman, Patti Smith, Kate & Anna McGarrigle, Squeeze und viele andere. Nebenbei veröffentlichte er während der Siebziger eine Fülle verschiedenartiger Solo Alben: 1970 „Vintage Violence“, eine Kollektion schwermütiger Country-Rock-Balladen, 1972 gemeinsam mit Terry Riley „Church Of Anthrax“, die erste Begegnung von Rock und Minimal Music, 1973 symphonische Werke und Piano-Kompositionen und ebenfalls 1973 „Paris, 1919“, teilweise mit Orchester, teilweise mit Little Feat. Dies ist sein Meisterwerk, die perfektesten Umsetzungen des Genre „Song“ bis heute und die besten Texte, die die populäre Musik kennt. Dann ging Cale zu Island und setzte das „Paris 1919“-Konzept mit etwas härteren, konventionelleren Arrangements fort: „Fear“ (1974), „Guts“ (1974) und „Helen of Troy“ (1975) waren gleichzeitig die Alben, die seinen Ruf als harten Zyniker begründeten, nicht zu Recht übrigens, wenn man hinhört. Obwohl eigentlich jeder, der diese Platten hört, ihnen auch kommerzielle Chancen zubilligte, schafften sie es nicht. Resigniert zog sich Cale auf den Produzentensessel zurück, um lediglich hin und wieder mit spektakulären Live-Auftritten die inzwischen doch von Punk einiges gewöhnte Musikwelt dennoch nachhaltig zu verstören.
1980 meldete er sich mit einem Hardrock-Live-Album im guten Sinne zurück: „Sabotage“. Ein perfekt produziertes Hit-Album folgte, „Honi Soit Qui Mal Y Pense“, das aber trotz aller Bemühungen auch diesmal nicht in die Charts kam. Cale zog die Konsequenzen und begeisterte die Kritiker 1982 durch sein rauhes, Song-Material mit Experimenten mischendes Werk „Music For A New Society“, das er unter vielem anderen auch als eine Würigung der ökologischen Bewegung verstanden wissen wollte. Seine Solo-Live-Auftritte, wie auch in Hamburg zu erwarten, bringen einen Querschnitt aus seinem ganzen Material mit Schwerpunkten bei „Music For A New Society“, „Paris 1919“ und der Island Trilogie.
