Jonathan Richman

Wo ist nur all das Feine hin, fragte ich vor einigen Nummern, und hier kommt ein Artikel über Jonathan Richman, einer der letzten, den ich noch einen feinen Menschen nenne.

Er war der erste, der etwas gegen Hippies und Haschisch sagte. Wörtlich sagte er: „I like him, Hippie Johnny, but why always stoned. Why can’t he take this world and take it straight. I’m certainly not stoned. Like Hippie Johnny. I’m straight and I want to take his place.“ Das erzählt er natürlich der Freundin von Hippie Johnny.

Seine Karriere begann damit, daß er Velvet Underground nachreiste und Liebesgedichte an Lou Reed schrieb, den er „Louis“ zu nennen pflegte. Das Ergebnis war, daß John Cale 1972 seine erste LP produzierte, die allerdings erst vier Jahre später erschien.

Richtig traurig ist das Lied „Hospital“ eines der fünf ergreifendsten Lieder aller Zeiten über Männer, die eingesehen haben, daß sie selber Schuld sind, wenn ihnen die Freundin wegläuft und trotzdem nichts gegen ihre selbstgerechte Sentimentalität tun können. Dazu spielt Jerry Harrison, der später bei den Talking Heads reich und berühmt wurde, viel reicher als Jonathan, eine wunderschön-traurige Götz-Humpf-Orgel (falls sich noch jemand an diesen genialen Organisten einer der vielen Kiev-Stingl-Bands erinnert).

Alle späteren Platten von Jonathan Richman sind fröhlicher und abgeklärter. Mit dem Instrumental „Egyptian Reggae“ hatte er einen kleinen Hit. Sehr schön ist das Lied über das gemüsegetriebene Auto „Dodge Veg-O-Matic“, und immer wieder gern genommen wird der „Ice Cream Man“. Es gibt etwa ein halbes Dutzend gute LPs von Richman und keine schlechte. Ende der 70er verschwand er von der Bildfläche.

Seit zwei Jahren ist er wieder da. Erst sah ich ihn live in New York mit zwei Mädchen und einer Mini-Band. Er sagte, daß er verheiratet sei, endlich die Richtige gefunden habe. Er hatte circa zwölf Songs darüber geschrieben. Neben Cecil Taylor im Pö, Brotherhood Of Breath in der Fabrik, Captain Beefheart im Venue, Grateful Dead in der Musikhalle, Gun Club in der Markthalle und Talking Heads im Star Club, das Konzert meines Lebens.

Keiner der zwölf Songs außer dem schon damals vom Thema abweichenden „Give Paris A Second Chance“, erschien auf seiner Comeback-LP „Jonathan Sings“ vom letzten Jahr. Was nicht nur für die immense Produktivität des Künstlers spricht, sondern auch eine veränderte Lebenssituation andeutet. Auf „Jonathan Sings“ redet er statt dessen von dem Problem, das sich dadurch ergeben könnte, wenn eine alte Freundin, in Abwesenheit seiner Ehefrau, bei ihm übernachten würde, und die Nachbarn davon Wind bekämen und petzten.

Diesen Monat erscheint eine neue Jonathan-LP. Er sagt dort über Vincent Van Gogh: „What have we here? The baddest painter since God Jan Vermeer.“ Grace Jones: „Bad means good in my language.“ Und er singt das Lob des Baseball-Nationalhelden Walter Johnson und das seiner eigenen Jeans und das des Strandes und das der Bermudas. Immer akustisch und im Wechselgesang mit den Mädchen, die ihn „Jonathan“ anreden. Man wirft ihm vor, er sei naiv, was hier erstmals manchmal etwas unangenehm zutreffen könnte. Die Gruppe Shockabilly – nichts gegen sie – findet es albern, daß er Musik machen will, die seiner Großmutter gefällt, aber mich ficht das nicht an. Auch nicht der ironische Umstand, daß der erste, der etwas gegen Hippies gesagt hat, heute der letzte überzeugende Hippie geworden ist.