Manche lieben sie, manche hassen sie; Andy Warhol hält, wie Millionen Menschen in West und Nord, den Sänger Holly für Frankie, und Brian De Palma hat mit seiner Interpretation des „Relax“-Videos in seinem Film „Body Double“ für einen der gewagtesten Momente der Filmgeschichte gesorgt.
Daß Frankie Goes To Hollywood sich nach einem Jahr des nicht enden wollenden Erfolges entschlossen haben oder entschlossen worden sind, ihre stampfende Sex-Politik-Operette live aufzuführen, kann auch damit zu tun haben, daß seit den Monkees wohl keiner erfolgreichen Popband so viel Mißtrauen in Bezug auf Urheberschaft ihrer Karriere entgegengebracht wurde.
Da an den Erfolgsongs, wenn man sie denn noch Songs nennen soll, nichts überwältigendes Komponiertes oder Getextetes gefunden werden konnte, die aufsehenerregende Produktion und die auffälligen, in der Musikbranche ziemlich ungewöhnlichen Werbeaktionen dagegen aus dem Rahmen fielen, bezeichnet man Produzent Trevor Horn und Chefideologe und Werbestratege Paul Morley als die wahren Architekten des Erfolges. Wenn denn auch mal einer den Fehler machte, die Gruppe selber zu interviewen, kamen meist nur Statements zustande wie: „Wir sagen im wesentlichen zwei Dinge: Sex soll man nicht zu wichtig nehmen, und wir wollen nicht in einem nuklearen Krieg sterben.“ So what?
Aber das war noch nicht alles. Im Namen Frankies wurde eine Menge mehr gesagt, nur nicht allein mit den traditionellen Mitteln des Pop-Musikers, wie Songtexte, musikalische Referenzen, Image, Auftreten und Interviews, sondern mit den Mitteln des Ex-Journalisten, Pop-Theoretikers und Kampagnen-Machers Paul Morley. Morley trat in den späten 70er Jahren erstmals in den Spalten des „New Musical Express“, der intelligentesten Zeitschrift der Welt, in Erscheinung.
Zusammen mit Ian Penman führte er die zweite Garde der jungen Journalistenriege an (die erste, Julie Burchill, Tony Danny Baker, hatte unmittelbar nach der Punk-Revolte den „NME“ zur Speerspitze der jugendkulturellen Avantgarde befördert). Beide zeichneten sich durch einen Stil aus, der die subjektivistischen Attacken dieser ersten Generation mit Theorie, vollkommen verdrehten, versunken-poetischen Phantastereien und vor allem mit Lesefrüchten, vorzugsweise aus dem französischen Sprachraum, anreicherte.
Sie stellten sich hinter die neue Pop-Musik der frühen 80er. Sie bekämpften die elenden Mythen des Rock, die Glaubwürdigkeit, Aufrichtigkeit, originale Verschmitztheit, das klassisch-eindimensional Oppositionelle des alten Rock und stellten sich hinter das vielschichtige „subversive“ Spiel mit Anspielungen, Verweisen, verborgenen Leidenschaften, das sie bei Bands von ABC bis Soft Cell entdeckten (Morley haßte allerdings Soft Cell). Sie plädierten dafür, sich mehr für die Hitparaden zu interessieren und nicht zufrieden zu sein mit den elitären Entwicklungen im freien Land der Independent-Labels.
Als diese „neue Pop-Musik“, die im Jahre ’82 ihren Höhepunkt erreicht hatte, spürbar den Bach in Richtung Eurythmics, Bronski Beat und King Kurt runterging, wechselte Paul Morley den Beruf. Mit dem Produzenten Trevor Horn (ABC, Malcolm McLaren, aber auch Yes) gründete er die Firma Zang TumbTumb und veröffentlichte zunächst einmal Pamphlete, Statements und Manifeste. Morley und Horn führten sich auf wie in der deutschen Literaturszene zur Zeit Enzensberger und Greno: ZTT – das andere Label.
In einem tränenreichen, bis an die Grenzen des guten Geschmacks larmoyanten Artikel für seinen alten Arbeitgeber „NME“ erklärte Morley, was die Ziele seines einsamen, furchtlosen Kampfes gegen den Drachen „Musikindustrie“ seien: Er wolle ja gar nicht das System ändern, alles was er wolle, sei Qualität.
Es gibt prinzipiell zwei Möglichkeiten für eine Firma, auf ihre Produkte aufmerksam zu machen: Werbung und PR. Werbung sind bezahlte Anzeigen, Spots, Plakate; Public Relation sind lancierte Meldungen und Artikel, für die man, zumindest direkt, nichts bezahlt. In beiden Bereichen ist Morley ein Meister.
Unnötig zu mutmaßen, ob Morley daran gedreht hat, daß „Relax“ von der BBC zunächst boykottiert wurde. Bestimmt war dies nicht die entscheidende PR, wie so viele vermuten. Auch andere Songs wurden „gebannt“, ohne je auch nur die Top Ten zu erklimmen, geschweige denn, wochenlang die Nummer eins zu besetzen. Der Punkt war vielmehr: Morley, unterstützt von dem unvermeidlichen Sexbeat seines Hausproduzenten, verbreitete an allen Ecken des Vereinigten Königreichs eine Botschaft, und die war Frankie zugeschrieben: Entschiedenheit. Autorität. Frankie sagt, wie es ist.
Entschiedenheit fehlte in einer Atmosphäre, wo Hunderte von Pop-Bands auf die hübschen Ambivalenzen des Melodischen setzten, wobei die verschiedensten Resultate erzielt wurden, die aber mehr als alles andere einer neuen Beliebigkeit Platz schafften – Entschiedenheit als reine Form, egal ob die Botschaft „Relax“ oder „Sit On My Face!“ geheißen hätte. Es ging nur um den Imperativ.
Und hier setzt die Werbung an. Die englischen Musik-, Medien- und Hip-Blätter, vom „NME“ über „Just Seventeen“, „The Face“, „i-D“, „Smash Hits“, „Blitz“ bis zum altehrwürdigen „Melody Maker“, bilden gemeinsam einen Markt, der, so etwas wäre in Deutschland ziemlich exotisch, Werbeagenturen dazu nötigt, anders zu arbeiten als in gewöhnlichen Zeitschriften. Der einigermaßen aufgeweckte Jugendliche bildet im armen England, dessen Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt seit kurzem unter dem der DDR liegt, erstaunlicherweise ein eigenes Marktsegment.
Nun stecken bekanntlich Werbeagenturen voll von verqueren jungen Leuten mit „unheimlich witzigen“ Ideen. Normalerweise ist es die Funktion der Werbeagenturen, diese Leute ein paar Jahre ruhigzustellen und ihnen die unerträglichen Flausen auszutreiben. Wenn sie so richtig das witzig-kreative Niveau erreicht haben, für das Werbeagenturen großartige Auszeichnungen vergeben, werden sie auf die Menschheit losgelassen. Die Situation in England erfordert ein anderes Vorgehen.
Plötzlich reicht es nicht mehr, den halb-hippen Junior-Texter zu engagieren und als ausreichenden Draht nach Popland anzusehen (denn normalerweise geht man in der Werbung davon aus, daß die Leute immer dümmer sind als der dümmste Mitarbeiter der Agentur), Popland hatte neue, eigene Kommunikationsformen entwickelt. Die schnell reagierenden Agenturen entwarfen völlig neuartige Kampagnen für den englischen Jugendmarkt, zu den lustigsten zählen National Westminster Bank, Winston und Pernod. Die Vorarbeit für diese neue Richtung hatten die Werbeabteilungen der Plattenfirmen geleistet. Ihre Verunsicherung durch Punk, Postpunk, Postpostpunk und eine Reihe von kurzfristig sehr erfolgreichen Here-today-gone-tomorrow-Eintagsfliegen hat zu einer Art „Neue Welle“ der Werbung geführt. All die immer wieder auf den elenden Meetings von sogenannten Kreativen geäußerten Traumideen („Laß doch mal ne Anzeige ganz ohne Text, nur Text, ohne Bild, ohne Produktabbildung, mit dem Produkt verkehrt herum, ganz weiß, ganz schwarz machen.“) haben Werbeabteilungen englischer Plattenfirmen im Laufe der Jahre 1978-1983 verwirklicht. Das Klima für Einflußnahme durch Werbeinnovation war also denkbar günstig.
Auftritt Morley. Morley war kein frustrierter Kreativer. Er hatte ein Ziel: die Macht. Kreative in der Werbung leiden an mangelnder Selbstverwirklichung. Dürfen sie sich mal verwirklichen, steht nicht mal der Name darunter. Journalisten leiden an mangelnder Autorität. Noch so brillant geschrieben, bleibt doch alles nur Meinung, immer nur eine Stimme im Konzert des Pluralismus. Doch gerade die Anonymität der Anzeige kann dem jounalistischen Text jene Autorität verleihen, die er als namentlich gezeichnete Meinung nie erreichen könnte. Was dabei entsteht, ist Propaganda.
Morley schuf zunächst mal für seine Firma das, was man in der Werbung eine „Corporate Identity“ nennt. Jede ZTT-Anzeige, jedes Cover – fast immer mit aufwendigen pop- und polittheoretischen Liner Notes versehen –, jedes T-Shirt machten klar: Hier spricht Morley, unterstützt von Horn, dem omnipotenten Super-Producer. Egal ob es sich dabei um Frankie-Propaganda handelte die ebenfalls erstaunlich erfolgreichen anderen ZTT-Produkte Art Of Noise und Propaganda (diese Gruppe mit diesem Namen mußte Morley einfach lieben und unter Vertrag nehmen. Er ehelichte inzwischen sogar die Sängerin). Diese ZTT-Identity war verbunden mit immer neuen Slogans und Forderungen, spannend abwechslungsreichen Headlines, die in deutlicher Konkurrenz zum redaktionellen Teil der entsprechenden Zeitschrift standen.
ZTT äußerte sich zu allem und jedem. Zu Politik. Zum Stand der Pop-Musik. Meist in Textanzeigen, die im wesentlichen aus langen Headlines bestanden. Was war Frankies Gesinge von Krieg und zwei Stämmen gegen Morleys friedenspolitische Poesie, was das halbgescratchte, halbgedaddelte Zeug gegen Morleys Art-Of-Noise-Slogan, der Bing Crosby und den Umsturz aller Hörgewohnheiten unter einen Hut brachte und das Wackeln der Mauern von Jericho zu verheißen schien.
Doch die ZTT-Strategie war damit nicht am Ende. Dabei half die T-Shirt-Designerin Katherine Hammet. Sie entwarf den Modehit des Jahres 1984: bedruckte Propaganda-T-Shirts. Gegen Herbst trug es jeder zweite Engländer und davon war wieder jedes zweite mit einem Spruch bedruckt, der mit „Frankie Say“ begann. Nach den relativ neutralen, auf die Hits bezogenen Slogans „Frankie Say War! Hide Yourself!“ erreichten Hammet/Frankie/Morley Brisanz mit Shirts wie „Frankie Say: Arm The Unemployed!“ Drei Millionen in Waffen.
Als Katherine Hammet von Maggie Thatcher bei einem Empfang begrüßt wurde, trug sie das T-Shirt „58 % Don’t Want Pershing“, eine eigene Kreation, die die Regierungschefin nicht von einem freundlichen Händedruck abbringen konnte. Die Typographie der Hammet-T-Shirts, die Frankie so erfolgreich adaptiert hatten, wurde landesweit nur noch mit ZTTs Hitfabrik assoziiert. Die Folge: Das eher unbedarfte Quintett aus Liverpool wurde mit allen Anliegen einer angehipten, linken, urbanen Jugend in Zusammenhang gebracht. Ende 1984, als das Album „Welcome To The Pleasure Dome“ erschien, hatten Frankie Sade und Scargill in den Hintergrund gedrängt und die Macht über Politik und Pop übernommen.
Eben nicht. Morley tat nun etwas, was selbst in England selten ist. Er machte mit Funk-, Fernseh- und Kinospots eine flächendeckende, weit über die Jugend- und Musikmedien hinausgehende Kampagne für das Doppelalbum und brachte sogar seine deutschen Vertragspartner dazu, für Frankie im Kino zu werben und im „Stern“ eine ganze Seite zu schalten, deren Informationsgehalt deutlich über dem liegt, den die Pop-Berichterstattung dieses Magazins in der Regel erreicht.
Morley war jetzt der J. R. und hatte McLaren zum Clive Barnes degradiert. Er war der Sieger im Lieblingsspiel der post-situationistisch-post-strukturalistisch angehauchten Intellektuellen, dessen ewiger Kehrreim da lautet, Subversion durch strategisch-cleveres Einsetzen der Medien.
Doch Morley wollte auch verkaufen. Und da blieb das Doppelalbum, besonders aber die dazugehörige neue Single „The Power Of Love“, hinter den Erwartungen zurück. In dem Moment, wo er in die offiziellen Medien ging und jede Sekretärin mit einem Frankie-T-Shirt durch die Gegend lief, hatte er etwas verspielt, was nicht auf seiner Rechnung stand. An die Stelle des Mythos von der Street-Credibility, den er und andere so erfolgreich bekämpft hatten, war ein anderer Mythos getreten: Hip-Credibility. Und die war nun dahin.
Deswegen treten Frankie Goes To Hollywood in diesem Monat in Hamburg auf.



