Kir-Festival

Ach, was früher nicht alles in der Welt möglich war! Fast einmal im Monat veranstaltete Alfred Hilsberg in der großen Markthalle ein Festival, damals noch unter dem Namen Zick-Zack. Alle nahmen ernst, was Amateure, Obskuranten und fröhlicher Nachwuchs zu bieten hatten. Deutsche Geheimtips wurden gehandelt, und mir fallen mit Palais Schaumburg, Abwärts, Xmal Deutschland und Einstürzende Neubauten gleich vier Bands ein, die aus diesen Festivals einen Sprung hierhin oder dorthin schafften (meistens über den Ärmelkanal).

Doch Hilsberg gibt auch heute nicht auf. Trotz defizitärer Wirtschaftslage, trotz allgemeinen künstlerischen Verfalls schart er seine Getreuen um sich und richtet wieder mal ein Festival aus, diesmal im „Kir“, dem zur Zeit experimentierfreudigsten Lokal der Hansestadt.

Am ersten Tag spielen die Zimmermänner, die ich ganz famos finde. Aber man darf mir in dieser Sache kein Wort glauben, könnte ich dies doch aus reinem Nepotismus gesagt haben; ein jüngerer Bruder des Verfassers spielt hier Gitarre. Wer das Programm der Band bei der „Kir“-Eröffnung gesehen hat, wird eh Bescheid wissen. Und mehr als die damals fast 500 Besucher sind auch für das Festival nicht zu erwarten. Erwartet wird dagegen ein komplett neues Programm. Einigen Zimmermännern wachsen neuerdings Koteletten. Das hat, habe ich mir sagen lassen, mit der Verehrung für US-Garagenrock der späten Sechziger zu tun. Sei’s drum.

Saal 5, den gleichen nördlichen Suburbs entstammend wie die Zimmermänner, haben lange geschwiegen. Ältere Singles erwiesen das Duo als begabte Mainstream-Pop-Band. Zuletzt erschien ein recht gelungenes Nümmerchen (mit einem unsäglichen Text) auf dem letzten Zick-Zack-Sampler. Keiner kann wissen, was Jens Kraft (Gitarre, Gesang) und Godeke Ilse (Keyboards) mit ihren Begleitmusikern Hansi Blei und Tommi Piel (Ex-Große-Freiheit) neu einstudiert haben. Sieg, Unentschieden oder Niederlage, nach Ermessen des Toto-Freundes ist hier alles möglich.

Zehn Tage später, am zweiten Festival-Tag, kommt das zu seinem unverbrüchlichen Recht, was man früher Avantgarde genannt hätte: Die Band Kosmonautentraum wird der Mehrheit wohl spröde scheinen. Außer bei Kritikern sind sie eigentlich nie sonderlich beliebt gewesen. Trotzdem waren sie live manchmal so gut, daß sie auch Unwillige in ihre versponnene Welt entführten und begeisterten. Die klapprige Musik untermalt die dichterischen Ambitionen des Nichtsängers Ziggy XY. Manchmal gefällt sie mir sehr gut, manchmal bekomme ich vegetative Dystonie von den ganz und gar uneinheitlichen Klängen. Ob das kulturell wertvoll ist und auf den richtigen Weg führt, vermag ich nicht zu entscheiden. Kosmonautentraum tritt in neuer Besetzung auf, u.a. mit Andy Giorbino.

Anschließend tritt Andy Giorbino mit seiner neuen und ersten Gruppe Heimatforscher auf. Bisher unterstützte er bei Live-Auftritten mal Ballettperformances, mal zitierte er als Ivanhoe klassische Instrumentalpopmusik. Seine letzte LP „Anmut und Würde“ wurde viel gelobt und ist klein und hübsch: Japanische Miniaturen, Glas, Porzellan und Tusche und deren musikalische Entsprechungen. Gute Hippie-Musik, wenn man mich fragt.