Es gibt kaum eine lustigere Transformation im Rahmen des die Pop-Geschichte unentwegt antreibenden Genres Coverversionen, wie die, die Brian Auger & The Trinity mit „A Day in the Life“ unternommen haben.
Jeder kennt das Original. Der Himmel hängt voller britisch-zynischer Geigen, George Martin übersetzt die Ideen John Lennons, der das Violinenarrangement wie ein Gitarrenarrangement geschrieben hatte und die Originalstimmungen der Violinenseiten ignoriert hatte, Lennon dehnt und zieht die Worte: „I’ve read the news today, oh boy“. Und Brian Auger, Überflieger, Orgeldaddler ohne Hemmungen, der Mann der das, was später „Gewichse“ geschimpft wurde, bereits in den Sechzigern durch maßlose Übertreibungen von zielloser Sechzehntel- und Zweiunddreißigstel-Hammond-Improvisationen ein für alle Mal der gebotenen Lächerlichkeit ausgesetzt hatte, der definitive, geniale Keyboard-Wichser Auger also, greift einfach die notierbaren Töne aus Lennons gedehnt gesungener Eröffnungszeile, und daddelt sie emotionslos und beschleunigt zur Eröffnung einer seiner Improvisationen, der er den Namen „A Day In The Life“ gibt…
Düt – düt – düt – de – düt – düt – düt – düt – duut.
Ein Tag im Leben. Die Klasse der Pressevorführungsbesucher und Rezensionsexemplarhörer scheint beständig zu wachsen. Da auch ich zu dieser Klasse gehöre, mache ich mir darüber Sorgen. Ich habe trotz Rezensionsexemplar nie meine Sucht, mindestens zwei Mal die Woche einen Schallplattenladen aufzusuchen überwinden können, ebensowenig den Spaß am Freitag in der Schlange als Letzter die Karten für eine Erstaufführung zu ergattern und während der Pressevorführung, meistens gegen Elf, zog ich es vor zu schlafen. Doch heute konnte ich nicht umhin, mich aus Morpheus’ süßen Armen zu entwinden, zu gespannt war ich auf „The Hunger“ mit Bowie und Deneuve. Ich setzte mich also der gefährlichen Film-Wahrnehmung einer solchen Vorführung aus, die mit einem Kino-Erlebnis wenig zu tun hat und auf deren Ritual so viele Irrtümer und Fehlattitüden des bezahlten wie des unbezahlten Feuilletons gewachsen sind.
David Bowie blieb sich selbst treu. Sein wirklich einmaliges Talent allermißlungensten Filmen seinen Körper zur Verfügung zu stellen, wird nur noch übertroffen von seinem Talent, sich in seinen Videos aufs Allerreizendste selbst zu spielen. „The Hunger“ beginnt mit einem dräuend hampelnden Bauhaus-Peter Murphy, der die allererste Bauhaus-Single „Bela Lugosi’s Dead“ grantelt. Bela Lugosi, Großer Horror. Dann ein „Performance“-Zitat. Dann wieder Bela. Eine New Wave-Bar, hektische, gesucht ungewöhnliche Bilder, Bowie und Deneuve, das viele hundert Jahre alte Vampir-Paar geht unter den New Punk-New-Wavern seinem blutigen Geschäft nach und rammt halbausgezogenen New Wavern, jeweils des anderen Geschlechts, seine Zähne in die Halsschlagadern, Bela Lugosis Tod wird weiter beklagt und die Leichen der New Waver in Verbrennungsofen geschoben. Die ersten zwanzig Minuten des Films sind dermaßen vollgerammelt mit Pseudo-Camp, superpeinlichen Zitaten, falsch verstandenen Kleiderordnungen, Lichtspielen, Art-Einstellungen in schneller Folge, das man sagen hören kann, mit gepreßtem Mund, mich, im Kino: „die beste Scheiße, die je gemacht wurde“.
Leider entarten die nächsten 80 Minuten dann in sämiger mystischer Langeweile und langsamen Zitaten, Nahaufnahmen durch Schleier und Tote, die aus den Gräbern steigen, eingewoben in eine Fabel, die von der Unfähigkeit der Wissenschaft, die ewigen Rätsel der Menschheit zu lösen, kündet, zu einem Film, den als „den Film, den auch Nicholas Roeg sich zu schade war zu drehen“ zu bezeichnen, ich mich nicht entbrechen kann. Bowie selber segnet schon nach der Hälfte, das plötzlich in sein bislang unvergängliches Leben einbrechende Zeitliche…
Im „China Girl“-Video hingegen, ein weiteres der unzähligen Bowiemania-Requisiten, die zur Zeit so gierig und aufmerksam verschlungen werden, ist alles richtig. Er sitzt da diesem Mädchen gegenüber und – wow. – er ist wirklich verliebt. Wie er mit der Chinesin Grimassen austauscht! Wie er in die Kamera lächelt und mit dem Lächeln sagt: „Ich könnte mich auch in DICH verlieben, du eine(r) von den Millionen, die gerade dieses Video sehen!“
Nachmittags ist Pokalfinale. Wie der 1. FC Köln diesen halbgaren Triumph über die Zweitligamannschaft auch noch feiern kann. Peinlich. Immerhin ist Rinus Michels der zweitsympathischste Trainer der Bundesliga. Der Sympathischste sagte neulich in der BILD-Serie „Ernst Happel – Jetzt rede ich!“: „Das einzige, was der Mensch muß, ist sterben. Wenn einer zu mir sagt ‚Herr Happel, Sie müssen gewinnen‘, sage ich: ‚Lieber Herr, Sie verstehen nichts vom Leben! Habe die Ehre!‘“
An einem Kiosk in der Innenstadt erwerbe ich den Kicker-Sonderband über zwanzig Jahre Bundesliga, mein Buchtip des Monats. Zum einen wegen der akkuraten Statistiken über zwei Jahrzehnte deutschen Fußballs, die Möglichkeit, jede Saison einzeln nachzuerleben, den Esprit eines einzelnen Jahres leuchten zu lassen. Wußte jemand, daß Schalke kurz vor dem Bundesliga-Skandal einmal 52:16 Punkte hatte, fast Meister geworden wäre, wenn nicht die blöden Bayern am Schluß den Bundesliga-Rekord von 55:13 Punkten aufgestellt hätten. Bremen und der HSV hatten dieses Jahr beide 52. Zum anderen weil in der Schreibe des „Kicker“ die sechziger Jahre überwintert haben. Eine völlig ungebrochene vernünftelnde, aber temperamentvolle Räsonniererei, wie sie im TV allenfalls der selten präsente Rudi Michel noch verbreitet. Also auch für Fußball-Abstinenzler empfehlenswert wegen Sprachgenuß und trefflicher Einführung in die Materie.
Nach dem Pokalfinale aus Langeweile „Sesamstraße“ geguckt. Erstaunlich, daß Ernie und Bert noch heute gute Witze ausfechten. Nach ihrem Auftritt dann ein in Deutschland produzierter Film, der zwei Kinder zeigt, die trotz Proteste ihrer Eltern bei strömendem Regen spielen gehen wollen. Ja, Kinder haben Phantasie und spielen auch im Regen, ganz gegen die Konvention, nicht wahr. Und was spielen Sie? Sie spielen Wim Wenders Film, so scheint’s, sie gehen zum Spielplatz und fahren mit sensiblen Bewegungen an den Tropfen, die vom Klettergerüst perlen, entlang. „Barfuß im Regen“. Sang das nicht Michael Holm? Das Fernsehen zeigt den Kindern, wie sich sensible linksliberale Erwachsene ihre Kinder wünschen: Bis zum Erbrechen fantasievoll, kotzoriginell und wehe sie wünschen sich Märklin, E.T. und Videospiele statt bei scheußlich-strömenden Regen ihre ungebrochene Fantasie auszuleben. Scheußlich.
Man flieht ins Kino: „New York – 1991“. Die Polizei streikt. Eine faschistische Bande, die sich (haha) New Order nennt (erkennbar an einer Ordnerbinde mit der Aufschrift MD) will ein Schwulenlokal hochnehmen (das Schwulenlokal ist als Schwulenlokal zu erkennen, weil ein Adam Ant-Poster an der Wand hängt und der Bar-Keeper die Andeutung eines Donald Duck-Jean Genet-Matrosenanzugs trägt). Eines der Opfer, gleichzeitig ein potentiell lästiger Zeuge, entkommt der Mörderbande und findet Unterschlupf in einer Wohnung, wo eine FRAU, zwei LINKE, ein SCHWULER und zwei BLINDE, die von den Faschisten bedrohten Minderheiten repräsentieren und eine sparsam aber sehr spannend gefilmte Schlacht gegen die hochmodern gerüsteten Faschisten mit einem Gewehr, zwei Patronen, einem Flitzebogen, selbstgebauten Elektrofallen und einer zum Flammenwerfer umgebauten Rakete und dank einer verwinkelten Wohnung schließlich gewinnen. Ein umgekehrter „Assault“, unprätentiös und gut. Aber wer von euch Schlaubergern käme schon darauf, in einen in Bahnhofskinos laufenden Film namens „1991 – New York“ zu gehen. Ihr geht doch alle in den Price-winning-Cannes-Renner „Hanna Schygulla als Helga Goetze“.
Das Ende des Tages steht noch bevor. The Fall spielen heute abend. Sie müssen gut sein, wer sollte das sonst sein. Bei Blue Rondo konnte man nett tanzen. Kajagoogoo war die Hölle, die Residents eine prätentiöse Theatergrupe, nicht allzu weit von „The Wall“. Immerhin tanzt Prince Charles neuerdings auf der Bühne mit einer Lady Di. Nur den Humor nicht verlieren.
