Krieg & Frieden

„To Read Hegel is to know pain“,
Lou Reed

„Im not a dirty old man, I’m an over-sexed senior citizen“,
Rufus Thomas

„They heard of me in Germany, Paris and other countries“,
T-Ski-Valley

Musik ist nicht besser und schlechter als immer schon. Aztec Camera, Fun Boy 3, Prince Charles, T-Ski-Valley, Pressure Prop, Spandau Ballet, The B-52s, Coati Mundi und viele andere Gruppen und Künstler geben sich alle Mühe. Schon die neue Gun Club gehört?

Das Blöde ist nur, daß das alles keinen Zusammenhang ergibt. Daß es keine Bestrebung, bzw. keine Bestrebungen gibt, die das Ganze zusammenhalten. Was daran liegt, daß es überhaupt keine Bestrebungen gibt. Zum einen, weil es langweilig ist nochmal zu sagen, was man erstreben könnte, weil es alle schon kennen und doch noch nie hören wollen und sowieso nicht richtig verstehen, zum anderen weil das System der Bestrebung für Bestrebungen nicht mehr die geeignete Form bietet. Da es wohl, die Neger sagen es schließlich ständig, nur noch ums Überleben geht, auch für die, die nur davon reden und dadurch überleben, daß sie nur davon reden, ist es eine gefährliche Täuschung, sich vorzumachen all diese Platten hätten eine andere Funktion, als denen das Überleben zu versüßen, die sie sich ausgedacht haben. Das setzt das nicht außer Kraft, was man zu diesen Platten denken kann und soll und je mehr man kann, desto besser die Platte. Aber, was immer man macht, mit Platte, Buch oder Film, hat nichts mit dem Wesen der Platte zu tun, die nur dazu da ist, daß sich Aztec Camera morgens noch in den Spiegel sehen können, ohne sich zu schämen, es im Leben zu nichts Anständigem gebracht zu haben.

Ich glaube nicht an die Kompensations-Theorie, die meint, in schlechten Zeiten gäbe es gute Kunst, das arme Leben würde in die Kunst fliehen und sich Scheinwelten errichten, alle Welten sind Scheinwelten. Wahr ist vielmehr, daß in einem guten, erfüllten Leben auch die Kunst (ob aktiv betrieben oder passiv zur Veredelung des Lebens eingesetzt) besser und erfüllter wird. Glück, zumindest ein Geschmack davon, ist Voraussetzung für Klasse. Viel Glück Voraussetzung für Bewegung, Glück kann mit ökonomischer Prosperität zu tun haben, aber nur in dem Moment, wo dem diese Prosperität Genießenden klar wird, daß er über sie hinaus will. Glück entsteht in der Bewegung von einem satten Zustand weg. Nicht das Elend und die Krisen der 20er Jahre ließen sie künstlerisch fruchtbar werden, schufen Platz für Kunst, sondern die vielen Veränderbarkeits-Versprechen. Die vielen Vehikel, die zur Mobilität einluden: das Flugzeug, der Klassenkampf, das Auto, die Drogen, die Massenmedien. Nicht das Elend läßt in der Bronx die Hiphop-Szene gedeihen, sondern die Aussicht, nach Manhattan und von da aus überall hinzugelangen, die Versprechen sozialer Mobilität für Einzelne, die in Amerika immer gewirkt haben, aber besonders da, wo die versprochene Distanz am längsten war (von ganz unten nach ganz oben). Die gegenwärtige Kultur-Krise ist also nicht nur eine ökonomische. Sie wird begleitet von der Abwesenheit sämtlicher Beweglichkeitsversprechen. Stattdessen: Wiederholung, wohin man schaut, Wiederholung erzeugt Sinn, Identität, Herrschaft und stabile Verhältnisse. Im persönlichen Bereich, wo aus Wiederholung Identität wird, vernichtet sie das Glück als Voraussetzung von Kunst. Identität ist das Ende der guten Ideen. Gertrude Stein sagt: „Es ist nicht außerordentlich schwierig, keine Identität zu haben, aber es ist außerordentlich schwierig zu wissen, daß man keine Identität hat. Man könnte sagen es ist unmöglich, aber daß es nicht unmöglich ist, wird bewiesen durch die Existenz von Meisterwerken, die gerade das sind. Sie sind wissend, daß keine Identität da ist und schaffen, während Identität es nicht ist.“

So viel dazu, daß es so langweilig ist und langsam besser werden müßte. Nun zu etwas anderem: Nicht im Leben, im Kino lernen wir. Es ist interessant, daß eine gelangweilte, hungernde Szene sich Filme vorführen läßt, die ganz alte, archaische gemeinsame Nenner zum Leben erwecken sollen: Gandhi oder Danton – das ist eine tödliche Situation. Wer irgendetwas über Gandhi wissen will, ist bereits hoffnungslos verloren. Deswegen konnte mich alle journalistische Neugier nicht dazu bringen, meinen Urekel vor diesem Messias-Phänomen zu überwinden und mir den Schinken anzusehen. Stattdessen habe ich es geschafft, mich mit letzter Kraft in „Danton“ zu schleppen.

Danton wird verkörpert von Gerard Depardieu, einem französischen Star-Schauspieler, der geliebt wird, weil er die allerprimitivste Form rührender Männlichkeit nur geringfügig schlechter darstellt als der kleine Zeh von Robert DeNiro, sein großes amerikanisches Vorbild. In letzter Zeit wurde Depardieu von Film zu Film besser, besonders in dem Truffaut-Film „Die letzte Metro“. Als Danton benimmt er sich wieder genau so schlecht wie zu Beginn seiner Karriere, was den letzten Rest an Respekt vor der historischen Figur Danton zusammenschurren läßt. Bislang kannte man Griffith’ Danton, Abel Gance’ Danton und diverse Büchner-Dantons, die alle noch einen Rest von Zielvorstellungen, Gedanken und Charakter vorzuweisen hatte. Depardieu-Danton ist ein Danton, der nur will, daß alles irgendwie cool zugeht, keine schlechten Vibrationen unter den Franzosen und der einen Gedanken hat, die Revolution fresse ihre Kinder. Ihm gegenüber steht ein Robbespierre, der anders als all die vielen bürgerlichen Robbespierre vor ihm, nicht reduziert wird auf DER EISKALTE ROBESPIERRE, sondern als der einzige politisch denkende Mensch in diesem Spektakel auftaucht. Man verstehe mich nicht falsch: die Sympathien Andrzej Wajdas sind leider auf Seiten Dantons, aber er hat als Pole, marxistisch-gebildet, ein grundsätzlich anderes Robbespierre-Bild. Sein Robbespierre hatte 1793 schon die Schriften Marxens gelesen, die erst sechzig Jahre später erschienen sind, während sein Gegenspieler Danton unentwegt die Clash-Platten gehört zu haben scheint, die erst…

Andrzey Wajda, der eigentlich ein guter Regisseur ist, scheint zu glauben, daß das 18. Jahrhundert eine evolutionsgeschichtlich andere Epoche als die Gegenwart sei, seine Darsteller sehen häßlich, unvollständig und muddelig aus, als sei die Menschwerdung noch nicht abgeschlossen. Ausnahme hiervon: wieder Robbespierre, der ein Intellektueller, mit allen menschlichen Problemen des zarten Intellektuellen in der Politik ist und dem Danton begegnet, wie röhrende, tumpe Populisten schon immer auf solche reagierten, stumpf und verletzend. Man fühlt sich an die Beziehung Wehner-Brandt erinnert, die angeblich daran zerbrach, daß der Potenz-Protz Brandt eine wohlbehütete Intimität aus dem Leben Wehners, die dieser Brandt in einer vertraulichen Stunde gebeichtet hatte, gröhlend am Biertisch verbreitete.

Eddie Murphy und Nick Nolte in „Nur 48 Stunden“ war dagegen der große Kraft und Spaß spendende Trost des Monats. Ein in eine Verfolgungsjagd eingebetteter, zwei Stunden währender Spaß über alle amerikanischen Antagonismen: schwarz/weiß, Macho/Lesbe, Country/Soul, Cadillac/Porsche, Hrubesch/Hartwig. Ein Film, der, und hier müßte die übliche, klassische Suada gegen die liberalen Medien folgen, tut sie aber nicht, einmütig verrissen wurde. Als zynisch, brutal, frauenfeindlich und sonstwas. Ich biete hiermit an, diesem Film jedem Linken, auch einem solchen, der über die Lektüre von „Lohn, Preis und Profit“ nicht hinausgekommen ist, schmackhaft zu machen, ihm die Progressivität des Films zu beweisen.

Aber wir haben einen Trost: alles ist historisch vergänglich, auch der bundesrepublikanische, linksliberale Pauschalvorwurf gegen amerikanische Kultur, der trotz diverser Unternehmungen schon in den Sechziger Jahren bislang nicht ausgerottet werden konnte. Wenn man die Wurzeln ausgräbt, fängt der Baum zu wackeln an. Ich finde unter allerlei Gerümpel eine Filmzeitschrift aus dem Jahre 1958, in der Horkheimer/Adorno schreiben: „Sofern Trickfilme neben Gewöhnung der Sinne ans neue Tempo noch etwas leisten, hämmern sie die alte Weisheit in alle Hirne, daß die kontinuierliche Abreibung, die Rechnung allen individuellen Widerstandes, die Bedingung des Lebens in dieser Gesellschaft ist. Donald Duck in den Cartoons wie die Unglücklichen in der Realität erhalten ihre Prügel, damit die Zuschauer sich an die eigenen gewöhnen.“ Und so irre es klingt: wahr ist das Gegenteil, für Donald Duck wie für Eddie Murphy. Ohne sie keine einzige Erhebung, kein Widerstand, kein Garnichts, höchstens ein bißchen Gandhi und Friedensbewegung.

Neben Gandhi und Danton beherrschte der „Denver Clan“ die Mediendiskussion. Die Frage, ob besser oder schlechter als „Dallas“ stellt sich zunächst einmal nicht. Denn bereits der Originaltitel („Dynasty“) verrät, worum es bei dieser Serie geht: nicht um Kapitalismus, sondern um Feudalismus. Nicht um Macht, sondern um Reichtum. Nicht um Heute, sondern um Gestern. Die Serie ist üppig drappiert, sie akkumuliert, bildet Nebensätze. Dallas kennt nur Geradlinigkeit, reduzierte Stilmittel, Schlichtheit. Handelt vom alltäglichen Bewahren, Expandieren unter den Bedingungen eines real-existierenden Kapitalismus. In „Dynasty“ geht es um einen europäischen Hof irgendwann zwischen 1492 und 1914. Und da geht’s halt dekadent und intrigant zu. So what? Die Intrige bleibt im Innenraum der Herrschaft, sie wird nicht zu sichtbarer Macht wie bei „Dallas“, sie nimmt keinen Kontakt zur Welt auf, Frauen, die mit ihren Fahrern Verhältnisse pflegen, sind exakt seit 1922 abgeschafft. Und zur Frage, was denn besser sei, läßt sich die alte Volksweisheit zitieren, in „Dynasty“ gäbe es nun mal keinen J.R.

Um das alles optimistisch enden zu lassen: der Optimismus eines James Bond-Film beruht auf den manieristischen Technologien, die irgendwelche Geheimdienstler eins ums andere Mal in den Kampf werfen, die ganzen, mit Tesafilm und Uhu zusammengebappten, peinlichen Raketen, Kleinsthubschrauber und düsengetriebene Projektile. Jetzt, wo „Spiegel“, Minister Zimmermann und alle anderen Zeter und Mordio schreien, weil die Jugend droht, vor Videogeräten und Kleinterminals zu verblöden, können wir doch wieder hoffen, auf gute Zeiten, zeichnen sich am Horizont all die Vehikel ab, die man braucht, um sich zu bewegen: „Wanna be the ruler of the galaxy / wanna be the king of the universe / … / wanna be the empress of fashion / wanna be the president of Moscow / … / wanna be the captain of the underground / wanna be the King of the Zahns / Let’s meet and have a baby / Now!“