1. Die Inauguralvorlesung
„In den Diskurs, den ich heute zu halten habe, und in die Diskurse, die ich vielleicht durch Jahre hindurch hier werde halten müssen, hätte ich mich gern verstohlen eingeschlichen. Anstatt das Wort zu ergreifen, wäre ich lieber von ihm umgarnt worden, um jedes Anfangens enthoben zu sein. Ich hätte gewünscht, während meines Sprechens eine Stimme ohne Namen zu vernehmen, die mir immer schon voraus war: ich wäre es dann zufrieden gewesen, an ihre Worte anzuschließen, sie fortzusetzen, mich in ihre Fugen einzunisten…“ Michel Foucault, „Die Ordnung des Diskurses“
Ich hoffe, daß ich in „Spex“ genauso vertraulich mich mit den Lesern aussprechen werde, wie ich es in „Sounds“ konnte. Schreibe ich für andere Zeitschriften, muß ich immer erklären, was ich schon längst weiß, muß ich mich in Wiederholungen ergehen. Mit einem Freund muß man nicht erst Selbstverständliches klären. Kann eine Zeitschrift dein Freund sein, die, wie unlängst der „Stern“, schreibt: „Goya, der bekannte spanische Maler“.
2. Die Gretchenfrage
Sie wurde zum Ableben von „Sounds“ mal wieder erhoben. In „Spex“ stellte sie Gerald Hündgen: Wie hältst du’s mit der Politik? In seinem Text beklagte er das Auseinanderfallen der Pop-Welten in einen Fun-Bereich (Haircut 100, frische Hemden, Fußball und Mickey Maus) und einen verantwortungsvollen Polit-Bereich (Clash, Pershing II, El Salvador). Er sieht den zweiten Bereich vernachlässigt und hat Angst vor „Meta-Kram“, der die Pershing-Gefahr ignoriert. Ich glaube, sein Fehler ist der, daß er, wenn er seine eigene Offenheit für die vermeintlich trivialeren Seiten des Lebens zu belegen, von herumliegenden „Mickey Maus-Heften“ spricht, die er verschlingt, wenn sie nun einmal herumliegen. „Mickey Maus Heft“ ist der in den fünfziger und sechziger Jahren in spießigen, verantwortungsbewußten BRD-Bildungskreisen gebräuchliche Ausdruck für Comic-Heft gewesen. Selbst das Eingeständnis sie heute zu verschlingen, wenn sie nun mal herumliegen, ändert nichts an der Verachtung, die diesem Begriff zugrunde liegt. Die staatsbürgerliche Verantwortung ist wichtiger, jeder ist aufgerufen, an unserem Gemeinwesen mitzuarbeiten. Im Kaufhaus wird nicht gestohlen, sonst wird die Allgemeinheit geschädigt. Politik und Vergnügen treten bei Hündgen als verschiedenwertige Lebensbereiche auf und das bedeutet natürlich „denen ihr Spiel zu spielen“ . An einer Politik mitzuwirken, ob als Demonstrant oder als Bundeskanzler, die von Nachrichtenagenturen und Massenmedien ihren Stoff bezieht, heißt auf den Mediengag „Demokratie“ reinfallen. Dem guten Witz, daß das Mitmachen an der großen Meinungstalkshow, der Welt zugute komme. In Wahrheit heißt hier schon mitmachen sich unterwerfen. Udo Lindenberg im Fernsehen zu Punks: „Öh, euer Nofjutscha-Ding kann ich echt verstehn, Jungs, aber es gibt auch echte Probleme, Nachrüstung, Umweltverschmutzung unnso“ … also das nächste Mal geht bitte zur Wahl und wählt die SPD (oder die CDU oder …) Die Clash auf Platte: „Know your rights“. Die Bots: „Aufstehn“.
Also etwas mehr Sorgfalt und Liebe beim Umgang mit Comics: Die Figur, auf die es ankommt heißt Donald Duck. Die Übersetzerin, auf die es ankommt (jeden zweiten Satz klaue ich von ihr): „Ist die Gegend auch ruhig hier?“ – „Aber ja, Herr Wundermild, nur leises Gesäusel wispert bisweilen im Gezweig“ heißt Erika Fuchs, der Zeichner Carl Barks.
3. Die Antwort
Es ist doch ganz klar. Die Amerikaner bereiten einen Krieg vor. Nicht daß sie ihn unbedingt führen wollen, aber sie halten sich das sehr offen und verlegen schon mal das NATO-Hauptquartier aus der Gefahrenzone. Unser Freund heißt Andropow, der nette alte Mann im Kreml. Der sagt: Nur wer auf die unzerstörbare Macht der Roten Armee vertraut, kann den Frieden sichern. Und er hat recht.
4. Toujours le Computerstaat!
Im „Spiegel“ lese ich: Die östlichen Staaten benützten den Medienapparat als gigantische Propaganda-Maschinerie, die westlichen zur Anästhesierung und Ablenkung der Bevölkerung. Ablenkung wovon? Von dem Fernsehprogramm auf den Straßen? Andy Warhol: Bevor ich angeschossen wurde, dachte ich immer, ich wäre nur zur Hälfte am Leben und würde alles nur wie im Fernsehen wahrnehmen. Nachdem ich angeschossen wurde, wußte ich, daß alles Fernsehen ist.
Die Wahrheit ist: Der Westen benutzt die Medien zu einer universalen semiotischen Vergiftung. Kein Wort, kein Zeichen, auf das man sich noch verlassen kann. Nichts stimmt, nichts ist. Der Osten dagegen lügt ganz einfach nur. Sagt ganz platt die Unwahrheit oder das Gegenteil der Wahrheit und rettet damit sogar noch den Wert der Wahrheit. Das, was der Osten tut, entspricht einem Schienbeintritt, in schweren Fällen, einer Erschießung. Das, was der Westen tut, lebenslanger Psycho-Folter. Im Osten muß man aufstehen und die Wahrheit sagen. Im Westen muß man die Künstlichkeit akzeptieren. Aufhören nach dem Sinn oder dem Dahinter zu suchen und das Gegen-Delirium in Schwung setzen. Voila! L’amour! Le Look Of Love! Le Fantastique Day! Les Femmes! Les Pommes des Lettres!
5. Boy George und Boy Klaus
Zuerst zu Letzterem: es ist zwar mittlerweile in, gegen ihn zu sein, aber da ich hier in „Spex“ schreibe, und dabei die letzte Nummer beim Schreiben vor mir liegt, als Auslöser sozusagen, muß ich noch etwas zu den Klaus Frederking-Sätzen über Boy George sagen, die er in der Einleitung seiner Explainer-Kritik von sich gibt. Voll lustig!
Die Musik von Culture Club ist für die „Transvestieversion“ von Reggae und eine „pfiffige Satire“ und sein Traum ist „Tom Robinson und Peter Tosh brüderlich vereint bei einem Gay-Liberation-Benefiz“. Abgesehen mal von diesem Alptraum und der Unterschätzung von Tom Robinsons Männergeschmack: Es ist doch einfach zu schrill, daß diese Typen immer wissen müssen, wie etwas gemeint sein soll, also entweder „ernst“ oder „satirisch“ was demselben System zuzuordnen ist. Denn das Satirische verweist ja wieder auf die Ebene des „Aährnst“, indem sie ihn umkehrt. An dem Tag, an dem Klaus Frederking den Sinn, nein, DEN SINN, nein, die gigantische Achtkanal-Raumton-Zehnfarb-Dolby-Maxi-Francis-Ford-Coppola-Produktion „SINNN“ mit Richard Burton als ERNST und Dean Martin als SATIRE (also doch nicht ganz ernst, verstehst? Kleiner Freiraum. Jawoll! Es darf gelacht werden! Heute mal, weil’s Satire ist, hoho! Ein schwuler Jude singt Reggae, mein lieber Scholli! Wie issesnunbloßmöglich! In diesem Sinne Gutmannsdörfer! Scheiße mit Reiße!), also wenn er diese permanent eingeschaltete Millionenproduktion, die seinen Geist vernebelt wie nix Gutes, wenn er die mal leiser stellt oder ausblendet oder ausschaltet, an dem Tag schenke ich Wim Wenders eine Flasche Altbier! So wahr ich hier stehe!
Boy George ist aber doch wichtiger, als ich dachte. Letzte Nacht liefen schon drei Mädchen in HH als Girl George herum und im Plattenladen hörte ich neulich folgenden Dialog: Zuhälter: „Was soll ich denn ma kaufen?“ Lulu: „Hier, Culture Club, die singt wie ein Mann, echt, wie ein Mann, aber nicht so tief, sondern ganz normal wie ein Mann!“ Zuhälter: „Die? Das is doch ’n Typ. Das ist doch dieser Verrückte, der neulich im Fernsehen war“. Lulu: „Das denken doch alle, daß das ’n Typ is, das ist aber ’ne Frau. Ich weiß es“.
Inzwischen mag ich Culture Club. „Do You Really Wanna Hurt Me!“ mochte ich schon immer. Als Verliebtenhymne, Saisonschlager. Inzwischen mag ich auch diese ganzen „White Boy“-Texte und Spinnereien, die Fashion-Ideologie, das Küssen-um-clever-zu-sein-Motiv und die neue Single „Time“.
6. Die Lieblingsplatte
Ich sah sie vor einer Woche im Uni-Viertel in einem Uni-Plattenladen: PHILLYBUSTER VOL II, nur 9,90. Doch ich hatte kein Geld. Süße Zuckerstücke waren drauf (teilweise auch genau so tautologisch wie dieser Ausdruck, aber Tautologie war ja in der schwarzen Musik immer etwas anderes als beim Rock’n’Roll. Tautologie im Soul funktioniert wie einfach noch ’ne zusätzliche Streicherspur. Z.B. gestern, beim Wilson Pickett-Konzert in HH brüllte nach wie vor bei jedem Stück der Organist zehn bis zwanzig mal den Namen Wilson Pickett ins Mikro), wie „ Year Of Decision“ und „When Will I See You Again“ (das Marianne Rosenberg-Vorbild) von den Three Degrees, TSOP von MFSB, „For The Love Of Money“ und „Now That We Found Love“ von den O’Jays.
Heute hab’ ich sie gekauft. In einem Uni-Plattenladen kauft niemand Phillybuster Vol II.
7. Demnächst:
Ende der Wintersaison! Nach den Pillenbibis kommen die Erlkönige, erste Exemplare in Hamburg gesichtet! Reisebericht aus Paris! Motto: Maintenant je suis trés fatigué.
