1. Krieg: „Hunde, wollt ihr ewig leben?“
Hätte die Stadt Stalingrad schon während des Zweiten Weltkriegs den Namen getragen, den sie heute trägt, Wolgograd, wäre vermutlich 250 000 Deutschen die Erfahrung des Kessels und der damit verbundene Tod, die Auszehrung und das Verrecken erspart geblieben. Hitler hätte die Schlacht weniger als seinen persönlichen Kampf mit Stalin empfunden und noch im November ’42 den Ausbruch gestattet oder die Russen hätten der rettenden Operation „Wintergewitter“ des General Hoth weniger Widerstand entgegengesetzt oder die 62. Armee der Sowjets hätte kapituliert. Weil aber auch Stalin zur Verteidigung seiner Stadt alle nur erdenklichen strategischen Brain-Trusts anzapfte, Gehirnschmalz und Material ohne Begrenzung in die Schlacht warf und Hitler genau an dem Punkt die Kriegswende aufzwang, an dem dieser sich erfrechte, seinen Namen zu besudeln, kam es, wie es bei anderem Namen nicht kommen mußte. Man sieht: die Welt west vor sich hin, aber die Einschnitte, Brüche und Wenden setzt die Sprache, bis tief hinein nach Rußland in den Winter 42/43.
Und Stalingrad dämmert weiter als superschweres Zeichen in den Erinnerungen der ganz Alten. Wenn es an Festtagen und Jubiläen aus den hinteren Bezirken hervorgeholt wird und die Jungen erreicht, entstehen ganz seltsame Verschiebungen und Kollisionen. Einen Tag nach der Ausstrahlung des Films „Hunde, wollt ihr ewig leben?“ wurde ich geweckt durch zackige Befehle und Durchhalteparolen. Die Kinder auf der Straße herrschten sich an und nannten einander Seydlitz und Paulus. Nationalmythen, ob böse oder gute – wie der Western für die Amerikaner – werden immer zu Kinderspielen. Und daran ist auch nichts „bedenklich“ oder „gefährlich“, wie die Studentenkommune im zweiten Stock meint. Kinderspiele brauchen gute formal-strategische Grundbedingungen, Stalingrad ist eine solche, wie der Postkutschenüberfall im Western. Auch große Kinder spielen gerne „Stalingrad“. Gestern im „Subito“ zum Beispiel: Wir hatten die 62. Drögarmee an die Wand gedrängt, sie mußten sich mit den Flipperautomaten begnügen und wir brauchten nicht mit ihnen zu reden, da kamen von zwei Seiten die schweren Artillerieverbände der beiden kampferprobten Hardcore-Langweiler-Divisionen. Wie sollte da ein Durchbruch zu der jungen, attraktiven, blitzgescheiten XYZ gelingen, mit der man so gerne noch geplaudert hätte? Die Langweilerverbände rückten näher, die Vorräte gingen aus. Die Ju 52s flogen keine neuen Drinks mehr ein. Da stieß in letzter Sekunde, kurz bevor uns die Langweilerarmee zermalmt hätte, die junge XYZ, sozusagen als General Hoth, sozusagen als „Wintergewitter“ von Südwest durch die feindlichen Linien und durchbrach mit unglaublichem Mannesmut den Kessel. Ohne Gefechte bis zum letzten Blutstropfen war der Fluchtweg frei. Sicher erreichten wir die Theke.
Der Film „Hunde, wollt ihr ewig leben?“ war übrigens schwach. Wie kann es ein Film nicht fertigbringen, mich zu rühren, der über sechsstellige Totenzahlen berichtet, wo doch sonst schon der Tod eines Haustieres mich zu Tränen rühren kann (in „Poltergeist“). Er war toll als Film über die 50er Jahre, er war intensiv und gespickt mit Auskünften über diese Jahre und bewies dabei einmal mehr, daß die Nazi-Zeit nicht 1945, sondern 1967 zu Ende ging. Er war gut als Stalingrad-Bebilderung, wenn man im „Spiegel“ den tollen Augstein-Artikel über Stalingrad gelesen hatte.
2. Krieg: „Nie wieder Faschismus!“
Steht doch neulich im „Spiegel“ die SPD hätte sich mit dem zweiten Platz abgefunden und wolle nun auf gar keinen Fall mit den Grünen überhaupt noch reden, ja, es sei noch nicht einmal sicher, ob eine Richtlinienkonferenz die sozialdemokratischen Abgeordneten nicht durch Fraktionszwang daran hindern will, grüne Abgeordnete überhaupt anzusehen. Es sei durchaus so, daß gerade die Arbeiterschaft und in den Gewerkschaften eine beträchtliche Verunsicherung darüber herrsche, ob die Parteispitze gewillt sei weiterhin und so weiter und so fort … toujours, toujours. La Volksfrontneurose.
Hat man sich gerade so halbwegs mit den Sozis wieder angefreundet, ist zu Tränen (aber diesmal wirklich) gerührt von der Verabschiedung Herbert Wehners durch Helmut Schmidts unvergeßliche Worte: „Es ist nicht nur Respekt und Solidarität, was wir für dich empfinden, es ist auch Zuneigung – und, ja – es ist auch Liebe“, hat man sogar dank des „Spiegel“-Portraits und der darin beschriebenen „Kopflastigkeit“ Vogels (was für eine angenehme Eigenschaft in diesem von mulschigen Wabbelgefühlen bestimmten Kohlbonn) den Kanzlerkandidaten liebgewonnen, kommen die Sozis wieder mit ihrer guten alten Volksfrontneurose. Wie 33! „Nein, mit denen wollen wir nicht. Dieser komische Kohl geht schon von allein den Bach runter.“ Sicher, nachdem vorher 6 Millionen der besten jungen Deutschen an fortgesetztem Brechreiz verenden mußten, vielleicht! Ihr doofen Sozis, wollt ihr uns schon wieder sitzen lassen?
Oder ist das ganze eine tolle Taktik? Soll grüne Wähler mobilisieren, damit sie auch ganz bestimmt die Fünf-Prozent-Klausel schaffen und andererseits die rechten Ränder des SPD-Wählerpotentials veranlassen, auch ganz bestimmt den Vogel zu wählen. Und dann nach der Wahl doch verhandeln, nach dem guten alten „Was-schert-mich-mein-Geschwätz-von-gestern“-Grundsatz? Und Petra Kelly als Außenministerin? Und Otto Schilly als Justizminister? Das wäre wunderbar, dann Hut ab, vor dem taktischen Geschick der Sozis.
Aber wenn solche angenehmen Zustände einkehren sollten, machen uns bestimmt die doofen Grünen einen Strich durch die Rechnung, indem sie Udo Lindenberg nach Bonn schicken. Dann wähle ich CSU. Und wenn ich dafür nach München ziehen muß.
3. Krieg: „The Zulu-Nation … they don’t get funky!“
Afrika Bambaata war in Hamburg, der Zulu-Häuptling aus der South Bronx, der legendäre Super-DJ, der seinerzeit aus Bandenkriegen Rap-Partys machte, der verfeindete Stämme zur Zulu-Nation einte, der durch seine „Planet Rock“-Single New Wave/Kraftwerk-Synthis in die Rap/DJ-Kultur einführte und, laut keinem geringeren als George Clinton, den Funk, wie wir ihn kennen zu Grabe getragen habe („The Zulu-Nation, they don’t get funky, the Soul-Sonic-Force, they don’t get funky“), auf daß eine neue Ara beginne, der Clinton mit seiner „Loopzilla“-Orgie persönlich Tribut zollte.
Dieser dicke Häuptling war da, mit zwei Rappern, die teilweise ganz gut in Fahrt waren und die Ladies im schlecht besuchten „House“ „Yeah“ rufen ließen und die anderen „Ho!“ und „Ho! Ho!“ und manchmal auch „Ho! Ho! Ho!“ und uns dazu aufforderten unsere Hände in die Luft zu halten und sie zu bewegen als würden wir „just don’t care“. Na ja, so sehr care ich auch sonst nie über die Bewegung meiner Hände. Sie waren gut und Bambaata mixte nach der neuen, unauffälligen Methode ohne zuviel spektakuläres Scratchscratchscratch, aber irgendwie war es wie bei einer Aufführung des „Urfaust“ in der South Bronx im deutschen Original mit DJ Germania Gründgens als Magic Mephisto und Wild Will Quadflieg als Funky Faust.
4. Frieden: Ich will Gas, ich will Spaß.
Voll lustig. Gu-ut! Du lachst dich schlapp, echt jetzt unso voll Spa-aß! Freitagabend im sogenannten Proll-Palast einem Super-Maxi-Kino am Hamburger Times Square (Gänsemarkt) mit dreiundfünfzig Dub-Schachtel-Kinos und Superprollstopfdrängelschlangen bis zum gegenüberliegenden McDonalds (wo gerade die neue McDonalds Werbestrategie zum Einsatz gekommen ist: Um das Junk-Food-Image abzubauen, hängen jetzt überall edle Weichzeichner-Kleinbürgerkitsch-Fotos, als gelte es einem Neureichen Fondue-Utensilien anzudrehen. Die Fotos zeigen die edlen Bestandteile der McDonalds-Produkte, wie eine BigMäc-Käsescheibe, von Silberbesteck gehalten und darunter steht irgendetwas vertrauenerweckendes in Schreibschrift, das man von weitem nicht lesen kann, das aber so aussieht wie: „Seit 500 Jahren wird in der Provence nach alten Rezepten, die nur vom Vater auf den ältesten Sohn mündlich überliefert werden der BigMäc hergestellt. Nur feinste Gummibrötchen, wie sie nur in diesem einen Tal der Provence wachsen, kommen für die Zubereitung in Frage. Und so weiter. Dann wird das ganze vermittels eines geölten Blitzes gehärtet und fertig ist die Melange.“)
Im Prollpalast also auf den letzten freien Plätzen im 1500-Grad-Winkel zur Leinwand, sahen wir „Ich will Gas“ mit Markus und Nena. Nena ist 60 Minuten lang ein gutes Pillenbibi, quietscht und nöhlt und zappelt und kann – klassische Pillenbibi-Tugend – nicht stillsitzen oder -stehen. Dann fängt sie an höllisch zu nerven, weil sie nicht stillstehen kann und nur nöhlt und quietscht. Markus ist der subtile Drömel, als den wir ihn kennen, fällt nicht weiter auf. Karl Dall in dreiundzwanzig Nebenrollen ständig präsent, ist super, allein das Geld wert. Eben jemand, der wirklich blöde Witze erzählen darf. Und der zum Teil sogar gute Witze weiß: wenn er zum Beispiel als italienischer Schaffner nach einer Tirade italienischer Klischee-Sätze „e pericoloso sporgersi“ einflicht. Sieger dieses Kalmauks für alle Freunde des saftig-reinen Proll-Spaß, denen wahrscheinlich schon der Glaube daran vergangen ist, es gäbe in Deutschland noch echten Tollpatsch-Twatsch-Spaßland-Humor, ist jedoch Regisseur Wolfgang Büld selber, der in einer Cameo-Appearance als Wüstling im Walde Nena an die Wäsche will und auf ihre ungemein intelligente Bemerkung „Sie sehen gar nicht aus wie ein Förster“ antwortet: „Bin ich auch nicht. Eigentlich bin ich gelernter Barkeeper. Natur? Bäh! Ich liebe verräucherte Discotheken. Aber das Arbeitsamt hat mich hierher geschickt.“ Leider trübt die bis auf die beiden Titelsongs („Ich will Gas“ und „Nur geträumt“) durchweg scheußliche Musik (auch scheußlich anzusehen, wie sie sich einen abquälen mit Singen, die beiden Spaßvögel) die Freude an diesem derben Meisterwerk.
5. Frieden: Was uns gefallen hat, weiter so!
Wie die Stranglers, die früher mal geniale Texte schrieben („Man killed by industry / man killed by luxury / man killed by falling tree / Give me a piece of my mummy, she was quite good to me“ – das klassische Beispiel, das schon Oehlen/Büttner in „Die Verbesserung der Jugend durch Rockmusik“ zitierten) trotz extrem dummer Texte eine sehr gute, abseitige Platte gemacht haben: mit all ihrem Europa-Kultur-Unsinn mit ihren netten Doors-Imitaten, die die bierernsten echten Doors bei weitem überholen, mit ihren cleveren, nett gedachten Melodien. Wie aus verquälten alten Männern die reine Freude und Unschuld spricht. In „Paradise“, dem besten Song der LP kann man hören: Stranglers, wie sie Doraus und Marinas spielen mit Jean Jaques Burnel als Dorau.
6. Krieg: Was wir nicht mehr ertragen können!
Randy Newman, diesen pfiffigen Schlauberger aus L.A. Ich habe ihn immer immer gemocht, immer die Stange gehalten, obwohl ich mir dabei immer schon etwas bildungsbürgerlich vorkam. Aber daß ich jetzt überall lesen muß, seine – na ja, ganz pfiffigen Texte hätten versteckte Bedeutungen (was immer das sein soll: Bedeutung, ich zähl bis hundert, geh’ versteck’ dich! – Aber wo denn? – Versuch’s da drüben bei dem unüberschaubaren Relativsatz! – Aber die ganzen Randy-Newman-Exegeten werden mich mit Bluthunden jagen! – Tja, das ist nun mal dein Schicksal, arme Bedeutung, wärst du doch bei den „Tagesthemen“ geblieben!).
Und dazu hundertundeins Fotos von seinem ewig gleichen Woody Allen-Gesicht. Ich habe gewiß nichts gegen New Yorker Juden, einige meiner besten Freunde … lassen wir den Unsinn! Schafft mir Randy Newman aus den Augen, dann kann ich auch seine alten Platten, besonders die hervorragende erste, aus der Van Dyke Parks-Schule, und die wunderbare „Nilsson sings Newman“ behalten.
