„Sitting at home … watching the Late late show
I’m down to seeds and stems again too…“
Commander Cody and his Lost Planet Airmen, „Down to Seeds and Stems Again Blues“
Charlie Parker starb, während er über einen Witz in einer Fernsehshow lachte.
Der Schalker Tüfekci war in der letzten Saison eine erfreuliche Erweiterung der notorischen, vereinstypischen Galerie markanter Charaktere. Er war nicht nur Türke und gut, er hieß auch mit Vornamen Ilyas. Da jedoch sein deutscher Verein Schalke 04 in letzter Sekunde doch seinen Abschied von der leistungsstarken, in aller Welt gerühmten ersten deutschen Fußballiga nehmen mußte, zog es den originellen Osmanen in seine Heimat und er unterschrieb bei der traditionsreichen Mannschaft mit dem onomatopoetischen Namen: Fehnerbace Istanbul. Seiner Freundin ebenfalls vom Bosporus stammend, gefiel das Leben in der Türkei nicht. Sie wollte in Gelsenkirchen bleiben. Tüfekci – welche Gründe ihn auch immer dazu bewogen haben mögen, den Verein der festentschlossenen Freundin vorzuziehen, – ging dennoch. Seine Verlobte nahm sich das Leben.
Neulich konnte man im Fernsehen erleben, wie Stan Libuda, Außenstürmergenie vergangener Tage, Architekt des 5:2 über Bulgarien, damals in der Höhenluft von Léon, mit der rührenden Direktheit des Ruhrgebiet-Fußballers, der Kamera, die ihn in der Nähe irgendeines städtischen Tümpels zwischen Trauerweiden postiert hatte, anvertraute, wie er noch heute unter dem Bundesliga-Skandal und dessen verheerenden Folgen für ihn und seine Karriere leiden müßte. „Ich hätte schon gern noch ein paar Länderspielchen mitgemacht“, schnüffelte er. Es war so traurig.
Vicki Morgan war, soweit ich weiß, mehr als ein Jahrzehnt die Geliebte des Alfred Bloomingdale, großer, reicher, perverser, amerikanischer Kaufhaus-Millionär und Reagan-Intimus. Nach dessen Tod behauptete Vicki, Alfred von Perversionen „geheilt“ und manches mehr getan zu haben, das sie berechtige einen nicht unerheblichen Teil der erheblichen Hinterlassenschaften einzustreichen. Die Nation zeigte mit dem Finger auf die Hure und sie verlor den Prozeß. Jetzt verlor sie das Leben. Ausgerechnet sie, über die kübelweise Unrat geschüttet wurde, ausgerechnet sie wird von einem Einbrecher, der sie nicht vergewaltigen wollte, sondern nur den Rest ihrer Habe rauben wollte, umgebracht.
In Detroit hat man übrigens jetzt eine nächtliche Ausgangssperre für Jugendliche verhängt und das mit der aufs Unerträglichste angewachsenen Jugendkriminalität begründet. Das deutsche Jugendschutzgesetz will die Jugend vor der Welt schützen, in Detroit wird die Welt vor der Jugend geschützt.
In wenigen Zeilen melden die Tageszeitungen tödliche Unfälle junger Menschen. Drei kurze Sätze, Vorname des Opfers, Initial des Nachnamens, Klammer auf, Altersangabe, Klammer zu. Drei Tage später erscheint in der Regel die Todesanzeige der Familie und man kann sehen, ob es arm oder reich, das einzige Kind oder eines aus einer großen Schar getroffen hat, sich dabei ertappend, wie man denn doch immer wieder nach einer Systematik im Schöpfungsplan forscht.
Es wird über kurz oder lang, früh oder spät, doch dazu kommen, daß sie alle wieder den Blues singen. Wenn den Menschen alle Verteidigungsmöglichkeiten, alle Waffen genommen sind, beginnen sie sich mit der Niederlage abzufinden und diesen Zustand festzuschreiben, indem sie ihn benennen, besingen. Positive Punk und was drumherum geschieht ist bereits Blues. Echo ist es auch, FB 3 nicht. Oft ist es auch noch der pubertäre, unwichtige persönliche Dinge zu ernst nehmende Blues, aber in ihm ist bereits der nächste große allgemeine Blues angelegt: der verständliche, vielleicht sogar berechtigte, vielleicht sogar aus Erholungspausen- und Zeitgeistgründen notwendige, wenn auch strategisch falsche Blues. Es wird noch vor Ablauf des Jahres eine großartige, aktuelle Blues-Platte geben. Vielleicht von Pete Wylies Wah!
„The Story Of The Blues“ war noch keine Blues-Platte. Es war eine Platte, die sich euphorisch gab, darüber einen neuen Begriff ins Gemenge geworfen zu haben, eine Schritt-nach-vorne-, eine Appell-an-alle-Platte. Großartig und voller dummer, rührender Sätze, in denen sich die Fähigkeit zum großen Blues abzeichnete. „Too many small time philosophers“ werden beklagt. Gibt es Angenehmeres als „small time philosophers“?
Blues ist nicht die einfache große Traurigkeit mit einem kathartischen Höhepunkt. Blues ist das Eingestehen des Nichtweiterwissens als chronische Krankheit. Blues war immer da, behaupten seine Apologeten. Blues sei zeitlos, habe mit der conditio humana zu tun. Und sie haben recht: Blues ist immer da. Aber man sieht ihn nur, wenn sonst nichts los ist. Wenn sich alle nur noch seufzend fallen lassen, weil ihnen die Talente abhanden gekommen sind. Wenn sie vergessen, daß es keine MENSCHEN gibt sondern nur historische, artifizielle Modelle, wenn sie das Geschichtslose, also Irreale, den Körper, seine Vergänglichkeit, den Tod für real zu halten beginnen und das Geschichtliche, die Welt, für irreal, hoffärtig und nichtig, Blues ist die Hölle, aber wir müssen da durch und es wäre abgeschmackt das zu tarnen, indem wir Wörter wie „Soul“ oder „Punk“ bemühen, um diese Talsohle zu veredeln. Blues ist nicht James Browns „It’s a Man’s Man’s World“ oder ein großartiger, einfacher, trauriger John Ford-Film. Mit den Tränen über das Unglück vermischt sich die Kraft zu Neuem, zum Aufstehen und Das-Haus-verlassen.
Blues ist eher sowas: Würde mich einer fragen, was Peter Zadek machen würde, wenn er „Figaros Hochzeit“ inszenieren tät, würde ich sagen, er würde den Figaro sagen lassen, er habe „keinen Bock auf seine Frau“. Wenn man das Fernsehen anstellt, ist Peter Zadek im Bild und albern kostümierte Figuren laufen rum und ein schmunzelnder Reporter meint „der unkonventionelle“ Regisseur, würde Figaro sagen lassen, er hätte keinen Bock auf seine Frau. Wenn man mich fragen würde, was wohl Peter W. Jansen über den neuen „Psycho II“ denken würde, würde ich sagen, er hält ihn für unsubtil und roh und würde von Hitchcocks Subtilität schwärmen. Wenn man dann das Fernsehen anstellt, sitzt da Peter W. Jansen und ihr alle wißt, was er sagt. Und Rebecca Horn tritt auf und wieder einmal sieht man das, was zur Zeit wirklich die Herrschaft angetreten hat: Die perfekte Scheiße, die in ihrer Beschissenheit und Widerwärtigkeit so perfekt, so unangreifbar perfekt-beschissen ist, so monolithisch verkotet, so monumental verexkrementet, daß sie einem Respekt abnötigt, den Blues in einem gedeihen läßt. Perfekte FRAUENKUNST, perfektes ZADEKBÜRGERSCHRECKMACHTMITDENKLASSIKERNWASERWILLTHEATER.
Der Retter ist dann unvermutet jemand wie Franz Josef Strauß, der beim alljährlichen CSU-Parteitag-Preview-Besäufnis eine so glänzend besoffene Rede hält, dessen purstes, ungetrübtes, von mildem Alterswahnsinn dynamisiertes Delirium („Ich bin der König von Bayern“ … „Dann flüchte ich in die Demokratische Republik Tschechoslowakei und werde gleich nach Polen ausgeliefert und von da aus an Honecker weitergereicht“) vom ZDF gnadenlos und unkommentiert übertragen wird, so daß es nicht nur im CSU-Saufkeller erschrocken still wird. Da dreht einer durch, da zeigt einer was, da geht etwas total gnadenlos den Bach runter, Zack und Zong und Glucks.
