„Je ne suis pas marxiste“, Karl Marx
„I’m not a crook“, Richard Nixon
Es ist nichts als ein dummes, psychologisches Klischee, daß diejenigen Künstler, die sich einer besonders martialischen Kunst befleißigen, durchweg die zartesten und nettesten, während die, die viel vom Frieden reden, pathologische Arschlöcher sind, aber bei Laibach hat das noch ein physiognomische Komponente: dieses stets äusserst laute, sich ausschließlich über streng choreographierte, militärisch anmutende Gesten mitteilende Ensemble besteht aus Jungs, denen man eher das Schreiben von Elegien auf Schweizer Schlössern und das Verführen von Dichter-Gattinnen in französischen Kathedralen zutraut, als das strenge, allumfassende künstlerisch-politisch-sozial-nationale Gesamtkunstwerk Sloweniens zu entwerfen und seit gut fünf Jahren mit Beharrlichkeit durchzusetzen.
Ich sage dies nicht, weil ich glaube, daß die Analyse der Künstlerpersöhnlichkeit beim Verstehen von Kunst grundsätzlich hilfreich ist, ich sage das, um zu betonen, das alle Härte, Konturiertheit, alle Abgrenzungen und Kraftakte dieses Kollektivs nichts mit Kraftmeierei zu tun haben, dem oft natürlich angeborenen Imponiergehabe des normalen, euch allen bekannten Kneipenkünstlers von nebenan, sondern zutiefst beabsichtigt und durchdacht sind.
Der Intellektuelle und die Macht
Der Regelfall seit gut 200 Jahren ist der Künstler als ewig Oppositioneller, so will es die Tradition der Aufklärung. Es spielt keine Rolle, in welchem System er lebt, er ist dagegen. Er trinkt Wein, lässt fünfe grade sein und ist der Gegner der jeweiligen Verwalter der Macht. Ist er ein intellektueller Künstler, denkt er sich vielleicht alternative Anwendungen von Macht aus und begründet darauf seine Dissidenz. Er wird selten die Gelegenheit haben, sie in die Tat umzusetzen. Es gibt nur eine historische Situation, wo Intellektuelle zur Macht gelangt sind: die Oktoberrevolution. Es gibt eine andere, in der Künstler zwar nicht zur realen Macht, aber zur hemmungslosen Gestaltung eines Staatsapparates zugelassen worden sind: der deutsche und der italienische Faschismus. Diese historischen Ergebnisse sind das Untersuchungsgebiet von Laibach, betrachtet unter dem besonderen Blickwinkel ihrer Situation als Slowenen, die in einer Teilrepublik des sozialistischen Jugoslawien auf eine Vergangenheit unter deutsch-österreichischer Herrschaft und auf die unmittelbare Nachbarschaft und ebenfalls zeitweilige Herrschaft Italiens zurückblicken.
Laibach interessiert (wie sie mir in der mit mir geführten „Diskussion“ in Brüssel erklären) die Spaltung Europas, die Stärkung der europäischen Kultur und Zivilisation angesichts einer anglo-amerikanischen Übermacht gerade auch in der Pop-Musik. Sie sind über den Westen informiert, den sie aber von einem Osten aus zu betrachten das Privileg haben, über dessen Geistesleben der Westen nicht informiert ist.
Der dritte Weg
Gemeint ist nicht Tito (jedenfalls nicht von mir, Laibach zitieren ihn, aber auch Jaruzelski in ihren Songs), gemeint ist ein Verhalten, das die Verantwortung des intellektuellen Künstlers, eine andere Haltung zu finden als die des anarchoid-dissidierenden, ewigen Bohemiens oder die des, möglicherweise aufmunternd kritischen, aber eben vor allem, Staatskünstlers, aufgreift. Dies ist bei Laibach schon deswegen interessant, weil sie der erste östliche Kulturexport sind, der sich nicht mit der vom Westen bereitwillig angebotenen Dissidentenrolle zufrieden gibt. Sie sind der erste östliche Kulturexport, der sich im Westen Faschismus-Vorwürfe anhören muß, während der Gruppe in Jugoslawien eine konfuse Vielfalt von Reaktionen entgegengebracht wird, vom teilweisen Verbot bis zu tiefschürfenden Interpretationen, von willkürlichen Teilzensurmaßnahmen bis zur erwogenen offiziellen Vertretung Jugoslawiens bei der Biennale in Venedig durch eine Künstlergruppe aus der Bewegung „Neue Slowenische Kunst“, zu der auch der musikalische wie der Bildende-Kunst-Flügel von Laibach gehören.
Der Sozialismus ist die einzige Idee von Intellektuellen, die je realisiert worden ist, auch wenn mir der trotzkistische Flügel vorhalten wird, daß diese Idee eigentlich auch nie realisiert worden ist, so bleibt doch die Verantwortung des Künstlers, sich allen Ausformungen dieser Idee, und wenn in ihrem Namen bloß ein „Sozialfaschismus“, ein „Staatskapitalismus“ oder was wir sonst in den maoistischen Parteien an Vokabeln für die Sowjetunion gelernt haben, errichtet worden ist, gegenüber anders zu verhalten als gegenüber dem kapitalistischen Business-as-usual. Seltsamerweise findet man diesen Ur-Respekt bei den vermeintlichen Opfern des Sozialismus im Osten in letzter Zeit häufiger als bei den ewigen Hippie-Oppositionellen im Westen, die, wie man recht aufschlußreich und erschreckend in dem neulich von der „Zeit“ gedruckten Gespräch zwischen Glucksmann und Joschka Fischer nachlesen konnte, vollends ihren Frieden mit dem Westen gemacht haben (und zwar als „kleinerem Übel“, also formal noch vom linken Revisionismus geprägt). Trotz aller Verbrechen, die im Namen des Sozialismus begangen worden sind, ist es für einen Nationalisten aus einem osteuropäischen Land, gerade auch einen, der unter seiner Variante des realen Sozialismus gelitten haben mag, eine Sache des Respekts für die Anstrengungen, die sein Volk im Namen dieser Idee, auch immer wieder gegen falsche Freunde in Moskau und anderswo, unternommen hat, den Sozialismus nicht einfach im Namen eines postmodernen Rien-ne-va-plus abzuschreiben.
Dies ist eine Beobachtung, die ich in letzter Zeit öfter gemacht habe, es ist aber eher meine Vorstellung einer neuen Kunst aus dem Osten, Laibach sagen zwar, daß sie in bezug auf ihren Staat eine positive Botschaft anzubieten hätten, daß sie sich nicht als jugoslawische Dissidenten verstehen wollen, aber ihre kulturgeschichtliche Besonderheit weder Dissidenten noch Staatskünstler in einem sozialistischen Land scheint für sie nur eine äußerliche Begleiterscheinung, wenn auch eine notwendige, ihrer Kunst, für welche sie einen umfassenderen Anspruch formulieren.
Die schweren Zeichen
Es gibt in der neueren deutschen Kunst die Tradition, die Frage der Möglichkeit von Inhalt durch die Verwendung von Zeichen größtmöglicher Inhaltlichkeit zu untersuchen, sei es bei Anselm Kiefer und seinen stummen Führungen durch Schlachtfelder und Ruinen der Geistesgeschichte, sei es bei Immendorff, der die leeren, schweren Zeichen der deutschen Teilung abarbeitet (Brandenburger Tor etc.), sei es bei Albert Oehlen, der Hitler in den drei Grundfarben portraitiert hat und der holländischen Zeitschrift „Metropolis M“ dazu erklärt: „Hitler ist ein beladener Begriff. Ich weiß, daß ich ihn mit gelben Haaren, einem roten Gesicht und einem blauen Schnäuzer nicht verherrliche, ich weiß, daß ich ihn auf diese Art aber auch nicht kritisieren kann. Und ich weiß, daß ich ihn nicht wiedergeben kann, wie er wirklich war. Das ist allemal ausgeschlossen … aber ich habe ein Maximum an Inhalt.“
Die Arbeit mit dem Krassesten ist noch immer die zuverlässigste Methode, um sich und seine Kunst zu überprüfen. Da das Thema der Gruppe Laibach der Zusammenhang zwichen Kunst und Ideologie ist, ist es nur logisch, daß sie ihre Ideen am Krassesten abarbeiten, das ihnen zur Verfügung steht. Sei es ihr Bild vom „Arbeiter“, irgendwo zwischen Stalin und Ernst Jünger, sei es ihre romantische Beschwörung einer in jedem Sinne des Wortes Schwerindustrie – sie weisen darauf hin, daß die Industrialisierung Sloweniens in etwa der Frankreichs der 50er Jahre entspricht –, seien es all die heroischen Posen, Statuetten, Holzschnitte, die ihnen, in einigen deutschen Großstädten zumindest, die Ankündigung der ortsansässigen Anarcho-Szene eingebracht hatten, gegen ihre Konzerte vorzugehen.
Wenn man sich in das Bezugssystem begibt, wo Verdächtigungen sich als ideologische Zuordnungen ausgeben und umgekehrt, hat man heutzutage, wo diese reaktionären gedankenpolizeilichen Maßnahmen gar nicht mehr nötig sind, weil es so etwas wie gefährliches Denken für die zeitgenössischen Staatswesen gar nicht mehr gibt, schon einen Erfolg erzielt, man hat zumindest die Erinnerung an Ideen wachgerufen, die gefährlich waren, weil sie verwirklicht werden wollten.
Meine alte Idee von Laibach ging ungefähr so: In Jugoslawien, dem relativ pluralistischsten Land der östlichen Hemisphäre, spürt man am genauesten, welchen nivellierenden Vernichtungsfallen der Pluralismus birgt, daher entsteht hier natürlich zuerst das Arbeiten-mit-Totalitarismus-aus-strategischen-Gründen, ein Abweichen von den subjektiv wie stark auch immer berechtigten Dissidenten-Strategien, die nicht der Verbesserung der Lage im eigenen Land helfen, sondern dem Feind in die Hände arbeiten. Eine nichtdissidente nationalistisch-solidarische Kunst, wie man sie etwa auch in den Filmen Gabor Bodys studieren kann, der die ungarische Geschichte in ähnlicher Weise benutzte wie Laibach die slowenische.
Natürlich ist diese Idee nur ein Rahmen, nicht das Wesen dieser Kunst. Im Laufe des Gesprächs kommen wir dann tatsächlich auf die „schweren Zeichen“ zu sprechen, der Name Kiefers fällt, dessen „Haus der deutschen Kunst“ auf dem Cover der letzten Laibach-LP „Nova Akropola“ den Hintergrund für das Laibach-Geweih bildet. Laibach sagen, daß ihre Kunst eher von der Leere der („schweren“) Zeichen handelt, und mir wird klar, daß sie, ähnlich wie Body, bereits von einem Europa ausgehen, das über einen gemeinsamen geschichtlichen Vorrat verfügt, ein gemeinsames Wissen, daß sie gerade durch die Betonung der nationalen Besonderheiten die Problematik der Dissidenz überschreiten. Der Sozialismus ist eine (die) europäische Idee. London. Moskau.
Trans-Europ-Express
Aus gegebenem Anlass distanzieren sich die Mitglieder von Laibach von Industrial-Bands wie SPK oder Throbbing Gristle. William Burroushs sei bei Bowie schon sehr viel früher im Pop-Zusammenhang repräsentiert worden, und der international-postmoderne Theorie-Überbau von SPK sei auch nicht ihre Sache. Logischerweise lehnen sie alle Relativierungen von Kunst ab: Psychologisierungen, Humor, Ironie. Sie freuen sich über intensive Reaktionen, egal ob der Reagierende sie richtig oder falsch versteht. Andererseits schätzen sie z. B. John Heartfield und Hans Haacke. Immer wieder fällt der Name Kraftwerk. Klar, daß Kraftwerk die Utopie einer europäischen Pop-Kultur, die sich aus dem Klammergriff der anglo-amerikanischen Befindlichkeiten befreit, näher erscheinen ließ als irgendeine andere Band. Möglich auch, daß Laibach ihre rechtmäßigen und in mancher Hinsicht globaleren Erben sind. „Nova Akropola“ reflektiert mit den modernsten technischen Mitteln eine Fülle europäischer Musik, von russischer E-Musik bis zu John Barrys James-Bond-Verfolgungsjagden, es ist eine totalitäre Musik, die sich von der narrativen Tradition des anglo-amerikanischen Pop absetzt, die wie Kraftwerk, zeitweilig auch Bowie, aber auch Pink Floyd ein Gesamterlebnis erzwingen will (Laibach weisen mich darauf hin, daß sie den Begriff „Totalitarismus“ möglicherweise anders verstehen als ich, und bieten mir das Paradoxon „pluralistischer Totalitarismus“ an). Ich sage, daß mich der flüchtig beiseite geheulte Satz von den „too many highways, too many tears“ eines Jeffrey Lee Pierce mehr bewegt als die gute Ausführung guter Ideen. Dieses Bewegtsein wäre für Laibach unzulässige Romantik. Ich sage, daß der sich selbst bekämpfende Romantiker, so er einen Willen hat und denken kann, durch seine individualistische Verzweiflung das Elend des Individuellen möglicherweise wirksamer transzendieren kann als der vollendete Planer der richtigen Ideen der Menschheit. Letztendlich reden wir uns bei der Frage fest, ob Künstler wissen, was sie tun, ob gute Kunst von guten Leuten gemacht wird und ob gute Leute gute Kunst machen können. In der Pop-Musik entstehen gute Sachen unfreiwillig, in der bildenden Kunst wissen die Leute in der Regel, was sie tun. Aber warum nicht Pop wie Kunst oder umgekehrt? Wir kommen zu keiner Einigung, und mal wieder fällt mir nur ein Bild aus der Kriminalistik ein. Die Kriminalistik hilft immer. Wer einen Mörder kennenlernt, erwartet ein widerwärtiges verworfenes Wesen. In dem Moment, wo er erkennt, daß auch der Mörder ein Mensch ist, verliebt er sich (siehe die vielen Krankenschwestern, die Kindermörder heiraten, siehe Norman Mailer). Wer einen guten Künstler kennenlernt, trifft einen umgekehrten Delinquenten und ist natürlich entsetzt und abgestoßen von der Menschlichkeit des Gottes. Laibach bemühen sich fraglos um die Ehre eines Leonardos, an dessen Kindheitserinnerungen sich kein Freud vergehen konnte.
Am späten Abend, lange nach der „Diskussion“, räume ich ein, daß Kraftwerk sehr gut sind, aber die Menschen hinter Kraftwerk blöde Buddhisten. Mein Gesprächspartner aus Slowenien stutzt kurz und antwortet dann, daß auch Nietzsche dem Buddhismus ein paar gute Aspekte abgewonnen hätte. Borges sagt, daß der Buddhismus eine Erfindung der deutschen Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts sei.
Marx und Nietzsche
Hier ein Vorschlag für die endgültige Versöhnung der unversöhnlichen Philosophen. Der Marxismus ist die Idee von der Verwirklichung der als richtig erkannten Idee. Ihn aufzugeben, hieße die Verwirklichung von Ideen überhaupt aufzugeben. Verwirklichung aber ist etwas Grausames, das wir gewohnt sind, Gott vorzubehalten. Wer sich an die Verwirklichung macht, wird zum Übermenschen, er begeht die Grausamkeiten, von deren Notwendigkeit Nietzsche spricht.

