Lola

1954 war es geschafft: Deutschland wurde Fußball-Weltmeister und hatte damit sämtliche Erschütterungen des nationalen Selbstwertgefühls für’s erste kompensiert. Mit Herbert Zimmermanns ekstatischer Radioreportage endete „Die Ehe der Maria Braun“. Während Deutschland jubelte und zitterte, vollendete sich Marias Tragödie.

Vier Jahre später endet „Lola“. Juskowiak wird im Halbfinalspiel gegen Schweden beim Stande von 1:0 für die Deutschen des Feldes verwiesen. Schweden siegt später 3:1 vor eigenem Publikum. Deutsche rächen sich später, indem sie schwedischen Urlaubern die Reifen aufschlitzen und dann, noch später bei der Qualifikation zur WM in England durch ein triumphales 2:1 in Stockholm. Die Heldin von „Lola“ erlebt keine Tragödie. Am Ende des Films steht sie am Ziel ihrer Wünsche. Die Bordell-Sängerin und Geliebte des lokalen Baulöwen (Mario Adorf als brillante Charaktersau) mit dem „schönsten Arsch der westlichen Verteidigungsgemeinschaft“ hat alle Vehikel zum gesellschaftlichen Aufstieg genutzt, und während der moralische Verfall der Wirtschaftswunder-Gesellschaft in der Radio-Reportage durch den Sünder Juskowiak („Völlig unverständlich die Entscheidung des Schiedsrichters“, sagt Zimmermann) versinnbildlicht wird, kann sich Lola (Barbara Sukowa) von der offiziellen Ehefrau des Baulöwen bestätigen lassen, „dazu zu gehören“.

Das war es, was sie von Anfang an wollte. Ihren Weg säumen dabei ein Idealist und Wiederbewaffungsgegner, den sie „Spinner“ tituliert und erklärt, nicht die Abwesenheit von Moral oder die Korruption stören sie, sondern daß sie dabei nicht richtig mitmachen darf. Als Vehikel zum Aufstieg nutzt sie auch eine ergreifende Liebesgeschichte mit dem neuen Baudezernenten, einem rührenden klugen und unschuldigen Mann, dem eigentlichen Helden der Geschichte, der sich wie Professor Unrat in ein leichtes Mädchen verliebt. Als er feststellt, daß sie die Geliebte Adorfs und eine Hure ist, dreht er durch, überholt seinen Bakunin-lesenden Assistenten links, schließt sich den stets zu allen möglichen und unmöglichen Anlässen wie Brecht-Figuren in der Gegend herumstehenden Demonstranten an und torpediert kraft seines Amtes zeitweilig die kapitalistische Expansion. Bis Adorf die Notbremse zieht und ihm Lola als Ehefrau überläßt. Der integre Baudezernent wird gebrochen, Lola bleibt die Geliebte Adorfs. Nach der Hochzeit mit dem Dezernenten sagt sie zynisch zu Adorf: „Mit Brautschleier kostet extra“. Und der Idealist wechselt in das Lager des Kapitals. Auch er ist käuflich. Nur die Rüstungsgegner bleiben als lächerliche Staffage hinter ihren Transparenten stehen. Immer gleich und ewig folgenlos.

„Lola“ ist ein Film, dessen Kapitalismuskritik unmittelbar ins Herz trifft, der emotionale Intensitäten auslöst wie Fassbinders beste Werke („Satansbraten“, „In einem Jahr mit dreizehn Monden“), sich aber dennoch der kommerziellen Filmsprache bedient, die seine letzten Filme bestimmt haben. Wie in den meisten seiner Filme illustriert Fassbinder das tragische Scheitern an der bürgerlichen Gesellschaft in durchgehend lustvollen Bildern, mit geschliffenen zitierfähigen Dialogen. Der Luxus der Bilder steht den kämpferischen intensiven Schauspielern gegenüber, läßt sie elegant im Spinnennetz strampeln und schließlich moralisch verrecken.

„Lola“ läßt einmal mehr beobachten, daß Fassbinder über die Gabe verfügt, jeden noch so abgewichsten Fernsehspiel-Chargen in eine Fassbinder-Figur umzuwandeln. Und Adorf, der großartigste von allen, ist in diesem Film stellenweise Kurt Raabs genial-maniriertem Overacting näher als seiner eigenen Macho-Persona. Die Kulissen, vom Fassbinder Intimus Harry Baer mitgestaltet, wirken am Anfang vielleicht zu aufdringlich. Wenn man sich darauf einläßt, begreift man den Sinn der allgegenwärtigen 50er-Jahre-Symbole, der Penetranz, in jedem Bildausschnitt mindestens eine Nierenform zu zeigen und die Hintergrundmusik ständig über „Am Tag als der Regen kam“ phantasieren zu lassen.

Ein vollkommener Film, einzig ein paar Schrei- und Emotionsszenen im Bordell nerven und durchbrechen die stilistische Einheit. Und etwas frauenfeindlich ist die ganze Story auch. Blame it on Heinrich Mann!