Mania D. – Reise ans Ende der Nacht

Und wieder treibt mich der Beruf in eine dieser Städte, von denen „bleiben wird, der durch sie hindurchging: der Wind“ (Brecht). Unangenehm quietscht das Wasser der frischen Pfützen in meinen Plastiksandalen. Die weggeworfene französische Zigarette löst sich im Wasser des Rinnsteins in ihre Bestandteile auf. Eine kleine braune Spur im Schmutzwasser entsteht. Ich winke ein Taxi.

Denn nach einer Filmwelturaufführung, einer Ausstellung und einem Konzert war um zwei Uhr nachts noch ein Interview mit Mania D. angesagt, besagter Kult-Band, deren Lob die widersprüchlichsten Zeitgenossen singen. Leider hatte ich die genaue Adresse der Kneipe vergessen, in der wir uns treffen wollten. „Guten Abend, ich möchte…“ „Mojen“, entgegnete mir der dunkle, große Mann am Steuer, mit einem moralisierenden Unterton, der mir bedeuten soll, daß Mitternacht vorbei sei, ich mich immer noch vergnüge und er arbeite. Viele Taxifahrer machen das. „Nottebohmstraße, bitte!“. „Ham wa nich!“ „Ja so ähnlich vielleicht, Nollenbekkanal, gibts das?“ Gab es auch nicht, und wir einigten uns schließlich darauf, zum Metropol zu fahren, von wo das leicht zu finden sei.

Nach einigen Saunas, Clubs und diversen die-jungen-Leute -solln-doch-nach-drüben-gehn-wenns-ihnen-hier-nich-paßt-die-sind-aber-schnell-wieder-da-solls-ma-sehen-Kneipen blieb nur noch ein Lokal übrig. Da! Vier Mädchen an einem Tisch! „Den Cassetten-Recorder kannst du wegstecken. Wir geben heute kein Interview mehr! Morgen vielleicht. Wir können ja so ein bißchen reden.“

Blenden wir noch mal ein paar Stunden zurück: In einer Galerie treten Gudrun, die Schlagzeugerin, und Bettina, die Saxofonistin, zusammen mit Frieder Butzmann (Liebesgier, Waschsalon-Single, etc.) auf. Sie machen eine Musik, die ich mir schon immer gewünscht hab’, seit ich das erstemal das Peter Brötzmann-Trio gesehen hab’. Die beiden Saxofonisten wandern durch die Räume, verwirren das Publikum. Bettina trägt eine dunkle Sonnenbrille, und die anwesenden Künstler können nicht genau sehen, wo sie hinsieht. Und Frieder trägt so eine seltsame Glitzerjacke. Es ist wirklich völlig unmöglich, sich ein Bild anzusehen, wenn von hinten ein Saxofonist oder eine Saxofonistin kommt und alle subtilen Gefüge im Hirn der Betrachter wegbläst.

Puh! Puht!

Und Gudrun sitzt weit weg im andern Raum und spielt nicht wie Han Bennink, der einmalige elegante Wüterich aus den Brötzmann-Bands, sondern viel zeitgemäßer, so wie im Jahre 2000 eine Rhythmusmaschine klingen wird, die man zwanzig Jahre in einem Armeemuseum hat stehen lassen und dann wieder anwirft. Das war eine so reine und gute schlackenlose Musik, wahrhaftig eine Kur für das Hirn, raus mit dem Müll, 3 x täglich.

Aber das war natürlich nicht Mania D., sondern eine Nebenorganisation oder Session.

Die drei, die da sitzen, machen irgendwie einen geknickten Eindruck. Bettina hat keine Sonnenbrille mehr und Beate hat sich die Haare geschnitten (was Kiev Stingl nicht so gut findet, wie er mir am nächsten Tag bei Bier und Snakefinger-Musik im Interzonenzug erzählt). Patti, die Schwester von Isabell, dem neuen Mania D. Mitglied – sehr zum Bedauern der Hamburger Formation Die jungen Rümpfe, wo sie vorher war – ist als einzige gut aufgelegt, wird aber von den anderen nicht autorisiert, über das zu sprechen, was vorgefallen war. Vorgefallen?

Ja. Mania D. hatten am selben Abend noch ein Konzert auf dem Frauenfest im Metropol gegeben. Für Männer kein Zutritt. Und dort müssen seltsame Dinge vorgefallen sein. „Mania D. hat die heile Welt der Frauenbewegung durcheinandergebracht“, sagt eine nicht genannt sein wollende Zeugin. Und Prügeleien hat es auch gegeben.

Es wird wohl so gewesen sein, wie wenn auf einer „Save The Whale“-Veranstaltung Teenage Jesus direkt nach Jane Fonda auftreten würde.

Mania D. machen ja auch eine sehr radikale Musik. Es soll Menschen geben, die dabei stricken können und andere, denen das Gehirn käst und das Rückenmark gerinnt. Ich hab’ mal Bänder gehört, die in New York mit einer amerikanischen Sängerin aufgenommen worden sind. Das war auch im besagten Interzonenzug mit Kiev, der Zug hielt gerade an der Grenze. Und da konzentrierte sich doch plötzlich eine bedenklich große Menge Volksarmisten um unser Abteil, als wir Mania D. lauter drehten. Erst als der Cassetten-Recorder zu eiern beginnt, geben sie das Forschen nach dekadenten Geräuschen auf.

Ja, wir verließen diese Kneipe sehr schnell und fuhren in eine Art Disco, wo schnöde Popper und beeindruckende Lichtgestalten, Felsen in der Menschenbrandung, zusammenkommen und äußerlich kaum zu unterscheiden sind. Auch hier machte ich kein Interview. Aber ich habe mich umgesehen und zugehört und auch selbst was gesagt (hie und da). Dabei wurde mir immer klarer. daß es dumm und beschissen ist, in diese Welt des Genusses und der Ausgelassenheit mein blödes Reporter-Interesse an sachlicher Information hineinzutragen.

Ich schüttete also das Faktische, die Faktizität, die Wahrhaftigkeit, die Wahrheit, die Vernunft, die Uhrzeit, den Stream Of Consciousness, die Authentizität, das Schöne, Gute, Wahre, Freude, Liebe, Hoffnung, geistige Gesundheit, die heilige Einfalt und die Einsamkeit des Langstreckenläufers in den Rinnstein vom Anfang der Geschichte, wo sich alles in seine Bestandteile auflöste und eine weitere kleine braune Spur ergab.

P.S.: Von Mania D. gibt es eine Single auf Monogam (siehe Singles), und eine EP ist im Entstehen.