Martin Scorsese: Raging Bull/Wie ein wilder Stier

Viele Boxerfilme hat Hollywood schon gesehen. Meistens waren sie entweder weinerlich oder schlecht oder beides. Paul Newman etwa in Stuart Rosenbergs „Somebody Up There Likes Me“ oder Humphrey Bogart in Mark Robsons „Schmutziger Lorbeer“. Meistens geht es in diesen Filmen Bild um Bild, Sequenz für Sequenz nur um das Eine: nämlich wie „verdammt dirty“ dieses „Business“ sei, plus andere Plattheiten. Warum dieses Business seit Unzeiten läuft und fasziniert, wurde nie vernünftig zu Bildern gemacht. „Raging Bull“ zeigt, was Boxen wirklich ist Unter anderem die Metamorphose des menschlichen Körpers in ein Percussioninstrument. Die brutalen Schlagkombinationen, die zum technischen K.O. führen, hören sich an wie BowWowWow’s Burundi-Trommeln, die langsamen Passagen mehr nach Heavy-Rock. Im Publikum ist sowieso Pogo.

Robert de Niro spielt den Boxer Jake La Motta. Und zwar so engagiert, daß er sich in Frankreich diee notwendigen fünfzig Pfund Übergewicht für die Darstellung der späteren Degeneration La Mottas angefressen hat (inzwischen ist er davon schon wieder vierzig los). Er ist wahrscheinlich der beste leading actor Amerikas und ganz besonders prädestiniert für die Italo-Macho-Tragödie, deren Protagonist er hier verkörpert.

Familie, Frauen Ficken und Frauen Prügeln, Männer Platthauen, Schimpfen – das ist ihre Welt. Aber wie schon in „Mean Streets“ schafft Scorsese mit deNiro das, was kein italienischer Regisseur je schaffte: er macht diese Welt lebenswert, wirbt erfolgreich um Sympathie, ohne uns mit endlosem, dummen, fahrigen Gegacker und Gekeife à la Fellini (So zärtlich war Amarcord) zu langweilen. Er bringt die Dinge filmisch, wie sprachlich auf den Punkt.

„Wie lange willst du dir das von dieser Fotze eigentlich noch bieten lassen?“, fragt Joe La Motta seinen Bruder Jake. „Nenn sie nicht so, schließlich ist sie noch meine Frau. Außerdem kriegt sie doch schon genug Prügel. Ich weiß nicht, was ich sonst noch mit ihr machen soll.“ – Das meine ich mit „die Dinge auf den Punkt bringen“. Eine Eigenschaft des Films, die ausnahmsweise auch durch Synchronisation nicht verschütt geht.

Der Rest ist meisterliches modernes Kino, wie man es von Scorsese gewohnt ist. Zugrunde liegt ein typisches Paul-Schrader-Drehbuch, bei dem die Dinge mal wieder so kommen mußten, wie sie kamen. Also muß der Macho-Stier seinen Titel als Weltmeister im Mittelgewicht wieder verlieren, seinen Bruder sinnlos platthauen, obwohl der doch vorher gerade einen Mafioso, die Ehre des Bruders verteidigend, plattgehauen hatte, seine Frau (durch Scheidung und viel Unbill) verlieren und zu allem Überlluß noch unansehnlich fett werden. Seine anderen Karrieren (Nachtclubbesitzer, Spaßmacher untersten Niveaus und Rezitator) sind alle nicht das Wahre, erst als Memoirenautor ist er erfolgreich, aber das spielt ja erst nach dem Film und liegt jetzt als Film vor.

Was den Film durchzieht, sind Schlägereien und Boxkämpfe. Jeder, der das sieht, ist davon begeistert. Es sieht einfach toll aus, obwohl es schweinisch und menschenverachtend ist. Die wenigsten schlagen sich in Wirklichkeit gern. Kino ist nicht verdoppelte Wirklichkeit. Aber warum sind gerade diese Schlägereien so attraktiv?