Material

Die New Yorker Musiker Michael Beinhorn und Bill Laswell arbeiten seit 1979 mit dem Ton-Ingenieur Martin Bisi und dem kreativen Manager Roger Trilling als Material zusammen, aber wie heute so oft sind sie eher eine Organisation Institution als eine Band, wie man das von früher kennt. Sie arbeiten mit wechselnden Größen aus allen musikalischen Bereichen, betreiben seit neuestem ein eigenes Label, machen Platten unter dem Namen Material und anderen Namen, produzieren Platten anderer Musiker und geben Konzerte. Eines davon demnächst in Hamburg.

Die Geschichte der Aktivitäten Materials füllt ein Buch. Die dazugehörigen, sehr unterschiedlichen Wertungen würden den Platz eines zweiten Bandes benötigen, denn Material sind zwei hervorragende Musiker. Aber bei ihren stilistischen Wechselbädern kann auch Substanz verloren gehen.

Nach mehr oder weniger experimentellen Anfängen, von denen zwei LPs und mehrere Maxi-Singles Zeugnis ablegen, wurde es für Material ernst, als sie zu internationalen Jazz-Größen beim Berliner Jazz-Fest und ein Album mit diversen der New Yorker Free-Jazz-Szene drängte sie in eine Richtung, die für das ambitionierte Team, das schließlich einmal mit Elektronik, New Wave/Funk und Avantgarde begonnen hatte, keineswegs die allein selig machende sein sollte.

Der Erfolg der Disco-Single „Burstin“, die Material mit der Ex-Labelle Vokalistin Nona Hendryx aufnahm, bestärkte sie darin, ein anderes Terrain auszuprobieren. Man tat sich mit dem ebenso exzellenten wie experimentierfreudigen Chic-Gitarristen Nile Rodgers zusammen, um eine Disco-LP aufzunehmen, deren Hits („Im The One“) auch in Hamburg alle Besucher einschlägiger Etablissements kennen, die aber auch nicht von Überraschungen frei ist. So liefert der 60er-Jahre-Free-Jazz-Veteran Archie Shepp einen Beitrag ab, der es verdient, Geschichte zu machen, auch wenn es nur ein wenige Sekunden dauerndes Saxophonsolo in der von Material gecoverten Soft-Machine-Ballade „Memories“ ist.

Nile Rodgers versorgt Material mit seinem federnden Gitarrensound und erschloß ihnen via Black Radio in den USA einen neuen Markt. Doch sind Material inzwischen wieder einen Schritt weitergegangen. Bereits der letzte Track der LP deutet an, daß man sich für den schwarzen Rap-Scratch-DJ-Untergrund zu interessieren beginnt. Das Faible für elektronische Spielsachen neuerer Bauart, das dort zu spüren ist, trifft sich an manchen Punkten mit der Elektronik-Begeisterung der frühen Material-Maxis. Material haben nun mit Afrika Bambaataa, den man neulich im Trinity sehen konnte, eine Maxi eingespielt und sich für ihre Europa-Tour neben ihrem etatmäßigen Drummer als viertes Mitglied den DJ Grandmixer DST angelacht. DST ist ein prominenter Scratcher in den schwarzen Hip-Clubs von New York, und er wird zur Live-Show von Material scharfe Sounds, grelle, harte Detailgeräusche, die er aus Platten herauskitzelt, beisteuern. Wie sich das anhört, konnte ich unlängst erleben, als mir Bill Laswell eine Cassette mit Basic-Tracks vorspielte, die Material mit DST für das neue Herbie-Hancock-Album gemacht haben. Extrem verhakte, rythmische Leckerbissen, Knall-Zack-Zong-Lärm von einer äußerst anregenden Sorte. Dies ist ein gutes Konzept für eine Band, die momentan hauptamtlich damit beschäftigt ist, New Yorker Obskuritäten von den Golden Palominos (die neue Band von Arto Lindsay), Bill Laswell selber, Material-Freund Fred Frith und anderen musikalischen Randständigen über das eigene Label an weltweite Konzerne zu verkaufen. Als Zukunft der Pop-Musik. Die es objektiv sein könnte, wer weiß.