Jeder Großstädter weiß, wovon die Rede ist. Was in den einheimischen Clubs an semi-professioneller Musik geboten wird, ist meistens besser als das, was die etablierten Plattenfirmen an Schmock und Schlock aus denselben Großstädten heraussuchen und unter Vertrag nehmen. Und in jeder Metropole der westlichen Welt gibt es die Band, den Musiker, den Geheimtip, der alles schlägt und natürlich von der Industrie ignoriert wird.
Das L.A.-Punk-Magazin Slash über ihren lokalen Favoriten „X“:
Alles ist gesagt worden, alles ist wahr. Sie sind die Besten, die Größten, (…) jeder Griff enthält alles, an das wir geglaubt haben, wofür wir gebetet haben (…). Sie sind der schillernde Beweis, daß die Schallplattenindustrie ihre Nase so tief in den eigenen Arsch gesteckt hat, daß sie es nie schaffen wird, sie hin und wieder herauszuziehen und, die süßen Düfte des kommenden Jahrzehnts zu riechen.
Was X für L.A. und dieses leicht hysterische Fanzine bedeutet, das ist für manchen Hamburger Maxim Rad alias Andre Rademacher, 22jähriger Gitarrist, Sänger, Songwriter und Arrangeur, der seit Jahren diversen Gruppen sein Gepräge gegeben hat. Er machte die legendären Jackets („Hamburgs erste New Wave Band“), später The Tanz und war für den musikalischen Teil der Kiev Stingl-Band Sterea Lisa mehr verantwortlich, als es die Credits der neuen LP (HART WIE MOZART) verraten. Aber vor allem schreibt er seit Jahren Songs, die in der BRD ohnegleichen sind. Sie passen nicht in unsere Kulturlandschaft, sind international, stammen aus der Welt, in der Helmut Schmidt Präsident der Vereinigten Staaten von Europa und Amerika ist. Es sind die Lieder, die einer schreibt, dessen Welt von Beginn des bewußten Lebens an anglo-amerikanische Rockmusik war („Coloured Pop Stars Are My World“). Da gibt es keine bedeutungsschwangere Kulturkunst, keine Ambitionen, das Weltganze zu erfassen. Es handelt sich bei Maxim Rad um komprimierte Rockgeschichte-Essenz: von REVOLVER bis FEAR OF MUSIC. Und obwohl Maxim ein aufmerksamer New Wave-Beobachter/Anhänger ist, sind die Rolling Stones noch seine Lieblingsband, sind ihm Little Feat lieber als The B-52’s.
Was für Chancen hat einer wie er in der deutschen Rock-Szene, wenn er nicht Avantgardist und Untergrundler bleiben will, sondern die Rock’n’Roll-Fantasien verwirklichen? Als die Jackets mit den ersten Punks über Hamburg hereinbrachen, brachten sie es schnell zur lokalen Kultband und bewirkten, daß sich ein lokaler Musikverlag für Maxims Songs interessierte. (Noch heute wird er auf sein Lied „Just A Monday Morning In The Subway“ angesprochen, das er für die Jackets schrieb, aber inzwischen selbst längst vergessen hat).
Langeweile
Da im Lande des Deutschrocktraumas nicht viel zu holen war, bemühte man sich bald um einen internationalen Deal und fand zunächst allenthalben Interesse. Robert John Lange (Boomtown Rats-, Records-, Supercharge- etc.-Produzent) zeigte sich interessiert, aber dann sagte jemand noch berühmteres zu: Lou Reed, mit dem Maxim früher viel verglichen worden ist. Alles schien klar. Da wurde Lou Reed von Clive Davis, dem Arista-Mogul, zurückgepfiffen. Angeblich war ein früherer Versuch Lou Reeds, sich als Produzent zu betätigen, total schief gegangen. Maxim wurde zu Reed ins Hotelzimmer nach Wilster gebeten, wo dieser gerade THE BELLS aufnahm. Ohne Maxim in die Augen sehen zu können wiederholte Lou Reed immer wieder, daß es nicht seine Schuld gewesen sei. Alles Scheiße.
Maxim ging zur Uni, langweilte sich, blieb ihr fern und langweilte sich lieber am Hamburger Nachtleben. (Auf die Frage eines französischen Poeten, was denn der junge Deutsche für Texte schreibe, antwortete Maxim: „About Nightlife And Girls“). Tagsüber las er Baudelaire und Rimbaud, um für seine Texte inspiriert zu werden. Glücklicherweise (nichts gegen Rimbaud und Baudelaire, aber wir alle wissen ja, was passiert, wenn sich Rockmusiker von ihnen beeinflussen lassen) konnte er mir kurz darauf erzählen, daß „Szene“ und „Subkultur“ mit all ihren liebenswerten Dummheiten und Peinlichkeiten ein beständigeres Reservoir für seine Texte blieben.
Plötzlich hatte er doch eine Produktion, natürlich im Ausland. Eine französische Firma hatte mehr in ihn investiert, als ein deutsches Debütalbum je einer deutschen Firma wert gewesen wäre. Und das Beste: die Platte erscheint international (Januar 1980). Der Prophet wird in England oder Australien mehr gelten als im eigenen Lande.
Paris: Ich treffe Maxim im Studio, wo er gerade die basic tracks seiner LP TIMES AIN’T THAT BAD aufnimmt. Erster Eindruck: der frühe Jonathan Richman, aber die Modern Lovers durch die Crusaders ersetzt. Maxim hat seine knappen, markanten Kommentare zum Geisteszustand der Nacht-Bohemia neu arrangiert. Soveur spielt einen unbändigen Funk-Baß. Er kann alles, hat von Sex Pistols bis zu synthetischen Disco-Formationen schon überall mitgespielt. Einen Kontrast bildet das straighte Schlagzeug von Jean-Paul Prat, der auch schon bei The Tanz dabei war, dessen Bruder spielt Saxofon. Keyboards und andere Raffinessen des Arrangements sind noch nicht fertig, aber schon festgelegt.
Irrsinnig schnell
Abends besuchen wir die einschlägigen Pariser Lokale. Auf New Wave gestylte Frauen sitzen an kleinen Tischchen und schreiben mit edlen Füllern in lederne Tagebücher. Ein dickleibiger Pianist spielt alte Art Tatum-Stücke. Zwei ätherische Jugendliche unterhalten sich über Roland Barthes. Die französische Boheme. Wie angenehm, daß sich das tagsüber auf Band gespielte Weltbild abends in der Wirklichkeit bestätigt. Wir lachen. Maxim stellt mir einen Pariser Bekannten vor, der nur drei Rock-LPs besitzt: SERGEANT PEPPER, SOME GIRLS und Richard Hell and The Voidoids. Maxim singt: „Nihilism, Qu’est-ce que c’est?“, um die Frage ein paar Strophen weiter mit „Nihilism is no fun“ zu beantworten, oder „Liebling, make me believe in something“ oder „She’s so young and uh so kalt“. Paris bestätigt die Atmosphäre dieser in Hamburg geschriebenen Sätze. Paris als Super-Hamburg oder Semi-New York.
Um Maxims Musik zu verstehen, muß man wissen, daß es Fan-Musik ist, wie etwa auch bei Hermann Brood. Ich frage ihn, was er gut findet außer den Stones, Beatles und Little Feat. „Im Moment Rickie Lee Jones“, sonst aber auch die Talking Heads oder die Sex Pistols, wie es mit Devo sei? „Eine halbe Stunde witzig, dann langweilig“, Iggy Pop? „Toll, ‚I wish life could be swedish magazines‘ ist ein toller Satz“. Ein Journalist meinte mal über ihn, er sei eine Kreuzung aus Bowie und Knopfler. „Bowie gerne, stimmt aber nicht, genausowenig wie Lou Reed, Knopfler nie und nimmer“. Dylan? „Habe ich immer gehaßt, mittlerweile beginne ich ihn zu respektieren, seine Stimme ist abscheulich“.
Wer Maxims Platte hört, sollte vielleicht ein paar elementare Erfahrungen mit Rock-Musik gemacht haben, sollte sich erinnern, wie sich das Solo-Gitarrero-Spiel totlief, wie TRANSFORMER und ZIGGY STARDUST erschien. Damals schnitt sich Maxim die langen Haare ab, konzentrierte sich mehr aufs Songschreiben als auf Geschwindigkeit („Damals war ich wirklich irrsinnig schnell, heute kann ich das gar nicht mehr“). Oder man sollte sich an 76/77 erinnern. Auch das hat Spuren bei Maxim hinterlassen. Maxims Musik ist bewußter Mainstream der nahen Zukunft. Rock in der klassizistischen Phase.

