Der Mann mit den unwitzigen Pseudonymen im Gespräch mit dem Mann, der die Schweine seiner Grotesken so unwitzig findet, daß er sie nur als „lachhaft“ beknarzen kann, über Verehrung, Beleidigung, Verschwörung und Liebe, die Zutaten des vorbildlichen Popsongs/(Lebens?).
„Wer ist der Feind, who is the enemy, who is the enemy?“ brüllt Cathal Coughlan, Microdisney-Sänger, bullig und geduckt und aus der Hüfte ins weite Rund des Londoner „Astoria“.
Unter den Fans, gebannt auf die Antwort wartend, denn diese Frage hat mich schon immer interessiert, ich. Mit meiner neuen Brille, die es mir erlaubt, noch aus der letzten Reihe jede Facette des Geschehens auf der Bühne zu kontrollieren. Mit einem Bier in der Hand, das es mir unmöglich macht, jede Facette des Geschehens auf der Bühne zu kontrollieren, aber gute Laune macht.
„The enemy is your lover!!“
Nun haben Microdisney einen vielbeachteten AIDS-Song („Rack“) gemacht, und über diesen ließe sich vielleicht eine Situation konstruieren, die die/den Geliebte(n) zum Feind werden läßt. Aber sonst? Was gibt es schöneres als die Liebe zwischen zwei gesunden Menschen?
„Liebe macht Menschen zu Monstern“, sagt er einen Tag später, „dann, wenn sie einen Menschen zurückgewinnen wollen oder loswerden. Obwohl ich eigentlich nicht der Typ bin, der so was macht, ich gebe immer ganz einfach auf.“
Ja, und ist nicht der Feind, den man sich macht, sich aufbaut als die Instanz, die man immer kontrolliert und von der man immer kontrolliert wird (werden will), sowieso die/der Geliebte? Wie zum Beispiel Gott, den man ja auch den Lieben nennt.
Ein interessanter Gedanke, findet Cathal, denn er ist aus Irland, aber dort weggegangen, denn es sei ein furchtbarer Teil der Welt, und außerdem konnten Microdisney dort keine Platten machen. In England gibt es inzwischen dreieinhalb LPs von ihnen, die ersten zweieinhalb auf Rough Trade, die neue auf Virgin, die mir, wie ich in der letzten Nummer unter einem meiner leicht zu entschlüsselnden, unwitzigen Pseudonyme kundtat, ausnehmend gut gefiel.
Als ich ihn in seinem kleinen Microdisney-Office, nein, nicht vorfinde, als ich vielmehr in seinem kleinen Microdisney-Office vorstellig werde, steht er noch einem schwedischen Reporter zur Verfügung, man spricht über das seltsame Liebesleben seiner Nachbarin.
„Am Anfang war das noch in Ordnung oder ganz lustig, als so komische Laute von oben kamen, aber nach einiger Zeit hältst du das nicht mehr aus, Abend für Abend die Stöhnnummer, bis nachts um fünf, die Frau ist unersättlich. Früher hab’ ich laut Swans-Platten gespielt, dann habe ich buchstäblich die Boxen an der Zimmerdecke befestigt und ihr die Swans ins Schlafzimmer gepustet, das hat auch anfangs geholfen, dann wurde sie dagegen resistent. Jetzt habe ich mir eine amerikanische Aufklärungsplatte gekauft. Da erzählt eine liebe alte Dame, langsam und betulich, wie der Geschlechtsverkehr funktioniert. Wenn es wieder losgeht, spiele ich ihr diese Platte vor, aber die Wirkung dauert immer nur einen Tag, vor einer Woche hab’ ich es mit Mantronix versucht, dann war die Tour, und ich war weg, aber meine Freundin sagt, der Sex sei wieder sehr gut gewesen, letzte Woche.“
Seltsam, daß gerade Swans und Mantronix gegen Geschlechtsverkehrbelästigung zum Einsatz kommen, beim Kopf einer Gruppe, der es um gediegenes Songwriting geht. Wie ist sein Verhältnis zu dieser anderen Sorte Musik, Wall of Sound statt Linien und Zeichnungen?
Ja, Swans und Mantronix als zwei Exponenten seien durchaus gut, ansonsten verfolge er andere Absichten. Aber diese beiden und Janet Jackson seien seine letzten drei LPs gewesen. Den Vergleich mit Steely Dan läßt er gelten, man habe ja auch mit Absicht einen amerikanischen Produzenten gesucht und in Lenny Kaye gefunden, weil man keinen britischen Pop-Sound haben wollte. Allerdings kündigte er Steely Dan nach Aja die Freundschaft, das sei dann eben nur noch „Musik als schöne Texturen, Gewebe“, und außerdem seien Becker und Fagen ganz normale Amerikaner, Spießer, Leute, mit denen er nichts zu tun haben wolle.
Aber die Innovation, Pop-Songs nicht mehr als Bekenntnisse eines Ichs, sondern als romanhaft-geschichtete-fragil-gewobene Stories zu erzählen, das ist doch etwas, wofür man und speziell Microdisney Steely Dan und im übrigen natürlich auch der Country-Musik dankbar sein müsse …
„Gewiß, gewiß.“ Sein Lieblingscountrysänger, ein gewisser Terry Allen, habe da z. B. diesen Text geschrieben, den er immer vorbildlich fand, wo der Icherzähler von einem grantigen Jesus überfallen wird, der ihm androht, ihn umzubringen, damit er Jesus mitnehmen kann zum Himmel, wo er ein paar Dinge in Ordnung bringen müßte. „Things in Jerusalem are real bad / Give me a ride to heaven, boy, / I wanna talk to my dad …“
„Oder Gram Parsons in seiner Grievous Angel-Phase. Der späte Gram Parsons hat wahrscheinlich die schönsten Texte geschrieben, die je geschrieben wurden … Ich meine Country, Soul – was sonst soll man machen, Chansons höchstens, Jacques Brel …“
Beatles?
„Beatles ist für mich bestes Handwerk, total perfekt …“
Sind Microdisney nicht auch Perfektionisten des Songwriting, mit einem Kinderfreunde-Duo, Cathal/Sean O’Hagan im Zentrum?
„Schön, wenn es so klingt, aber Perfektion ist nicht mein Ziel, ich möcht’, daß sich den Zuhörern die Nackenhaare aufrichten. Ich möchte exakt den Effekt, der entstand, als ich das erste Mal Music For A New Society von John Cale hörte.“
Tatsächlich erinnert dein Singen gelegentlich an Cale, die ganze Platte an Cales erste Solo-LP, den Dark-Country-Heuler Vintage Violence.
„Oh, ja, er ist sicherlich einer meiner größten Favoriten, seine Solo-Arbeiten schätze ich weit mehr als alles, was Velvet Underground je gemacht haben, aber er ist so unbeständig, es gibt auch Sachen von ihm, die purer Dreck sind … Dieses ‚Ready For War‘ z. B., das ewig dauert, wie Little Feat für arme Leute …“
Aber wenn er es spielt, wird er zu Dennis Hopper …
„Gewiß, die beiden haben sowieso viel gemeinsam, gerade auch ihre Unbeständigkeit. Ich habe hier gerade eine Retrospektive mit seinen eigenen Filmen gesehen, völlig wahnsinnige Meisterwerke. Hopper als Vietnam-Veteran, der nicht begriffen hat, daß der Krieg vorbei ist, und mit einem Sarg voller Sprengstoff durch die Lande zieht …“
Coughlan ist nicht nur ein überaus geschmackvoller Kenner aller meiner Lieblingsplatten, er ist auch ein zorniger, nicht mehr ganz junger Mann, er kann lange über moralische Verworfenheit zürnen, er ist einer von denen, die an einem bestimmten Punkt nur noch beleidigen wollen, die ihre Wut kriegen. Kritiker haben ihm vorgehalten, daß er einen LP-Titel wie We Hate You South African Bastards! (Microdisney-Retrospektive auf Rough Trade) bei Virgin nicht mehr durchbekommen werde, er stimmt zu, meint aber, Plattenfirmen seien Plattenfirmen, und in diesem Spannungsfeld aus Komplexität und simplem, bulligen Zorn (das Cathal auf der Bühne so anrührend abschreitet: so zusammengezogen, unwohl, angetrunken, bewegt und schlau) ergäben sich mit der Zeit neue Synthesen des gerechten Zorns. A Crooked Mile ist voll von Abrechnungen, kleinen Grotesken über Generäle, Politiker, Schweine in Medien. Gehalten in dem Ton, in den einer verfällt, der sich schon sehr lange über die gleichen Dinge aufregt, aber nur deswegen nicht aufhören will, und so nur noch ein knarziges „Ist doch lachhaft, ist doch ein Witz“ am Ende einer langen Rede knurrt: „Ein Witz, das Ganze.“ (England zum Beispiel, das sich nicht entscheiden könne, endlich das 20. Jahrhundert als Tatsache zu akzeptieren, hinter dem Lebensstil des 21. herrenne, sich in bizarren Anachronismen ergehe, seine Widersprüche nicht einmal ansehen könne. Ein Land, über das ein Fluch kommen wird oder längst gekommen ist …) Oft antwortet Cathal auf die Frage, warum er dies oder jenes gesagt/geschrieben hat: „Ach, das war nur eine Beleidigung!“
Aber dann die langen Gespräche über Randy Newman/Harry Nilsson/Van Dyke Parks und die drei verschiedenen Versionen von „Vine Street“.
Die Sprechweise der moralistischen Groteske, in die Microdisney auf ihrer neuen LP mehr und mehr geraten, korrespondiert mit den zunehmend langsameren Tempi („Wir müssen uns da was einfallen lassen, wir können nicht immer langsamer werden.“): eine Geschichte über Medienschweine, die sich an AIDS aufgeilen, die über das, was Billy-Bragg-Fans dazu wissen, denken, empfinden, hinausgehen soll, kommt nicht ohne diese Verzögerungen im Vortrag, die die Bizarrerien im Text unterstützen müssen, aus. (Ich hass’ es, Songs mechanistisch zu betrachten, aber hier muß es sein. Warum?)
Cathal kennt eine Menge Verschwörungsstories zum Thema AIDS, solche, die nur grobe Fahrlässigkeiten in den amerikanischen Labors, die mit den ersten AIDS-Opfern zu tun hatten, aufspüren, bis hin zu den Geschichten, die ihm sein Bruder, der Arzt ist, erzählt hat und die von Vorsatz ausgehen. Von John Cale, ausgerechnet, von dem man weiß, daß er sein ganzes Geld für den Ankauf von CIA-Geheimnissen ausgibt, kennt er über einen gemeinsamen Freund die Geschichte von der Klinik in Miami, die über Kuba Leichen ankauft, für medizinische Zwecke.
„Meistens kamen sie aus Brasilien, wo sie immer, wenn sie eine Autobahn ausbauen oder so was, ganze Indianerstämme abschlachten. Einer dieser Stämme hatte AIDS, und in Miami gab es einen Mann, der Leichen fickte.“
Eine echte John-Cale-Geschichte.
Was passiert eigentlich, wenn Microdisney wirklich erfolgreich werden, sind sie für den Job Popstar gerüstet? (Ich hatte an diesem Nachmittag ein sonniges Gemüt.)
„Ein notwendiges Übel, das man akzeptieren müßte. Nichts ist so idiotisch wie diese Vorstellung, man könne die Subversion der Charts betreiben, die vor ein paar Jahren mal aktuell war. ABC und Scritti waren gar nicht so falsch, aber was dann kam, Eurythmics und Duran Duran …“
So groß ist die Gefahr denn auch nicht, schließlich neigen Microdisney zu Eskapaden, zu Spielereien und gehen gerne in Pubs. Die Zeile „I feel like Alan Vega because Dream, Baby, Dream“ wird, wie so vieles, jeden Abend anders gesungen, ich bekam die Version „I feel like Aleister Crowley because Do What Thou Whilst“ mit. Als Intro zu „Town To Town“, dem Vielleicht-Hit, spielen sie das Thema einer australischen Kult-TV-Serie („nachmittags im Fernsehen und daher nur von komischen Leuten wie uns gesehen“) und widmen es Nick Cave („Die Coverversion fand ich ’clumsy, aber die andere Platte ist sehr gut.“). Als Zugabe eine reaktionäre Merle-Haggard-Nummer. Lange Zeit war Mark E. Smith Cathals Vorbild in vielen Dingen, aber seit der neulich gemein zu ihm war, geht er auf Distanz: „Das vergesse ich ihm nicht. Und seine Oper war nun wirklich scheiße.“
Heute sind Microdisney mit ihrer Vorstellung vom linken, hochwertigen, sarkastischen und soulful-rührenden, anderen Pop-Song (amerikanisch, um nicht britisch zu sein) ziemlich allein. Konnte ein Lenny Kaye sie überhaupt verstehen?
„Wir sind öfters mal trinken gegangen. Das heißt, eigentlich haßt er es, trinken zu gehen, weil er ein Hippie ist, trinkt nicht, verstehst du, wie alle Hippies. Aber wir sind dann schön essen gegangen, und es gab Wein und gute Laune, und anschließend ging es in die irischen Pubs in Kentish Town. Einmal war ich so betrunken, daß ich den Weg nach Hause nicht fand, obwohl ich ihn schon hundertmal gegangen bin. Ein anderes Mal waren wir in diesem wirklich üblen Laden, wo das letzte gestrandete Pack rumhing, alt und versoffen, und diese blöde Band aus alten Männern schrammte irgendwas, und irgendwann sind wir mit Lenny auf die Bühne gegangen … ja, er hat uns schon verstanden.“
Okay. Während wir uns noch ein wenig über B.J. Cole unterhalten, seit zwei Jahrzehnten der britische Steelgitarrist und jetzt auch bei Microdisney, schweifen meine Gedanken zurück zum Anfang dieser Geschichte (müssen sie ja auch, ist schließlich ihr Beruf) und bilden folgende kleine banale, bärtige Assoziationskette: Ich habe neulich einen Artikel über die Intimitätsdebatte geschrieben, den ich dann wieder zurückgezogen habe / Von wegen „Tyrannei der Intimität“ (Richard Sennett) / Manfred Hermes gegen Lindenstraße (ebenfalls unveröffentlicht) / Mein alter Herzenswunsch, bei Beimers in den Keller ziehen zu dürfen / Warum Liebeslieder immer wie Reden des Großen Bruders klingen („Every step you make, I’ll be watching you“) / Warum Liebende immer zu Recht Paranoia haben, aber immer die falsche (neulich lief wieder Lolita im Fernsehen) / Strindberg / Warum Freunde eben immer die sind, die sich von hinten anschleichen / Valérys Satz von dem „Größenwahn“, den immer ein „Verfolgungswahn durchkreuzt’. Und schließlich die faule, banale, richtige Lösung. Wenn man überhaupt denkt, kommt man immer zu dem Punkt, wo man die Gegensätze identifiziert und, für einen Moment, ganz zu Recht sagt: Kunst ist Wissenschaft. Aber falsch. Wenn Worte Freunde sind, und dazu muß man sie machen, sagen sie dir auch korrekt, was los ist: Kunst ist Kunst, Wissenschaft ist Wissenschaft. Lover is Lover. Enemy is enemy.
Aber durch das andere müssen wir eben immer wieder durch. Die korrekte Paranoia, die notwendig irrt, aber notwendig korrekt ist. Fear is a man’s best friend. (Der Sack kann nicht aufhören, von John Cale zu reden.) Aber: You know more than I know.


