Mike A. Hentz: Works

„Wir machen keinen Rock“, so oder ähnlich begann Mike Hentz die meisten Konzerte von Minus Delta t. Daß er sich nicht nur nicht als Rock-Musiker, nicht als Musiker, nicht nur als der aggressive, andere, unfreiwillig in Grenzsituationen treibende, spektakuläre Aktionist begreift – kurz das Zerstören von Images, Stereotypen, das ist ein wesentliches Anliegen der vorliegenden Dokumentation von Hentz’ gesammelten Aktionen zwischen 1972 und 1980.

Jede Aktion wird auf einer DIN A3-Seite festgehalten, durch die Kombination von Fotos, spärlich beschreibendem Text (in drei Sprachen), Zeichnungen, Rastern und anderen grafischen und layouterischen Mitteln. Aktionen – Das umfaßt sehr vielfältige Aktivitäten: Das gewaltsame Entkleiden und Gefangennehmen unvorbereiteter Galeriebesucher, sich von einem Detektiv verfolgen lassen, diesen durch undurchsichtige Zeichen und Aktivitättn verwirren und zur Interpretation von Handlungen zwingen und anschließend dessen Protokoll ausstellen, im Düsseldorfer Karneval als SS-Mann auftreten, Klausuren mit wenigen Beteiligten unter strenger Disziplin, das Vorhaben, über eine bestimmte Zeitspanne Leute zu fragen, ob sie mit ihm ficken wollen, usw.

Die Sammlung von über hundert Aktionen setzt den Eindruck von Kontinuität, Absicht und Kalkül (obwohl gerade das sich dem Zufall Aussetzen ein verbindendes Element der meisten Aktionen ist) gegen das Intensive, Sinnliche, Spektakuläre der einmaligen Aktionen.

Meist gehört zu den Dokumentationen eine präzise Aufzählung verwendeter Materialien und beteiligter Personen. Dabei fällt auf, daß die Materialien beliebig, also ohne Symbolik ausgesucht werden und meist allgemein und ohne viel Geld verfügbar sind. Das korrespondiert mit dem im Vorwort ausgesprochenen Statement: „Was umsonst ist, ist echt“ und „Man muß lernen, mit nichts zu arbeiten. Auch dieses Buch ist wieder eine vollständige Umsetzung meiner momentanen Mittel.“

Das Gemeinsame vieler Aktionen ist eine rücksichtslose Härte gegen sich selbst, ein rigoroses Kalkulieren mit Risiken, das den Eindruck aufwirft, Hentz versuche herauszufinden, wie weit er im einzelnen gehen kann, ohne Schaden zu nehmen. Somit betreibt er, auch exemplarisch, Überlebenstraining, auch wenn manche Aktionen aufgesetzt wirken, wie das Provozieren Düsseldorfer Karnevalisten als SS-Mann, während andere einsichtig und auf Anhieb lustig und erhellend sind.

Mike Hentz hält sich an sein Statement, die Medien seien prinzipiell austauschbar, und beweist das auch. Fraglich ist allerdings, ob er sich nicht beim Benutzen eines Pinsels oder einer Violine automatisch in eine Tradition stellt und auch bei noch so viel Verfremdung von seinen Rezipienten auch in dieser Tradition verstanden wird. Manchmal scheint es, daß er die vorgegebenen Bedeutungen seiner Mittel nicht reflektiert. Es bleibt auch die Frage, ob Mike Hentz nicht durch das Verfügbar-Machen seiner Arbeiten, wenn auch nur als Dokumentation, die Radikalität und Unmittelbarkeit mancher seiner Aktivitäten im Nachhinein sabotiert, die Leute mit 25 Mark zu leicht davonkommen läßt.

Viele, die sich, angeregt durch Erscheinungen der neuen Welle – sei es Throbbing Gristle, Geri Reig oder was auch immer –, mit diesen Dingen beschäftigen, wird es überraschen, daß es Traditionen und langjährige Bemühungen gibt, von denen sie nichts ahnten.

120 DIN A3 Seiten, 25,– DM, über Buchhandlung Welt, Marktstraße 12, 2 Hamburg 6