Neues Deutschland

Es wäre das Naheliegende, wenn man sich Hubert Kiecol ansieht, wenn man sein Werk ansieht, wenn man seine Augen ansieht, wenn man ihm zuhört, es wäre naheliegend es zu singen, das alte Loblied der Reduktion; das alte bekannte „BOH!“, die Interjektion, die sagt: „Oh, Gewalt des Weglassens!“, von sich zu geben. Oft sehe ich das in seinem Blick, so eine alkoholische Metaphysik, aber dann vergesse ich diese romantische Idee sofort wieder, und wende mich ab, von dieser Vergewaltigung einer Kunst, die doch in Wahrheit ganz voll und reich ist, Leben gewordenes Mineral.

Man muß etwas über Huberts Musikgeschmack sagen. Und man muß gesehen haben wie er sich intuitiv mit Hugh Cornwell von den Stranglers verstanden hat, als dieser zu Hubert kam, also in dessen Stammkneipe und sie in fünf Meter Entfernung voneinander sich große pathetische Gesten entboten, so als hätten Montgomery und Rommel die Gelegenheit gehabt sich im Schatten der 72er Olympiade zu einem verspäteten Erfahrungsaustausch zu treffen. Ich sage, es ist wichtig, was Hubert zeigt. Er ist der einzige reduzierende Künstler, der nicht reduziert, sondern verdichtet. Das ganze urbane Leben, wie wir es gelernt haben nämlich. Denn, was seine Häuser ihrem Wesen nach sind, ist das Mietshaus unserer Kindheit, wie es in den Faller-Modellen von Altstadthäusern zu finden ist, den archetypischen Mietshäusern für all jene, die wie unsere ganze Generation in Eigenheimen vor der Stadt groß geworden ist, zwischen Lego-Giebeln und dem Faller/Staeck-Modell „Villa im Tessin“.

Diese Faller-Altstadt war alles andere als heimelig. Sie war nicht diese gräßliche alte Stadt, die heute überall rekonstruiert werden soll. Diese Häuser hatten die traumatische Schrecklichkeit Wiener Gassen um 4 Uhr morgens. Sie waren braun wie es nur braun geht. Sie waren andererseits auch keine Caligari-Freudlose-Gasse-Sozialdämonien. Sie hatten die Qualität von frühen Wienerwald-Hähnchen. Sehr bundesrepublikanisch. Und doch sind Huberts Häuser wieder etwas anderes. Das, was noch möglich war, nach alldem.

Zuerst sind sie melancholisch. Wie alte Äpfel. Sie sprechen von dem Leben, das in den Hanne-Haller-Liedern vorkommt, die Hubert Kiecol so liebt. Dann wiederum sind sie ein feines, schuldloses Modell von Miniature-Leben. Von einem Leben ohne Peinlichkeit, weil es keine Worte gibt. Nur eine Armee. Hubert Kiecol ist ein kleiner Demiurg. Haus birgt. Häuser konstituieren eine Welt. Hubert ist da ganz – der Gott.

Hubert ein Gott? Dieser schüchterne Mensch, der Reißaus nimmt, wenn um ihn herum das Maul zu weit aufgerissen wird? Ja, und zwar einer, der eben mit Mythologie nicht zu fassen ist, weil es eine -logie nicht gibt bei einem der so massiv den Logos ablehnt wie Kiecol. Und dennoch beredt ist. Und dennoch kein Metaphysiker, Zen-Buddist oder Quacksalber. Er ist einer, der es sich im Abstrakten behaglich macht, weil es, das Abstrakte, ihm nicht im Begriff erscheint, sondern im Überkonkreten, im Zusammengeschnurrt Lebendigen, da wo für uns eine Abstraktion keinen Platz hätte. Denn wir leben im Logos und bei Hubert ist das gedreht.