Vergangenes Jahr dröhnte es aus jedem Proll-Sportwagen an der Ampel: „Blue Monday“. Der paradoxe Überraschungshit der superparadoxen New Order. Die Band, die immer Mode war und Mode haßte. Die Publizität flieht und Journalisten anzieht wie keine zweite. Die ernsthaft und seriös fühlt und zum Tanzen mißbraucht wird. Die maßgeblich zum Anti-London-Regionalismus des Manchester-Labels „Factory“ beitrug und sich den für ihre Zwecke völlig ungeeigneten Produzenten Arthur Baker aus New York aussucht, der genau das verkörpert, was man in Manchester an London haßt. Die ihre letzte LP „Power, Corruption & Lies“ nennt, als könnten sie vor Empörung, Moral und Politik nicht aus den Augen sehen und in ihren Texten nur von ihren Innenleben schwelgen. Undsoweiter.
New Order nannte sich bekanntermaßen die Gruppe Joy Division, jene eminent einflußreiche, stilbildende Depro-Band der späten 70er Jahre, nachdem Sänger Ian Curtis die Glaubwürdigkeit des Depro-Stils bewiesen hatte, indem er sich erhängte. New Order behielt zunächst den schleppenden, narkotischen, düster eingefärbten Stil von JoyDiv bei, und der zum Sänger beförderte Bernard Albrecht wirkte nicht minder scheu und verletzlich als der charismatisch-unsichere Ian Curtis. Nach einer LP und mehreren Singles markierte 1982 die Maxi „Hurt“/„Temptation“, bis heute die beste Platte von New Order, einen folgenreichen stilistischen Einschnitt. So etwas wie Soul hatte sich, ersten Sonnenstrahlen nach einem langen Unwetter ähnlich, in die tiefe Traurigkeit dieser superentwurzelten Bürgerkinder eingeschlichen und in Form hellerer Grundtöne neue Reize, neue Spannungen in das Konzept gebracht. New Order, im Untergrund, bei den Independents immer schon die unbestrittene Nummer eins, hatte zum erstenmal seit dem JoyDiv-Welthit „Love Will Tear Us Apart“ auch wieder die Ohren der britischen Chart-Hörer infiziert und bekam Airplay und Discoplay. Die unkonventionelle, manchmal an Triosche Simplizität grenzende Art, Rhythmusmaschinen und Drum-Computer einzusetzen, die bei „Blue Monday“ dann einen Höhepunkt erreichte, war faszinierend wie die Grundgeräusche einer Video-Spielhalle. Mit dem Unterschied, das der Pac-Man von Georg Trakl gespielt wurde: Gesang und Texte von Bernie Albrecht.
Das „Trakl meets Atari“-Konzept wurde über „Blue Monday“ und die LP „Power, Corruption & Lies“ hinweg erfolgreich durchgehalten. Alles wartete nun auf den Big Blast: New Order traten in New Yorks Tanzparadies „Paradise Garage“ vor schwarzem Publikum auf, und die Leute wurden schon nach zwei Stücken so traurig, daß sie sich draußen die Tränen trocknen mußten. Mitten ins Funk-Paradies marschierten die Toten des ersten Weltkriegs. Rap/Disco-Producer Arthur Baker nahm kurz darauf vier Versionen von „Confusion“ auf, einem seltsamen Bastard aus HipHop und Wir-sind-New-Order-aber-wir-haben-die-Melodie-über-dem-Atlantik-verloren-Gesang. Die Platte war ein Flop und fiel mit ersten, neuen, schüchternen Interview-Auftritten vor einer konfusen Öffentlichkeit zusammen. Die Band verhaspelte sich erneut in ihrem kruden Gemisch aus radikaler Show-Biz-Verweigerung und Mega-Hit-Ehrgeiz, redete über weite Strecken dumme Scheiße, schaffte es aber, interessant zu bleiben. Auch für mich.

