Nico

Nico ist so ziemlich das einzige singende Mädchen, das seit zwanzig Jahren nie mehr und nie weniger als einen ganz bestimmten, meilenweit gegen den Wind erkennbaren Kult-Status genießt, ohne Ups and downs, mit einer getreu mitalternden bzw. im gleichen Geist nachwachsenden, romantisch-verdrehten Hörerschaft. So konstant Image und Publikum, so inkonstant sind Gesundheit, Konstitution und die allgemeine geistige Verfassung der Künstlerin. Die Zahl enthusiastischer Fans im Lager der Pop-Journalisten, die nach Interview-Versuchen entsetzt über ihr Idol von dannen zogen, geht in die Hunderte. Nach unglücklichen und verunglückten Comeback-Versuchen in den frühen achtziger Jahren („Drama Of Exile“), die dem Lebenswandel der „Chanteuse“, wie man sie immer wieder nennt, zugeschrieben wurden, scheint sie sich jetzt vorläufig gefangen zu haben wie das andere große Sorgenkind Johnny Thunders. Zusammen mit John Cale, der durch Arrangement, Produktion und Verständnis ihre beiden Spätsechziger-Alben („The Marble Index“ und „Desertshore“) in Meisterwerke des forcierten Lebensüberdrusses verwandelte, von dem sie all die Jahre sprach, wenn sie sprach, wie von dem Prinzen, der einst kommen wird, um sie aus einer Welt der Verzweiflung und des Unverständnisses zu retten, hat sie eine neue Platte unter anderem mit einem wunderbaren deutschen Edel-Volkslied aufgenommen, die die viertbeste LP ihrer Laufbahn genannt zu werden verdient. In London sah ich sie mit einer Nachwuchs-Afro-Gothic-Band neues und altes Repertoire aufführen. Wie in alten Tagen verwandelte sich ihr Kitsch-Todes-Romantik-Pathos, das sie, über ihr Harmonium gebeugt, wie eine Sammlung Pferdebilder ausbreitet – das ganze Seelenleben des ewigen kleinen Mädchens –, in die berechtigte Stimme eines zu Unrecht in eine Zelle gesperrten, klagenden Wesens ohne Hoffnung. Und das war richtig und adäquat und all der Scheiß und sehr rührend.

Die amerikanische Schriftstellerin Kathy Acker, die die Mode des Re-Writing in die Welt gesetzt hat (sie schreibt zur Zeit einen neuen Don Quijote), hat das Angebot bekommen, Nicos Biographie aufzuschreiben. Daß sie Nico in ihrer Garderobe unkooperativ vorfand, spricht vielleicht einmal nicht gegen Nico. Im Vorprogramm treten die Kastrierten Philosophen auf.