Spektakulärer Verlust des Sängers und Blickfangs. Spektakuläre Suche nach einem neuen Sänger (und Blickfang). Spektakuläre Eingliederung eines alten Freundes der Gruppe (besonders des ehemaligen Sängers) als neuen Sänger. Spektakuläre nächtliche Telefonanrufe bei weltberühmten Produzentengrößen. Palais Schaumburg machen dem von ihnen so geschätztem Werner Büttner-Motto („Die Augen auf das Große / Den Großen auf’s Auge“), zumindest dem ersten Teil, alle Ehre.
Palais Schaumburg arbeiten, leben und wirken schon lange in meiner unmittelbaren Nachbarschaft. Über irgendwelche Ecken kenne ich eigentlich jedes Bandmitglied schon länger. Mit Holger Hiller hab ich 1977 mit feuchten Augen ein Ornette Coleman-Konzert besucht. Hinterher waren wir in der längst verblichenen Disco „Cadillac“. Eine Erinnerung aus dem Spätmittelalter. Als die Raubritter noch lange Haare hatten. Mit Hiller und Fehlmann und wechselnden Anderen sah ich sie zu einer Band heranreifen, die genialische Verschrobenheit mit musikalischen Expansionsdrang verband. Mit Ralf Hertwig und Timo Blunck zum Prototyp der guten, modernen deutschen Band werden.
Holger Hiller verließ die Band nach dem ersten Höhepunkt. Holger und Thomas sind meine Generation, daher meine Ansprechpartner. Durchgeschüttelt durch die Paralleluniversen Pop und Jazz. Doch Walter Thielsch, der neue Sänger und Texter, ist trotz seiner 32 Kind der gleichen Epoche. Er schreibt aus einer Situation, die wir alle kennen. Wie wird neuer Spaß zu neuer Politik. Wieviel Bedenkenlosigkeit dürfen/müssen wir uns leisten. Dürfen wir uns überhaupt damit rumschlagen, was wir dürfen und was wir nicht dürfen. Wie können wir unseren, ursprüglich linken Impuls mit unserer Abneigung gegen die vorhandenen Linken vereinbaren. Walter Thielsch kann ein Lied singen: Von Linken, die in jedem Kurzhaarigen einen Faschisten sehen, von der Dürftigkeit alternativer Kultur mit der er lang genug zu tun gehabt hat.
Und wo soll der neue Ort sein? Dröge, existenzialistische Heimatlosigkeit („Isch ge’öre nirgendwo hin. Isch bin ein Wanderer. Isch ’abe nur meine Plastiktüte“) gilt es zu vermeiden. Andererseits kann das Kokettieren mit Leichtigkeit auch leicht in die totale Leichtgewichtigkeit umschlagen. Wer würde nicht gerne endlich mitkämpfen, sich einreihen. Aber wo? Vergiß die alte Politik!
„Gerade im Rock-Business hängen ja die ganzen von 68 geprägten Typen ’rum. Deswegen ist da auch so ein Unverständnis gegenüber allem Neuen. Und auch ich bin von 68 geprägt, aber ich habe eben unter diesen Leuten auch sehr lange gelitten. Gerade weil eben auch ästhetische Entscheidungen getroffen wurden, bei denen es mir hochkommt“, sagt Walter: „Besonders, wenn man sieht wie diese Leute, die damals New Wave und so weiter Verantwortungslosigkeit vorwarfen selber funktionieren. Diese Abhak-Verantwortung.“
Uns war es unlängst ein Bedürfnis, die Gang Of Four-LP zur Platte des Monats zu machen, obwohl ein „Anti-Schickie“-Song für mich normalerweise das Letzte ist. Aber der Anti-Hedonismus, der Versuch das Engagement, als Idee irgendwie zu retten, verdient eben auch Unterstützung. Irgendwann ist auch die Haircut-Karte ausgespielt, brauchen wir trotz Pop-Subversion und abgekoppelter Jugendwelt klare, harte Worte und die kommen sehr viel treffender von der Gang Of Four als von Clash. Raffinierterweise auch so gespielt, daß die Schickies dazu tanzen. Thomas: „Aber guck dir an wie die leben, was die machen, wenn sie auf Tour sind.“ Mich hat es aber nie gestört, daß Karl Marx seine Frau geschlagen hat. Die Kritik der politischen Ökonomie wurde dadurch nicht schlechter. Thomas: „Ja, aber wir sind mehr an einer persönlichen Politik interessiert, als zu sagen: ‚Wir sind die Moralisten, wir machen’s richtig‘. Ich steht mehr auf Provokationen. Ich finde es viel interessanter, in Schale vor einer Halle mit Hippies zu spielen.“ Ich: „Aber das macht doch inzwischen jeder. Da stört sich doch keiner mehr dran.“ Thomas: „Aber es geht ja auch immer weiter. Wir machen ja nicht jedesmal dasselbe.“ Ich: „Aber ist das nicht eine negative Fixierung. Immer gerade anders auszusehen, als die um mich herum? Da zwingt ihr euch den gleichen Zickzack-Kurz auf, in dem sich auch die Doofen bewegen. Nur, daß ihr immer gerade auf der anderen Seite steht.“ Palais Schaumburg: „Ha, ha, ha!“.
Guck dir an, was die auf Tour machen. Gut. Nach einer Premiere in Wien erprobte PS neues Material und neue Besetzung erstmals auf einer Holland-Tour. Es war der Tag nach der Algerien-Pleite und du hattest als Deutscher im Lande des nicht-qualifizierten ehemaligen Doppel-Vize-Weltmeister nicht viel zu lachen: „Hahaha, ihr habt verloren und wir freuen uns jetzt sehr, daß Deutschland nicht am besten ist“, werden wir von einem Verwalter des Groninger PS-Auftrittsort begrüßt: eine Art vegetarische Mensa für die örtlichen Alternativ-Massen. Holland ist nämlich das Land, in dem die Grünen vor Jahren schon gesiegt haben. Und trotz vieler Fahrräder und allgemeiner Gemütlichkeit ist das irgendwie auch nicht das Leben, das wir uns erträumen.
Im Bandbus verplauderte man die Ostfriesland-Rallye HH – Groningen mit Mutmaßungen und Andeutungen, wer mit wem in der letzten Hamburger Nacht Spaß gehabt hat. Thomas erzählt, wie er nächtens Nile Rodgers in New York aus dem Bett geklingelt hat, um ihn als Produzenten für die neue LP anzuwerben. Dieser zeigte sich interessiert, aber dann war plötzlich Andy „Coati Mundi“ Hernandez da, mit dem man sich in Minuten einigte, und der nun im Herbst in Zürich und New York das neue Werk gemeinsam mit Mixer Mel Jefferson produzieren wird. Mel ist bei jedem Schaumburg-Gig dabei und sorgt dafür, daß die verwöhnten Knaben immer ihren 1a-Luxus-Sound bekommen. Im Moment leidet er aber unter der ABC-Vorliebe, die bei Schaumburgs jüngeren Leuten (Timo und Ralf) grassiert „When you write lyrics in the bathroom, they get wet“, kommentiert er das ewige „It’s the look, it’s the look“-Gesumme. Ralf trommelt beim Soundcheck eins ums andere Mal das „Look Of Love“-Intro. Mel haßt Trevor Horns Drum-Sound und sorgte unlängst für die Produktion der neuen Dorau-Single (Ich: „Man kann seine Stimme gar nicht wiedererkennen.“ Mel.: „That’s The Idea!“) und läßt sich gerade die Gegend erklären, das ultra-weirde Ost-Friesland/Holland. Timo: „This place is called ‚Empty‘“, als wir durch Leer fahren.
In Groningen spielt man im Rahmen einer „Männeremanziptationswoche“, was immer das heißen mag. (Der neue Trend aus England: Auch Männer können Musik machen!) Die Holländer mögen Schaumburg. Das nivellierte Publikum, das trotz einiger äußerer Andeutungen keine Unterschiede zwischen alt, jung, reich, arm, hip, unhip, bärtig, rasiert, männlich, weiblich zu fühlen scheint, öffnet sich, wie das früher mal war, ganz der Musik. (Ich konnte das nie: mich der Musik öffnen. So ein Blödsinn. Ich denke auch bei den erregendsten Konzerten gerne an Fußball. Erhalte dir immer eine gute Melange im Kopf!) „Palais Schaumburg naar een razend knap niveau“, schreiben die Zeitungen und ganz richtig: „Contrast tussen naiviteit en complexiteit.“
Während wir uns im Hotel eher gelangweilt Chile-Osterreich ansehen, trifft der Billy Preston von Schaumburg ein: Stefan Bauer, ein Jazzer, der Vibraphon und Posaune spielt und von Stuttgart gekommen ist. Stefan ist weder unbeteiligter Gast noch richtiges Vollmitglied, obwohl die anderen ihn gerne integrieren würden. Mit Vollbart und Latzhose korrigiert er auf interessante Weise das Schaumburg-Young-Hipster-lmage. „Er ist uns richtig ans Herz gewachsen. In Amsterdam sagte er auf der Bühne: ‚Ich in einer Pop-Band vor kreischenden Massen! Und ich tanze! Unfaßbar!‘“ Stefan ist als Nicht-Hamburger allerdings nicht an den Schaumburg-internen Cassetten-Verteiler angeschlossen. Alle HH-Mitglieder besitzen nämlich einen Vierspurrecorder und lassen Tapes mit neuen Ideen kursieren, zu denen sich dann die anderen Mitglieder etwas ausdenken können. So entstehen die Komposition gemeinsam, aber in der stillen Abgeschiedenheit des Privaten.
Die Groninger Mensa-Hippies und CrAss-Punks sahen zunächst nicht aus, als könnte ihnen Schaumburgs Hedonisten-Jazz gefallen, erwiesen sich dann aber doch als sachkundiges, kämpferisches Publikum (sie kämpften z.B. unermüdlich für „Ahoi! Ahoi! Nicht Traurig Sein“, das Schaumburg aber, wie fast alle alten Stücke aus dem Programm gestrichen hat). Walter Thielschs ruhiges, leicht lakonisches Auftreten nimmt PS total den Kindergarten-gib-BabyBaby-BallaBalla-Charakter früherer, wilder Stage-Kämpfe. Seine swingende Seriosität harmoniert mit den Vibraphon-Klängen aus dem Hintergrund, fügt der Eckigkeit und Schärfe eine perlende, fingerschnippende Selbst-Distanz hinzu. Timo springt derweil weiterhin ausgelassen-bübisch und mit einer zuweilen aufblitzenden Trotz-Aggression mit seinem Baß ’rum. Holländische New-Wave-Meisjes verfolgen ihn bis an die Hotelrezeption, rufen auf dem Zimmer an, reisen ihm nach. Aber er bleibt keusch.
Ralf hat dagegen keine Zeit für Ausgdassenheit, arbeitet im Hintergrund diszipliniert am Zusammenhalt. Das geht so weit, daß er für Stefan Schaumburg-gemäße Bühnenkleidung miteinpackt. Thomas Fehlmann wechselt zwischen Keyboards und Trompete (hinter ihm parallel Stefan zwischen Posaune und Vibes), erlaubt sich kleine Sprünge und scheint am meisten hin und hergerissen zu sein zwischen allen Schaumburg-Elementen (Jazz als Musik, Jazz als Image, Pop als Weltanschauung, Pop als Melodie, Modernität, Kunst-Avantgarde-Ethos, Trendiness, Perfektion, Charme, Widersprüche bejahen etc.) Die neuen Songs sind in dieser Besetzung fast durchweg besser als die Relikte aus Hiller-Zeiten. Thielsch ist nicht der Mann, um „Morgen wird der Wald gefegt“ zu singen. Sogar sein eigener Song „Deutschland kommt gebräunt zurück“, war Hiller auf den Leib geschrieben. Neue Sachen dagegen, wie das hinreißende „Ich AP. Pfui Pfui Lupa“ oder „Drei Nach Neun“ mit deutlich gesetzten Refrains, melodischem Chorgesang (Timo: „Ich muß jetzt keine Kompromisse mehr machen“. Was die Melodien betrifft.) und ihren krassen Gegensätzen zwischen Vic Godard und A Certain Ratio, Jazzrock und Top Of The Pops weisen auf eine Zukunft ohne den genialen Showman Hiller, mit einer neuen Art von Entertainment.
Walter betrachtet seine gegenwärtigen Texte als „ein Zeichen für eine Nach-Hiller-Ära, auf dem Weg zu einem neuen Palais Schaumburg-Konzept.“ Er bemüht sich um „Textgebilde, die in sich schlüssig sind, das ist auch ein Unterschied zu Holger. Gemeinsam ist uns, daß ich Löcher lasse, Lücken. Die Idee der Geschichte war für mich schon immer problematisch. Ich gehe davon aus, daß alle Geschichten bekannt sind Es geht mir eher darum, ein Klima zu schaffen.“ Keine Geschichten, kein Anfang und Ende, auch in der Musik? Timo: „Nein, die Musik baut stark auf Anfang und Ende auf. Musik und Text beziehen sich bei Palais Schaumburg nicht in dem Maße aufeinander wie bei Extrabreit, wo das Stück zu Ende ist, wenn der Text zu Ende ist, wenn der Polizist auf die Fresse bekommen hat“. Walter: „Das übergeordnete Ziel ist doch so etwas wie eine neue lnhaltlichkeit“. Seine ernste Ausstrahlung und gewisse physiognomische Übereinstimmungen haben ihm im NME einen Vergleich mit Jean Marais eingetragen. Ich kann Cocteau nicht leiden. Walter Schaumburg ist eindeutig moderner: „Es gab einmal ein Zwischenraum / von Bild zu Bild hindurchzuschauen /Ein Bilderfreund, der dieses sah, / stand eines Abends plötzlich da / Und nahm den Zwischenraum heraus / …“ (aus „Sieg Auf Knien“). Danach kommt leider der Satz: „und malte daraus ein neues Bild (nicht schlecht)“. Das hätte ich mir auch so denken können, soviel Erklärung braucht man nicht, da hätte ruhig eine Lücke gepaßt.
Andere Texte, eigentlich alle mit guten Ideen gut versorgt, stehen mehr in der assoziativen PS-Linie, die Walter zu überwinden versucht. Timo: „Die reine Assoziation wird ja auch schnell langweilig. Das macht ja jetzt jeder. Insofern hat ‚Spex‘ mit der Kritik an Detlefs (gemeint ist mein Bruder – der Verf.) Texten gar nicht mal Unrecht! Das mußte mal gesagt werden. So Sachen wie ‚Lila wird zu braun‘, hört man zu oft“. Auch bei Schaumburg heißt es heute noch „Europa ist Amerika“. Timo: „Ich hab das Gefühl, daß du dich zu viel um Texte kümmerst.“
Eine Band, die sich so musikalisch um Musik kümmert, an Innovationen interessiert ist (Thomas’ oberster Grundsatz: „Überraschen“), bei ihren Texten so stark in europäischer Post-Dada-Literatur-Tradition steht und stark von einem Mann mitgeprägt wird (Thomas Fehlmann), der sein Handwerk „mit Ideen umzugehen“ in Zürich bei einem Duchamp-Schüler gelernt hat, stünde in der Gefahr, in pures 5Oer-Jahre-Lyrik-trifft-Jazz-Revival zu verfallen (à la Peter Rühmkorff liest, das Michael Naura Quartett spielt oder: Texte von Benn werden zwischen Oscar-Peterson Piano-Quälereien verlesen), wenn sie nicht so ein offenes Auge für den Trend hätte. Während sich die anderen gegen das zu Unrecht wenig geliebte Wort „Trend“ noch ein wenig wehren, gibt Ralf Hertwig, der als Drummer traditionsgemäß wenig sagt, aber die klarste Vorstellung von der Band zu haben scheint, alles zu: „Klar, wir sind ja gut informiert, lesen Zeitschriften, beobachten genau, was läuft.“ Sie sind Neuigkeiten-süchtig, ausgesprochene Walkman-Dauerkonsumenten und hingebungsvolle Sound-Gourmets und protestieren dennoch zuerst „Aber wir unterwerfen uns nicht dem Trend!“ Natürlich, natürlich, wer tut das schon? Ich finde gerade die Art und Weise, wie Schaumburg die hinreißend-vergängliche Modewelt mit ihren eigenen großen Ideen verbinden, interessant und einmalig und verstehe nicht, wieso sie sich manchmal auf so spießige, veraltete Werte wie „künstlerisch wertvoll“ zurückziehen. Derlei bourgeoisem Gedankengut zieht Pop die Zähne. Wir einigen uns auf die Formulierung „mit dem Trend“ arbeiten. Auf Rip, Rig & Panic hätte ich wahrscheinlieh länger einreden müssen bis sie zugegeben hätten, an Trends zu partizipieren.
Palais Schaumburg ist die große Geste, nach vorher genau abgezirkelten, selbstauferlegten Gesetzen. Republikanische Pracht, die über das Republikanische hinausweist. Palais Schaumburg handelt von den luxuriösen Sinnenfreuden der modernen Techno-Welt. BRD-Mittelstands-Kunst (Thomas) / Pop (Timo, Ralf) / Literatur (Walter)-Kinder, die die Objekte in ihrer Vergänglichkeit genießen, die Zwischenräume nutzend. Walter Thielsch brachte zwei Tage nach unserer Luxus/Trend/ „Ihr-seid-doch-alle-Bürgerkinder“-Konversation in Schaumburgs Wohnzimmer-Loft gegenüber dem „Spiegel“-Hochhaus ein neues Positionspapier (siehe Kasten). Auch Schaumburg erkennt neuerdings offenbar die Notwendigkeit, sich abzugrenzen („Früher standen wir darauf, daß wir in Interviews nur über Mode, Lieblingsfarben und Lieblingsmusik geredet haben“). Heute ist jeder harmlos und Schaumburg läßt sich was Neues einfallen. Denn sie haben einen weiteren Sprecher, und einen neuen Plan: „Wir wollten ja nicht jemanden haben, der ähnlich wie Holger ist. Der wäre ja immer mit Holger verglichen worden. Strange Typen gibt es ja inzwischen genug“ (Timo). Die weiten Gebiete von Klang und Verweis der neuen deutschen Welle und der konventionellen Jämmerlichkeit entreißen.
„Unsere Musik ist lustvoller geworden und damit ehrlicher“ (Thomas).
„Wieso unsere Musik war früher genauso ehrlich wie heute“ (Ralf).
„I can dig it“ (Richard Nixon)
„Handelsübliche Ubertreibung. Darauf geb’ ich nichts“ (Herr Wundermild).
„Wir machen uns unsere kleine Palais Schaumburg-Welt“ (Palais Schaumburg).



