Paul Schrader: Ein Mann für gewisse Stunden

„Call Me“ habt ihr vielleicht schon im Radio gehört. Das ist ein Song, der vorgibt, von der Band Blondie zu stammen, in Wirklichkeit aber eine neue Giorgio Moroder-Produktion ist, mit dem jungen Luxus-Disco-Starlet Deborah Harry. Mechanisch, maschinell, brillant, aber seelenlos, so wie dieser Song, beginnt der Film, wenn der „American Gigolo“ (Originaltitel) Richard Gere, auf superedlem Filmmaterial, mit seinem Mercedes durch Hollywood gleitet. Richard Gere ist dabei ebenso hübsch wie charakterlos, eine Luxus-Maske. Der Film sagt nicht, woher er kommt, wer er ist. Ein Gigolo ist eine Ware. Wie sein Auto, wie sein Appartment.

Paul Schrader sagt über diesen, seinen dritten Film, er habe einen reinen „Kopf-Film“ gemacht, einen „intellektuellen Film über die Akzeptanz der Gnade“. Schrader kommt aus einer streng calvinistischen Familie. Wie sein voriger Film „Hardcore“ handelt auch „American Gigolo“ von Schraders persönlichen Schwierigkeiten mit dieser Vergangenheit, in der nicht nur Kino als ein verbotener Genuß galt. Während in „Hardcore“ die calvinistische Ethik dem Porno-Business begegnet, ist es hier allgemeiner, der Konflikt zwischen dem moralisch verwahrlosten Luxusleben der herrschenden Klasse und den moralischen Erkenntnisprozessen ihrer subtil ausgebeuteten Opfer.

Der Gigolo lebt nicht schlecht. Er arbeitet für zwei konkurrierende Agenturen, die Chauffeure und Dolmetscher an reiche Ausländerinnen in Los Angeles vermitteln oder an einsame Industriellengattinnen. Der Gigolo denkt nicht viel nach, aber er glaubt, daß die Befriedigung älterer Frauen auch eine ehrenhafte Seite hat. Er versucht sich eine Spitzenstellung in seinem Job aufzubauen, um sich seine Aufträge und Aufgaben auszusuchen. Er versucht Karriere zu machen, sich den Marktgesetzen zu entziehen. Doch einen zu unabhängigen Angestellten kann sich kein Unternehmer leisten. Zwei Dinge geschehen dem Gigolo: Erstens, man verwickelt ihn in einen Mordfall (einer seiner Arbeitgeber steht dahinter), und alle Freunde lassen von ihm ab. Zweitens, er verliebt sich in die Gattin eines Politikers, die, ähnlich wie er, nur Objekt und Ware im Spiel der Mächtigen ist. Ihre Liebe ist ein innerer Befreiungsprozeß. Am Ende verschafft diese Frau (Laureen Hutton) dem Gigolo ein Alibi, ruiniert damit wahrscheinlich die Karriere ihres Mannes und befreit den Gigolo aus dem Gefängnis. Wie es ökonomisch mit den beiden weitergehen soll, bleibt offen. Aber ihre Prostitution an die Interessen anderer ist gestoppt. Ihr Bewußtsein ist frei.

Schrader ist ein linker Christ, mit einem gebrochenen Verhältnis sowohl zum Linkssein wie zum Christentum. Diese Haltung prägt seine Ästhetik des Kinos. In „Taxi Driver“, dessen Drehbuch er schrieb, wird genau das Leben, die Umgebung ästhetisiert, die den Helden zum Zusammenbruch treibt, von der er sich befreien will. In „Blue Collar“ ist die Autofabrik, die das Leben dreier Männer ruiniert, blitzend und schön. „American Gigolo“ ist in genau dem Licht-fällt-durch-Lamellen-Rollo-Stil fotografiert, der die Journale der porträtierten Bourgeoisie anfüllt.

Doch die Widersprüche dieser Welten fallen nicht den Bildern zum Opfer, die Überzeugungskraft der Helden ist bei Schrader allemal stärker.

Als Cineast und langjähriger Filmkritiker weiß er um die Verführbarkeit des Zuschauers: Er spielt damit, aber er macht dem Zuschauer auch sein eigenes Sehen bewußt.