Manche sehen die Geschichte als ein heilloses Wirrwarr von Verben und Hilfsverben an, Gottfried Benn zum Beispiel. Andere, wie Nostradamus, wollen alles immer schon gewußt haben. Immer mehr breitet sich gerade in der Kunst-Szene der Irrglaube aus, Sterne und Gestirne bestimmten irdische Fügungen und Zusammenhänge, und ich sage immer noch, daß alles mit allem zusammenhängt. Aber kennt die Geschichte Absichten? Mußte Jackson Pollock sterben und die Kommunistische Partei Deutschlands verboten werden, damit Markus Oehlen zur Welt kommen konnte?
„Es war ein einziges Flammenmeer, Schüsse in der Luft, immer mehr Schüsse. Ratten liefen über dich, du hast dich in den Boden gekeilt, im Keller gehockt. Du denkst, daß Ratten beißen, das stimmt nicht.“
Nun, ein letztes Mal griff die alte traditionsreiche Katholikenpartei „Das Zentrum“ in die deutsche Politik ein, in einer Koalition mit SPD und FDP – die im selben Jahr ihre Koalition im Bundestag mit der CDU kündigte, was nicht viel bewirkte, weil der Alte ja eh die Mehrheit hatte: hier also nur als Exempel für jüngere Zeitgenossen gedacht, daß die FDP schon immer gut im Kündigen von Koalitionen war, egal ob das Rad der Geschichte damit auch nur einen Zentimeter voranbewegt werden konnte – unter einem gewissen Steinhoff stürzte es die Regierung Arnold (CDU) in Rheinland/Westfalen, dem heutigen Nordrhein-Westfalen, in dessen schmuckem Städtchen Krefeld ein entfernter Onkel von mir als Chemiker bei Bayer arbeitet, zuhause seiner alten Vorliebe, dem Swing-Piano, frönt und Markus Oehlen 1956 geboren wurde, als zweiter Sohn des Zeichners und Karrikaturisten Adolf Oehlen. Wie sein älterer Bruder Albert war auch ihm eine Künstlerlaufbahn beschieden.
„Es gab weder Stunden, Tage, Nächte, nur noch kreischenden Schmerz, ausgedörrten Hals, Muskeln, die sich gleich Gummibändern zusammenziehen. Die Abstände zwischen den Anfällen werden kürzer, die Anfälle länger.“ Markus Oehlen kam schon früh, als Dreizehnjähriger nämlich, mit dem Kommunismus in Berührung, dennoch sorgte er 1984 auf der Düsseldorfer Riesenausstellung „von hier aus“ unbeabsichtigt für einen politischen Skandal ganz anderer Couleur: Ein Abgesandter des französischen Kulturministers Jack Lang, dem ein gaullistischer Abgeordneter, ausnahmsweise im Recht, die Worte entgegenschleuderte: Können Sie sich nicht anziehen wie ein anständiger Franzose, und dem neuerdings eine Ähnlichkeit, wenn auch wohl kaum das Format betreffend, mit dem heimlichen, männlichen Sex-Objekt Nummer Eins der westlichen Welt, Ghaddafi, nachgesagt wird (Bild: „Gräfin: ‚Ich war Ghaddafis Geliebte. Ich nannte ihn Bübi‘“), obwohl er doch Gotthilf Fischer viel ähnlicher sieht, fühlte sich brüskiert durch vermeintlich nationalistische bis neonazistische Tendenzen in der für den Geschmack des Franzosen ohnehin viel zu erfolgreichen neuen deutschen Malerei. Man muß sich dies vorstellen! Statt der weitverbreiteten Tendenz zu Spökenkiekerei, Irrationalismus und politischer Abstinenz in der gesamten Kunstszene, namentlich aber in seinem Heimatland, das glaubt, den internationalen Anschluß gefunden zu haben, indem es neuerdings ein paar Herve Di Rosas produziert, entgegenzutreten, wittert der absonderliche Abgesandte in Deutschland Neo-Nazismus, den er aber nicht an den, solche Kritik bereits gewöhnten Lüpertz und Kiefer festmacht, sondern ausgerechnet an Markus Oehlens, einsam über derlei zeitgenössischem Gemecker, klassisch-psychedelisch hinweggleitenden Abstraktionen, die ihn irgendwie an Hakenkreuze erinnert haben. Was wiederum ein Thema wäre. Denn als Markus Oehlen geboren wurde, ist Hitler von der offiziellen deutschen Gerichtsbarkeit (West) offiziell für tot erklärt worden. Als Markus Oehlen 1963 eingeschult wurde, brach die BRD gemäß der damals gültigen Hallstein-Doktrin die diplomatischen Beziehungen mit Cuba ab. Das Land hatte die DDR anerkannt. Mußte Markus diese Beziehung wieder herstellen?
Als Markus Oehlen 1963 eingeschult worden ist, wurde John F. Kennedy ermordet. The Byrds und später Lou Reed widmeten ihm Nekrologe („He Was a Friend Of Mine“ und „The Day John Kennedy Died“). Kennedy hatte aber auch Cuba eine Krise beschert und um die legitimen Verteidingungsinteressen betrogen. In diesem Spannungsfeld sollte ein großer Teil von Markus’ späterem Leben stattfinden: Hier der gerecht politische Anspruch der Cubaner und Russen, deren Parteivorsitzender Chruschtschow in dem Jahr, in dem Markus eingeschult wurde, übrigens die Mauer inspizierte, dort die schönen Lieder der Amerikaner, die den Verursachern des Unrechts auch noch wunderbare Nekrologe entbieten. De mortuis nihil nisi Pop-Songs.
Eine vorübergehende Lösung dieser Widersprüche sah er in Kölner Kinos des Jahres 1969, vornehmlich in der Wochenschau, wo man damals noch eifrig von den Studentenunruhen in Berlin berichtete.
Doch bevor es zur entfaltungshemmenden, scheinbaren Auflösung objektiver Widersprüche kommen konnte, trat dazwischen: die Kunst.
Markus wurde zum Künstler, ohne daß die Kunst, die er betrieb, das berührte, was ihn augenscheinlich nach Außen definierte: Politische Umtriebigkeit und Musikbegeisterung. Im Gegenteil: Er sperrte sich gegen jede immer wieder wohlfeil angebotenen Versuche, die Bereiche miteinander zu versöhnen. Er ignorierte Woodstock, Altamont und hörte stattdessen The Crazy World Of Arthur Brown.
Er ignorierte politische Kunst und musikalische Kunst, künstlerische Rockmusik war ihm erwiesenermaßen ein Greuel wie künstlerische Politik. Aber er entdeckte für uns Heutige im Jahre 1974 den Phillysound. Mit seinen Künstlerpranken schaffte er kistenweise das geile Zeug herbei: George McRae, Hamilton Bohannon, Barry White, Jimmy Castor Bunch, Kool & The Gang, KC And The Sunshine Band – die großen Monotonen der noch relativ unschuldigen Tanzböden, die großen Avantgardisten der Discokultur. Für Markus war 1974 alleine deshalb ein großartiges Jahr.
Seine Kunst hatte mit dieser Musik nie etwas zu tun gehabt.
„Schönheit ist das Wunder aller Wunder. Christina ist schön. Sie ist 17, sie ist schön und klug … Wenn deine Jugend dich verläßt, dann mußt du anderswo schön sein. Sonst haste nischt. Lebe, Leb’ doch das Leben!“
Später, lange nachdem Markus als Schlagzeuger der Gruppe Mittagspause zu den Avantgardisten der deutschen, deutschsprachigen Punkbewegung geworden war – seine Malerei hatte mit Punk nie etwas zu tun – arbeitete ich mit Markus und anderen in verschiedenen dilettantischen Popbands wie den Nachdenklichen Wehrpflichtigen oder Flying Klassenfeind oder LSDAP/AO zusammen. Der Charme dieser Bands bestand unter anderem darin, daß wir viele Ideen hatten, die wir nur unzulänglich verwirklichen konnten. Desto besser mußten die Ideen sein.
Der Mann bediente sich in vielen Bereichen vieler Methoden und ist nie an dem Ehrgeiz zerbrochen, seine künstlerische Person über die Medien hinweg vereinheitlichen zu wollen. Denn weil er immer gut war, konnte er außer Kraft setzen, was in der Geschichte gilt: Alles hängt mit Allem zusammen.
Wenn man aber gut genug ist, eine Sache in ihrem Innersten zu verstehen – was die Geschichte nicht ist und erst recht nicht ihr Sichtbarwerden durch die Geschichtsschreibung – weiß man, wie wenig die Künste wirklich miteinander zu tun haben. Deswegen ist Markus nie ein Rock’n’Roll-Maler geworden. Aber er ist ein Maler geworden, der mit den großen monotonen Meistern, der Disco-Musik, mit den abstrakten Malern der 50er Jahre eines gemeinsam hat, in Bild und Ton: die Eleganz des Ghetto, den Jive-Talk in Manier und Handschrift, den Badass-Walk, einen Swing aus poröser, manischer Schönheitsbegeisterung, dem nie ein erbaulicher Gedanke den Weg gezeigt hat. Vielleicht sehen seine Bilder deswegen auf den ersten Blick so erbaulich aus: Weil das Bürgerlich-Erbauliche seit ein paar Dekaden als sinnvolle Frechheit daherkommt, und nur Jive und Swing-Arroganz, ohne sichtbares Wollen oder, Schmollen, in großzügigen Schwüngen und Strichen, noch helfen.
Marcus Oehlen hat eine schulpflichtige Tochter und im Jahre 1983 mit süßen Siebenundzwanzig seine erste Kur absolviert.