Stell dir vor eine Punk-Gruppe aus Japan. Lauter kleine Spielzeugmenschen spielen Punk in bunten Kostümen und mit pieksigen Haaren. Ist das nicht wunderbar?
Natürlich sind die Plastics keine Punkgruppe. Das Etikett „Techno-Punk“, mit dem die lokale Werbung ihre Autritte versah, sollte man in „Rhythmusmaschinen-Blitzkids“ ändern. Denn zum Pochen der Rhythmusmaschine feierten die fünf in Vivian Westwood-Modelle gewandeten, schönen, jungen Japaner eine virtuose Hommage an alles, was man vor zwei Jahren (vor allem in Amerika) mit dem Begriff New Wave verband: Hauptsächlich Talking Heads und B-52s-Einflüsse (Orgel und Percussion), David Byrne-Singstimme-Imitation, funkig-modernistische Akkordprogression, hysterische Njuwehf-Stimmakrobatik. Aber obwohl das jetzt wie schauderhaftes Mode-Konglomerat klingt, gab es souveränes, verblüffend humorvolles Entertainment zu sehen, schöne Melodien und einfallsreiche Arrangements zu hören.
Man ist verblüfft, wenn man hört, Japaner hätten dieselben Probleme wie andere junge Leute im Westen. Man fliegt wegen langer Haare von der Schule, und dem kurzhaarigen Toshi wäre es fast so gegangen, erzählt er, damals, heute seien lange Haare akzeptiert und die Stachelköpfe hätten Schwierigkeiten. Das uralte Spiel von Rebellion und Repression. Und wie ist das, wenn sich zwei japanische Punks voneinander verabschieden? Verneigen sie sich dann, wie die reizende Sängerin Chica im Konzert?
Gewalttätige Jugendsekten-Kriege gibt es in Japan nicht, dafür alle Jugendsekten (Skins, Punks, Mods, Teds, Pülgs, Vrunz, Spirsel und Meingel) und angeblich eine florierende japanische neue Welle. Mit noch mehr Erstaunen hört der Fremde, daß es in den 60er Jahren eine Japan-Beat-Bewegung gegeben haben soll mit japanischen Texten. Der Begriff für diese Bewegung ist „Group Sound“. Die Plastics haben ihre Roots in dieser Bewegung, obwohl sie alle viel jünger, zunächst mal unter demselben Namen ein erfolgreiches Graphik-Team waren. ’76 fingen sie, wie so viele junge Menschen in der ganzen Welt an, Musik zu machen. In Japan sind bislang zwei LPs erschienen, die im Rest der Welt erhältliche WELCOME BACK ist eine Compilation. Bei Einflüssen fallen natürlich Namen feinsinnig-sensibler Bands wie Talking Heads oder auch Monochrome Set. Wunderlicher ist es, wenn James White oder Johnny Lydon genannt werden. Kann sich ein Japaner mit dieser spezifisch westlichen Form von Neurose, diesen abendländischen Späterscheinungen wirklich identifizieren oder ist es für ihn nur exotisch und irre wie für uns eine japanische Performance? Toshi: „Als ich James gesehen hatte war er sehr besoffen, ich kann nichts über ihn sagen, ich weiß nicht wie er sonst ist und John Lydon hab’ ich nie getroffen.“
Das Interview litt leider häufiger unter solchen Verständigungsschwierigkeiten. Man mag uns „altphilosophisch“, „altphilologisch“, „pseudophilosophisch“ oder „von chinesischer Philosophie beeinflußt“ schimpfen, aber wir können kein japanisch. Und die Japaner nur wenig englisch. Aber sie sind schlau und in den richtigen Dingen gebildet. So ist Chica z.B. Brian dePalma-Conaisseur und sofort mit unserer Entscheidung einverstanden „The Fury – Teufelskreis Alpha“ in unserer privaten Liste auf Platz eins der Rubrik „Die zehn besten Filme der siebziger Jahre“ zu setzen. Wenn nicht in Tokyo halten sich die Plastics in New York auf, wo sie enge Freunde der beiden großen Vorbilder B-52s und Talking Heads wurden und für letztere auch ein paar Single-Cover gestalteten. Als sie im Mudd-Club spielten wurde ihr Organist in eine Session mit David Byrne, Lenny Kaye und John Cale verwickelt. Wie war John Cale? „Fürchterlich betrunken.“ Alle Leute, die ihr im Westen trefft, scheinen betrunken zu sein, habt ihr auch nüchterne Menschen getroffen? „Hm,… außer David Byrne und Brian Eno wüßte ich nicht…“ Eine Frage zu dem Vivian Westwood-Hemd, das du trägst, kennst du Gustav Klimt? „Klimt? Nein, aber Egon Schiele.“ Klar, daß wir zur Kunsthalle gingen, um uns Hamburgs gegenwärtige Klimt-Ausstellung anzuschauen und zu zeigen, wo die Westwood ihre Ideen her hat. Nichts gegen Eklektizismus übrigens und gesund-freizügige Moral in Fragen des geistigen Eigentums, auch die Plastics haben alles irgendwo her und fabrizieren trotzdem eine tolle Emulsion, wo das Ganze interessanter ist als die Summe der Teile.
Die Kunsthalle hatte dann zu, man ließ uns nicht mal auf die Toilette gehen und darum froren wir mit den Japanern am Alsterufer, während die Fotos entstanden, die ihr jetzt betrachtet.
