Neil Young: Freedom, Reprise/WEA
„Von Kindesbeinen an fühlte ich mich schwächlich.“
Neil Young im deutschen Fernsehen
„Das Schreiben heute“ ist nicht einfach „ans Opfer gebunden“, sondern in Übergangszuständen angesiedelt, in denen zwischen Opferung (anderer) und Selbstopfer Entscheidungen zu treffen sind. Entscheidungen, die nicht inhaltlich fallen (pro oder contra), sondern in den artistischen Verfahren der jeweiligen Autoren. Kafka entfernt sich vom Ü-Pol (dem Pol des Überlebens – Anm. d. Verf.), indem er bestimmte Töne nicht zuläßt in seinem Schreiben (…) Ist das die einzige Alternative? Daß man, künstliche Wirklichkeiten produzierend, speziell: schreibend, opfert oder sich selbst verzehrt?
Klaus Theweleit im Buch der Könige
Seine populärsten Platten, Harvest und After The Gold Rush, wurden in den frühen 70ern vor allem von heranwachsenden Mädchen gekauft und geliebt, von diesen ersten Mädchen, die nicht mehr so klein und selbstlos waren, daß sie sich hätten vorstellen können, einen glänzenden herrlich schönen Superstar nur anzuhimmeln, sondern in deren Gefühlen während des immer schon erschütternden Verwirr- und Vermischungsprogramms der Pubertät neuerdings eine Ahnung der Vorstellung beigemischt worden war, daß sie eines Tages oder bald mehr von sich durchsetzen, in der Wirklichkeit wiederfinden könnten als ihre Mütter. Der schwächlich und klein klingende Mann, dessen Stimme sie immer und immer wieder hören wollten, war nicht, wie wir Jungs damals dachten, ein abgefeimter Poser und „Verwundbarkeits“- – wie bald das Lieblingswort des neo-innerlichen Feuilletons lauten würde – Darsteller, sondern von seinem kaputten Rücken und seiner Epilepsie so fertig gemacht, Drogen halfen dabei, daß er bei diesen beiden Platten buchstäblich im Liegen singen mußte. Man hatte ihm im Studio ein Krankenbett eingerichtet, und seine Stimme hatte deswegen diesen körperlosen, vollkommen hingeworfenen Klang, weil sie nicht aus einem aufgerichteten, mit sich selbst einigen Körper kam.
Während der Lektüre des Buch der Könige, insbesondere der Passagen über Kafka, mußte ich immerzu an Neil Young denken, als denjenigen, der dieses Selbstopfer, diese Verzehrung überlebt hatte, vielleicht als erster, und zwar nicht vom Ü-Pol aus, sondern im Liegen. Und wie da tatsächlich der Erfolg einer Änderung, einer – vielleicht vorübergehenden – Verbesserung an Rändern und in bestimmten Nischen der Künstlichkeitsproduktion erzielt worden ist, der auf die entschlossensten Hippies zurückgeht. Und Entschlossenheit heißt hier, die Option der Selbstverzehrung zu wählen, aber trotzdem im weiteren Sinne so politisch zu sein, daß man damit nicht die Niederlage wählt. (Neil Young hatte ja auch vorher deutlicher als ein anderer die andere Geschichte, die in diesem Buch immer wieder erzählt wird, formuliert (und erlebt): „She could drag me over the rainbow / … / Down by the river / I shot my Baby.“)
Eine der schönsten Fähigkeiten Neil Youngs war es immer, im Pathetischen genau zu sein, wenn alle nur ein bestimmtes, Scheitern bestätigendes Pathos und Bewegung und große Emotion wahrnahmen und hören wollten, etwas ganz genau zu sagen, dem sich auch die große Aufwallung der Gefühle in seiner Gefolgschaft zu unterwerfen hatte. In „Rockin In The Free World“ heißt es über das Baby einer Crack-Süchtigen: „That’s one more kid / That will never go to school / Never get to fall in love / Never get to be cool“. Daß cool zu sein, nicht wie es bürgerliche oder europäische Lebensentwürfe, Visionen, Utopien, Ideologien haben wollen, Selbstverwirklichung, Karriere, Hab und Gut und Demokratie, das sei, wofür es sich lohnt zu leben, wozu jeder eine Chance haben muß, sondern cool zu sein (also im Grunde genommen eben gerade auch Nicht-Mitmachen, Abhängen, auf der Straße Rumstehen), korrespondiert in seiner Genauigkeit mit den besten Sätzen aus „Hey Hey, My My“, der letzten großen Hymne, die Neil Young – vor zehn Jahren – schrieb, und deren Insistieren auf einer Rock’n’Roll-Wahrheit, die sich gegen kulturindustrielle Verblendungen ebenso durchsetzen würde und müsse, wie gegen die Fehler des Alterns, der Selbstmythisierung etc. … Damals, als noch kein Mensch über 22 einen Pfifferling für Punk-Rock gab, drückte er Johnny Rotten die soeben von Elvis abgegebene Fackel in die Hand. Dazu hieß es damals: „It’s better to burn out than it is to rust.“ Und: „Once you’re gone / You can’t come back / When you’re out of the blue / And into the black.“
Young für Punk war, als hätte Kafka gelebt, um in die Kommunistische Partei einzutreten (und zwar in deren stalinistischer Phase, nicht in irgendeine ideale Kommunistische Partei). Seine besondere, nicht mehr im Liegen singende Stimme wollte nichts mehr mit dem zu tun haben, was jetzt inflationär im von bürgerlich gewordenen Ex-Hippies vollgeschriebenen und vollgesendeten deutschen Kulturraum „leise Töne“ und „Mut zur Verletzlichkeit“ hieß und die Niederlage eben der Hippies zu verklären half, und dennoch ließ er bestimmte Töne weiterhin nicht zu und lief nicht einfach zur Jugend und zum Punk-Rock über, 1979, sondern ließ sich aus seinem Leben ergeben, was beim „historischen Phänomen“ Punk-Rock sich aus einer bestimmten teleologischen Subkulturmythologie ergeben sollte. Wir können davon ausgehen, daß sich die mit Freedom ebenso lapidar wie entwaffnend betitelte neue Young-LP gegen die Verklärung der Niederlage des Punk betreibende Teile unseres heutigen Bewußtseins richtet.
Die Erfahrungen der vielen Seiten- und Sonderwege, die Young seit Rust Never Sleeps (der LP, auf der „Hey Hey, My, My“ drauf war) gegangen ist, richten sich als Erfahrungssumme auf dieser Platte gegen die Versuche, sich in den Scheinidyllen des Spezialistentums oder der Massenwirksamkeit industriell gefertigter Instant-Caritas, also in der heutigen Lage einzurichten, in der auf der guten Seite, der des Underground, vor lauter Sekundärtaktiken, Strategien, intergenerationellen Problemen und daraus folgender Orientierungslosigkeit fast vergessen worden ist, um was es eigentlich geht, nachdem man sich entschieden hat, lieber auszubrennen als zu rosten. Die Freiheit (cool zu sein).
Früher war man allerdings von alleine cool, um dann zusätzlich noch mehr zu wollen, heute ist schon die Voraussetzung, irgendetwas zu wollen oder erreichen zu können, bedroht: die Chance zum Cool (geboren vor knapp 40 Jahren auf einer Miles-Davis-Platte) wird nicht nur dem Baby einer Crack-Mutter genommen, die weltweite Sterilisierung und Verängstigung des Einzelnen tut bei den materiell besser Weggekommenen ein übriges. Während man sich über Triumphe in der Kultur freute, hat die Wirklichkeit deren Bedeutung und Kraft kurzerhand lahmgelegt und in Glaskäfige gesperrt. Es wurden tolle Waffen erobert, die längst nicht mehr funktionierten.
Neil Young hat die theoretische und postmoderne Epoche der Popmusik durchaus nicht arrogant ignoriert, hat sich beteiligt an den Perspektiven, die entstanden, als Pop-Musik sich im Spiegel betrachtete, als Musik über Musik gemacht und gedacht wurde, und sich nicht wie die Mehrheit der, gerade amerikanischen, alten Helden in den Schmollwinkel eines authentizistischen Rockism zurückgezogen. Er hat eine Disco/Computer/Kraftwerk-Adaption seiner Musik mit großem philosophischem Erfolg unternommen (Trans), er hat harten, aber erweiterten Punk-Rock so gespielt wie die zehn Jahre jüngeren Punk-Bands selber erst drei Jahre später (Re-Ac-Tor, teilweise Rust Never Sleeps), er hat demonstrativ alte Wege beschritten und Country-Wurzeln gesucht, um den Song zu retten oder zu überprüfen, wie der sich mitten im Zeitalter des reinen Sounds in reiner Form wohl anfühlt (Old Ways), er hat neue Mischformen um seine klassischen Crazy-Horse-Rockstile gebaut (Landing On Water, Life), er hat eine Soul/R&B-Platte mit Brass-Section aufgenommen (This Note’s For You). Dabei hatte er im Titel-Song wie im dazugehörigen Video Pepsi, Budweiser und andere wichtige Sponsoren/Werbekunden des immer mächtiger werdenden MTV-Kanals angegriffen sowie Kollegen, die mit diesen oder gar mit Politikern zusammenarbeiten, und reichlichen Ärger u. a. mit den Anwälten von Michael Jackson und Whitney Houston bekommen, die er im dazugehörigen Video, das natürlich nicht auf MTV gespielt wurde, parodierte.
Da deutete sich schon an, daß Neil Young, der sich während der 70er fast zu Tode selbstgequält hatte und in den 80ern im Zickzack-Kurs vor allem sein Werk vor der Kulturindustrie retten zu wollen schien, erstmals wieder Verantwortung für die ganze Pop-Nation zu übernehmen sich entschlossen hatte. Anfang des Jahres sahen ihn dann begeisterte Kalifornier in der Begleitband Bob Dylans als Gitarristen (diesem sein manchmal verschüttetes und von Gospelgesinge vernebeltes Punk-Herz in Erinnerung rufend, nehme ich an, wenn ich gerade höre, wie Oh Mercy auch die mit Abstand beste Dylan-Platte ist, die dieser seit Blood On The Tracks aufgenommen hat), während Musiker der nächsten Generation, und zwar die Creme, von Nick Cave über Sonic Youth, Pixies, Flaming Lips bis zu Henry Kaiser und Dinosaur Jr. eine Hommage-Platte für Neil Young (The Bridge) mit Coverversionen aufnahmen und das Geld seiner Organisation für geistig behinderte Kinder (zwei seiner drei Kinder leiden an so einer Behinderung) spendeten. Kurz tauchte auf dem japanischen Markt im Sommer eine neue LP von ihm auf, El Dorado, bevor sie gleich wieder zurückgezogen wurde, Bootlegs und Cassetten fanden den Weg zu Fans, die japanische CD mit 5 Titeln war vorübergehend für um die 70 Mark in einigen Plattengroßmärkten auch dieser Republik der Dienstleistungsabende für Dienstleistungspeople zu haben. Ein Gerücht besagte, die Platte sollte nicht auf den Markt kommen, weil sie der Plattenfirma zu radikal, punkrockig und lärmig sei, und die nach all dem Ärger der letzten Veröffentlichungen auch mal in Ruhe Geld verdienen wolle.
Das, was jetzt (mit El Dorado) als Freedom erschienen ist, widerlegt dieses Gerücht. Diese Platte enthält die härtesten Stellen seit Re-Ac-Tor (z. B. in „Don’t Cry“) und Young, der bei aller Bereitschaft zur intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Popismus des letzten Jahrzehnts als ausgenutzter, einsamer, abgeschweifter Songwriter, dessen einsam erkämpften, authentischen Gefühle von der Musikindustrie benutzt wurden, für die toten, perfekten Tracks, die sie immer schneller und makelloser produziert (und in ihrer toten Alltäglichkeit, von wenigen Ausnahmen in exponierten Dancefloor-Labors abgesehen, ohne jedes chancenöffnende Flair neuer Künstlichkeit, sondern als geistesabwesende Wiederholung der immer gleichen Schaltung), zieht im Text dieses Fazit zur Lage der Musik, nach den erwähnten Erfahrungen eines Mannes, der sich schon auf seiner ersten Solo-LP „Loner“ nannte und dennoch in den 80ern in allem, was sich als neu ausgab, zunächst eine Chance witterte, seinem Image und dessen ausweglos-ewiger Reproduktion zu entkommen: „The artist looks at the producer / The producer sat back / He said: ‚What we have got here / Is a perfect track / But we don’t have a vocal / And we don’t have a song / If we could get these things accomplished / Nothin’ else could go wrong‘ / So he balanced the ashtray / As he picked up the phone / And said: ‚Send me a songwriter / Who’s drifted far from home / And make sure that he’s hungry / Make sure he’s alone / Send me a cheeseburger / And a new Rolling Stone‘ / Yeah“ (aus „Crime In The City (Sixty To Zero Part 1)“.
Dem entspricht eine Musik, die ebenfalls die Summa Summarum aller Aktivitäten, die Neil Young in den letzten zehn Jahren unternommen hat, darstellt, die jeweilige Situation bekommt, was sie verdient: unbegleitetes Solo, Bläserensemble, Linda Ronstadt, meistens Crazy-Horse-(seine alte Band)-Gitarrist Frank Sampedro plus neue Band und immer wenn nötig, die salvenartigen Gitarrenschüsse, die er schon bei Re-Ac-Tor so wirksam gegen das einsetzte, was beim Zuhörer eine Idylle hören will.
Wie Rust Never Sleeps beginnt die Platte mit der akustischen Version eines Songs, der sie in seiner elektrischen beschließt: „Rockin’ In The Free World“. Darin verarmen die Menschen auf der Straße, sterben verwahrlost und hoffnungslos an Drogen, sind obdachlos, und die letzten Segnungen des Fortschrittes lassen nur die Handgriffe an den Maschinengewehren handlicher werden (die Thematik kehrt zwischendurch noch einmal wieder in einer bitteren Hardcore-Version von ausgerechnet „On Broadway“, auf deren offensichtliche Bedeutung ich jetzt nicht noch eingehen kann: nach dem Absingen zu einer Heavy-Beat-Version gibt es Crack am Broadway, wobei offen bleibt, ob es sich um die Droge oder einen Krach oder eine andere denkbare Bedeutung handelt). Am Ende des Jahrzehnts steht ein ganz einfacher Protestsong, der im Gegensatz zu früheren Wieder-Protestsongs von Neil Young nur in einer Zeile auf zeitgenössische (= Umwelt-) Probleme eingeht und ansonsten nur die Stadt, den Müll und den Tod besingt, das von niemandem mehr gesehene Soziale. Darin sich selbst als einen sieht, den seine Umwelt in ihrer totalen auch geistigen Verwahrlosung nur noch für Satan hält, obwohl er sich „gar nicht so fühlt“. Als Gegenmittel oder einzige Chance fordert der Kehrreim, zart in der ersten Version – live in Long Island aufgenommen – , nachdrücklich in der zweiten: „Keep On Rockin’ In the Free World“. Was für eine freie Welt?
Neil Young war nie Ideologe, er ist der Folk-Denker, den nichts, auch nicht die Systeme und Fraktionen, die auf derselben Seite wie er zu stehen vorgeben, bestechen können. Ihm ist natürlich reichlich oft in Europa vorgeworfen worden, daß er nette Worte für Reagan und auch einmal für Nixon fand. Doch waren das keine Phasen oder später unter großem Brimborium revidierten Überzeugungen, sondern die Äußerungen widersprechen für ihn offensichtlich nicht seiner ebenso eindeutigen Verurteilung der Nixon-Administration in anderen Songs („What if you knew her and found her dead on the ground?“), noch seinen Feldzügen gegen die Sozialpolitik in den USA unter Reagan, seinem Engagement in Veranstaltungen der US-Linken. Er ist skeptisch, wie er sagt, gegenüber europäischen Intellektuellen, die die Amis für doof und für reaktionäre Schweine halten, aber nur amerikanische Filme sehen, amerikanische Musik hören und amerikanische Autos fahren wollen (und obwohl wir jetzt alle Argumente wüßten, um diese europäischen Intellektuellen zu verteidigen, lassen wir ihm hier das letzte Wort). Amerika ist für ihn tatsächlich ein besonderes Land, aber es gehört den Indianern, daran hat er nie einen Zweifel gelassen („Cortez the Killer“, „Zuma“, „American Dream“). Er hat mehr über diesen Völkermord gesungen, als irgendein anderer, und er hat daraus nie eine ethnologische oder andere billige Pose aus anderer Leute längst geschehenem Elend gemacht. Auf dem Cover dieser Platte trägt er eine Radical-Chic-Revolutionärs-Mütze mit weißem Stern und ein T-Shirt, das ein „Nuclear Free America“ fordert. Es ist anzunehmen, daß er, so er überhaupt noch wählt, inzwischen wieder den Demokraten seine Stimme gibt, aber das ist kein Ergebnis einer stringenten politischen Systematik oder gar einer solchen Heimat, wie es im Deutschen immer so eklig genannt wird. In Amerika stimmt man, wenn man denn noch daran glaubt, für bestimmte guys und gegen andere, und da ist dieser Folk-Singer auch nichts anderes.
Neil Young ist „Satan“ sowohl für einen Haufen fundamentalistischer Christen und Medienreiniger der immer stärkeren Rechten, aber möglicherweise ebenso auch für homeless Schwarze, die auf der Straße schlafen (und vielleicht eine Predigt von Farrakhan gehört haben). Die Widersprüchlichkeit hört nicht auf, wenn man auf die Straße geht (auch wenn die der Ort ist, der traditionell dem traditionellen Rockisten immer die letzte Wahrheit versprochen hat), die Fronten werden nicht klarer, nicht für das Auge. Die abstrakte Reflexion ist andrerseits so weit weg von dem Leben irgendwelcher Leute, die es da oder auch in besseren Gegenden leben müssen, sie hilft niemandem, der sie bräuchte, sie ist unendlich weit weg. Da hilft nur das „Rockin’“. Und das ist längst nicht mehr ein fieser Mythos, an dem sich alte Säcke aufgeilen (ein paar werden es tun, aber „Taktik“ ist obsolet, nicht nur angesichts der Lage, sondern auch angesichts der Ergebnisse, die nicht nur Neil Young im Laufe der 80er Jahre damit erzielt hat), es ist ein ganz anderes, populäres, allgemeinstverständliches, an jeden gerichtetes Folk-Rockin’, das eben auch, wie so vieles in der Subkultur und dem, was von ihr übrig ist, gezwungen ist, zu retten und zu bewahren. Dabei aber so eine Größe und Massivität als Luftsäule in Neil Youngs eigenartig schiefem gewundenem Körper erreicht, der schon 77 prinzipiell wußte, daß wir „Helpless“ seien, aber auch, daß er „a child“ ist und daher lange vorhalte – und beides sind keine Wunschrollen eines Versagers oder Opportunisten, sondern schlichte wie komischerweise auch immer sensationelle Wahrheiten –, daß er eben dieses rein Bewahrende, diese Sorge um das Überleben der Menschen auf der Straße und ihre vielleicht vergifteten Hirne, die in ihm Satan sehen, übersteigt und wieder eine Forderung wird. So wie „Rock’n’Roll will never die“ vor zehn Jahren keine bierselige Selbstversicherung eines alternden Stammtisches war, sondern eine mit zitternder Stimme vorgebrachte, sehr ernste Entdeckung, die etwas herausgefunden hat: daß es etwas gibt, das größer ist als das Ego des Sängers, etwas, an das man sich anschließt, dem man dient. Und das ist das Volk – so kitschig und terroristisch auch die Bilder sein mögen, die sonst von ihm kursieren oder herumgeistern und nur seine Verharmlosung und Beherrschbarkeit zum Ziel haben: ein gefährlicher, teilweise abstoßend widerwärtiger Haufen, es gibt weiß Gott angenehmere Leute, aber wer sich an ihr „Rockin’“ anschließt, wer ihren Kampf zu verstehen lernt, erwirbt sich das Recht, cool zu sein. Und nur wenn man verhindert, daß alle sterben, die eines Tages cool sein könnten, haben die Menschen überhaupt noch eine Chance. Dies ist die Lehre der Folk-Lore.
Freedom ist eine total konventionelle Neil-Young-Platte, sie ist von der Sprache bis in die Arrangements durch und durch unsensationell. Sie gewinnt dadurch so ungemein, daß sie ein Zusammenfassungswerk und Opus magnum von einem ist, der sich nicht vom Berg Horeb zurückmeldet, sondern der immer präsent war, immer vor aller Augen experimentiert und Gedanken durchgespielt hat, nie verheimlicht hat, wie er dahin kam, wo er gerade ist, bunt zwar in Songs, nicht aber in Interviews oder Gerede, und nun aus dieser Position heraus grundsätzlich wird (was übrigens nicht heißt, daß der seltsame Neil Young hier ausgeblendet wird: die klischeehafte, aber überragende Stierkämpfer-Geschichte „El Dorado“ oder die nahezu unverständliche Geschichte mit Rommel, der Alaska-Pipeline und dem Fernsehprediger, „Someday“, gehört ebenso zu dieser Erfahrungssumme, die auch schon allein von der Materialfülle so immens ist, daß die für LPs technisch kaum überwindbare Grenze von 60 Minuten Spielzeit durchbrochen werden mußte).
Neil Young ist weder der Selbstverzehrung noch der mondänen Künstlerstrategie grundsätzlich abgeneigt gewesen, er hat die Mythenbekämpfung, die Radikalität der Unverläßlichkeit als Überlebensstrategie in der Kulturindustrie, wie die auch völlige Auslieferung an ein verzehrendes, selbstidentisches Image, durch- und mitgemacht, wenn er jetzt einfach und grundsätzlich und rührend wird, ist das einer der seltenen Momente, wo das Einfache, Grundsätzliche und Rührende keinen semantischen oder semiotischen oder politischen Haken hat, an dem parasitär der Dreck einer anderen Lüge, Rechtfertigung oder Vereinnahmung hängt, wo sich einer diese Form zu Recht und als vollkommen funktionstüchtige erkämpft hat. In einer Zeit, wo Freiheit oder freie Welt zu den schmutzigsten, kriegstreiberischsten, nationalistischsten, faschistischsten Wörtern geworden sind, ebenso schamlos benutzt wie die armen Medienunerfahrenen, die sie im wahrsten Sinne onetrackminded schreien, ist es unbezahlbar, wenn vom anderen Ende desselben Westens, der unter diesen Flaggen so obszön triumphiert, einer kommt, und, gerade weil er nur von Toten und Obdachlosen und religiös Wahnsinnigen erzählen kann, daran erinnert, daß es wirklich um nichts anderes als freedom und eine free world geht, wirklich. Dann kann danach wieder die Kritik einsetzen, dann hat sie wieder Sprit.
„Well I keep getting younger / My life’s been funny that way / Before I ever learned to talk / I forgot what to say“. Das sagt ein Neil, namens Young.