Platte des Monats: Jad Fair beschwert sich

Jad Fair: Great Expectations, Doppelalbum (Bad Alchemy Records/Recommended Records)

Ausflug nach Lärmland, ihr Pisser. Ich meine, ich brauch’s vielleicht nicht mehr jeden Tag. Ich darf auch meine Freude an Universal Congress Of oder Henry Kaiser oder den Flowerpornoes oder am Marianne-Rosenberg-Sampler oder an der neuen Keith Richards oder am Alex-Chilton-Bootleg Dusted in Memphis haben, und auch ich muß immer wieder Jad Fair hören, aber ich wollte sagen, ich darf auch mal Musik hören, die an der Spitze dessen, was heute gedacht und gespielt werden kann, steht, obwohl sie sich den Fehler nur noch als von außen kommendes, ihrer eigenen Perfektheit entgegengesetztes Prinzip aus lauter Luxus und auch um die Musik weiterzutreiben leistet, aber das könnten und können die vom Universal Congress Of auch ohne solche Tricks, ihr aber, glaube ich, müßt nochmal durch die Grundschule der direkt an euch gerichteten Beschwerden, des nichtsophisticateden und nur manchmal, wenn er von Browning spricht oder Shakespeare-Stücke referiert, lustigen Jad-Fair-Lärms, des Lärms, für den es keine Theorie gibt, als daß er euch von der Arbeit abhalten soll: Arschloch, Schwein, Stampf, mieses, gemeines Pisserschwein, du hast mir das Auto nicht gegeben, als ich es brauchte, und du bringst Millionen in Nicaragua um, du vergewaltigst Frauen, machst die Welt häßlich mit schlechten, neuen Häusern und Lichtern, du Wichser zwingst Frauen zu strippen, um ihre Kinder durchzubringen, du gönnst den Kindern ihren Spaß nicht und treibst die Erwachsenen in endloses Leid.

Jad Fair beschwert sich. An die Stelle des Protests ist in der Musik die Beschwerde getreten, sie ist nicht mehr oder weniger wert, sie ist nur zeitgemäßer. Protestierend beruft man sich immer auf allgemeingültige Rechtsgrundlagen, glaubt idealistisch an einen prinzipiellen Konsens aller Menschen, an einklagbare Rechte und Verfehlungen, die jeder ächtet, wenn man sie nur bekannt macht, und daß der Staat Papi ist. Jad Fairs Papi aber bist Du, der Zuhörer.

Der Beschwerdeführer glaubt nur an ein Recht auf ein besseres Leben und wenn das, weil er ein mitfühlender oder gar politischer Mensch ist, auch durch das Leid anderer verschlechtert wird, wie das bei großen Künstlern wie Jad Fair natürlich der Fall ist, schließt das vergewaltigte Frauen und Kinder in Nicaragua mit ein, beschwert er sich für sie mit, aber der Boden ist die Beschwerde, nicht die Empörung, nicht die Aufklärung. Das gilt im besonderen Maße zum Beispiel für Hip-Hop, der Rap ist ja in fast allen Fällen, selbst wenn es sich buchstäblich um ein Liebesbekenntnis oder eine Angeberei handelt, eine einzige Beschwerde. Und da sagt der alte Scheißer / doch zu mir / du stinkender Nigger / bleibts nicht hier / da tret ich ihm in die Eier / und fühle mich higher / und säge ihm ab den Kopf / bis genug Blut tropft / etcetera. Immer pöbelt da ein aufgeregtes Individuum vor sich hin, immer ist man versucht zu sagen, reg dich ab, mach’s halblang, Bruder. Aber das ist natürlich Unsinn, denn wir sagen das ja nur, weil wir seine Nöte nicht ernst nehmen, weil sie sich nicht einem Cause, einem Issue, einem Problem zuordnen lassen, wie es dann in besorgten Zeitungen und caring liberalen Programmen durchgekakelt werden kann. Hier ist aber immer nur einer sauer und gleich haut er dich weg.

Verbrämt gilt dasselbe für heavy metal, eindeutig, und das schon seit Jahren, für amerikanischen Hardcore-Punk (während sich der britische bezeichnenderweise ja immer noch in irgendwelche Bewegungen hineinhalluzinierte).

Das ist schließlich auch das einzige, was heute von Protest-Bewegungen übrig geblieben ist: Jeder, wie z. B. Rösner, ist heute in der Lage, sein Leben perfekt milieutheoretisch zu erklären und sich anschließend über die Ergebnisse, die er mithilfe dieser Theorie über sein Leben herausgefunden hat, zu beschweren (statt die Ergebnisse dieser total entmündigenden terrorsoziologischen Theorie zuzuschreiben und für sich selbst zu handeln). Und das ist auch immer noch besser als sich nicht zu beschweren, vielleicht durchstößt diese Beschwerde ja irgendwann ihren beschränkten Horizont (das geht freilich nur über Geschichte, individuelle, dann kulturelle und schließlich gesellschaftliche, in der amerikanischen Musik ist der erste Schritt getan worden und – vgl. konkret 10/88 – teilweise auch schon der zweite).

Jad Fair hat eine Horizontüberschreitung schon einmal seiner Stimme zu verdanken, er schlägt allein schon durch das kleine gepreßte und näselnde Organchen die Brücke zum klassischen Teen-Beschwerde-Sound, zum Unwillen-Pop, wie es ihn in den 50ern und 60ern authentisch und in den Teenie-feindlichen 70ern in den Parodien von Frank Zappa and the Likes gab, und überführt damit nicht nur die 80er-Jahre-Beschwerde in den verdienten Infantilitäts-Kontext, sondern verbindet sie andrerseits auch mit Geschichte, einer nach all den teenfeindlichen Jahren ja auch von Intellektuellen aller Art akzeptierten künstlerisch-politisch-kulturell-richtigen Teen-Kultur-Geschichte. Um diese Stimme und ihre Quengeleien explodiert die Musik auf einem Haufen nervtötender, schnarrender, raschelnder, zirpender Streich-, Zupf-, Percussions- und Krach-Instrumente. Das ist auch wieder infantiler Anarchismus, aber eben darum gut, weil dieser infantile Anarchismus nichts zu tun hat mit den romantisierten reizenden Kindern, denen Kindergärtnerinnen in der Ausbildung und andere Idioten vom Schlage Pierrot und Roncalli immer noch und immer wieder gern die Weltherrschaft in die schokoverschmierten Fingerchen legen wollen, sondern weil er davon handelt, wie in der Noch-Infantilität und dem im Heranwachsen unmittelbar folgenden noch-infantilen Anarchismus, wie sie sich im Zauberwort Teen treffen, bereits eine Tauglichkeit zu echter Konfrontation, zu einem übers pubertäre Querulieren hinausgehenden Ärgermachen ausgebrütet wurde, das die wahre kämpferische Tradition der Pop-Musik als unter ihr durchlaufender dauernder Stachel im Turnschuh begleitet hat: keine Subversions-Strategien also in 89, sondern eine Ungezogenheit, die nichts mit bewußtem politischem Ungehorsam zu tun hat, sondern mit dem coolen im Rechtsein des Teenie. Das aber normalerweise im Kopf des Teens begraben ist und ihn verläßt, wenn sich die Hirnschale mit 18 schließt, und nur auf ein paar Schallplatten bleibt, die ihrerseits kaum bleiben, außer in sogenannten Plattensammlungen.

So daß es eben eines Künstlers wie Jad Fair bedarf, um aus der Vergänglichkeit goldener Jugendtage zu einer fortdauernden einsetzbaren künstlerischen Haltung umgeschmiedet zu werden, zur universellen, die ganze Menschheit zum Mitmachen einladenden Beschwerde.

Jad Fair gründete vor über zehn Jahren die Gruppe Half Japanese, die er mit einem Tripel-Album voller Lärm (1/2 Gentlemen / Not Beasts) bekannt machte (in Grenzen). Damals entdeckte die Jugend der Welt para-e-musikalische Kompositionstechniken und hatte Freude an den Residents. Das war für Jad ein günstiges Klima. Das sollte sich wieder ändern. Circa zwanzig Schallplatten später: Jad Fair hat gelernt, sich zu diversifizieren, der Kinderkrach-Anarchismus um jeden Preis, die Teen-E-Musik, der Stockhausen-Surf-Sound hatte sich ja an dem Problem selber totgeschlagen, daß er in den befreiten Territorien, wo er zu Gehör gebracht wurde, nicht Zuhörer oder Fans, sondern nur neue Kollegen produzierte. So um 83 lernte Jad Fair singen/komponieren wie ein guter, unbekümmerter Rock’n’Roll-Sänger aus der ewigen Jonathan-Richman-Tradition, das ist die Teen-Wut in der kultivierten Eastcoast-Boston-Fan-von-Velvet-Underground-Tradition (Velvet Underground war die erste definitive Nicht-Teen-Band der Weltgeschichte, ihre Schüler, zu denen sich ebenso fanatisch auch Jad Fair rechnet, bestehen aber immer auf Teen-Wut-mäßigen Aspekten von V.U.). Die Violent Femmes kamen heraus, waren sehr erfolgreich und klangen wie Jad Fair auf seinen ersten unverkäuflichen Krach-meets-Richman-Platten von jeweils einem Jahr zuvor. Er war produktiv wie eh und je, und keine Platte hatte weniger als 20 Songs.

Doch die, von der wir hier reden, meine Droogies, hat 74 Titel, und es ist eine Jad-Fair-Solo-Platte und darum etwas anderes als Half Japanese, die Band, in die er alle Erfahrungen gepackt hat, wie man ein Publikum zum Schreien und Lachen bringen kann, ohne daß es sofort auf die Bühne kommt und gleich hinterher als Hauptact des Abends auftreten will (auch wenn dies natürlich die ideale Situation ist, aber seit dem Sommer 36 in Barcelona, als die Autos allen gehörten, waren die Rahmenbedingungen nicht mehr danach). Eine Solo-Platte also, nichts, was die Violent Femmes nachempfinden wollen könnten, und daher 74 Titel auf vier LP-Seiten, darunter Kompositionen von Willie Dixon, Bob Dylan, James Brown, und der ganze Freundeskreis, den sich Jad Fair rund um seine Band und die vielen Kollaborationen, an denen er teilgenommen hat, aufgebaut hat: Kramer, der umtriebige Musiker von Bongwater, B.A.L.L. und Betreiber des Shimmy-Disc-Label, Terry Adams, das Piano-Genie der Uralt-Hippie-Genie-Band NRBQ, Tom Recchion von verschiedenen New Yorker Avantgarde-Bands sowie die Velvet Monkeys und Half Japanese, woran wir sehen, daß die Arbeit von Jad und seinen Freunden, früher der reine Freak-Exotismus, heute in einer funktionierenden in sich wieder Traditionen und Geschichten herausbildenden Szene stattfindet, die stetig expandiert und das Problem aller Szenen dieser Art (Inzest) nicht zu fürchten braucht.

Nie haben sich Underground-Platten so gut verkauft wie heutzutage. Aber noch wichtiger, noch nie hat sich zum Teil ganz atonale Musik überhaupt, geschweige denn so relativ gut verkauft wie heute, was Leuten wie Jad – von denen es vielleicht zwanzig bis fünfzig im vorwiegend amerikanischen Musikleben gibt, die die Mittel der Atonalität mit Teen-Emotionen erst aufluden und dann wieder frei gaben oder einfach an andere Beschwerde- und Befreiungsbewegungen ankoppelten wie Hardcore oder Hip-Hop – nach Jahren der Selbstausbeutung für sich und ihre Schützlinge halbwegs normale Arbeitsbedingungen gebracht hat.

Diese Platte killt natürlich all die Säcke, die sich soviel darauf einbilden, daß sie bald sterben werden/müssen und die all denen ideell und materiell gerne das Leben noch ein bißchen unangenehm machen wollen, die noch ein paar Jahrzehnte vor sich haben und nicht nur noch für die italienische Küche leben.

Diese Szene, von der ich sprach, setzt sich aus lauter Leuten zusammen, die Anfang der 80er schon irgendwie around waren und meinten, zerstören zu müssen, im Namen des neuen Teen-Anarchismus, der in den 80ern die Anti-Teen-Teen-Helden der 70er als potentielle und nur vom reaktionären progressiven Zeitklima als solche nicht verstandene Teen-Helden wiederentdeckte: Captain Beefheart, The Stooges und Velvet Underground und einige ihrer Zeitgenossen. Erst galten diese nämlich als progressiv und darum gut, und Teen war nicht progressiv und dumm und sprach zu wenig über die Papageienfolter in Brasilien, dann entdeckte man um die letzte Jahrzehntwende die Qualitäten von Teen und fing an „progressiv“ zu hassen, aber erst Leute wie Jad (als einer der ersten ) entdeckten die Teen-Seite von „progressiv“, und da geht es jetzt weiter, stay pretty!

Fast wurde es so gegen 86, wie die Half-Japanese-Platten aus dieser Zeit zeigen – sie kommen zum größten Teil jetzt erst in Deutschland raus –, Jad Fair schon wieder zu bequem in dieser Musik, auch dem schon erwähnten Kramer – der damals mit dem in der letzten Kolumne erwähnten Eugene Chadbourne zusammen musizierte – wurde es möglicherweise zu bequem in dem immergleichen Anarcho-Humor, den er damals bei Shockabilly pflegte: Als sich die beiden etwas früher in diesem Jahr für eine Duo-Platte zusammentaten, impften sie sich gegenseitig: Kramer Fair mit Anarcho-Zappa-vom-Kopf-auf-die-Füße-Stellen-Humor, umgekehrt Fair Kramer mit ewiger Teen-Renitenz, dem Zusammenfallen von jugendlichen Immerrechthabern und modernen Querulantenbürgern, erstere so mit dem für sie durchaus verkraftbaren Ernst des Lebens belastend und damit vor dringend nötige neue Aufgaben stellend, letztere durch das Recht der Jugend adelnd und so mindestens für 74 kurze garantiert nervtötend auf ihr Recht pochende Einheiten einen irgendwie – mir auch egal wie – ganz und gar neuen Menschen in eure kritischen Wohnzimmer tragend.