Mit einem äußerst geruhsamen Dezember ging das langweilige Jahr zu Ende. Von der molligen Gleichgültigkeit der Vorweihnachtszeit und einer kulturellen Ödnis sondergleichen kündete die Tatsache, daß größte Teile der Jugend, die sonst noch immer pro Jahr eine Gruppe zu ihrer eigenen machte, drei Tage hintereinander in die ausverkaufte Musikhalle pilgerte, um Depeche Mode zu sehen. Das Ding von ’81. Mit etwas gutem Willen: ’82.
’83 war ein Jahr fürs Privatleben. Wenn die Welt schläft, nutzt der Kluge die Zeit, die häuslichen und menschlichen Fragen zu stellen und zu beantworten. 1983 war in dieser Hinsicht das Jahr der Entscheidungen, wie übrigens jedes vorolympische Jahr.
Schon 1969 stellte Mao Tse Tung fest: „Der Sowjetimperialismus und der USA-Imperialismus, die unter einer Decke stecken, haben so viele üble und berüchtigte Taten begangen, daß die revolutionären Völker der ganzen Welt sie nicht unbestraft entkommen lassen werden.“ Einmal abgesehen davon, ob es berechtigt ist, von einem „Sowjetimperialismus“ zu sprechen, die revolutionären Völker der Welt sind auch 1983 nicht einen Schritt weiter als 1969, was die Bestrafung der US-Imperialisten betrifft. Die Deutschen waren auch noch nie ein revolutionäres Volk.
NDR III brachte eine Godard-Reihe mit Filmen aus der Zeit, als man noch so sprach wie der oben zitierte Vorsitzende. Und Leute von heute, die in dieser Zeit gerade geboren wurden, waren begeistert und besorgten sich das kleine rote Buch.
Die Zeit des roten Buches und des Filmes „La Chinoise“ war es auch, als große weiße Schallplattenfirmen aufwendige Doppeleditionen veröffentlichten, die sich der Geschichte des Blues widmeten. Noch im November gastierte der Residents-Mitstreiter und typische kalifornische Ex-Avantgardist, der eigentlich aus England stammende Sknakefinger mit einem Orchester, das „The History Of The Blues“ servierte. Standards und Seitenerscheinungen der Bluesgeschichte in möglichst originalgetreuen Arrangements – das war schon sehr schrill akademisch. Obwohl das Original-Logo-Knust-Blues-Publikum nicht merkte, daß wir zehn bis fünfzehn Jahre weiter sind und uns den Genuß eines mehrfach gebrochenen Nachhalls genehmigten, sondern tatsächlich glaubten, es sei immer so weitergegangen, und gestern war Alexis Korner da, trotz alledem fand ich es sehr nett, vor allem „It Hurts Me Too“.
Cabaret Voltaire machen Kunsthochschulen-Avantgarde vom Stande 1976. Gut. Nicht gut. Dias, Filmchen, Flackerbilder, monotone, repetitive Strukturen etc. Sie machen das aber nun schon so lange und so konsequent, daß sie dieses hilflose Experimentieren zum eigenständigen Genre entwickelt haben. Wie so oft in der Geschichte ist aus der Not, aus dem Mangel, aus dem Nichtwissen eine neue Form entstanden mit durchaus komplexen Regeln und einem nicht zu unterschätzenden Unterhaltungswert.
Cab Volt waren nie hip oder modern im 82er Sinn, und Konsequenz ist eigentlich ziemlich eklig, aber sie haben ihr Konsequenzspiel immer in einer Zone betrieben, die von Hipness und Diskutierbarkeit nicht allzu weit entfernt war. Im Moment haben sie Funk-Signale in ihrer Musik. Obwohl der Stil, den sie weder live noch auf ihrer Virgin-LP, wohl aber auf dem hervorragenden Soundtrack-Album „Johnny Yes No“ pflegen, viel interessanter ist (einfach hübscher), sind diese Signale wichtig, um nicht ganz in der Dunkelheit der KUNST zu verschwinden. Lustig auch, daß die überflüssigsten Instrumente (Baß, Schlagzeug) live auf der Bühne stehen und alles Wichtige vom Tape kommt.
Vor Cab Volt waren wir bei Kim Wilde. Großes, weißes Wunder im CCH. Wer hat der Kim eigentlich diese Rockbewegungen antrainiert, diesen ekligen Hüftschwung am Ende des Songs? Wenigstens hüpft sie noch nicht im Takt. Und sie tut all das Konventionell-Eklige mit einer schüchternen Distanz. Sie ist das nicht wirklich, aber sie denkt, daß man so wohl sein müsse, wenn man auf der Bühne steht. Die Superschnulzbreitwandsynthimauern ihres Bruders Ricky waren live durch ordinäre Rockmusiker ersetzt, die mir ziemlich schlechte Laune machten. Wäre ich sonst früher gegangen, zu Cab Volt, hätte ich sonst Sheffielder Avantgarde dem POPPOP vorgezogen?
