President Bush’s Most Wanted – Unterwegs mit Ice-T

Unter-Road-Manager: „Hey, Ice, das ist …, wie war doch dein Name? Ich kann ihn nicht aussprechen, jedenfalls der Typ, der hier mit uns im Bus reisen soll, dieser Journalist aus Deutschland.“

Ice-T: „Nett, dich kennenzulernen, hoffe du magst Muschis. Denn wir werden sie dir massenhaft besorgen. Was meinst du, Islam?“

Afrika Islam: „Oh, ja, wir werden dich glücklich machen, vorausgesetzt, du weißt das zu schätzen.“

Ice-T: „Nun aber los, geh da rüber und verschaff dir ein Entree bei den Damen.“

*

Ice-T ist zu diesem Zeitpunkt schon seit einigen Monaten auf Tour. Im ersten Teil seiner zweistündigen Show werden Greatest Hits der LPs Rhyme Pays, Power, Freedom Of Speech und Original Gangster aufgeführt, unterbrochen von langen Ansprachen, die das jeweils Kommende erklären, interpretieren und kommentieren. Man fühlt sich erinnert, wie Rap, wie Toasten aus der Kunst der Überleitung, der Conference entstanden ist, ein uneigentlicher Nebeneffekt, der zur Hauptsache wurde. Dann erklärt Ice, daß sein Publikum sogleich Zeuge einer Verwandlung werde, „vom Rapper Ice-T zur Thrash-Metal-Band Bodycount“. Diesen Aspekt der Show finden die schwarzen Intellektuellen New Yorks, mit denen ich mich über die Show unterhalte, besonders abstoßend: „Minstrelshow“, meint Gary Simmons, ein Künstler, der demnächst mit KRS-One zusammen arbeiten wird: „Ich habe große Probleme mit Leuten wie N.W.A., Ice Cube oder Ice-T. Es ist immer die Rede von den großen Errungenschaften der African-Americans. Aber was wir tun, ist doch immer noch in erster Linie Unterhaltungsprogramm für Weiße, denen wir Rollen wie den „Original Gangster“ vorspielen. Und solche Acts sind dann ja auch viel erfolgreicher als jemand wie die hier (die Brand Nubian, die wir gerade hören), die nicht nur positive sind, sondern auch bessere Musik machen.“ Ice-T: „Du mußt crossovern. Wenn du ein rein schwarzes Publikum ansprichst, wirst du kaum über 650.000 Einheiten kommen, wenn du sehr erfolgreich bist. Um 1,5 Millionen zu erreichen, brauchst du auch weiße Käufer.“ Wie unterscheiden sich die weißen Fans von den schwarzen? „Die schwarzen sind ärmer. Sie kaufen sich das Tape. Die weißen haben die CD, das T-Shirt und die Ice-T-Tour-Jacke. Außerdem reagieren die schwarzen Fans manchmal etwas sauer, wenn ich ein bißchen intellektueller werde, sie meinen, daß es nicht cool wäre, daß es zu weiß wäre, wenn man das tut.“

*

Ice-T ist in New York nicht besonders wohlgelitten. Er, der ursprünglich aus der Gegend kam, hat L.A. ja als erster auf der Hip-Hop-Landkarte eingetragen. Entsetzt und angewidert sehen sich seine Hardcore-Band und seine Hip-Hop-Crew im Tourbus Tim Dogs „Fuck Compton“-Video an. In diesem Video rechnet Tim Dog vor stereotyper Bronx-Kulisse mit dem Westcoast-Rap ab. Wir befinden uns drei Monate vor der 92er L.A.-Rebellion, und in diesem Video verbrennt eine Karte von L.A., das Feuer bricht in Compton aus. Schließlich geht es auch persönlich gegen Ice-T, und ein Eazy-E.-Lookalike wird von Tim Dogs Kumpels fertig gemacht. „Ice sollte das persönlich mit diesem Typen austragen, das kann er sich nicht bieten lassen.“ Afrika Islam, selber New Yorker, ist empört. In New York berichten die Besucher des Cypress-Hill-Konzerts begeistert, daß auf „Say Yo!“ und „Wave your hands in the air!“ zwar kein Mensch mehr reagiere, bei „Fuck Compton“ aber das ganze Haus wie ein Mann crazy gehe und brülle, bis die Wände wackeln und die Kühe nach Hause kommen. Das ganze Ice-T-Konzert im New Yorker „Ritz“ steht im Zeichen einer gewissen Nervosität, es in der Vaterstadt des Hip-Hop bringen zu müssen. Dabei bestand das Publikum zu achtzig Prozent aus weißen Queens-Kids mit Biohazard-T-Shirts und um den Bauch gewickelter Oberbekleidung, die schon während des Rap-Teils Pits bilden, moshen und stagediven. Dazu werden sie auch schon von der Vorgruppe ermuntert: Hardcorps bestehen aus zwei MCs, einem DJ und einer weißen Rockband (Gitarre, Baß, Schlagzeug), die wirklich fürchterlich schlecht ist. Sie kommen aus Nashville und symbolisieren die massive Nachfrage, vor allem im ländlichen und provinziellen Amerika, nach einem Crossover von allem, was hart ist und abgeht. Schließlich versucht einer ihrer Gitarristen zu diven, was aber schiefgeht (Absturz). Als Ice-T gegen Ende des Bodycount-Auftritts, inzwischen ohne Mütze, mit wirren, langen Haaren, als MC Kinski den Woyzeck gebend, mit ausgebreiteten Armen jesusmäßig in die schwitzenden Mosher segelt, wird er natürlich aufgefangen. Hinterher meint er zum gescheiterten Hardcorps-Gitarristen: „Stagediving – it’s a black thing, you wouldn’t understand.“1

*

Besonders peinlich wird die Zusammensetzung des New Yorker Publikums, wenn Ice-T zur großen Ansprache ansetzt: „Wißt ihr, warum sie sagen, daß Rap gewalttätig ist, einen schlechten Einfluß ausübt? Weil sie nicht wollen, daß wir miteinander Spaß haben. In den Fünfzigern gab es eine Sache, die hieß Rock’n’Roll. Das machten Leute wie Little Richard, Chuck Berry, Bo Diddley und Fats Domino, und viele weiße Kids waren begeistert. Das konnten sie nicht ertragen. Also mußte Pat Boone das Zeug aufnehmen und verwässern, und motherfuckin’ Elvis wurde der King des Rock’n’Roll. Heute versuchen sie wieder dasselbe. Ich sehe da unten schwarze Kids (wo?), orientalische2 Kids (wo?), hispanic Kids (wo?) und weiße Kids (reichlich!). Wir haben zusammen Spaß, und sie wollen das verhindern.“ In Atlanta, Georgia, sah das ganz anders aus. Nicht nur, daß die Vertreter der genannten Ethnien sich zu relativ gleichen Teilen schwitzend miteinander verknäuelten, auch die diversen Subkultur-Tribes hatten miteinander Spaß: reservierte Stüssi-Vögel, dicke weiße Biker, B-Boys mit Danzig-T-Shirts, alte Blueser mit XTC-T-Shirt, die Biohazard-Crowd, die Cro-Mags-Crowd, die Public-Enemy-Crowd und diverse Moslems und afrocentric Kids nahmen mit Begeisterung Ice-Ts Botschaften auf. In dem schon im frühen März mild warmen Atlanta wartet schon früh eine dankbare, multikulturelle Crowd auf Einlaß. Zwei ausgesprochen nette lokale Cops, die außerdem Hip-Hop-Fans sind und sich auch schon auf die Show freuen, machen relaxed die Security. Für jeden haben sie ein Scherzwort. Als ein Ice-Cube-Lookalike an der Reihe ist, wird er mit „Ah, Ice Cube is in the house“ begrüßt. Ich muß dran denken, daß der Rock-Teil der Show mit dem Song „Cop Killer“ als Finale enden wird. Ein Song, gegen den „Fuck Tha Police“ zum Weihnachtslied wird („Ihr Kinderlein kommet und fickt die Polizei!“). Tatsächlich partyen die beiden netten Beamten hinterher in der wild moshenden Crowd, der eine Arm in Arm mit einem PE-Jacken-Träger, der andere mit einer Southern Belle. Doch Ice erklärt natürlich in einer detaillierten Ansprache, daß es auch nette Cops gibt und dieser Song sich sowieso vor allem auf die berüchtigten und statistisch als notwehrfreudige Folterbullen erwiesenen Polypen vom LAPD beziehe. Die beiden Homeboy-Cops haben kein Problem, zur Aufforderung zum Kollegenmetzel ihren Mosh-Jitterbug-Crossover aufzuführen. Zwei Monate später führt die Legitimierung der LAPD-Übergriffe durch die weißen Geschworenen von Simi Valley nicht nur zur größten urbanen Erhebung der Nachkriegsgeschichte, der Song „Cop Killer“ wird erst von Polizei-Organisationen und später nahezu dem gesamten weißen Establishment zum Anlaß genommen, Anti-Rap-Kampagnen zu führen. Präsident Bush persönlich erklärt Ice-T zum Staatsfeind. Unter Druck nimmt Ice-T den Song von dem Bodycount-Album und ersetzt ihn durch seinen älteren „Freedom Of Speech“.

*

In New York muß sich Ice bei der Pressekonferenz gegen den Vorwurf der diversen schwarzen Hip-Hop-Journalisten verteidigen, er sei heutzutage ja häufiger in Details oder Spin zu finden als in den Hip-Hop-Spezialmagazinen. Der bekannte Ausverkaufs-Vorwurf mischt sich mit einem unausgesprochenen „Rassenverrats“-Vorwurf. Ice verteidigt sich so gut er kann, und er kann gut, der Mann ist ein geborener Volksredner, der jedem gibt, was er will, ohne seine Zentralbotschaft aufzugeben, daß er der Gangster sei, der es sowohl zum radikalen Politiker gebracht habe wie zum snowboardfahrenden Yuppie. „Ich habe doch gerade noch eine Fotosession für euer Blatt gemacht. Eh, Ice vergißt doch seine Leute nicht.“ Einer der Freunde von Ices Manager Jorge Hinojosa, der auch schon für/mit Miles Davis gearbeitet hat, eilt Ice mit einem Miles-Vergleich zu Hilfe – als der Rock gemacht habe, hätten auch alle gesagt, der Brother hätte ausverkauft. Ice: „Oh ja, ich bin ein großer Fan von Miles. Verstehst du, ich hätte ja auch alles ganz anders machen können, ich hätte mir einen Haufen weißer Rockertrottel ausleihen können, die hätten es geliebt, meine Band zu werden, hab ich aber nicht. Ich habs mit denselben gangbanging fools gemacht, mit denen ich auch sonst abhänge. Ich habs in demselben Slang gemacht, den meine Freunde verstehen. Vielleicht bin ich ein abstract black guy, aber meine Homies mögen es. Ansonsten kommt halt jeder rein, der ein Ticket bezahlen kann.“ Schwarzer Journalist: „Aber Schwarze mögen diese Musik einfach nicht, wie willst du sie damit erreichen?“ Ice: „Das ist doch Quatsch. Außerdem habe ich auch auf der Tour mit Public Enemy vor einem rein weißen Publikum gespielt, und würdest du sagen, ihre Raps richten sich an Weiße?“ Weißer Journalist (flötend): „Iß find diß irre gemein, däß du diß so verteidigen mußt.“ Ice: „Das bin ich gewöhnt. (Und in der Tat gibt es wohl keinen Rapper, dessen Platten und Konzerte so voller präventiver Erklärungen und Diplomatie sind wie Ice-Ts. Später zu mir im Bandbus: „Ich will halt immer die ganzen Interviews und Rezensionen schon vorwegnehmen.“) Ich will dir sagen, worum es mir geht, in einem Wort: Mut. Das ist das, was ich von der Gang mitgenommen habe. Es geht immer darum, den Mut zu haben. Es gibt was zu tun: Wer macht es? Wer hat den Mut? Wer traut sich? Wer nimmt verdammt noch mal die Gelegenheit wahr? Und wenn man so etwas wie Mut, ein Gefühl der eigenen Stärke den Brothers geben kann, dann ist das was wert. Darum geht es.“

*

Ice-T betont also ähnlich wie KRS-One („mein Freund Chris“), daß die kriminelle Energie ihn vor der Kriminalität letztlich gerettet hätte, daß sich ein Criminal Mind in ein radikales Mind verwandeln könne, sein literarisches Vorbild dafür heißt Iceberg Slim. Iceberg Slim, bürgerlich Robert Beck, war ein Zuhälter, der Ende der Sechziger, nachdem er mal wieder aus dem Gefängnis kam, seine Biographie schrieb. Darauf kam er, nachdem er einen schwarzen Psychologie-Professor kennenlernte, der ihn dazu ermutigte, seinen reichen Erfahrungsschatz zu vermarkten. Es war eine Zeit, in der Radikale cool waren und Pimps im Begriff waren, demnächst cool zu werden. Der Professor hing für Icebergs Geschmack zuviel mit Weißen rum und legte etwas zu aufsteigermäßig Wert auf einen gewissen bürgerlichen Lebensstil. Aber frisch aus dem Knast und in der Welt der Reichen und Famosen unsicher, schöpfte er keinen Verdacht, er mochte den Brother. Doch dann kam der mit einem uncoolen Vertrag nach dem anderen, Rechtsverdrehern und Kleingedrucktem, da schrieb Iceberg seine Story selbst. Pimp wurde ein Megaseller. In den folgenden Büchern radikalisierte sich Iceberg und wurde zunehmend politisch. Sein letztes Buch, The Soul Of Iceberg Slim3 – das sich nicht zufällig neben William E.B. Du Bois’ Standard-Werk The Souls Of Black Folk und Eldridge Cleavers Soul On Ice stellt –, widmet er diversen schwarzen Revolutionären, darunter Angela Davis. „Er hat sich gefreut, als ich ihn anrief und sagte, daß ich seinen Namen für einen LP-Titel verwenden will. Er sagt, es sei gut, wenn noch mal jemand an das alte Zeug denken würde.“ In der heutigen Lage, wo Leute nicht mehr aus Kalkül, sondern aus Crack-Irrsinn Leute in den Kopf schießen, denen sie eben zwanzig Dollar abgenommen haben, wie Rollins’ Freund Joe Cole geschehen (den man auch aus diversen Pettibon-Filmen kennt), wo sich in Brooklyn täglich Kids umbringen, weil einer eine falsche Bemerkung macht oder seltsam guckt, ist es für meine New Yorker Gesprächspartner verantwortungslos, dumm, negativ und minstrelhaft, sich „Original Gangster“ zu nennen. „Wenn es so toll ist, ein Gangster zu sein, warum ist er dann keiner mehr? Das ist diese Authentizitätsscheiße: Ich war wirklich im Gefängnis. War er das überhaupt? Hat das mal jemand recherchiert? Und wegen was, öffentliches Urinieren? Ich war auch mal im Gefängnis und finde das überhaupt nicht lustig.“ Aber ist es nicht gerade das Problem, daß die 12-Jährigen und 15-Jährigen eben nicht criminal minded sind, eben keine Gangster mit Courage, aus der Radikalität werden kann, sondern höchst verunsicherte Schwerbewaffnete, die das Schweinesystem zum gegenseitigen Abschuß freigegeben hat? Der Crack-Irre, der noch Leute abknallt, die am Boden liegen und vor Angst zittern, hat keinen gangstermäßigen Grund dazu. In einem Round-Table-Gespräch mit Schülern aus Brooklyn sagt einer: „Du hast überhaupt keine Ahnung, wann und wo und warum dir was passiert. Du weißt, daß es verboten ist, auf der falschen Straßenseite des Linden Boulevard zu gehen, aber erst seit sie da neulich ohne Vorwarnung einen erschossen haben. In L.A. haben sie wenigstens Gangs, das bedeutet wenigstens Regeln, du weißt wenigstens, was erlaubt und verboten ist und für was du abgeknallt wirst.“

*

Zur Kriminalität im Ghetto und ihrer Verharmlosung oder Verherrlichung hat jeder eine Meinung. Es gibt eine ganze Generation eines neuen schwarzen intellektuellen Konservatismus, wie er von Leuten wie Stanley Crouch und Wynton Marsalis vertreten wird, die die ganze Hip-Hop-Kultur in diesem Zusammenhang verdammen. Es gibt die New Yorker progressiven Intellektuellen, die die Positivity und den musikalischen Reichtum der Brand Nubians oder Poor Righteous Teachers schätzen, ohne sich einen Reim auf Ciphers, 360°, Clarence 13X und Leonard Jeffries4 machen zu wollen. Zwar ist eigentlich nur der Spiegel so dumm und reaktionär, die Entwicklungen in den Schulen von Brooklyn auf zuviel Gewaltvideos zurückzuführen, aber das Unbehagen über das Gangsterimage bei meinen New Yorker Freunden gilt ja auch nicht der Drastik und Radikalität von Ice-T, Cube, Geto Boys, N.W.A., Too Short etc., sondern der Tatsache, daß sie, die erfolgreichsten Rapper, eine erfolgreiche, schwarze Pop- und Gegen-Kultur an ein einziges Stereotyp verramschen, eines, das auch dem entspricht, was weiße Rassisten schon immer gewußt haben wollen. Auch wenn das vielleicht den beiden Ices oder dem sprach- und hilflosen Blues der Geto Boys gegenüber in unterschiedlichem Maße ungerecht sein mag, ist es doch ein unendlich schwerwiegenderes Argument als die deutsche Liberalenformel Metzelvideos führen zu Selbermetzeln.

*

Noch ein Eisberg. Diesmal der Eisberg der Geschichte. In Paul Veynes gleichnamigem Buch, Merve Verlag, Berlin 1981, widmet sich dieser einem Aspekt der Pop-Kultur im alten Rom, den er, nicht ganz scharf, mit der heutigen Rolle von Porno-Stars analogisiert. Tatsächlich läßt sich die folgende Stelle nur zu gut auf die Funktion schwarzer Künstler – vor allem eben solcher, die das, was Weiße am erzwungenen schwarzen Leben in den USA sensationell finden, aufgreifen – übertragen. Der vorhin vielleicht noch schwer verständliche Bezug auf Minstrel-Shows wird ziemlich klar:

Und die Gladiatoren hatten nun mal in der Antike den zweideutigen Ruf von Porno-Stars: wenn sie nicht als Stars der Arena faszinierten, verbreiteten sie Schrecken, denn jene Freiwilligen des spielerischen Mordens waren Mörder und Opfer zugleich, Selbstmordkandidaten und zukünftige, wandelnde Leichen. Man hielt sie, genauso wie die Prostituierten, für unrein: beide seien Infektionsherde im Inneren der Städte, es sei unsittlich, sie aufzusuchen, denn sie seien dreckig, man müsse sie mit der Pincette anfassen. Was erklärlich ist: bei der großen Mehrheit der Bevölkerung weckte die Gladiatur, ebenso wie der Henker, ambivalente Gefühle, Anziehung und vorsichtige Zurückweisung; einerseits fand man Gefallen am Leiden-Sehen, war da die Faszination des Todes, der Genuß an der Leichenschau, und andererseits war da die Angst, zu sehen, daß sogar inmitten des öffentlichen Friedens legale Ermordungen geschehen, die weder Feinde noch Kriminelle betreffen: daß also der Gesellschaftszustand nicht mehr vor dem Gesetz des Dschungels schützt. (…) Die Mischung von Horror und Attraktion führte zu der Lösung, dieselben Gladiatoren, denen man als Stars akklamierte, zu bespucken und sie, genauso wie Blut, Sperma und Leichen, für unrein zu halten. So war es erlaubt, den Kämpfen und Hinrichtungen in der Arena mit bestem Gewissen beizuwohnen: die grausamsten Szenen der Arena waren beliebte Motive für „Kunstgegenstände“, welche die Privatwohnungen schmückten.

*

„Das war schon in den frühen Achtzigern, daß mich Freunde zu Punk-Konzerten schleppen wollten. Was soll das heißen, Punk-Rock? Da wo ich herkomme, ist ein Punk was anderes.5 Aber ich war begeistert. Black Flag war eine großartige Band. Ich mochte schon immer Sachen wie Black Sabbath und frühe Blue Öyster Cult. Die Misfits. Slayer wurden eine absolute Lieblingsgruppe von mir (singt, röchelt „Angel Of Death“) und ich mag auch das englische Grindcore-Zeugs, Napalm Death und so. Aber das wollte ich nicht spielen, ich wollte verdaulichen Metal machen. Nicht dieses Brüll-Drissel-Bratz-Brutz-Klönglönglöng-Pling-Peng-Ratatata-Ballallabam-Quietsch-Zerr-Zeugs.“ Digestable Metal ist wirklich ein schönes Wort für die LP von Bodycount, es ist das Wort für alles, was zur Zeit kommerziell abgeht: Nirvana, Metallica, Pearl Jam, Mudhoney. Aus welchen Lagern, Gründen, Ideen, Soziotopen, Suburbs, Verhältnissen sie gekrochen sein mögen: Heute haben sie diese unvermuteten Erfolge mit digestable metal. Japanische Journalistin: „Da gibt es dieses Lied, ‚Winners Loose‘, äh, ich meine: Du kannst ja richtig singen.“ Ice: „Es freut mich, daß es dir gefällt, aber von gutem Singen kann wirklich keine Rede sein. Meine Stimme reicht nicht von hier bis zum Büfett (wo lustigerweise Eistee ausgeschenkt wird). Aber das Lied war so schön, so dramatisch, wir haben beschlossen, es immer noch prätentiöser und prätentiöser zu machen, bis der Aufstrich richtig dick ist. Und es ist mir trotzdem ernst damit, es handelt von meinem Homie, der sich zu Tode gekokst hat.“

*

Nachmittage im Bandbus. Die blaue Stunde. Wim Wenders hat draußen eine „amerikanische“ Kulisse bauen lassen: „endlose“ „Weite“, Gebrauchtwagenmärkte, Gebrauchtwagenmärkte, Heimwerkermärkte. Tacos, Tacos, Burger, Tacos. Drinnen chinesische Gesundheitsdrinks mit Gelee Royal. Räucherstäbchen (der neuerdings wieder ebenso politisch korrekte wie afrozentrische Geruch). An der Tankstelle fragt der Wart mich: „War das eben Ice-T?“ Ja. „Und sie, ich meine die Frau, war sie’s? War sie’s wirklich?“ War sie wer? „Naha, die scharfe Frau von dem Power-Cover?“ Ja, das war Darlene. Darlene und Ice sitzen hinten in ihrem Privatgemach, die Homeboys von der Rap-Show dösen in ihren Kojen. Die Musiker von Bodycount und das mittlere Management hängen mit mir im Gemeinschaftsraum und analysieren Musik. Und immer wieder „Winners Loose“, die schmachtige Rockballade, die bei Blind Dates in der Spex-Redaktion den Scorpions zugetraut wird. Man blättert in den Metal-Fachmagazinen und verfolgt den unaufhaltsamen Aufstieg verdaulicher Metalplatten in allen Charts und Playlists. „Da will ich uns nächste Woche sehen.“ Und noch mal läuft „Winners Loose“ über das System. Ich beginne, mich an den Schmachtfetzen, der live nicht gespielt wird, zu gewöhnen. „Oh, Mann, das ist so perfekt, und kein Mensch käme auf die Idee, daß es Ice-T wäre.“ – „Diese Phrase hat er geklaut, ich weiß nicht wo, aber das ist von Led Zeppelin oder Blue Öyster Cult.“ – „Das Ganze ist eine Mischung aus Cipollina, „Stairway To Heaven“ und Miami Vice-Songs.“ – „Du hast ein feines Ohr.“ – „Wie hier die Baßlinie stehen bleibt.“ – „Und wie er hier noch mal so schmeckleckerisch über die Saiten rutscht.“ Der Bassist starrt mir schon seit zehn Minuten auf die Füße, bzw. auf die verschmutzten, uralten weißen Sneaker: „Welche Größe hast Du? Ah, das ist etwas kleiner als meine Füße. Warte, ich hab da Schuhe, die mir zu klein sind. (Kommt mit einem Paar schwarzer Wildleder-Slipper zurück.) Da. Und die anderen wandern sofort in den Müll, ich will sie nicht mehr sehen.“

*

„Winners Loose“ ist nicht nur wieder eine dieser melancholischen Anti-Drogen-Balladen, die schon immer Werbung für Drogen waren („Heroin“, „Codine“), es ist auch eine Absage an den Versuch, es wie auch immer alleine schaffen zu wollen. Dennoch ruft Ice-T nicht zur Unity auf, sondern schwärmt allenfalls von Momenten der Solidarität in der Hood. Nie wird er müde, von seinen Freunden zu reden. Bei Pressekonferenz, Interview und in jedem der Konzerte, die ich gesehen habe, erwähnt er vor allem Ice Cube und HenryRollins. „This song is dedicated to my homeboy Henry Rollins“, leitet er jeden Abend „Mother’s Gotta Die Tonight“ ein. Man hatte sich auf der „Lollapalooza“-Tour kennengelernt, dem subkulturenverbindenden Großereignis vom letzten Sommer, wo Siouxsie, die Buttholes, Rollins, Nine Inch Nails und Ice-T zusammen unterwegs waren: „Und da er sonst jeden haßt, habe ich es als Kompliment genommen, daß er mich mag. Er ist total korrekt und nimmt keinen Scheiß von niemandem. Ich bin der Auffassung, daß ein schwarzes Kind, ein weißes Kind, ein puertorikanisches und ein orientalisches Kind, wenn man sie ohne Eltern aufwachsen ließe, die besten Freunde würden. Parents fuck you up. Und davon handelt dieser Song. Eltern stopfen dich mit diesem ganzen Rassismus-Scheiß voll. Und dafür steht die ‚Mother‘ aus diesem Song.“ Dafür steht sie aber nur dank der Einleitung, in deren Verlauf Ice von der Mutter eines Freundes spricht, die diesem verboten hätte, mit einem weißen Mädchen auszugehen, weil Weiße prinzipiell böse seien. Ebenso Jamaikaner, Puertorikaner, Chinesen etc. Der Song selber beschreibt nur eine extrem brutale Ermordung, Verstümmelung, Metzelung einer Mutter. Eine Story, die im Hip-Hop-Kontext unmöglich wäre, bei dessen schon in seiner Form – direkte Ansprache, Identität des Rappers mit seinem lyrischen Ich – angelegten Community- und Familien-Bezug. Keine Thanx-Liste, bei der nicht, so vorhanden, der Mutter gedankt wird. Die Wichtigkeit der schwarzen Mütter für den Zusammenhalt der Communities bei oft vaterlosen Familien ist ein Gemeinplatz. Der Muttermord war bisher eine klassische Hardcore-Idee, und es bleibt nur die Frage, ob Ice HC machen mußte, um so etwas sagen zu können, oder ob er einen solchen Text erfand, um einen typischen Hardcore-Text vorweisen zu können, der dann per Einleitung noch bizarrerweise zu einem Statement gegen Rassismus wird. Dein Freund Ice Cube vertritt in diesen Dingen ja genau die Ideen dieser Mutter. „Ich streite mich auch oft mit ihm. Wir reden nächtelang. Aber ich respektiere ihn. Dasselbe gilt für Chuck und Chris, auch wenn mir deren Auffassungen im Moment sicher näher stehen. Aber eben nur im Moment. Wir sind ja Rapper, keine Götter. Nächstes Jahr haben wir vielleicht andere Meinungen, vielleicht redet dann Ice Cube so wie ich heute, und ich wie er. Meine Platten haben alle ein Thema, und wenn ich das behandelt habe, also Strafjustizsystem, Freiheit der Meinungsäußerung etc., dann lasse ich es fallen und wende mich dem nächsten zu. Da gerät man in Widersprüche, aber ich behaupte, daß ich mit jedem Song Science droppe, sogar mit ‚Evil Dick‘.“ Und was sagt Freund Henry Rollins, der bekanntlich Frauen rät, Männern die Schwänze abzuschneiden, sie in einen Briefumschlag zu stecken und an Henry Rollins, P.O. Box zu schicken, zu dieser Werbung für Mildernde Umstände für männliche Genitalien, zu „Evil Dick“?

*

Die Morgen im Bus. Verschlafen trudelt einer nach dem anderen ein. Afrika Islam, die „Hip-Hop-Legende“ (Ice-T in seiner Conference), schmeißt eine Soul-Platte an. „Zum Aufwachen braucht man das, kann nicht wieder gleich den ganzen harten Scheiß hören“, meint er entschuldigend. Heterosexuelle reden offen über ihre Neigungen. Afrika Islam schiebt eine Cassette aus seiner Kollektion in den Recorder, wir sehen „Porno Flicks Vol. 2“: ein endloser Geschlechtsakt folgt. Erst oral, dann a tergo. „That’s my position“, Beatmaster V, Schlagzeuger von Bodycount und ein sehr sympathischer wilder Hund mit wilden, schwarzen Haaren, hat seine Position gefunden. Die nächsten zwei Stunden vergehen mit ausführlichen Schilderungen der letztnächtlichen Vernaschungen. (Es gibt im Süden tatsächlich das, was in Amerika „Babes“ heißt und die wir nur von Peter-Bagge-Comics oder als Sammy Jo aus dem Denver-Clan kennen.) Der Beatmaster trägt ein riesiges Condom als Hut und besteht darauf, daß ich es aufsetzen und zu Ice reingehen soll, „du mußt initiiert werden, dann kriegst du auch dein Interview.“ Wer will da ein Spielverderber sein? „Evil Dick“ ist eigentlich ein lustiger Song, der davon handelt, daß jeden Abend, wenn der an sich treue und verantwortungsvolle Ice nach Hause gehen will, sein Dick sich wie das „Lenor“-Gewissen meldet und insistiert: „Don’t sleep alone, don’t sleep alone, don’t sleep alone.“ Die Science, die darin gedroppt wird, besteht wieder im Vorwort, auf Platte wie Bühne: „Der nächste Song ist euch Girls im House gewidmet. Ich weiß, ihr fühlt euch auch manchmal wie eine eigene Rasse. Besonders in Konzerten von Typen wie mir, die euch auch noch Bitches nennen. Ich weiß, ich weiß, ein schweres Problem. Oft werde ich gefragt, warum Männer immer alles ficken müssen, statt mal treu sein zu können (oder wie es in einem anderen Song heißt: „We like all kinds of girls: black girls, white girls. You can come from Mars, as long as you have a pussy, we fuck you!“). Dann sage ich, wir können nichts dafür. Der männliche Schwanz wird nicht vom Gehirn kontrolliert, er ist direkt mit seinem eigenen Gehirn verbunden.“ – „Es geht gar nicht darum, ob und wie ‚sexistisch‘ Ice-T ist“, meint man, in diesem Fall frau, in New York: „Es ist viel einfacher. Es waren nicht nur kaum schwarze Männer im Konzert, aber es waren absolut null schwarze Frauen da, ich habe mich sehr einsam gefühlt.“

*

David Duke, der Nazi aus Louisiana, ist zwar nicht gewählt worden, aber die Mehrheit der weißen Bevölkerung hat für ihn gestimmt. Houston A. Baker verteidigt „schwarzen Essentialismus“ mit diesem Abstimmungsergebnis: „And this is my word on essentialism: David Duke’s constituency has no doubt about its essentialism. Seventy-five percent of Louisiana’s white males voted because they were white male. And they can code that sign for you if you want to travel down there and ask them. And a greater percentage of that state, essentially speaking, because they were black – not because they carried a whole lot of multiple, multiplying, ambiguous multiplicities in their head, but because they knew that though their minds might be somewhere else, their black asses were not – voted black, essentially black. So, essentially, they voted against David Duke. Now if you want to talk about the politics of all this, I say, if the answer is – ‚We new cultural studies scholars are thinking about these matters because they’re so complex. Get back to us on political strategies in a few years after we’ve worked this through‘ – your thinking might be written on toilet paper from concentration camps. Personally I go with the kind of common-sense essentialism that black Louisiana showed.“6 In einer ausgezeichneten Reportage in Details 3/92 berichtet eine wallraffmäßig als Campaign-Helferin getarnte Journalistin von der abendlichen Hitler-Exegese der Psychos, die mit Duke daran arbeiten, den Klan akzeptabel zu machen. Zu den Songs von Ice, die man in New York besonders haßt, gehört einer, der mir ziemlich gut gefällt, „KKK Bitch“. Darin verliebt sich der Ich-Erzähler in eine Tochter eines Klan-Anführers (verliebt ist zuviel gesagt: Sie hat große Dutteln und kann gut sucken), und es macht ihn besonders geil, sie zu nehmen, wenn ihr Alter im Hintergrund rassistische Reden hält. Der Song kommt in Atlanta gut an. Mir gefällt, wie er alle Widersprüche, Krankheiten, Unsicherheiten in einer von Rassismus verpesteten Kultur zu einem bizarren Herrenwitz verdichtet, eigentlich eine optimale Form. Wenn man nicht zu unmittelbar damit zu tun hat: „Tut mir leid, das Thema ist zu ernst.“ – „Aber man kann doch Ice-T nicht ständig mit irgendwelchen ernsten Denkern und Preachern vergleichen, der Mann ist doch Pop.“ – „Er ist ein verlogener Provokateur.“ – „Eben, das sind Pop-Musiker nunmal, aber er ist facettenreicher, klarer, offener, bewußter als … sagen wir die Rolling Stones. ‚Street Fighting Man‘, das war wirklich bigott, und wußte nichts von seiner Bigotterie.“ – „Also wenn ich eine Weile nachdenke, muß ich sagen: Ich ziehe die Rolling Stones N.W.A. auf jeden Fall vor.“ Man kann eben nur mit einer gewissen Distanz genießen. Einer von Ices Managern erinnert sich an Deutschland. „In Hamburg hatte ich ein sehr nettes Mädchen, hab leider ihre Nummer verloren. Die Berliner mochte ich nie. Und in Düsseldorf hatte ich eine, deren Vater war ein Neonazi.“7

*

Nach zwei Stunden wird Afrika Islam seiner Herrenwitze müde. Er wendet sich mir zu, und wir unterhalten uns über seine große Zeit als DJ im legendären „Roxy“, ’82 und ’83 als „Son Of Bambaataa“. Er spricht noch heute von Afrika Bambaataa nur als „mein Vater“ und erkundigt sich nach den Zulu-Nations in Frankfurt, Berlin und Hamburg. Er ist Techno-Fan, House-Fan und erinnert sich an die legendäre Bedeutung, die Kraftwerk in den frühen Tagen des Hip-Hop hatte, aber auch an den legendären Produzenten Larry Levan und dessen DJing in der „Paradise Garage“: „Der hat ja alles schon gemacht: fünf Minuten den Beat weggelassen, und die Leute haben weiter getanzt, weiter ist heute noch kein Techno-DJ. Die ‚Paradise Garage‘ war schon damals der totale Laden, keine Disco ist je weiter gegangen: Wußtest du, daß sie die Temperatur subtil manipuliert haben, die ganze Zeit wurde die Temperatur auf die Musik abgestimmt. Die haben bestimmte Gerüche zu bestimmten Zeiten durch die Air Condition gejagt, aber nur so, daß es keiner gemerkt hat: Das war die totale Hypnose. Und Larry hat als DJ wirklich alle beeinflußt. Ich bin damals immer zwischen „Roxy“ und „Garage“ hin und hergewechselt. Solche Läden brauchen wir heute. Wenn ich so deutsche Techno-Platten höre, denke ich immer, daß da ein guter, ein wirklich guter Rapper dazugehört. Jemand wie Chuck sollte mal mit euren besten Produzenten zusammenarbeiten. Ich vermisse einfach dieses Universelle, was man früher an einem guten Abend hatte. Heute ist alles aufgeteilt, jeder DJ ist nur noch Spezialist für irgendwas. Ich möchte wieder DJs hören, die an einem Abend Rap und Reggae und House und Techno spielen, und auch Pop oder R&B. Ich habe das eigentlich nur in England immer noch mal wieder gefunden und auch sehr genossen, dieses Durcheinander und Miteinander der einzelnen Genres und Kulturen.“ Islam ist an Musik vom Club-Standpunkt aus interessiert, damit stehen er und Evil E ziemlich alleine; denn die Musiker von Bodycount haben den Musikerstandpunkt, und der Rest der Hip-Hop-Crew sind junge Hüpfer, die kaum was machen, kaum was sagen und einfach nur lernen sollen. Afrika Islam ist sowas wie der Flavour Flav in der Choreographie. Er springt wild rum, animiert das Publikum und macht mehr als sein Chef, der sich nur meldet, wenn es zum eigentlichen Teil des Stückes kommt. Eine Trennung, deren Nichtvorhandensein früher einmal Reiz und Einzigartigkeit von Hip-Hop als der Musik, die eben nur aus Überleitungen, Ankündigungen, Vorstellungen bestand, mit bestimmt hat. Das waren die Tage, als Afrika Islam zum ersten Mal für Spex interviewt wurde. Nach unserem Gespräch holt er einen Geldschein und die Offenbarungen des Johannes in irgendeiner irren Sekten-Version heraus und beginnt zu studieren, zu rechnen und sich in numerologische Studien zu vertiefen.

*

Wie kann man über dieses Labyrinth aus Reizen und Widersprüchen schreiben? Nur so, wie ich das gerade gemacht habe, denke ich beim Frühstück in dem Motel bei Athens, Georgia. Die anderen mußten früh raus, es ging weiter nach Jacksonville. Ich warte auf mein Shuttle zum Airport von Atlanta. Die Botschaft meiner Schreibergeneration: Entschiedenheit, Stellungnahme, Klartext, eindeutig Freund und Feind bestimmen, ist durch die Hip-Hop-Komplexität (u. a.) erschüttert worden, was ihr gut getan hat. Zwar wird sich gegen diese Einsicht anderswo in den einschlägigen Jungerwachsenenzeitschriften noch krampfhaft gewehrt, wird, durchaus im Sinne der Arbeitgeber im Großverlag, der unverbildeten Eindeutigkeit, dem „Spaß“, der (eh erzwungenen) „Leichtigkeit“ das Wort geredet. Aber das kann nur, wer sich weigert, die Lektion, die jede Berührung mit der Komplexität globaler Verhältnisse lehrt, aufzunehmen. Dem Credo für Entschiedenheit und Apodiktik kann ich heute nur entschieden und apodiktisch ein Credo für Komplexität und Selbstreflexivität entgegensetzen. Es ist freilich eine bessere Selbstreflexivität als die alte, weinerliche, die die eigenen Defizite feierte und gegen die wir einst angetreten waren; eine, die durch ihre Negation irreversibel hindurchgegangen ist. Diese neue Komplexität hat es schwerer, als es die vermeintlich von unserer Generation durchgesetzte Apodiktik je hatte (und lohnt sich somit unter Vorspiegelung der Illusion von Durchsetzungen erkämpft zu werden). Denke ich noch beim Frühstück, während sich ein Gespräch hinter meinem Rücken entwickelt. Eine weiße Kellnerin sagt zu ihrer schwarzen Kollegin, sie habe vorhin per Zimmerservice Ice-T sein Frühstück gebracht, er hätte mit freiem Oberkörper da gesessen und der sei ja gar nicht schwarz. „Blödsinn“, meint die Kollegin, „er hat nur ’ne etwas hellere Haut, klar ist der schwarz.“ Da tritt der schwarze Kellner, der mich bedient hat, hinzu: „Es kann schon sein, daß er eigentlich weiß ist. Ich mag sowieso nicht, was er macht.“ Ich glaube daraufhin, an diesem stürmischen Morgen in Georgia, während die Ergebnisse des Super Tuesday aus der fatal an das Hamburger Abendblatt erinnernden Morgenzeitung aus Atlanta Clintons Sieg bei den Primaries zu besiegeln scheinen, der eh nichts bedeutet, weil sich alle demokratischen Kandidaten darauf geeinigt haben, daß es nur noch um die weiße Mittelklasse gehe und alle anderen sehen können, wo sie bleiben, ich glaube, es muß noch einen anderen Weg geben, diesen Artikel zu schreiben.

  1. Erklärung für die neuen Leser dieses Textes, der ursprünglich 1992 für Spex geschrieben wurde: Pits und Moshen sind Tanz/Bewegungs-Formen von vornehmlich weißen Metal-Fans, ebenso Stagediving. Die Formulierung, irgendwas sei ein „black thing you wouldn’t understand“, wurde zur stereotypen Formel eines wiedererwachten „cultural nationalism“ unter städtischen, männlichen amerikanischen Schwarzen. Die weiße Psychedelic-Band Monster Magnet bezog sich ca. zur gleichen Zeit wie Ice-T ironisch darauf, als sie unter ihre LP schrieb: „Is’s a satanic drug thing, you wouldn’t understand.“ ↩︎
  2. Amerikaner (ost-)asiatischer Herkunft betrachten die Bezeichnung „Oriental“ als ebenso herabsetzend wie schwarze Amerikaner die Bezeichnung „Negro“. Als Michael Jackson in seinem Fernseh-Interview mit Oprah Winfrey von „Orientals“ sprach, brach ein Sturm der Entrüstung gegen ihn los. ↩︎
  3. Robert Beck alias Iceberg Slim stirbt 1992, kurz nach der Erstveröffentlichung dieses Textes. ↩︎
  4. Die Ciphers sind Figuren aus den Ritualen der 5%er. Eine vollständige Cipher hat 360°. Clarence 13X ist der Begründer der 5%er. Leonard Jeffries ist der Professor, der die Unterscheidung von „Sun people“ (Bewohner der südlichen Hemisphäre) und „Ice people“ (Bewohner der nördlichen Hemisphäre) erfand und mit seinen bizarren pararassistischen Philosophien zur Lieblingsfigur weißer und auch deutscher p.c.-Gegner wurde. Wenn solche Leute lehren zu lassen Ziel des Kampfes um Curricula und Leselisten sei, dann kann es sich tatsächlich nur um eine Kommunisten- und Negerverschwörung handeln (so etwa sinngemäß Matussek [Spiegel] und von Uthman [FAZ]). Vgl.: Diedrich Diederichsen, „PC – zwischen PoMo und MuCu“, in: Neue Rundschau, 3/92. ↩︎
  5. Ein Punk ist in Black English u. a. ein Weichling. ↩︎
  6. Houston A. Baker: „‚You Can’t Trus’ It‘: Experts Witnessing in the Case of Rap“, in: Gina Dent/Michelle Wallace, Black Popular Culture, Seattle 1992, S. 133f. ↩︎
  7. Günther Jacob warf mir implizit vor, die Phantasien, die in diesen Songs zum Ausdruck kommen, zu goutieren oder zu viel Verständnis für sie zu zeigen. Ich tue das so wenig, wie ich glaube, „Cop Killer“ stifte zum Polizistenmord an oder Metzelvideos statt Verhältnisse verursachten Gewalt an Schulen. Aber beim Genuß von formalen Gelungenheiten wie Prägnanz oder Zuspitzung, wird man natürlich immer auch ein wenig Komplize des Inhalts. Daher spricht nach mir eine schwarze Frau im Text zu diesem Song. Darüber hinaus stellt „KKK Bitch“ einen Fall von performativem Widerspruch dar, der so typisch für Raps ist, am besten auf den Punkt gebracht von Cypress Hills Kommunikation der Nichtkommunikation, „Here Is Something You Can’t Understand“: „I fell in love with a KKK bitch“ lebt von dem Kontrollverlust und verliebter Hilflosigkeit, die von In-Liebe-Fallen ausgedrückt wird, während der Song ja ansonsten von hypertrophen Gewalt- und Kontrollphantasien handelt (den Klan, die Bitches, sich selbst beherrschen), von der sexistischen Kriegerphantasie, den männlichen Gegner durch Vergewaltigung seiner Tochter zu demütigen. Zu behaupten, das alles sei, wie schon bei „Evil Dick“, in einem Kontrollverlust begründet (was auch die Musik von Bodycount symbolisch untermauert), ist schon bizarr. Ice-T wies in dem Interview mit mir noch einmal darauf hin, wieviel seine Art zu rappen den großstädtischen männlichen gereimten Kämpfen und Beleidigungszeremonien, die als „The Dozens“ bekannt sind, schuldet; wie stark er neben Iceberg Slim auch von Legenden und Mythen wie „Stack-O-Lee“ oder „Staggerlee“ geprägt ist. Vgl. dazu: Greil Marcus, Mystery Train, S. 65–94, New York 1990³ (1975) und Roger D. Abrahams, Deep Down in the Jungle, Chicago 1970² (1963), S. 129–142; sowie derselbe, Afro-American Folktales – Stories From Black Traditions In The New World, New York 1985, S. 238f. ↩︎