Ist das nun wieder ein clever lanciertes Märchen oder ausnahmsweise die Wahrheit: Die Heirat mit Paula, dem Mädchen, das sich schon als Teenager für Genesis P. Orridge interessierte, soll aus dem wilden Mann der Psycho-Horror-Band Throbbing Gristle einen verträumt-folkigen Songwriter gemacht haben? Eine von vielen Fragen, die das LP-Debüt FORCE THE HAND OF CHANCE der neuen Gruppe Psychic TV offenläßt.
Psychic TV ist zunächst mal keine Gruppe im ordinären Sinne, sondern ein Unternehmen, das von einem sagenumwobenen „Temple Ov Psychick Youth“ ausgeht, den die beiden Ex-Throbbing Gristle-Mitglieder Genesis P. Orridge und Peter „Sleazy“ Christopherson nach vier regulären und diversen inoffiziellen Live-LPs gegründet hatten.
Zuerst hatten die beiden mit Freunden ihres „Tempels“, über den man nur rätselhafte Gerüchte hört (Magie, Sex, Rituale), noch versucht, im alten Experimental-Horror-Genre weiterzumachen. Mit Instrumenten wie tibetanischen Trompeten aus Menschenknochen wurden sieben „Psychick TV Themes“ eingespielt, die in dieser Form aber keine Plattenfirma veröffentlichen wollte.
Genesis wandte sich daraufhin an seine alten Freunde Marc Almond (von Soft Cell) und Stevo (deren exzentrischer Manager); man einigte sich auf eine kommerzielle Strategie. Ein in der Geschichte noch nicht dagewesener Vertrag mit der WEA wurde ausgehandelt, durch den die Gruppe einen Vorschuß kassierte, den noch keine Band erreichte, die nicht wenigstens einmal live aufgetreten war. Auf das Label durften sie sogar stolz schreiben „Some Bizarre (das ist die Firma von Manager Stevo) abusing WEA“ – Some Bizarre mißbrauchte WEA.
Für dieses Unternehmen brauchte man allerdings auch eine andere Musik, Genesis und Sleazy besannen sich auf ihre sentimentale Ader: Mit leicht gespielter, teils ernster Naivität nahmen sie Balladen mit lieblichen Kehrreimen auf, mit zirpenden akustischen Gitarren und zuweilen schmachtenden Streicher-Arrangements. Soft Cell-Star Marc Almond machte als zusätzlicher Sänger mit. Nur zwei Stücke, „Terminus“ und „Ov Power“, erinnern noch an die Radikalität ihrer früheren Avantgarde-Gruppe.
In der neuen musikalischen Richtung wollen die beiden aber durchaus weiterarbeiten. Psychic TV soll eine unberechenbare Institution bleiben. Nur will man nicht mehr den totalen Konfrontations-Kurs steuern, der T.G jahrelang zwar eine Kultberühmtheit und treue Fans, aber die Ablehnung der Medien und der Plattenfirmen eingebracht hatte. Sagt G.P.O.: „Man muß die Prozesse und Strukturen kennenlernen, indem man selber mit ihnen arbeitet. Erst dann kann man sie durchschauen und gegen sie arbeiten.“
