Robert Fripp

Als Fripp 1979 EXPOSURE mit einer ungewöhnlichen Solo-Tour durch für Rockprominente seines Kalibers ungewöhnliche Konzertarenen wie Schallplattenläden, kleine Kneipen usw. promotete, verkündete er einen komplizierten Plan für die Zukunft, der 1981 im „Year Of The Fripp“ gipfeln sollte.

Während des „Drive to 81“ tat Fripp auf der Bühne immer genau das, was er auf Platte nicht tat. Während EXPOSURE in stilistischer Vielfalt lebt und sogar einen Disco-Hit („You bum me up / I’m a cigarette“) aufweist, präsentierte er live mit seiner Frippertronic-Erfindung endlose Solo-Meditationen, die dem Zuhörer einiges an Geduld abverlangten. Als er 1980 mit The League Of Gentlemen live genial-simplizistische Tanzmusik zur Aufführung brachte, veröffentlichte er ein Album (UNDER HEAVY MANNERS / GOD SAVE THE QUEEN), das ihn eine Seite als Avant-Funker mit kontemplativen Zügen präsentiert, während die andere Seite Frippertronics-Aufnahmen von 79 enthält. Und 1981 tourt er mit einer Starbesetzung (Adrian Belew, Tony Levin, Bill Bruford) mit leicht bombastisch-barock angewandelter Musik unter dem Namen Discipline, während zwei kurz hintereinander veröffentlichte Alben THE LEAGUE OF GENTLEMEN und LET THE POWER FALL die 80er und 79er Live-Musik vorstellen. Rechtzeitig zum „Year Of The Fripp“ sind also alle drei Seiten seiner Musik ausreichend dokumentiert. „Ich habe mir damit die Grundlage geschaffen, auf drei Ebenen zu arbeiten. In diesem System ist die dritte Stufe Forschung und Entwicklung, was ich mit Frippertronics mache. Davon kann man natürlich nicht leben und es kommt dabei eben auch nur darauf an, in jeder Stadt etwa 100 Leuten die Idee zu vermitteln; die zweite Stufe wäre die League Of Gentlemen, die mehr Leute erreicht, in jeder größeren Stadt 400-500, die aber nie berühmt werden wird. Und die erste Liga sozusagen wäre eine Band wie Discipline, für die sich eine Menge Leute zu interessieren scheinen. Das ist die populäre Ebene, aber nicht die Massenebene. Massenkultur wird inszeniert von der Industrie, aber populäre Kultur wird von Musik ausgemacht, die eine starke Sprache für viele Leute spricht. Mit diesem System hast du eine gesunde Arbeitsweise. Jede Stufe unterstützt die andere. (…) Mit einer Band wie Discipline hast du ein gutes Mittel in der Hand, um die Industrie zu bewegen, auch für deine anderen Projekte, für andere Arbeitsweisen etwas zu tun. Was ich tue, ist zu versuchen, das System von innen aufzulösen, seit zwei Jahren mache ich das, obwohl man genauso gut sagen kann: Wenn ich mitarbeite, helfe ich nur dieser kranken Lebensfonn, weiter zu existieren. Aber ich versuche auch beides. Frippertronics funktioniert fast ohne die Industrie und steht außerhalb vom System, während Discipline auf ganzer Linie mit der Industrie arbeitet. Nun, ich habe die größte Firma der Welt gewählt, Polygram, aber ich bin auch unglücklich mit einigem, was in der Industrie passiert. Vor einigen Jahren erzählte ich Freunden in New York, wie ich die Zukunft der Schallplattenindustrie sehe. Sie lachten und sagten sich, Fripp ist ein netter Kerl und er kann gut Gitarre spielen, wir sollten uns seine Musik anhören und nicht so sehr auf sein Gerede achten. Heute gelte ich bei denselben Leuten als ökonomischer Visionär.“

Diese Arbeitsweise paßt sehr gut in eine Zeit, in der es keine Stars mehr gibt.

„Da hast du recht Das ist eine sehr gesunde Entwicklung. Sie hat zwei Gründe. Der eine ist, daß sich die Industrie momentan umorientiert, was 1983 Resultate gezeitigt haben wird (dann wird es möglicherweise auch wieder Stars geben), der zweite Grund ist, daß die Aufmerksamkeit, die von den Stars abgezogen wird, in ein größeres Interesse an Kollaborationen gesteckt wird. Das siehst du daran, daß neue Formen von Auftritten sich mehr und mehr durchsetzen. Das Star-System fußt ja auf Traditionen aus dem 19. Jahrhundert. Damals war die Hierarchie der Gesellschaft durch Preisabstufungen, im Theater von vorne nach hinten, in das Unterhaltungsgeschäft eingepflanzt worden. Was ich ekelhaft finde. Die Bühne zu Zeiten Shakespeares war in das Publikum gebaut, so daß die Schauspieler nicht arbeiten konnten ohne die Beteiligung des Publikums, das sie von allen Seiten umgab.“

Robert Fripp wird am Tage unserer Begegnung 35 und ist seit zwei Jahren mit einer sehr eigenwilligen Planung, genauen Kalkulation seines musikalischen Outputs beschäftigt Er überläßt es keinen Zufällen, wer von ihm welche Musik, wer welche Information zu hören kriegt, er ist stets ein bewußter Kybernetiker. Ich frage ihn, wie es ihm gelingt, Frische und Kreativität zu bewahren, ohne entweder, wie so viele seiner Altersgruppe an Rock- Mucker-Routine zu zerbrechen, oder sich von seiner planerischen Akkuratesse den Enthusiasmus zerstören zu lassen.

„Wenn du das erstemal mit einem Mädchen schläfst, verfügst du über keinerlei Techniken, du wendest keine sexuellen Praktiken an, aber das macht auch nichts, denn was zählt ist der Enthusiasmus der neuen Erfahrung. Heute wo die Aufnahme- und Press-Technologien so billig geworden sind, ist das in der Musik ja ähnlich, wir werden ja oft Zeuge solcher Ereignisse auf unabhängigen Platten. Später bist du keine Jungfrau mehr und wirst der Techniken gewahr, ohne sie jedoch ganz zu beherrschen. Du versuchst dann, deine Sex-Erlebnisse abwechslungsreicher zu gestalten und das wird dann oft hohl und schal und bringt Mißverständnisse hervor. Erst wenn du eine gewisse Meisterschaft erreicht hast, bist du wieder in der Lage, deine Unschuld wiederaufleben zu lassen, weil du dir dann über Techniken keine Gedanken mehr zu machen brauchst. Das gilt auch für Musik. Mir scheint es sehr wichtig, daß die vielen guten jungen Bands, die mit einer spontanen, ungeschliffenen Platte beginnen, lernen, bei der dann folgenden Durststrecke dabeizubleiben. (…) In der ganzen Musik-Welt gibt es vier Elemente, die Beziehungen bilden. Die erste ist die des Musikers zur Musik, dann die der Musik zum Musiker, dann ist da das Publikum, und wenn du die drei untereinander kombinierst, sind es zwölf Beziehungen und dann gibt es noch die Industrie und damit hast du 54 mögliche Beziehungen. Wenn du dein Leben der Musik gibst, mußt du alle 54 kennen. Wenn du nicht davon leben willst, kann es dir egal sein, dann brauchst du nur Musiker und Musik.“

Konntest du denn immer das durchsetzen, was du machen wolltest, in deiner Karriere?

„Ich hatte Probleme mit Musikern, weniger mit der Industrie. Ich mußte Texte akzeptieren, die ich nicht akzeptieren konnte. Heute würde ich das nicht mehr machen, nicht aus Egozentrik, sondern weil ich einfach keine Energie für Sätze geben kann, die ich ablehne. Zum Glück mag ich, was Adrian bei Discipline singt.

Wir gehen jetzt auf Tour bevor wir eine Platte aufnehmen, um die Musik kennenzulernen. Man muß touren bevor man eine Platte aufnimmt, obwohl einen die Industrie immer auf Tour schicken will, wenn man eine Platte auf dem Markt hat. Was sehr viel schlechter ist.“