S.Y.P.H. Das Wunder von Solingen. Neorealistische Blicke auf eine deutsche Band

Nach einer Single, fünf LPs, einer Doppel-Single und einem Album trifft die vielleicht beste, auf jeden Fall zäheste, unabhängigste, hartnäckigste existierende deutsche Band Diedrich Diederichsen, mitten in den Arbeiten an einer neuen Maxi und einer neuen LP.

S.Y.P.H. bringen eine Menge Voraussetzungen, die derlei Superlative rechtfertigen. Sie vernachlässigen keine Seite der Pop-Tradition, die in ihren Verantwortungsbereich fällt. Harry Rags Texte sind sowohl todseriös als auch extrem albern, nie wird eines von beidem routinierte Methode, nie spricht das sattsam bekannte Weltbild eines deutschen Songwriters (Phantasie und Kinder gut, Lieblosigkeit und Alkohol scheiße), die Musik von Uwe Jahnke und Jürgen Wolter – einen Schlagzeuger gibt es erst wieder seit kurzer Zeit – verweigert sich weder dem prägnanten Pop-Song zwischen T. Rex, Buzzcocks und Kinks noch dem ausufernden Sound/Feeling/Lärm-Gedaddel von Hendrix oder Can, sie ist weder bewußt zitathaft oder beschwörend noch geschichtslos, und sie ist weder verkrampft um nationale Eigenständigkeit bemüht, vernachlässigt nicht die eigene Prägung durch angloamerikanischen Beat, noch an dem heutzutage üblichen Ausverkauf aller von der frühen NdW erarbeiteten Errungenschaften eines deutschen Punk beteiligt. Nach fünf LPs, einer Doppelsingle und einer Single bei Pure Freude sind die drei seit Beginn beteiligten Mitglieder jetzt bei Ata Tak/Büro; in den Räumen ihres Förderers Frank Fenstermacher kommt es zum Gespräch.

Jahnke: … eigentlich haben wir nie aufgehört, deswegen kann man nicht von Reunion sprechen. Ich habe zwar mal bei den Fehlfarben mitgespielt. Da gab es auch gute und schlechte Zeiten.

SPEX: Es gab ja immer zwei Seiten bei S.Y.P.H. Einfache Pop-Songs einerseits, atmosphärische Improvisationen andererseits. Ich erinnere mich z. B. an ein totales Lärm-Konzert bei so einer NdW-Veranstaltung in der Berliner FU … Auf dieser Doppel-LP „Wieleicht“ ist das irgendwie verschmolzen, oder?

Rag: Ja, das war ja immer das Ziel, das harmonisch miteinander zu verbinden. Eine Liebe zu Can und eine Liebe zu den Kinks …

SPEX: Wobei es ja konzeptuell interessant war, daß ihr das auf der ersten LP total auseinandergehalten habt und zwei verschiedene LP-Seiten …

Jahnke: … nee das war anders. Wir wollten ja eigentlich nur ’ne Single machen, und plötzlich war soviel Material da, daß es eine LP wurde. Und das Material ging eben in zwei Richtungen.

Rag: Und als Plattenhörer willste ja, daß wenigstens die Stücke von einer Seite zusammenpassen.

SPEX: Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen. Bei Pere Ubu gab es in einem Kanal einen normalen Rock-Song, im anderen einen hohen Pfeifton, und The Jesus And Mary Chain gehen auch ähnlich vor. Feedback links, Paul Simon rechts.

Rag: Ja, wir wollten uns damals einfach den Rücken frei halten, nicht als Song-Gruppe festgelegt werden. Deswegen haben wir es dann bei der zweiten Platte „Pst“ genauso gemacht. Erste Seite Song-Seite, zweite Seite freie Musik. Eigentlich sollte ja die jetzige zweite Seite die erste sein, und für die zweite Seite gab es ein achtzehnminütiges Instrumental-Stück, das dann auf der vierten LP erschienen ist. (Auf Nachfrage:) Das ist diese pechschwarze, die hat keinen Titel. Die ist schön, die kennt kein Mensch, eine reine Instrumentalplatte. Zum Beispiel das Stück „Nachbar“ ist da in der Originalfassung drauf, 13 Minuten.

Jahnke: Und das Stück, das der Holger Czukay auf seiner Platte dann in der kurzen Version drauf hatte. Bei ihm war es sieben, bei uns achtzehn Minuten lang.

SPEX: Ich fand das ja eine seltsame Liaison, weil sein und euer Humor doch ziemlich entgegengesetzt sind …

Jahnke: … sind die gar nicht so.

Rag: Ich hatte ziemliche Konflikte mit ihm, weil, meine Art zu singen und mich im Studio zu verhalten, war für ihn völlig unmusikalisch. Dieses Zerrissene, daß man einerseits völlig ernsthaft war und dann totalen Klamauk machte, während er eben ziemlich puristisch sagte, so, das ist jetzt guter Humor und das ist Blödsinn …

Jahnke: In erster Linie wollten wir einen guten Ton-Ingenieur.

Rag: … und den Can-Sound. Also Can finde ich eine der wichtigsten Bands überhaupt. Wenn man die zehn wichtigsten aufzählt, sind die darunter.

SPEX: Und die anderen neun?

Rag: Die anderen neun sind Beatles, Stones, Kinks, Who, Velvet Underground …

Jahnke: Led Zeppelin.

Rag: Zeppelin, Doors. Da kommt man flott auf zehn Bands. Aber Can gehören auf jeden Fall dazu. Bestimmte Aspekte haben die besser als jeder andere auf den Punkt gebracht. Das Intuitive. Und diese Zeitlosigkeit. Das finde ich auch wichtig, daß man in gewissem Maße zeitlose Musik macht.

SPEX: Obwohl deine Texte doch wohl immer zeitbezogen sind.

Rag: Gut, aber auch da versuche ich Texte zu schreiben, die auch in zehn Jahren noch eine Bedeutung haben.

SPEX: Sehr zeitbezogen fand ich zum Beispiel auf der „Wieleicht“ den Text „Der letzte Held“.

Rag: Ja, das waren eben die Düsseldorfer Wurzeln und dann Janie, nicht so der Mensch, aber eben wie Janie singt. Der Uwe hatte da einen Song mit leichten Lou-Reed-Qualitäten, und da mußte so’n Street-Ding drauf.

SPEX: Ich habe gerade in dem Zusammenhang noch mal an Family Five gedacht und verglichen, wie die das Problem versuchen zu lösen, daß wir heute in Zeiten totaler Beliebigkeit leben, nämlich durch Nostalgie, Nostalgie nach Rudi Dutschke, während ihr da einen resignierten, aber realistischen Text habt, der auch Verbindlichkeiten schafft, aber von heute aus.

Rag: Der Text ist nicht über die Szene und auch nicht nur über Janie. Der handelt von Leuten, die von 77 so einen totalen Idealismus haben und heute mit den Dingen, die sie damals bekämpft haben, Kompromisse schließen. Daß man so zwangsläufig ins Leben integriert wird. Der eine heiratet, der andere muß sehen, daß er jetzt endlich irgendwie Geld verdient. Ich meine, wir haben uns nichts vorzuwerfen. Ich glaube, daß wir nachweislich die meisten Risiken auf uns genommen haben, wir haben fünf LPs und eine Doppelsingle total selbst finanziert und vertrieben, alles selbst gemacht. Und der einzige Anspruch, den wir uns gestellt haben, war, die Platten technisch immer besser zu realisieren. Das hat uns aber nicht in dem Sinne beeinflußt, daß wir Kompromisse machen mußten. Vor einem Jahr, als Conny Plank die „Wieleicht“ eigentlich hätte machen sollen, hat der instinktiv gemerkt, daß wir uns eigentlich gar nichts sagen lassen. Wir wären schon gern bei einer großen Plattenfirma, aber nur wenn wir wirklich alles selber bestimmen. Man hört das der „Wieleicht“ auch an, daß wir die in sechs Tagen selber aufgenommen haben. Da sitzt keiner im Hintergrund, da haben wir uns selbst perfektioniert. Bei der Industrie wollen die immer noch ’n Fuß in der Tür, ’n Finger dazwischen haben …

SPEX: Aber ich glaube nicht, weil die immer alles kommerziell klingen lassen wollen, sondern weil da einfach zu viele Leute arbeiten, die ihren Job und ihre Existenz rechtfertigen müssen.

Jahnke: Ich fühl mich auch ziemlich hohl, so hier bei Ata Tak. Die Leute sind sehr okay, aber der Vertrieb ist einfach ziemlich beschissen, auch wenn es sich natürlich lohnt, so etwas zu unterstützen, so Independents. Wenn wir nicht nebenbei etwas anderes machen würden, also wenn wir von der Musik leben müßten, sähe es natürlich haarig aus.

SPEX: Heißt das, daß man nur vernünftige Musik machen kann, wenn man es nicht hauptberuflich macht, jedenfalls in Deutschland?

Jahnke: Ja, mit Leib und Seele, aber nicht hauptberuflich.

Rag: Ich hab mich damals aus Überzeugung dagegen entschieden. Ich wollte nicht 50 Mal im Jahr live spielen. Ich wollte nicht routiniert 50 Mal im Jahr denselben Gag bringen. Das war nicht meine Vorstellung von Punk.

Jahnke: Na ja, das hast du auch nie gemacht. Wenn du das machst, dann fallen dir auch andere Gags ein. Ich kenn das ja.

SPEX: Daher auch solche Verzweiflungstaten wie das Lärmkonzert damals in der FU?

Rag: Ja, das sollte dem Publikum sagen und der Presse: Eure Erwartungen von der Platte haben nichts mit diesem Konzert zu tun. Ein Konzert ist jedesmal was anderes.

SPEX: Auf die Dauer ein Kampf gegen Windmühlenflügel?

Rag: Ja, auf die Dauer. Aber, wenn man mit Liebe arbeitet und seinen Sound auf der Platte perfektioniert – unsere erste Platte hatte gute Songs, klang aber beschissen – und die Live-Konzerte nicht so bescheuert sind wie das in der FU, das war ja zum Teil einfach bescheuert, dann geht das schon. Es ist nicht meine Vorstellung von Musik, die bewußt einen Standpunkt zu dem Drumherum, zu dem, was existiert einnimmt, live das zu reproduzieren, was du auf der Platte hast. Wir haben jetzt in Frankfurt gespielt, das erstemal seit einem Jahr, und da wollten wir 60 Minuten auftreten. „Lametta“ sollte acht Minuten dauern. Eigentlich ist es ja nur drei Minuten lang, aber das ist eben ein Live-Stück, das verändert sich schon mal. Am Ende hatte es 30 Minuten gedauert, und wir dachten, oh Gott, das war jetzt aber viel zu lang, aber auf dem Band hinterher klang das sehr gut. Ich erwarte das ja auch, wenn ich ins Konzert gehe, daß da etwas passiert, was die Band vorher nicht weiß. Ist vielleicht ’ne alte Hippie-Tradition …

SPEX: Sehr musikermäßig.

Jahnke: Ja, wir haben halt kurze Songs und vier Stücke, die dauern vier bis zwanzig Minuten. Und mit unserem neuen Schlagzeuger, der ist sehr gut, da könnte man auch die kürzeren noch in die Länge ziehen und das alles auf die Spitze treiben.

SPEX: Mit dieser Musikerhaltung macht man natürlich Minderheitenmusik. Mit euren Pop-Stücken hättet ihr aber Massenappeal.

Rag: Ja, unser Ziel ist, daß das aus einem Guß ist. Auf Platte ganz präzise zwei Minuten-Stücke, aber wenn ich mir zum Beispiel Zeppelin oder Doors angucke, wie die live ihre Hits gespielt haben, da war „Light My Fire“ auch dreißig Minuten. Das geht. Was ich sehen will, auch selber, sind Bands, die sich auf der Bühne entwickeln.

SPEX: Wo hast du das in letzter Zeit gesehen?

Rag: Wenig. Wer das macht, fast aus Prinzip, sind die Fall.

SPEX: Der Vergleich mit Fall ist mir bei S.Y.P.H. schon öfters eingefallen.

Rag: Ja, da gibt’s Zusammenhänge, auch mit Swell Maps und mit Mekons. Es gibt z. B. auf der ersten Swell-Maps-LP ein Stück, „Midget Submarine“, das hat haargenau dasselbe Gitarrenintro wie „Lachleute und Nettemenschen“. Das ist zeitlich ein halbes Jahr vorher entstanden, aber die hatten eine ganz ähnliche Art, Songs zu schreiben.

SPEX: Nur daß sie dann später eine ganz andere Entwicklung genommen haben, jedenfalls Nikki Sudden.

Rag: Ja, die haben sich halt getrennt. Uwe macht ja nichts solo, obwohl er Tonnen von Solo-Material hat. Sudden war auch in Frankfurt und hat sofort entdeckt, daß Uwe in „Lametta“ einmal kurz „Mother Sky“ von Can angespielt hat, er ist ja auch totaler Can-Fan.

SPEX: Ja, er will jetzt auch mit seinem Bruder und Leuten von Crime & The City Solution eine Platte mehr in diesem Stil machen, den Can-Fan ’raushängen lassen.

Rag: Also was ich zu S.Y.P.H. grundsätzlich sagen muß. Man kann heute ja Musik nicht so machen, als hätte es die Musikgeschichte nicht gegeben. Wenn ich ’nen Film mache, kann ich nicht so tun, als hätte es Godard nicht gegeben. Godard mußte das nicht, der mußte nur Fritz Lang aufarbeiten. Heute mußt du Godard und Fritz Lang verarbeiten. Wir versuchen einfach aus der ganzen Geschichte die wenigen Sachen, die uns gefallen, weiterzutreiben und zu verbinden. Was war so toll an den Beatles, an Velvet? Das ist kein Zurückfallen. Also die einen sagen, heutzutage, sie wollen auf Teufel komm raus was Neues, die sagen, das von damals ist alles heute altmodisch, die anderen sagen, wir machen das total, das ist dieses Psychedelic-Revival. Damit haben wir überhaupt nichts zu tun.

Jahnke: Wer weiß, wer weiß.

Rag: Nö! Das ist ein ganz anderes Bewußtsein. Das kannst du auch bei unserer neuen Maxi hören. Da kommen Sachen vor, Disco-Effekte, Gitarren-Effekte, die für einen, der sich auskennt, wie Zitate sind. Die kommen ganz kurz vor, aber nicht als bewußte Zitate, sondern weil man das eben alles im Kopf hat. Man hört sich doch alles an, was weiß ich, auch John Lydon. Und was gut ist, bleibt hängen, und man bahnt sich seinen Weg.

SPEX: Wie wichtig ist es dabei, daß ihr eine deutsche Band seid?

Rag: Eigentlich nur für den Text. Also die deutsche Rock-Band, Baß, Gitarre, Schlagzeug gibt es nicht, wie in England The Who oder The Kinks. In Deutschland ist es entweder Underground wie FSK oder Neubauten, oder es ist Udo Lindenberg, es gibt nichts, was die Lücke füllt, und da will ich gerne rein.

SPEX: Dazu müßtet ihr euch aber erstmal etwas bekanntermachen. Wie soll das gehen?

Rag: Ich denke da erst mal nicht dran, ich denke an die nächste LP. Bei „Wieleicht“ waren wir für 25 Songs sechs Tage im Studio, das nächste Mal wollen wir für zehn Songs vier Wochen ins Studio. Ich bin Optimist, ich glaube, wenn die Platten eine Qualität haben, dann können die sich auch verkaufen, ohne daß man permanent live vorhanden ist. Es gibt sowieso keine Gesetze. Kraftwerk sind fünf Jahre nicht aufgetreten und haben Hunderttausende verkauft.
Guck dir dagegen BAP an, die 365 Tage im Jahr spielen. Ich meine, die waren schon immer blöd, aber jetzt sind die ja nur noch ’ne Parodie von sich selbst.

Jahnke: Ich fänd das nicht so schlimm, viel live zu spielen, so schlimm ist das nicht, mit Fehlfarben haben wir das ja gemacht.

Rag: Ja, du bist eben auch ’n Musiker. Bei mir ist das anders. Ich sehe jedes Konzert als was ganz Besonderes, wie ’nen Geburtstag. Da lege ich ganz viel rein, und wenn ich das öfters machen würde, dann würde auch diese Unschuld verloren gehen, aus der die Songs eben entstehen.

Jahnke: Das glaube ich nicht, daß die bei dir verloren ginge.

SPEX: Wie ist das überhaupt mit dieser Unschuld? Ich habe bei den Texten oft das Gefühl, daß sie aus einer puren Albernheit hinübergleiten ins Philosophische, daß ganz ungewollt gute, gültige Sätze entstehen.

Jahnke: So gehst du da glaub’ ich nicht ran.

Rag: Meistens gehe ich so vor, daß ich so ein Verhältnis habe: Mensch-Tier, Mensch-Natur, Kopf-Körper. Das findest du in all meinen Texten. Das kann auch heißen, daß man etwas Negatives sehr lustig bringt oder umgekehrt. Alle guten Texte fallen mir dann ein, wenn ich die Musik hör, wenn ich von Uwe oder Jürgen ’ne Melodie bekomme.

SPEX: „Raus aus dem Elternhaus“ ist z. B. ein sehr ernster Song, klingt wie selbst erlebt.

Rag: Ist er auch, der Song stammt noch von 78. Aber ich glaube z. B. auch, daß er ein Problem behandelt, das es immer geben wird, also daß der Song heute genauso richtig ist wie damals. Ich glaube eben nicht, daß man eine Sache immer sofort rausbringen muß, wenn man sie gemacht hat. Wir halten da ein paar Perlen zurück, da habe ich keine Sorge, daß die noch in drei Jahren gut sind. Auch bei „Wieleicht“ war das Material bis zu drei Jahre alt. Das mußte dann rauskommen, das mußte abgeschlossen werden. Ich hatte zuerst auch Angst, das klingt nicht wie aus einem Guß, wie eine Reise durch die Rockgeschichte. Daß so Kritiken kämen wie: S.Y.P.H. sind ja total daneben, die sind ja völlig unzeitgemäß.

SPEX: Habt ihr an das „Weiße Album“ gedacht?

Rag: Klar, wir haben das immer gehört vorher, und als wir das Cover in der Hand hatten, war uns auch klar, daß das ’ne Anspielung war.

Jahnke: Ich wollte eigentlich „Physical Graffiti“ machen.

SPEX: Led Zeppelin wollen sich ja auch reformieren.

Rag: Das geht ja gar nicht.

Jahnke: Hast du dir mal die Solo-Platten von Robert Plant angehört? Wie findest du die?

SPEX: Nicht so gut.

Jahnke: Ja, die sind komisch, aber ich habe mich da inzwischen reingehört und find die eigentlich gar nicht so schlecht.

SPEX: Ich war immer Jimmy Page-Fan, Plant war für mich eher so was wie Roger Daltrey.

Jahnke: Das stimmt aber nicht. Plant war schon mehr. Die Who waren ja nie was anderes als Pete Townshend, der war ja sogar ’n besserer Sänger und schrieb alle Stücke, Plant hat dagegen ja ’ne Menge zu Led Zeppelin beigetragen.

SPEX: Ja, das lustige ist ja, daß sich Townshend Daltrey nur als Sex-Symbol gehalten hat.

Rag: Plant war das größere Sex-Symbol. Der europäische Jim Morrison.

SPEX: Wieviel Zeit verbringt ihr eigentlich zusammen? Du (Harry Rag) bist doch meistens in Berlin mit deinen Filmen beschäftigt.

Rag: Ich habe jetzt eine Wohnung in Solingen und werde immer so einen Monat in Berlin, einen in Solingen verbringen. Ich mache jetzt zwei Filme, die ich gedreht habe, fertig, und dann nehmen wir eine neue LP auf, fünfzehn Stücke, die noch keine Texte haben, musikalisch das Beste, was wir bis jetzt gemacht haben. Das wäre von vielen Gruppen der jeweils beste Song, egal ob U2, Simple Minds oder Ramones, aber ohne daß man den Eindruck hat, einen Sampler zu hören. Vielleicht wird eine Seite laut, schnell und rockig, ohne heavy zu werden, und die andere ruhig, intuitiv, aber Songs. Wir kommen jetzt mit der Maxi langsam zur Zeitgleichheit. Die Doppel-LP war eigentlich zwei Jahre zu spät, wir waren eigentlich schon anders drauf, aber der ganze Ballast mußte mal weg. Jetzt die Maxi, ein langes, wildes, rockiges Stück, ist schon fast zeitgleich, und der Ballast ist weg, jetzt sind wir wirklich frei für ganz neue Sachen. Wenn der Kurt (Dahlke = Pyrolator) und der Frank (Fenstermacher) nicht gewesen wären, hätten wir das sowieso nicht mehr hingekriegt. Die Art, wie der Kurt aufnimmt, wie der noch beim größten Klamauk den Sound auspegelt … das war ’ne Meisterleistung. Mit Conny Plank wäre das völlig in die Hose gegangen. Das wäre nie ’ne Doppel-LP geworden. Er hat vorher noch gesagt, er sucht die deutschsprachige Rockgruppe, die total eigenständig ist, für sich steht und eine kreative Substanz hat, so ungefähr hat er das gesagt, und wir saßen da und sagten: Das sind wir!

Freund der Band: Dann hat er zwei Wochen später die Humpe-Sisters gemacht.

Rag: Was gibt es denn überhaupt noch für deutsche Bands, die interessant sind? Man hört doch nur noch Revivals. In Berlin hab ich neulich die Subtones gehört, für die sie alle schwärmen, das war Gymnasium-Abschlußparty für mich. Klar, die Neubauten sind schon gut, auch irgendwie Revival, weil Blixa für mich irgendwo so einen Jim-Morrison-Komplex hat, aber die neue Platte ist schon sehr gut, sehr perfekt.

Jahnke: Ich muß dazu sagen, daß ich die überhaupt nicht leiden kann, die ganzen Neubauten.

Rag: Also das „Seele brennt“, wie das gemischt ist! Wenn du den Text überhaupt verstehen willst, dann mußt du so aufdrehen, daß die Gitarre so laut wird, daß du garantiert Ärger mit den Nachbarn kriegst, das nenne ich ’ne politische Abmischung. Solche auf den Punkt gearbeiteten Sachen gibt’s sonst überhaupt nicht in Deutschland.

Wir unterbrechen das Interview, um die neue S.Y.P.H.-Maxi zu hören, die mindestens das einlöst, was Harry Rag versprochen hat, auch seinen Anspruch, Musik von 26-Jährigen für 26-Jährige zu machen. Eine schnelle, krachige Disco-Nummer, mit wechselnd intensivem Lärm/Scratch/Disco/Improvisations-Beiwerk einschließlich japanisch anmutenden Opernfetzen und Heavy-Metal-Soli, Rag krächzt englisch vom „Little bastard, slave of your memory“, und ich muß an die wahren PIL-Fans denken, die sich wahrscheinlich exakt diese Platte von der Wobble/Lydon-Band heute erwarten würden. Und S.Y.P.H. bedeutet seit dieser Aufnahme „Save Your Pretty Heart!“ Siehe Refrain.

SPEX: 78, beim ersten großen Deutsch-Underground-Festival sollst du dich längere Zeit mit Iggy Pop unterhalten und versucht haben, ihn für die NdW zu missionieren.

Rag: Ich hab ihn nach ’ner Zigarette gefragt, so John-Wayne-mäßig: Sind Sie nicht zufällig Iggy Pop? Aber mit Bowie haben wir uns unterhalten. Der kam damals zwei Stunden zu spät ins SO 36. Da hat ihn der Knut von PVC an die Theke gezerrt und ihm auf ’m Cassettenrecorder PVC vorgespielt und gesagt: ‚This is PVC, this is what we played tonight: Wall City Rock, the new German Rock music‘, blabla. Wir standen da alle im Hintergrund, Mittagspause, Male und S.Y.P.H., und dachten, das darf doch nicht wahr sein, der kann doch nicht stellvertretend für uns sprechen. PVC sind doch sowieso die letzten, die singen ja Englisch und machen Status-Quo-Musik. Jetzt muß einer von uns mit dem reden, der Bowie darf dem doch nicht glauben. Wer redet denn jetzt mal mit dem? Da haben sie mich so dahin geschubst, und ich: ‚Mr. Bowie, we are German bands and we sing in German. This is bullshit.‘ Knut war stinksauer, und Bowie meinte: ‚Ah ja, I’ve also sung in German, you know, on „Heroes“, that’s interesting‘, dann sah er sich meine Schuhe an und sagte: ‚Oh I had these shoes also. Ten years ago.‘ Dann fragte ich ihn noch, wie er Ray Davies findet, und er fand ihn gut. Das war sehr nett, und Iggy Pop war total besoffen und ist immer hinterhergelaufen.“

Jahnke: Der hatte ’ne Frau dabei, die war ’n Kopf größer und hat auf ihn aufgepaßt.

SPEX: Was haltet ihr von Propaganda?

Rag: Scheiße. Die Rolle von Ralf Dörper bei S.Y.P.H. war die, daß er dabei gesessen und „Melody Maker“ gelesen hat, während die anderen gespielt haben. Der hat nie irgendwas angefaßt, der hatte keinen musikalischen Einfluß. Aber ist doch ganz klar, warum ich Propaganda scheiße finde. Ich mag Musik, die persönlich ist oder eigenständig, und Propaganda ist eben das reine Konstrukt.

SPEX: Das muß ja nicht notwendig schlecht sein, es gibt doch auch gute Konstrukte.

Rag: Ja, „Pleasure Dome“, ist ’ne gute Platte, hör ich mir gerne an. Laurie Anderson ist auch gut. Oder hier Frank und Kurt, der Plan, das ist ja auch ’ne Konstrukt-Gruppe, aber „Gummitwist“, da merkt man sofort, was für Leute das gemacht haben, bei Propaganda könnte das jeder gewesen sein. Auf die Dauer wird Ralf Dörper damit auch nicht glücklich werden. Wir hätten diese Produktionsmöglichkeiten natürlich gerne. Aber wir würden uns von Trevor Horn nichts sagen lassen.

SPEX: Ich habe noch einmal ein altes „Sounds“-Interview von Alfred Hilsberg mit dir gelesen, wo du völlig radikal bist, nichts gelten läßt, was außer S.Y.P.H. sonst in der Welt passiert.

Rag: Das ist heute fast noch genau so. Die Radikalität, die wir praktiziert haben, ist ja vom Publikum und von den Kritikern nie so nachvollzogen worden. Aber die Sachen sind da, die kann man vorzeigen, und ich steh auch dazu. Ich hab mich zum Beispiel auch immer gefragt, ob das, was ich mache, Punk ist, in dem Sinne, wie ich mir Punk vorstelle. Als wir die Instrumental-Platte gemacht haben, das war die Zeit, als alle von Tanzbarkeit und Beat redeten, das war für mich kein Punk mehr. Da war es für mich Punk, so eine Instrumentalplatte zu machen. Da war ich fest überzeugt, daß das der Punk dieser Zeit war.
Und so ist das heute immer noch, daß ich mich frage, was ist Punk, und was ist nicht Punk.