Screaming Blue Messiahs – Spiegelbild im silbernen Auge

Bill Carter und seine hinreißenden Jungs (sie sind schon über dreißig, deswegen können sie noch Baß und Schlagzeug spielen) haben zum ersten Mal in ihrem Leben Erfolg mit „I Wanna Be A Flintstone“, fielen aber in einem Smash Hits-Flintstone-Quiz grausam durch, Carter nennt denn auch Wilmas Schwangerschaft in einer frühen Folge den einzigen Grund für Song und Video: „Das war das einzige Mal, daß ich in einem Zeichentrickfilm eine schwangere Frau gesehen habe“. Worum es ihm wirklich geht, raunzt Carter Diedrich Diederichsen in seiner netten, wortkargen Art zu.

Wie kürzt man Screaming Blue Messiahs ab? Screaming Blue Mess. Schreiendes blaues Durcheinander. Eure Musik dient wohl nicht dem Transport irgendwelcher Emotionen, sage ich zu Bill Carter – nichts anderes als gedehntes, gelangweiltes Einverständnis erwartend –, sie ist wohl eher eine Art schnelles Verkehrsmittel, in das man sich hineinsetzt und aufs Gas drückt?

„Na, ja, stimmt schon. Aber … warte … da gibt es schon ein paar Gefühle. ‚Waltz‘, das ist doch ein sehr gefühlvolles Lied …“

Ich meine natürlich, daß jeder von sich redet und zunächst mal ist einer nur so gut in seiner Kunst wie er als Mensch gut ist, aber er kann ja was verstehen und an sich arbeiten. Das neue Kultur-Dogma, auf das sich zur Zeit alle – vom Theaterkritiker bis zum E-Musik-Rezensenten, von der Zeit bis zum Zeitgeist – geeinigt haben, lautet ja: Gut gemachte Unterhaltung ist ja so viel schwieriger und wertvoller, als wenn einer von sich redet (dabei ungemein beweiskräftig auf dem toten Toten Botho Strauß rumtrampelnd). Weil: das können die zynischen Arschgeigen nicht ab. Sie könnten ja darauf kommen, sich nur in Gedanken vielleicht anhören zu müssen, was sie von sich sagen müßten. Übel, übel. Dann lieber der gutgemachte Krimi, Alan Ayckbourn oder Ute Lemper.

Dabei gibt es eine Welt, in der tatsächlich und korrekt Kunst ohne Innenleben auskommt. Aber nicht, weil die Beteiligten nicht von sich selbst sprächen, sondern weil sie keines haben: weganalysiert. Die Welt des erweiterten Blues-Begriffs, die Welt der Screaming Blue Messiahs. Ich drehe mich also wieder um und spreche zu Carter: Jahrzehntelang war der Blues, gerade auch bei den ihm immer wieder zugewandten weißen Amerikanern, ein Tummelplatz der Sentimentalität, des hysterischen, ausgedachten Weltschmerzes.

„Stimmt. Dabei gibt es da Sachen … Also, ich glaube, sie haben den Kontakt zu John Lee Hooker verloren, ich glaube, das ist es.“

John Lee Hooker hat auch von sich selbst gesprochen, aber sein Innen verzeichnet nur zwei Begriffe. Whiskey. Denkpause. Ahja, wie hieß gleich das andere noch? Genau: Women. Whiskey … and Women. Denkpause. Siebzehn Riffs. Was war jetzt gleich mit Frauen und Whiskey? Genau. Ruined my life. So war es. Bis sieben Minuten um sind. Jetzt aber wieder ein fröhliches Lied. Let’s make it, pretty Baby. Let’s make it right now. Not tomorrow night. Not the next day, Babe. I mean right now. How-How-How.

Das hat nichts mit Primitivität oder gar Reduzierung zu tun. Das ist korrekte Analyse der Lebensumstände des Menschen als Künstler, in dem Sinne wie das jeder ist, der was weiß. Und wer weiß schon nichts. Keiner weiß mehr. Funktioniert vielleicht erst ab einem bestimmten Alter.

„Wir machen keinen Baby-Kram, Alter!“

Das mußte mal gesagt werden. Carter bricht mit seiner Band auf der Autobahn der Tour-Bus auseinander. Draußen schneit es. Andere hätten jetzt angefangen zu heulen. Das schneetreibende blaue Durcheinander lädt die Instrumente in einen neuen, irgendwo eilig gemieteten Van um. (Wie macht man das? Wie findet man als Engländer mitten im westfälischen Schnee die Nummer der nächsten InterRent? Bringt einem InterRent das Fahrzeug zur Unfallstelle?) Besorgt sich dann einen zweiten Pkw, weil das Ding zu klein ist. Kommt erst nach dem Set der Vorgruppe im Laden an. Spielt mit fremder PA und ohne Soundcheck ein Programm runter, das alle folgenden Bands, die das Pech haben an den nächsten Abenden hier aufzutreten, wie weinende grüne Anmaßungen aussehen läßt. Nach ihnen ist jede Gitarre in einer anderen Hand eine Anmaßung. Und erst dieser Drummer, der beste, den ich seit dem Burenkrieg gesehen habe. Wenn man so eine Live-Band ist, muß es eine verdammte Strafe sein, Platten zu machen, die auch selten so gut sind wie das Zeug auf der Bühne, wenn Carter rappt und die Stücke kein Ende nehmen.

„Ich mag unsere Platten nicht. Die zweite mochte ich überhaupt nicht, was daran lag, daß wir unter entsetzlichem Zeitdruck standen und plötzlich gesagt bekamen, das Ding muß in der nächsten Woche fertig werden, dabei hätte sie gut werden können. Bei der neuen ist es besser, aber der Sound ist nicht das, was ich will. Kleine Details an der Abmischung stimmen nicht. Und das reicht. Nicht, daß wir so wären wie sie, aber ZZ Top haben jahrelang Platten gemacht, die immer ganz gut waren, aber mich nie sonderlich berührten, bis Eliminator, wo sie plötzlich auch die winzigen kleinen Details im Griff hatten. Das war der Treffer. Seitdem macht ihnen keiner mehr was vor. Wir sind noch nicht so weit, aber wir arbeiten dran.“

Statt Whiskey, Frauen und Es-Machen hat Carter, der ein Mensch der Neuzeit ist, sich andere allgemeinverständliche internationale Kurzworte ausgesucht, die jeder versteht und sein immer knappes lakonisches Staunen über diese Welt zum Ausdruck bringen: Jesus, Chrysler, Fred Feuerstein, Bikini, Lügendetektor. Was man von der Welt sieht, wenn man, nicht aus Eitelkeit, sondern wegen roter Augen (Bikini Red), die Sonnenbrille nicht abnimmt. Nicht gerade das, was man einen persönlichen Text nennen würde.

„So ist das wohl. Produktnamen finde ich sehr gut, um was zu sagen. (Pause). Außerdem: Ich mag Andy Warhol. Wenn Du verstehst, was ich meine …“

In „I Can Speak American“ heißt es: „What they did to the Kong was wrong“. Ist das King Kong oder der Vietcong?

„Eigentlich King Kong. Aber die andere Möglichkeit ist natürlich genauso attraktiv.“

Ein weiteres Argument dafür, als Deutscher englische Rocktexte nicht zu verstehen und interessant überzuinterpretieren.

„Ein weiteres Argument dafür, niemals einen Songtext zu analysieren.“

Jo! Carter. Er schreibt jetzt Songs. Nicht, daß er sich irgendwo hinsetzt und sie schreibt, aber er macht jetzt Platten als etwas anderes als geglättete Wiederholungen von Live-Konzerten. Was der Platte gut bekommen ist. Die SBM sind eine der letzten „Underground“-Bands, an die sich noch ein Major herantraut. Pierce („Gun Club, ja, die mag ich immer noch sehr gerne, sonst fällt mir keine Band ein, die ich zur Zeit gut finde.“) meinte neulich in diesem Blatt, daß man in so einer Lage Gefahr läuft, sowohl die Underground-Klientel zu verlieren, ohne andererseits beim Mainstream-Publikum Blumentöpfe zu gewinnen.

Da kann er sich nur wundern

„Ich glaub nicht, daß es so laufen muß. Obwohl wir auch im Moment große Schwierigkeiten mit unserer Plattenfirma haben. Man wollte uns vorschreiben, uns bei Fernsehauftritten nicht zu bewegen, die Sonnenbrille abzunehmen und so ein Zeugs. Im Moment hockt einer in einem Studio, verschandelt irgendein Band und sie nennen das die neue Screaming-Blue-Messiahs-Single. Aber wir sind eine Band, die Zeit braucht, ich glaube, wir werden auch das Problem überwinden. Ich meine: der Gun Club. Ich sage Dir was, Mann: Hast Du jemals in einen Gun-Club-Tour-Bus reingeguckt? Hast Du jemals, wenn die irgendwo angekommen sind, die Türen geöffnet und in den Bus reingeguckt? So etwas Fertiges hast Du noch nicht gesehen. Die waren dann nämlich gerade drei Stunden um den Auftrittsort im Kreis herumgefahren. Schuld hat übrigens dieser Typ da, er war damals ihr Manager, heute ist er bei uns.“

Aber ihr findet die Venues besser? Oder hat er inzwischen Stadtpläne besorgt?

„Stadtpläne sind nicht der Punkt. Wir haben die richtigen Kanäle. Verstehst Du: Kanäle.“

Nicht ganz, äh, hast Du schon die neue Wilko Johnson gehört?

„Nein, Mann, wie heißt sie?“

Sie heißt „Messin’ With The Kid“, nein, sie heißt nach einer Zeile aus dem Song, sie heißt: Call It What You Want.

„Aha. Gut?“

Naja. Carter hebt die Stimme: „Ich kann es bis heute nicht verwinden, daß sie sich getrennt haben. Das war so sinnlos. Keiner von ihnen war je wieder so gut wie beide zusammen. Lee Brilleaux nicht und Wilko Johnson nicht. Es ist so grauenhaft. Sie hatten einfach nicht bedacht, was sie da tun.“

Aber das ist ja nun schon eine Weile her?

„Für mich ist es immer noch so als wäre es gestern gewesen. Ich komme darüber nicht hinweg. Dr. Feelgood war die beste Band für mich. Sie waren menschlich und unkonventionell. Sonst ist die Musik immer unmenschlich oder konventionell, aber diese Wärme und diese Art zu spielen.“

War es kein Fehler, daß Du die Motor Boys Motor aufgelöst hast?

„Nein, die Band kam irgendwie nicht zurecht. Der Sänger konnte sich zum Beispiel nicht an die ständigen Auftritte gewöhnen, und auch von der Musik her klappte es nicht.“

Der Sänger hat an ein paar Titeln der neuen Platte mitgewirkt, dieser Tony Moon.

„Ja, er rief an und meinte, ich habe einen Titel für Euer Album, ‚Bikini Red‘. Tja, da mir das nicht eingefallen war, mußte ich es leider nehmen.“

Dir machen aber die vielen Auftritte nichts aus? Gehörst zu der Rasse, die am liebsten 23 Stunden schlafen und eine Stunde auftreten würde?

„Überhaupt nicht. Ich spiele nur, um Geld zu verdienen, sonst würde ich viel seltener auftreten. Letztes Jahr haben wir ja auch ein Jahr Pause gemacht, weil wir jede Lust verloren hatten. Zwei, drei Auftritte im Jahr, das wäre ideal. Am besten einmal einen ganz großen.“

In einem Stadion?

„Nee. Das müßte schon ein ganzes Land sein.“

Die USA vielleicht?

„Ja, da läuft es sehr gut. Es ist ein ziemlich hartes Land, und die Kinder wollen da keinen Kinderkram wie in England. Da sind sie bei uns natürlich richtig.“

Einfache Wahrheiten sind besonders schöne Wahrheiten, nicht wie so mancher denken mag, Rockism: das wären einfache, faule Lügen. Innen leben ist okay, aber manche Leute haben es sich abgewöhnt, abgearbeitet oder sind ohne geboren. Die wundern sich nur. Und wissen einem glaubhaft und überzeugend Sachen wie diese zu vermitteln:

„Weißt Du, was ich glaube?“

Nein.

„Music (Pause) should be (Pause) fucking exciting!!!“

Mmmmh.

„And that’s easier said than done.“

Well, …

„Aber wir arbeiten dran.“