Spacemen 3 – Fortgesetzt sündigende Katholiken

Sind Kinder, sind Sünder diejenigen, denen die Wurst auch ohne Brot schmeckt? Darf jemand behaupten, Heroin habe ihm geholfen, wo doch des Jemandes Freund an einer Überdosis ums Leben kam? In seiner Rolle als evangelischer Pfarrer ist Diedrich Diederichsen nicht in der Lage, die Absolution erteilen zu können; doch kann nicht auch der falsche Weg zum richtigen Ergebnis führen? In der Kunst allemal! Immerhin sind sie so gut, daß die Zeit in die Knie geht und stillsteht. Endlich.

„Weißt Du, wir kommen aus Rugby, und das ist wirklich der Arsch der Welt … ich glaube ganz sicher, daß ich mich umgebracht hätte, wenn ich nicht Drogen genommen hätte. Und ich habe jede verdammte Droge genommen, die in England zu haben ist, eine Zeit lang war ich heroinabhängig, und unser bester Freund ist an einer Überdosis gestorben, und trotzdem ist unsere Musik ohne Heroin nicht denkbar. Es hat mir das Leben gerettet und das Selbstwertgefühl, es hat mir gezeigt, daß ich ein Mensch bin …“

Ja, ja, cause it makes me feel like I’m a man / when I put the spike into my vein / when I’m rushin on my run / it makes me feel just like Jesus’ son … wie es in dem klassischen Lied zum Thema heißt: Heroin. Es ist mein Leben, und es ist meine Frau. Wer spricht so? Der Heroinbenutzer, man kann auch Junkie zu ihm sagen. Normalerweise eine elende, meist kriminelle Kreatur, eines der beklagenswertesten Opfer der Elendsproduktion des Kapitalismus, aber auch: William Burroughs. Oder der Typ, der, als wir immer noch gut gemachten Progressive Rock hörten, von Cream über Ledzep zu irgendwelchem Orgelscheiß, schon Kim Fowley, Stooges, Eno und Velvet Underground hörte, so um 72. Der nahm das Zeug auch. Was ist eigentlich aus ihm geworden? Egal was, er wußte: I’m gonna make a very big decision.

So auch die Spacemen 3, die genau wie Lou Reed Jesus ins Spiel bringen müssen. In dem mehrfach aufgenommenen „Walking With Jesus“ geht es darum, daß Jesus ihnen die Sünde vorhält, sich das Paradies schon auf Erden holen zu wollen. Sie sind sicher, in der Hölle brennen zu müssen, aber da werden sie ein paar ihrer besten Freunde treffen. Trotzdem bitten sie in der letzten Strophe um Gnade: Ja, Paradies, Himmel, das wär schon was, aber die Zeit bis dahin, das Leben, wäre doch einfach nicht zu ertragen „without these things“.

„Diese Zeile haben wir geändert. Ursprünglich hieß es ‚without sweet Heroin‘, aber wir wollen ja Heroin nicht proklamieren, nur weil es uns geholfen hat. Das war aber auch das einzige Zugeständnis.“

Mal darüber nachgedacht, was die Hölle wirklich ist? Sicher nicht eine leicht verkommene Kneipe, wo man ein paar korrekte Leute trifft, die irgendwie auch nicht gut drauf sind. Ich will nicht vor den Gefahren des Heroins warnen, die ich eh nur aus Gerüchten kenne, wie sie jeder kennt, am besten Spacemen 3, die schließlich einen Freund verloren haben. Ich frage nur: wie denken sie sich das?

Es gibt zwei Möglichkeiten, die Verbesserung, die Steigerung des Lebens zu denken. Entweder politisch als Lösung für alle, durch Veränderung der Bedingungen, was sich aber nie in einem Leben, in der Wirklichkeit, abschließen läßt, zumal das Leben, das ja in der Zeit abrollt und begrenzt ist, nicht nur von seinem Ende beschränkt ist, sondern auch allen Formen von Korruption, Verblödung und Verfälschung ausgesetzt, so daß man am Ende eh nie das realisiert, was man am Anfang vorhatte. Oder es gibt den dekadenten Weg. Rückzug in ein ausgetüfteltes Privatuniversum, in dem man allen Dingen durch Konzentration auf sich selbst eine neue schöne autonome Bedeutung gibt. Der Weg des Dandy, alles neu durchsemantisieren, damit läßt sich’s leben (und sogar die Wahrheit sagen: Denn wenn man konsequent solipsistisch alles nur durch sich selbst, die eigenen Gedanken erklärt, lügt man nicht, man wird nur kaum verstanden. Ein bißchen wird man aber immer verstanden, weil ja noch der artaudeste Artaud ein Mensch ist. Und das merken andere, die gar keine Artauds sind. So entstehen Poser – Ende der Abschweifung). Dabei helfen Drogen auf die bequeme Tour: Die Dinge werden schon von alleine ganz schön eigenartig, wenn man sich was einpfeift.

Wer so vorgeht, hat meistens die richtige Vorstellung, daß man wirklich niemandem einfach so helfen kann, wenn man will, aber er hat vergessen, daß man nicht auf der Welt ist, wenn man nicht kommuniziert (und die Artauds und Baudelaires macht ja gerade aus, daß sie das verzweifelt versuchen) und daß das Leben kein Wackelpudding ist, kein aus der Zeit herauslösbares Objekt, das sich nach Belieben würzen oder verfeinern ließe, denn die Steigerung wird auf die Zeit umgerechnet, die verloren geht (im Sinne von: abhanden kommen, nicht im Sinne von: nicht genutzt werden. Wer das Leben steigert, nutzt die Zeit ja zu sehr) und vom Leben abschneidet, wenn man sich weigert, das Leben nach ihren Gesetzen abrollen zu lassen. Das Dorian-Gray-Problem eben. Oder das Iggy-Pop-Problem, der jetzt, wo er clean ist, plötzlich all die Jahre nachgealtert ist, wie man unlängst im Kabelfernsehen sehen konnte, jetzt wirklich der „The Idiot“ ist, als der er vor einem Jahrzehnt posierte.

Spacemen 3 sind Katholiken, die fortgesetzt sündigen. Ich bin hier der evangelische Pfarrer, der für jede Sünde zu haben ist, aber weiß, daß keine überhaupt nie und niemals vergeben wird. Absolut nichts wird vergeben. Nicht von Gott, sondern von den Gesetzen des Lebens. Spacemen 3 lieben MC5, die Stooges, Suicide, Kraftwerk. Aber ihnen sind deren Songs ziemlich egal, sie wollen nur den geilen Sound, den steigern und steigern und multiplizieren, endlos. Sie essen Aufschnitt ohne Brot und Butter.

Das ist ein guter Vergleich. Ja, wir sind absolut nur an der Atmosphäre dieser Musik interessiert, an sehr langen, gleichförmigen, mächtigen Sounds. Als wir beide (Sonic Boom, der sprechende, und Jason, der schweigende Teil der Partnerschaft, 22-jährig, am selben Tag geboren und Freunde fürs Leben) uns auf der Kunstschule trafen, hingen wir jeden Tag bei ihm rum und hörten die Stooges-Platten rauf und runter. Und Suicide. Wir haben mal bei Suicide im Vorprogramm gespielt, und die arbeiten seit 20 Jahren, und kein Mensch versteht sie, außer wenigen, die dann wieder Bands gründen, und ich habe Martin Rev gesagt, wie wichtig er für uns war, wie genial klar. Und das ist auch der einzige Erfolg, den ich will, daß Leute kommen und sagen, ihr habt uns beeinflußt. Ich meine, wir können alle nicht spielen. Jason ist der einzige, der vor uns in einer Band war. Unsere Freunde ziehen uns damit auf, daß sie unsere Stücke exakt nachspielen, besser als wir selbst. Aber es geht nicht um viele Akkorde, um fieses Jinglejangle und Einzeltöne, es geht um einen einzigen Akkord oder zwei. (Anm. d. Verf.: Ein Akkord ist ein Argument, wer nur eines wirklich kennt, kann auch nur eines immer wieder benutzen – wenigstens in der Pop-Musik.) Oder nur um einen Ton. Die „Ecstasy Symphony“, die haben wir nicht einmal gespielt. Wir haben den Ton ‚a‘ auf einem Keyboard mit Tesafilm unten gehalten und angehalten und durch Flanger, Phaser, Echokammern und so weiter geschickt.

Dies ist doch in etwa die Art, wie Kinder Musik hören und zu Abend essen. Sie lieben einzelne komische Sounds, die sie immer wieder hören wollen, die Dekoration, die Sahne, die Kirsche auf der Sahne, den Aufschnitt ohne blödes Brot. Kinder haben keine Ideen von Haushalten, und das ist, denke ich, wieder genauso gut und gültig, wie die Gesetze des Lebens zu kennen und sie einzuhalten. Oder: Es ist besser. (Aber: Sind wir noch Kinder? Zeit ist vergangen.)

„Ja, viele Kinder mögen unsere Musik, das ist mir auch schon immer aufgefallen, sie finden die Länge und die Lautstärke nie so anstrengend wie ihre Eltern, die es oft nur aushalten, wenn sie alte Hippies sind und meinen, sie könnten zur ‚Ecstasy Symphony‘ meditieren.“

Nach dem Konzert sprach ich mit Gleichaltrigen darüber, daß dies die Musik ist, die wir hätten gebrauchen können, als wir vor vielen, vielen Jahren noch Freude an psychedelischen Drogen hatten.

Rückblickend fielen uns nur Can und Pink Floyd ganz am Anfang ein, die schon damals ähnlich vorgingen wie Spacemen 3 heute. Neulich gab es in der 20-Jahre-Sgt-Pepper-Dokumentation im TV einen kurzen Ausschnitt, wie Pink Floyd in düsterem Bühnenbild, mit gesenkten Köpfen und dem Rücken zum Publikum, eine rauhe, mürrisch-weggetretene Version von „Interstellar Overdrive“ spielten.

Jason: „Vielleicht solltest Du die psychedelischen Drogen von damals wieder nehmen?“

Um zu enden wie Sky Saxon?

„Okay, ja und schlechte Coverversionen von Roky Erickson machen.“

Was wurde beim Live-Konzert, das in einer fast halbstündigen Fassung von der Hommage an den toten Freund, „O.D. Catastrophe“ – mit der geklauten Melodie von „T.V. Eye“ (Stooges) –, endete, aus der anderen Seite der Spacemen 3, ihre komplett leise, dem mittleren Lou Reed verpflichtete, akustischen Songwriter-Seite?

„Wir können das live nicht bringen, weil man nicht immer zwischen total laut und leise wechseln kann, aus technischen und atmosphärischen Gründen. Aber natürlich ist auch das wichtig. Wir haben ja zum Beispiel ‚Walking With Jesus‘ in zwei völlig verschiedenen Versionen aufgenommen, oder so etwas wie die ‚Ode To Street Hassle‘, wo es um einen Satz aus Lou Reeds ‚Street Hassle‘ geht, wieder über jemanden, der an einer Überdosis gestorben ist. Wir haben eine Menge Blues-Einflüsse, einfache Blues-Sachen, Robert Johnson, John Lee Hooker …“

Die auch auf der letzten LP, auf der kein lautes Wort fällt und keine Endlos-Nummer drauf ist, direkt umgesetzt werden, träge, unglaublich ruhige, coole Blues-Versuche, gesungen von weichen, wachen Jungs, die es immer wieder in Himmel und Hölle treibt, und deren „Mütter von uns glauben, wir wären Abschaum“.

„Eines der Lieder, auf die ich besonders stolz bin, ist ‚Transparent Radiation‘ von Red Crayola, kennst Du die?“

Klar, Mayo Thompson, alter Kumpel von mir.

„Tatsächlich. Also! Dieser Song! Ich! liebe! ihn! Er steht für mich über allem. Ich kenne viele, die die alten Red Crayola verehren. Ich persönlich besitze ein Doppelalbum mit seltenen Tapes von allen International-Artists-Künstlern, das mal auf Radar rauskam. Eine Seite ist Red Crayola, und Mayo spielt dieses Lied alleine zur akustischen Gitarre, ganz leise. Der Mann ist ein Genie. Ich habe auch ein Tape, ‚Red Crayola Live beim Berkeley Folk Festival‘, das sprengt jeden Rahmen, das ist der Zeit um Jahrhunderte voraus. Ich meine, in den letzten 15 Jahren hat er sein Genie irgendwie verschwendet, Sachen wie Soldier-Talk mag ich nicht so gerne, aber das ist auch egal.“

Aber auch das, diese Musik – die, wie ich einmal fand, so leise und transparent ist, daß man hört, wie die Scharniere der Gitarrenkoffer beim Auspacken der Halbakustischen knarren – hat diese pure Süße, dieses pure Schlecken an der verbotenen Frucht, ohne dafür zahlen zu wollen. Und Spacemen 3 sind wirklich Katholiken: Wir spießigen Evangelen entrichten möglicherweise die Strafe im Voraus, indem wir ein Gerüst, eine Message, eine Idee, eine Geschichte vorschieben, bevor wir uns der Köstlichkeit des köstlichen, kühnen, bösen, verantwortungslosen Sounds ausliefern. Diese Katholen wissen, daß man das nicht kann. Es ereilt einen sowieso, und dann kann man immer noch beten oder bereuen, Sweet Jesus um Sweet Heroin anflehen. Da wissen wir wiederum, daß einem nichts geschenkt wird.

„Wenn man einen Akkord stundenlang spielt, statt vier oder sieben Minuten, dann ist in diesem einen Akkord viel mehr von der Energie erhalten, mit der man spielt; er erscheint dichter, konzentrierter. Natürlich brauchen wir dazu ein bestimmtes Equipment, das sehr wichtig ist, denn nun kommt es ganz genau auf den Sound an …“

Ja, es kommt dann darauf an, die Zeit anzuhalten, den Augenblick verweilen zu lassen. Und das klappt, Mann, während draußen auf der Straße die Straßenbahnen die Jahrhunderte abrattern und Du als graues verwittertes, körperloses Tier in einer gläsernen Zelle am Ende von 2001 – Odyssee im Weltraum endest. Bezeichnenderweise fand Marcel Proust die Zeit wieder, als er an einer „Madeleine“ schmeckte, einem ausgesprochen drögen, die Pflicht, die Nicht-Ausschweifung darstellenden Stück Backwerk.

Die Spacemen 3 sind entstanden aus Langeweile, mit dem Ziel, die Langeweile zu überwinden, heißt es im Beiblatt zur „Walking With Jesus“-EP, das ein Werbetexter und Fan, den sie einmal als Hitchhiker aufgegabelt haben, für sie geschrieben hat. So sind alle guten und gefährlichen Sachen entstanden. Gegen jede Schwierigkeit im Leben hilft irgendeine Romantik, gegen jede Ausweglosigkeit – und so eine Ausweglosigkeit ist die Langeweile der Sinnlosigkeit – hilft nur so etwas Gefährliches wie ein starker Entschluß oder ein starker Gedanke. Wer gegen das Argument „Smack bringt Dich um“ sagt, alles andere bringt mich auch um, dem kann man schlecht sagen: Make this world a better place. Um so besser, wenn er es wirklich tut (make) und Musik macht, die etwas auf den Punkt bringt. Urprobleme, an denen Goethe und Lord Byron schon gesessen haben. Alles gegen die Romantik der Selbstzerstörung, aber so einfach liegt dieser Fall nicht. Denn der Musik der Spacemen 3 hört man an, daß sie nicht aus Faulheit diesen Weg zur Würde gewählt haben, sondern aus Härte in der Not, wofür ich Respekt habe, vor allem wegen des Resultats, dieser Abstraktion von guter Rockmusik. Daß das auch ein Kinderkram ist, ist klar, vor allem, wenn Sonic das Lamento über die falschen Drogengesetze anstimmt, die hier nun wirklich nicht das Problem sind. Wer solche Sachen macht, darf sich am allerwenigsten darüber wundern, daß ihm der Staat nicht hilft. Der richtige Weg zwischen der Unmöglichkeit zu helfen und der Pflicht zu kommunizieren kann immer nur sein, richtige und wirkliche Kämpfe zu kämpfen, und die Spuren davon als richtige Gedanken oder lehrreich falsche irgendwo so rumliegen zu lassen, daß sie anderen helfen können, egal ob das Platten, Bücher, Telefonate, Kneipengespräche oder Konzerte sind. Spacemen 3 haben es geschafft, für ein Problem des wirklichen Lebens das entsprechende Problem in der Kunst zu finden und zu benennen, und das trotz eines falschen Weges im Leben in der Kunst richtig darzustellen. Wie alle Drogenleute halten sie natürlich Alkohol für die einzig wirklich teuflische Droge und die CD für das Medium der Zukunft, weil es den langen Track verlangt, den langen, lauten, dumpfen, einfachen vibrierenden Track zur Geltung kommen läßt. „Here it comes“, singen sie, „the sound of confusion.“ Ja, mal wieder junge bürgerliche Konfusion, aber absolut gebündelt zu einem Strahl, einem erschütternden, durch Mark und Pfennig dringenden Geräusch.

Zu Bedenken gebe ich noch, daß Lou Reed, der unergründliche Weise, seinen Song „Heroin“ nach langem Bedenken irgendwann „für immer“ aus dem Live-Programm genommen hat. So habe auch ich diesen Artikel nach langem Nachdenken aus dem Blatt genommen. Dann hat Lou Reed nach einer gewissen Zeit „Heroin“ doch wieder live gespielt, selber inzwischen cleaner als clean. Und das habe ich mit diesem Artikel auch gemacht. And I guess that I just don’t know …