Spätsaison: Journaille. Defunkt. Talking Heads

Eine chaotische Kombination von blanker Behauptung, raffiniertem Raten, falschen Vergleichen, verblüffender Einsicht, hoffnungslosem Unsinn, gekonntem Schockieren und Schauabziehen, Witz und orakelhafter Mystifizierung; das alles frech und willkürlich zu einem endlosen und anmaßenden Monolog zusammengemixt. Doch meiner Ansicht nach ist darin auch eine tiefernste These enthalten. (Arthur M. Schlesinger über Marshall McLuhan).

„Was soll man denn sonst studieren außer Betriebswirtschaft?“ „Du, äh, öh, äh, ichäh bin sone Art Fotograf und wir machen so Fotos von Fraununso, also kein Pin Up oderso, aber ich dachte du könntest vielleicht, ähöh, ichäh … “ (Nachtlebengesprächsfetzen).

Die Ferienzeit schleppt sich ihrem Ende entgegen. Die schönsten Pillenbibis sind aus dem Urlaub zurückgekehrt. Die Körper der Menschen hängen schlaff und braun in ihren Sommerkleidern. Gähn! Was für eine Zeit! Die Russen produzieren Mißernten, und sogar in Norddeutschland bangen die Bauern um das Getreide. („Wo ist der Regenmacher?“ – „Unser Onkel ist in Timbuktu.“ Bauer Brösel und Tick, Trick und Track.) Ich entziehe mir das Bier und versuche, meiner notorischen NME-Hörigkeit entsprechend, die neue deutsche Cocktailvielfalt auszuprobieren. Doch hierzulande bleibt Schmalhans Barmixer. An diesen Tagen, an denen man nichts tun kann außer Beach Boys zu hören, große historische Romane zu lesen (die Memoiren von Saint Simon, vier Bände prall!) und in Zeitungen und Zeitschriften zu schmökern, wächst meine Sucht, alle, aber auch alle Illustrierten zu kaufen und zu verschlingen, ins Monströse – proportional zu der Scheiße, die darin zu lesen ist. Das Generalthema der Sauregurkenzeit ist die neue deutsche Welle, was auch immer die einzelnen darunter verstehen mögen, denen irgendein alteingesessener Posten als Jugend- oder Musikredakteur die Legitimation zuweist, über Dinge zu schreiben, die sie nur vom Hörensagen kennen.

In der Zeitschrift „Videoplay“ war kürzlich ein Traktat zu lesen, daß junge Filmfans davor warnte, den Beruf des Filmkritikers zu ergreifen. Nicht Fan müsse man sein, nicht alles über Kino wissen, nicht ununterbrochen ins Kino laufen, nein, viel wichtiger sei es, ein gut ausgebildeter Journalist zu sein, der seinen Lesern etwas verständlich zu machen wisse. Egal ob Reisebericht, OPEC-Konferenz oder Howard Hawks.

Unverhofft kommt oft. Plötzlich spielt mir also die andere Seite die Richtlinien zu, nach denen die Zeitschriften die Wahrheit zum konventionellen „lesbaren“ Geplapper verbiegen. Die Feinde des konventionellen Journalisten heißen demnach – und jede Lektüre von Zeitschriften aller Art zwischen „Stern“ und „tip“, incl. des großen, weniger bekannten Zwischenreichs belegen dies – Leidenschaft und Sachkenntnis. Wenn sie doch ihre mangelnde Sachkenntnis wenigstens durch gloriose, überraschende Erfindungen, Entwürfe und Täuschungen kompensieren würden. Nein, die fehlende Sachkenntnis und die fehlende Leidenschaft werden stattdessen von etwas ersetzt, das sie „Sachlichkeit“ nennen. Das ist vor allem ein gewisser Ton, eine unterkühlte Floskelsprache, mit den spezifischen Erkennungszeichen des jeweiligen Blattes angereichert, die die Vielfalt der Realität auf ein paar sozialdemokratisch-liberal-kritische Plattheiten reduziert (oder auf das klerikal-faschistoide Gedankengut der vollkommen lächerlichen Rechtspresse, über das zu reden nicht mehr nötig ist, auch wenn es bunter und unterhaltsamer als das wöchentliche Nivellieren des „Sterns“ ist, wenn die anachronistischen Erzrechten der „Welt“ mit ihren klangvollen Namen wie Enno vom Löwenstein, Kay Graf Brockdorf oder Wildfried Hertz-Eichenrode an Positionen längst-versunkener Gedankenwelten festklammern, während doch die heutigen Machthaber sich längst anderer Propaganda-Methoden bedienen können und uns mit anderen Lügen geißeln) und die das Regieren hierzulande immer noch leicht macht. Auch die Grünen lesen den „Stern“.

Leidenschaft wird bei Journalisten meist durch Existenzangst ersetzt. Wenn die Welt sich zu verändern droht und der letzte Rest von Wissen über dieselbe den Schreibern zwischen den Fingern zerrinnt, wird mit Vehemenz gegen das Neue angeschrieben. Eine der groteskesten Erscheinungen des deutschen Journalismus seit Kriegsende war das „Zeit“-„Dossier“(!) über die neue deutsche Welle von Franz Schöler. Da wurde jede Art deutschsprachiger Musik der letzten fünf Jahre zu einem Gebräu zusamrnengerührt, dem dann auch noch (typisch! Alle alten Rockkritiker versuchen das, seit Siouxsie ein Hakenkreuz trug) der moralisierende Zeigefinger eines vagen Faschismusverdachts vorgehalten wird. Faschismusverdacht – jene typische BRD-Inquisition, die nie richtig liegt, den wahren Faschismus nicht erkennt und alles, was nicht auf der liberal-geschwätzigen Einheitslinie sich befindet, in das Reich des Unsagbaren zu verbannen sucht. Bei Schöler gibt es keine historische Kontinuität, keinen Unterschied zwischen Industrie und Independents, zwischen Schlager, Punk und experimenteller Musik (um mal nur die gröbsten Begriffe zu nennen). Für ihn sind Zoff, Fee und UKW dasselbe wie Mittagspause und Palais Schaumburg. Er nennt die lahmen Hitparaden-Profis von UKW Dilettanten und die ultra-disziplinierten Musiker von Palais Schaumburg Chaoten. Er kämpft um seine Existenz. Er hat keine Ahnung und muß nun all das, wovon er keine Ahnung hat, präventiv ausschalten. Auf ähnliche Weise hatte er vor längerer Zeit in einem der ohnehin raren Pop-Musik-Berichte in der „Zeit“ die Gruppen Cabaret Voltaire, Young Marble Giants, Killing Joke und (man kann es kaum glauben!) Spliff zu einem neuen Musikstil verrührt. Sein Meisterstück leistete er sich allerdings, als er vor nicht allzu langer Zeit Cat Stevens’ TEA FOR THE TILLERMAN und ABBEY ROAD der Beatles als Platten der Woche besprach, weil sie im Direct To Disc-Verfahren wiederveröffentlicht worden sind.

Ähnliche Existenzängste wie Schöler scheinen meinen speziellen Freund und gestandenen SOUNDS-Gegner, Olaf Leitner vom „tip“ zu plagen. Leitner ist bekannt als Spezialist für DDR-Rock (die ödeste Spielart der Rockmusik diesseits und jenseits des Hades. Merke: Wenn ein Mann mit dem Leben nicht mehr zurechtkommt, schafft er sich ein Hobby an) und regt sich in einer seiner „tip“-Kolumnen über die „Neue Deutsche Weile“ und deren Präsenz in Dieter Thomas Hecks „Hitparade“ auf. Was für ein schillernder Mann ist Heck gegen diese nörgelige Kritik an der musikalischen Unfähigkeit der deutschen Hitparadenstürmer (denen man alles vorwerfen kann, nur nicht Dilettantismus). Das Peinliche an Leuten wie Leitner ist ihre Meinung (Meinungen sind eh das letzte. Heute zählen nur noch Manifeste, nur noch Apodiktisches.). Und je besser sie schreiben können, desto schlimmer wird es. Leitner beherrscht den lockeren Umgang mit Floskeln und Witzchen. Leitner ist gegen Schlager, gegen Leichtigkeit, gegen Spiel (im kritischen Vokabular nennt man das „Oberflächlichkeit“, er hält sich für witzig, wenn er Heck und Rosenberg als noch vergleichsweise amüsant gegen die NdW-Vertreter stellt und sich dabei auf den alternativen Konsensus verläßt, daß Heck und Rosenberg sowieso das Letzte seien. Hat nie jemand begriffen, wie meilenweit der kühne schrille Pathos der Früh-und Mittsiebziger Rosenberg-Aufnahmen jedem öden Rockstück, das diese Art Kritiker favorisiert, überlegen ist? Nein, diese Leute interessieren sich nicht für Kunst.

Wie Journalistmus sein soll? So wie ihn Schlesinger in der oben zitierten Charakteristik McLuhans darstellt: angstfrei, charakterstark, großmäulig und nicht so leicht auszurechnen. Um nicht immer das eigene Blatt zu loben, sei auf Dirk Scheurings hervorragenden Surf-Artikel im letzten „Spex“ verwiesen: besessen detailgetreu und leidenschaftlich! (Leider verfällt Dirk in guter alter Nik-Cohn-Manier in den Irrtum, die Pop-Musik im guten Sinne sei bei den Beach Boys mit PET SOUNDS vorbei. Das Gegenteil ist wahr, ihre besten Werke kamen erst mit PET SOUNDS, SMILEY SMILE, FRIENDS, 20/20 etc. Und zwar nicht im Sinne von großer Kunst, Mord an Pop-Tugenden usw., sondern im wahrsten Pop-Sinne: überdreht, großzügig, launisch, frech und subversiv.) Oder auf die gelegentlichen Extratouren von gestreßten sabotierenden Redakteuren in Deutschlands Boulevard-Blättern und Tageszeitungen, die auch „Titanic“ schon des öfteren aufgegriffen hat (man erinnere sich nur an die Affäre mit Sue Ellens Baby, das ein genervter Fernsehredakteur plötzlich in jeder Ankündigung seiner Fernsehseite, von „Aspekte“ bis „Sportschau“ einflocht): wenn mitten im bösartigen Gelärme der BILD-Zeitung ein Redakteur sich den Nachtmahren seiner Phantasie hingibt, oder wenn ganze Seiten plötzlich die konventionelle Hierarchie der Wichtigkeit von Ereignissen, unterstützt von schrillen Kapriolen des Layouts, ad absurdum führen.

Ich sprach noch einmal mit Joe Bowie von Defunkt. Er erwies sich einmal mehr als der große Untergangsprediger: „Die Geschichte lehrt mich!“ – Was? – „Daß wir Waffen benutzen, die wir erfinden.“ Zwei Mädchen erscheinen im Hotelzimmer und zeigen ihre neu erworbenen Kleider, Joe scheint sie ihnen finanziert zu haben „Great, you look great! Wo waren wir stehengeblieben?“

Joe Bowie zeigt sich ein weiteres Mal im Gespräch nicht als besonders ergiebig. Wir sind uns einig, daß seine Musik live besser kommt als auf Platte (obwohl das inzwischen nicht mehr stimmt, da die zweite Platte hervorragend, der letzte Gig aber nicht so gut war wie die vorangegangenen). Joe Bowie möchte was für die Kids tun („denn sie sind unsere Zukunft“ – an die er aber sowieso nicht glaubt: „Dennoch müssen wir leben, als ginge es immer weiter“). Er nennt Miles Davis, John Coltrane, James Brown und Jimi Hendrix, sowie natürlich das Art Ensemble Of Chicago seines Bruders Lester als die für ihn wichtigste Musik. Er hält die gegenwärtige Funk-Welle für ein typisches Resultat der weißen Sound- und Ideenkleptomanie, die es schon seit der Frühzeit des Jazz gebe. Er möchte nicht aus New York fortziehen („denn da triffst du alle Menschen, die du treffen mußt“), hält Paul McCartney und David Bowie für die hervorragenden Vertreter weißer Musik und glaubt im übrigen (nicht ganz zu Unrecht), Agitation zu betreiben. Die Wahrheit sei die Waffe und die Defunkt-Konzeption mit ihrem integrativen Spielraum für Soli plus Disziplin die wahre Avantgarde unserer Zeit, viel avantgardistischer, als er seine Free Jazz-Vergangenheit heute empfindet. „Transavantgarde“ würde man in der Kunst sagen, bzw. sagt man heute.

Das Gute an Defunkt bleibt die für schwarze Musik relativ weit ausgebaute nicht-musikalische Ideenwelt, die immer wieder auftauchenden Bekenntnisse zu Härte und Wahrheit (wie bei der Punk-Supergroup Lords Of The New Church: „Truth is our sword“). So begrenzt europäisch diese Haltung ist: schwarze Musik, die außer religiösen und sonstigen Allgemeinheiten vor allem eine Sache des reinen Sound, der reinen Musik ist, funktioniett für mich nur, wenn sie ihren Kontext mit einbezieht, wenn sie Verweise enthält, eine sprachliche Ebene einschließt oder nebenher als lustvollen Überschuß existieren läßt. Also Chic, Clinton, James Brown. Edwin Starrs „War“ ist ein Beispiel für schwarzen Pop mit Überzeichnungen, neonhellen Gedankenreflexen, Curtis Mayfield mit seinem zuckersüßen Politdelirium oder Motown und Otis Redding mit der Neudefinition von Liebe. Der gegenwärtige Hardfunk und große Teile der Rap-Geschichte dagegen verselbständigen das „Dance On The Groove“ / „Shake Your Booty“-Gestoße, drehen sich selbstgenügsam um den Arsch, das Becken, das Gehirn, ohne Bewegung anzuzetteln. Defunkt spielt im Bandnamen mit der Idee von Zerstörung und abnehmender Funktionsfähigkeit von Funk. Defunkt meine aber auch Kommunikation allgemein. Defunkt entsteht aus der Sprachlosigkeit, gegen die Sprachlosigkeit und bemüht sich um das aussichtslose Geschäft, in der kommunikativen Einöde moderner Gesellschaften (in der die Worte und Bilder der oben erwähnten Journalisten regieren) für Wahrheit zu agitieren. „Funk is reality“, sagt Joe Bowie. Das mögen sich die zu Herzen nehmen,  die es noch nicht wußten. Die Pop Group wußte es.

Mit äußerst gemischten Gefühlen zogen wir zum Talking-Heads-Konzert in Bad Segeberg. Die beiden Platten REMAIN IN LIGHT und MY LIFE IN THE BUSH OF GHOSTS hatte ich inzwischen als meine größten Überbewertungen der letzten Jahre abgelegt. Vielleicht hat auch der massive Discotheken-Einsatz die Platten ruiniert. Das ziellose Geklingel der Big-Band-Besetzung hatte jedenfalls bei fast allen Stücken auf Dauer alle Songideen, allen zerbrechlichen Charme aus der Platte ’rausgetrommelt. Die Freilichtarena Bad Segeberg – wir erwähnten sie schon des öfteren – bietet normalerweise die Kulisse zu einem der lächerlichsten Schauspiele der Kulturgeschichte, den Karl-May-Festspielen. Dann brüllen Knallchargen von Felsen zu Felsen ihre debilen Dialoge, und das Fernsehen filmt und richtet Richtmikrophone. Als Kind und Karl May-Fan waren diese Spektakel für mich und meine Freunde immer Riesenenttäuschungen. Bei den dortigen Pop-Festivals ist alles so widerlich, daß dir deine Füße zu schade sind, um sie auf den verdreckten, vollgeschissenen Boden zu setzen und deine Augen zu schmerzen beginnen, wenn du dir das besoffene, Frisbee-spielende Knackwurst-für-drei-Mark-fünfzig-Elend des angereisten Publikums ansiehst. Das „Hippy-Concentration-Camp“ (Blondie) wiegte sich noch zu Jimmy Cliffs Allerweltsreggae (besonders viel Bhagwans im Publikum, für sie ist diese Musik maßgeschneidert), als zum Glück langsam Dämmerung einsetzte. Als die drei reizenden Weymouth-Sisters mit ihrem Tom Tom Club die Bühne erklommen, war es zum Glück finster genug, um nur noch sie im Auge zu haben. Die drei Töchter des alten Konteradmirals Weymouth hatten sich in netten Mini-Kostümen an die Mikros gestellt, einzig Schwester Tina, die die Schweinchen Schlau-Rolle des Trios innehat, griff hin und wieder zur Baß-Gitarre, den Rest besorgte die erweiterte Talking-Heads-Besetzung, nur Byrne und Harrison fehlten. Tyrone Downie beteiligte sich am „Genius Of Love“-Rap und begeisterte sonst mit seiner einzigartigen Keyboard-Arbeit, die vorher neben Bob Marley & The Wailers die Platten von Grace Jones verzuckerte. Nachdem Tina, Lori und Lani James Brown und Hamilton Bohannon gewürdigt hatten („Bohannon, Bohannon, Bohannon“ ein herrlicher, monoton-rhythmischer Name, wirklich wie die Musik), sang Tyrone das Lob seines Meisters Bob, und alle waren gerührt. Der Tom Tom Club beschränkte seinen Auftritt auf die unangefochtenen Hits: „Wordy Rappinghood“, „Genius Of Love“, „L’Elephant“ (das hier durch die Abwesenheit von Adrian Belews Nervgitarre gewann), „On, On, On, On“ (der Höhepunkt des Tom Tom Club, wo die wissende Mädchenhaftigkeit, die Kreuzung aus Unschuld und Intellektualität der anderen Songs umschlägt in eine unterschwellige, bedrohliche Hymne eines neuen Feminismus), und die neue Single, der Song „Under The Boardwalk“ (ein zeitlos-gültiger Klassiker der Jugendkultur, der die Wahrheit ausdrückt, daß „Einfach-Nur-Spaß-Haben-Wollen,“ genau das Anliegen ist, das die Erwachsenen-Welt am wenigsten verkraftet).

Die Talking Heads profitierten ebenfalls von dieser neuen Besetzung, namentlich von Tyrone Downies geschmackvollen Synthi/Keyboard-Tupfern, die ihren fragilen Songs hundertmal besser standen als das ausladende Spiel von Bernie Worrell, ihr neuer Gitarrist verfüllt nicht in Belewsche Entäußerungs- und Gitarrenepilepsie-Anfälle. Alle Stücke haben neue straffe Funk-Arrangements abbekommen; kanckige, elektrische Linie, die keinen Platz für tiefgründige Versenkung ließen. Das Programm bestand aus Frühwerken und Spätwerken (die vierte LP, REMAIN IN LIGHT wurde fast völlig ausgespart). Die besten Songs von Byrnes CATHERINE WHEEL-LP und von Jerry Harrisons THE RED AND THE BLACK, kamen zum Zuge (mit Jerry als Lead-Sänger, ein interesssantes Novum bei den T. Heads) sowie einige neue Stücke, die eine gute, überraschende Wendung wie eine neuartig aufgemotzte Version von 60er R&B/Soul klangen. Byrne, diesmal nicht zu bremsen, hatte Großstadtneurosen gegen überbordende Soul-Entladungen eingetauscht. Er sprang ins Publikum, verrenkte sich, aber trat auch zurück und überließ anderen die Bühne. Die Talking Heads, die sich dem Anspruch ausgesetzt sahen, den Titel „Jedermanns Lieblings-Band“ zu verteidigen, haben offensichtlich die Kurve wieder einmal gekriegt und die drohende Stagnation in Innerlichkeit und Keksdosenpercussion durch einen neuen weißen Großstadtsoul ersetzt.

Gestern sah ich einen Freiburger Video-Film im Fernsehen. Mit der Aura des Hautnah-Dokumentarischen (die beliebten Erkennungszeichen dieses „Mit-der-Handkamera-durch-Kreuzberg“-Stils sind Authentizitätssignale, die genauso leicht künstlich herzustellen sind: wackelnde Kamera, plötzliche Ausfälle, chaotischer Direktton. Das Ganze ist längst die etablierte Ästhetik der subventionierten Medienläden, der selbsternannten Basiskultur, nicht das wirkliche Leben) wurden Hausbesetzungen prügelnde Bullen und alternatives Straßentheater vorgeführt. Da bekam man von Hausbesetzern Selbsteinschätzungen zu hören, großsprecherische Statements, die McDonalds, Sterilität, Plastik und womöglich auch noch Neon, so genau kann ich mich nicht erinnern, zu den Hauptübeln unserer Zeit erklärten. Dazu blendeten die Macher das fünfzehn Jahre alte „Plastic People“ von Zappa ein und bewiesen damit unfreiwillig, wie alt, abgestanden und dumm diese Art Zivilisationskritik ist. Gegen McDonalds sind doch alle: von Karl Carstens’ Frau bis zu jeder Scheiß-NdW-Band. Gute Leute dagegen wie Andy Warhol oder die kubanischen Revolutionäre in Hitchcocks „Topaz“ lieben McDonalds. Abgesehen davon bot der Film eine so schmerzhaft-übervollständige Anthologie alternativer „Jute-statt-Plastik-es-geht-voran“-Klischees, daß man das Ganze für eine Parodie halten mußte. Ich bin ja auch für Hausbesetzungen, aber das Auftreten, die Forderungen und die Ideen dieser Leute, die der Film „Paßt Bloß Auf!“ zeigte, vergällen einem die letzte Lust an Jugendkultur, an der auf der anderen Seite die neue Flut gedankenloser Popper nagt.