Lieber Ulrich Schneider,
daß das Kapital der BRD auch den BRD-Malocher nach wie vor bescheißt, ist klar, nur verdankt er einen relativen Wohlstand und einen Haufen Chancen, klassischen Folgezusammenhängen des Entfremdungszusammenhangs leichter zu entkommen, der Tatsache, daß das BRD-Kapital die malaysische Näherin in einem noch viel unglaublicheren Maß nicht nur bescheißt, sondern im Verbund mit anderen Kapitalisten der ersten Welt Lebensbedingungen vernichtet, Kulturen enteignet, in einer mit Entfremdung noch nicht, mit (Neo-)Kolonialismus nicht mehr zu beschreibenden Weise, die über das, was für den BRD-Arbeiter auch von der Mehrwerttheorie noch richtig beschrieben wird, weit hinausgeht, die Differenz in der Ausbeutung des besagten hiesigen Malochers und der Weltangeschissenen in einer Weise vergrößert, die es eben, und das war mein Ansatzpunkt, unmöglich macht, so etwas wie internationale Solidarität herzustellen, weil der Erste-Welt-Proletarier mehr gemeinsame Interessen mit seinem Unternehmer sieht und teilweise sogar objektiv hat als mit einem Mitglied eines ausgebeuteten und entrechteten Volks sonstwo.
Eine Synthetisierung meiner Ein- und Ansichten hierzu ist freilich nicht möglich, darum geht es ja gerade, daß einerseits alte Widersprüche in einer nicht besonders aufsehenerregenden Kontinuität vor sich hin existieren und daneben zusammenhangslos massiv andere Widersprüche entstehen. Die Rückführung aller kulturellen Ausdifferenzierung auf ihre „Bürgerlichkeit“ (auch weil wir ja nun wirklich nicht mehr nur entweder Bürgerkinder oder Nichtbürgerkinder sind, sondern auch Jungs oder Mädchen, Overground-Karrieristen oder Underground-Selbstausbeuter, Homo- oder Heterosexuelle, jung, mittelalt oder alt und was dergleichen Parameter, die als Determinanten – z. T. selbst gewählte – nicht zu unterschätzen sind) ist ja gerade ebenso reaktionär wie deren unmaterialistische Glorifizierung, denn die feinen (Geschmacks-)Unterschiede schaffen ja seit je im kulturellen U-Ground materielle Fakten, die, anders als in der französischen E-Akademiker-Welt, im Falle von Spex u. ä. Unübersichtlichkeiten herstellen, die kaum auf den Klassenkampf von oben zu reduzieren sind (obwohl ich nicht leugnen will, daß es auch dieses Element dabei immer wieder gibt), sondern mit dem Vereinnahmungsproblem zu tun haben, um, wie eh und je in der Subkultur-Geschichte, ihre Aufgabe zu erfüllen und die jeweils fortgeschrittensten, den jeweiligen Reformismus überwindenden und gleichzeitig der jeweils nachgewachsenen Generation Ausdruck verleihenden Emanzipationsforderungen bzw. Versuche, die Kommunikationsbahnen dafür freizumachen/freizupusten, darzustellen, die sich natürlich, ihrer idealistischen Natur entsprechend, immer wieder in den kleinbürgerlichen Seelenstrukturen der sie vorbringenden und sich mit ihnen identifizierenden Protagonisten verheddern. Das aber ist und war schon immer so. Was interessiert, sind die Abweichungen von diesem Business as usual. Daß sich alle diese Forderungen im Katalog der Konsumartikel auf die eine oder andere Weise wiederfinden, spricht weder gegen die Forderungen noch gegen die Methoden in der Popkultur, sie auszusprechen. Besser sie stehen im Versandhauskatalog, als sie stehen nirgendwo, daß sie da zu finden sind, heißt nicht, kulturpessimistisch, daß sie daran gestorben wären, eine u. U. käufliche Form anzunehmen. Das Richtige stirbt nicht mehr notwendig am Falschen, nicht weil ich meinen Frieden mit meiner Klasse geschlossen habe, sondern weil es in Subkulturen eine Überlebensmöglichkeit entwickelt hat, die es, und das gilt es weiter zu erkämpfen und zu erhalten, trotz der Rollen, die es an, in und mit dem Falschen spielt, überleben lassen, wie z. B. die Kontinuität und das Wachstum von subkulturinternen Selbstverständlichkeiten belegt, das Überleben und sich zu Selbstverständlichkeiten Auswachsen des progressiven Kerns der Beatnik- und Hippie-Werte/Bewegung, obwohl diese natürlich immer wieder beschossen gehören und beschossen worden sind, wenn sie, was auf ihrem Weg zu Selbstverständlichkeiten unvermeidlich ist, in die falschen Hände geraten. Durch Punk z. B. sind aber nicht neue Nazis entstanden, sondern die in die falschen Hände und Phrasen geratenen linken bis anarchistischen Ideen des Hippietums gestärkt worden. (Der Leser, der uns geschrieben hat, wir hätten den prinzipiellen Nihilismus des Punk in Christentum umgedeutet und dafür Black Flags „No Values“ zitiert, sei auf das Interview mit dem Autor von „No Values“ verwiesen.) Generell gilt, was heute sechs bis zehn % denken können, konnten 68 1 % der Bevölkerung denken, was 69 0,01 % Adorno-Schüler denken konnten, können heute 1 % denken, und heute haben wir eine Studentenbewegung, die größer, kräftiger, mächtiger und politischer ist als jene es je war (und die bessere Musik hört). (Im Gegensatz etwa dazu spielten die Ideen der Frankfurter im Jahre 68, bei aller Richtigkeit, eine wesentlichere Rolle in einem Klassenkampf von oben, den die alte Elite und ihre begriffliche Elaboriertheit damals gegen die heranrückenden BRD-Abiturientenmassen führte.) 40 Jahre mehr oder weniger bürgerliche Gegenkultur zeigen, wie Issues/Forderungen/Ideen in Gefäßen (Grooves, Formen, Riffs, Beats) so aufbewahrt werden können, daß die Käuflichkeit ihres Namens nicht mit der Käuflichkeit der Sache selbst identisch wird (diese alte idealistische Wunschvorstellung erhält ja eine ungeahnte Bestätigung durch die Nachfrage nach Instrumental- und Körpermusiken nicht immer durch die Instrumental- und Körpermusiken selbst, sie erhält eine materialistische Bestätigung durch die Praxis gewisser, bei inzwischen längerer U-Ground-History langfristig begutachtbarer Unternehmungen, die die Gefäße aufbewahren, im Bewußtsein dieses Zusammenhangs: von SST bis i-D, von Negativland bis zum Kerl namens Gerald). Die Jugend (und in Spex eher und besser: ein bestimmter Underground und seine Patchworke, auch da und wie sie an Mainstream-Erscheinungen angenäht sind) ist kein Subjekt des Klassenkampfes, sondern des Erkenntnisgewinn und Individuationsgewinn durch kulturelle Ausdifferenzierung (fast egal, ob qua Konsum oder qua Konsumverweigerung: ist z. B. das bewußte, ausschließliche Kaufen von Cassetten oder Indie-Platten oder anderer im Prinzip alberner Credibility-Rituale Konsumverweigerung oder besonders blinder Konsumismus?), das heißt, sie steht in einem Kampf, der mit dem Klassenkampf ein paar Frontverläufe gemeinsam hat, einen gemeinsamen Feind, einige Positionen sogar mit denen teilt, die im Klassenkampf auf der falschen Seite stehen (denn Bildung, Pädagogik, Erziehung – diese Begriffe, in denen die besonders perfiden Dialektiken der Aufklärung wohnen – kennen wir ja auch aus dem U-Ground, auch aus Spex, und wir kennen auch ihre falsche, bürgerliche Instrumentalisierung), der in der Regel aber nicht klassengesellschaftsspezifisch, sondern eben informationsgesellschaftsspezifisch ist und im Kampf um die Durchpustung/Befreiung/Emanzipation der Information, der (künstlerischen) Mitteilung, der Befreiung des Sprechens eine Art Voraussetzung für die noch zu definierenden Klassenkämpfe der Informationsgesellschaft liefert, die wahrscheinlich nicht mehr so ohne weiteres wie alte Klassenkämpfe zu beschreiben sind. Nebenbei und unabsichtlich natürlich auch, das ist das alte Vereinnahmungsproblem, den Klassenkampf von oben beliefert und, sei es mit Namen – auf der anderen Seite haben wir ja gesehen, daß kulturelle Ausdifferenzierung und dazugehörige Produktvielfalt absolut nicht im Interesse der Kulturindustrie sind, wie nicht nur das Verhalten der Plattenindustrie zeigt, sondern nun auch gut mal wieder die neusten Geschichten aus der Welt der natürlich aufs widerwärtigste kapitalistisch agierenden Yuppie-Protagonisten der neusten Pressekonzentration in Bochum und beim Jahreszeitenverlag. Schon Degenhardt warf der Subkultur nicht zu Unrecht vor, daß sie im entscheidenden Moment statt auf die Straße, kiffen gehen würde, heute stehe ich zu diesen Joints, denn die Straße, auf die uns der SDAJ damals schicken wollte, war damals schon eh nur eine Simulation und ein Mythos, eine postmoderne Zitatstraße, aus alter und völlig respektabler kommunistischer Nostalgie herbeigesehnt (es gab und gibt auch immer eine andere Straße, auf die einen nur niemand schickt und die Gefahren birgt, die das Mitspielen im Demokratenspiel in seiner köstlichen Folgenlosigkeit nicht kennt), kiffenderweise, und später bei Punk-Rock, bei 82er Pop etc. entstanden die wechselnden und notwendig wechselnden Gefäße – notwendig eben wg. „Vereinnahmung“ u. a. –, die dafür sorgten, daß ein anarchistischer Grundkonsens (der inzwischen auch zu einem weit größeren Teil politisch mobilisierbar ist als es z. B. Kiffer oder Parteichenmitglieder der 70er je waren), der nicht das Schlechteste ist und mehr, als man sich in einer BRD vor 20 Jahren je vorstellen konnte, überlebt hat. Ich sehe andrerseits keinen Grund, mich von der alten Kritk an Linken zu distanzieren, deren Begriff von linker Kulturpolitik in dieser BRD, wie in der zweiten Hälfte der 70er bis mitten in die Friedensbewegung hinein, sich der Analyse der Widersprüche der dritten Welt verdankte, und zwar nicht mal im Zusammenhang globaler Verwicklungen des Kapitals der Ersten Welt, sondern auf der moralischen Ebene, die sich für Desaparecidos und gegen Diktatoren engagierte, um daraus innere Stabilität für Auseinandersetzungen zu beziehen, die hier stattfanden und ungleich schwieriger waren (im moralischen Urteil), wenn auch sehr viel bequemer, was die Gefahr für Leib und Leben betrifft, die andrerseits auch nicht in der Welt aufs Spiel gesetzt wurden, wo die bewußtseinsbildenden Widersprüche stattfanden. Der Fußgängerzonenpassant von heute hat kein symbolisch geregeltes Verhältnis zur Macht mehr, seine kulturell vermittelte Auto-Definition ist weder rebellisch noch angepaßt, sie ist in ihrer Tendenz zur unvermittelten Schöngeistigkeit, zur folgenlosen Bildungsbürgerlichkeit ohne deren klassischen Klassencharakter neu, sie schafft ihrerseits materiell neue Verhältnisse, neue Bedürfnisse, neue Konsumartikel, neue Produktionsverhältnisse, das Dackelgemüt des neuen Kultur-Kleinbürgers schafft durchaus auch politisch neue Tatsachen, die Vermittelbarkeit von Akten der Macht, in welchem Bereich auch immer, wird wegen mangelnder symbolischer Ordnung immer schwieriger. In anderen Ländern/Regionen wie Süddeutschland oder Frankreich kann man den Unterschied beobachten, atavistischere Verhältnisse, Beziehungen zu Hierarchie, Macht, Ordnung. Kapitalismus, so muß man sich das inzwischen vorstellen, produziert die Möglichkeit privilegierten Erkennens wie andere Waren. Je höher entwickelt er ist, desto bessere Möglichkeiten, seine eigene Abschaffung zu denken – seine negative Analyse auf den Punkt zu bringen, bringt er hervor, ohne daß diese Ideen und Analysen oder ihre Verbreitetheit irgendeine Gefahr für seinen realen Bestand darstellen. Aber auch ohne daß diese Analysen dadurch, daß ihr Zustandekommen von der Entwickeltheit und also auch besonders entwickelten Ungerechtigkeit dessen, gegen das sie gerichtet sind, abhängt, falscher werden. Massenproduziertes, elaboriertes Nichteinverstandensein ist das ultimative Ideenprodukt, denn es ist einerseits nicht nur nicht destabilisierend, am Ende gar zusätzlich stabilisierend, und andrerseits enthält es in Bezug auf die Analyse des zu Destabilisierenden nur – jedenfalls ist das denkbar und sehr oft auch der Fall – die richtigsten Einsichten. Kapitalismus produziert auf seine bekannte ungerechte Tour gerechte Einsichten, diese sind nicht nur wie früher auch möglich, sondern ihre Verbreitung und Durchsetzbarkeit auf der Ebene des Überbaus hängt von der Entwickeltheit der ungerechten Basis unmittelbar ab. Je ausbeuterischeres Sein bestimmt desto antiausbeuterischeres Bewußtsein (übertrieben gesagt), beiden gemeinsam ist nur ihre „blinde“ Hochentwickeltheit, und das ist auch das Medium ihrer Kommunikation. Immaterielle Güter wie zum Beispiel antihierarchisches Bewußtsein, die sich als Kapitalismus-ankurbelnde Bewußtseinsepidemien ebenso gut machen, wie sie objektiv echten lebenden Menschen helfen, sich von atavistischen, Kapitalismus-bedingten, sie quälenden und bedrückenden Entfremdungszusammenhängen zu befreien (immer natürlich nur so weit, wie es die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse gestatten, aber die Quotenregelungen dieser Welt schaffen Geschichten mit Erfahrungen, die sich in materieller Wirklichkeit niederschlagen werden). Der westliche Fußgängerzonenmensch erhält so einen immateriellen Fortschritt, Emanzipationspartikel als Honorar für seine Beteiligung am Weltbescheißungszusammenhang, wenn auch in untergeordneter Rolle ausgeschüttet, so wird er mitschuldig. Ihn dennoch zu ermutigen, diesen Vorteil auszunutzen, ist keine Kapitalismus-geht-an-den-eigenen-Widersprüchen-zugrunde-Logik, sondern gewerkschaftlich orientierte (und als solche natürlich kritisierbare) Politik auf der Bewußtseinsebene: Revolution schön und gut, aber bis dahin nimm, was du kriegen kannst! Das schafft ja wieder neue, veränderte Realitäten, neue Lebensläufe, die das eben beschriebene Paradox, das heutzutage selbstverständlich nur in Ansätzen und tendenziell vorhanden ist, auf die Spitze treiben werden, nicht damit der Kapitalismus daran zugrunde geht, da unterschätzen wir seine metaphysischen Schnurren und Schrullen und Unberechenbarkeiten, aber um das verkappte Tendenzielle manifest machen zu können, manifest in wirklichen Biographien. Auf diese Weise wird natürlich auch eine Solidargemeinschaft Erste Welt, wie bewußt und unbewußt auch immer, die sich einmal jährlich auf Nelson Mandela ihr Gewissen entlädt, zusammengeschweißt, die die Ungeheuerlichkeiten und Massen- und Kulturvernichtungsprozesse an ihrer Basis erfolgreich ausblendet und in den Bereich der ökologischen Problematiken delegiert, ein ebenfalls neuartiges Zwischenreich, wo bedrohte Bäume und Tiere neben bedrohten Völkern in als fatal, auch als von Menschen gemacht, aber nicht als politisch verstandenen (Quasi-)Naturkatastrophen untergehen.
Insofern sind die belgischen B-Boys natürlich nie als Söldner im Sinne einer Avantgarde eines fortschrittlichen Bewußtseins, sondern als nichts als ein Resonanzkörper eingeführt worden, der sozusagen Erschütterungen der Peripherie hierhin überträgt, in jeder Beziehung zu seinem Zwecke verfälschend eine physisch gefahrlose Pubertät oder Adoleszenz aufzuladen oder zu gestalten, aber dennoch geeignet, die Beats ganz objektiv hörbar zu machen, die, wenn sie von einem fähigen Künstler stammen, eben ganz objektiv von der Welt der Peripherie sprechen (heute wird ein Geräusch nur dann gehört, wenn es sichtbar gehört wird, soweit ist die Macht der Bilder eben schon geschritten; man muß auch noch bei Gelegenheit darüber sprechen, warum das immer mit der Peripherie der Ersten Welt funktioniert, nicht aber mit richtiger Dritte-Welt-Musik, die niemals eine reale, westliche Pubertät erreicht, sondern immer nur den Ethnoploitation-Blick des Club-Med-Touristen; dazu aber ein anderes Mal). Eine moralische Unterstützung, wie überhaupt das korrekte Lesen und Interpretieren, kann nicht die Aufgabe oder die positive Funktion westlicher Fans sein, sie dienen nur als Verstärker, deren persönliche Meinung und dermatologische Beschaffenheit völlig egal ist. Die Jugend hat zwar keinen Platz im Klassenkampf, aber in jenem anderen, möglicherweise demnächst in manchen Zonen/Gegenden der Welt wichtigeren, neuartigen Kampf, sie ist trotz allem der Teil der Gesellschaft, der am ehesten in der Lage ist, unzensiert und ungelenkt zu spiegeln und zu verstärken, was sich eben auch noch in den produkthaftesten Produkten, die für sie hergestellt werden, widerspiegelt, die Jugend wirkt wie ein Verstärker des sie Umgebenden, während Erwachsene und ihre Künste immer gleich interpretieren, lesen und harmonisieren, und ist deshalb am ehesten in der Lage, wie verkleidet auch immer, ausgeblendete Realitätsteile bekannt zu machen, besonders wirksam im Zusammenschluß mit der Peripherie, weil die ihm zu bieten hat, was der Jugendliche so dringend braucht: Musik und Kultur, die so existentiell klingt, wie er sein Heranwachsen auch in der liberalsten, nivellierendsten und pluralistischsten Gesellschaft noch immer empfinden wird (und gerade da, denn da war es ja bei Mami am wärmsten und schönsten), denn Jugend weiß vom Tod.
Natürlich gerät Spex da immer in die unangenehme Lage, die Interessen einerseits der aus der reinen Verstärkerfunktion herausgewachsenen Nichtmehr-Jugendlichen, Bohemiens, Künstler, Marxisten und bürgerlichen Idiosynkraten zu vertreten, die wir für wichtig halten, andrerseits mit einer Jugend zu korrespondieren, die wir, bei aller Solidarität, nicht mehr vertreten können, weil wir zwischen 22 und 32 sind, nicht zwischen 14 und 24. Hier hilft nur eines: wir müssen uns verdoppeln, erster Schritt dazu, der Umfang dieses Heftes.
Heiliger proletarischer Zorn ist für mich der Name einer echten Mystifikation, Julie Burchill eine Autorin, die eine denkbare und richtig erkannte Facette der Popkultur gegen alle Veränderungen und Entwicklungen zäh und stur als die einzig mögliche verteidigt, wobei ihr immer mehr die objektive Marginalisierung ihres Pop-Verständnisses entgeht (was okay ist, subjektiv weltrelevant, objektiv marginal, aus diesem Grundwiderspruch arbeiten wir alle, manchen bekommt es besser, ihn zu kennen, anderen besser ihn zu verdrängen), immer schlau, lustig und interessant, gerne auch, wenn man identische Formulierungen zum fünften Mal liest, aber nicht die heilige, gerechte Alternative zur bürgerlichen Idiosynkrasie (über deren Interesse an nicht-hundertprozentig-Vermittelbarem, grundsätzlich Andersartigem, nicht Wegkürzbarem alle Aspiranten auf den Thron nichtbürgerlicher Kultur-Opposition – von Public Enemy bis Julie Burchill – ihre Position überhaupt erst in einen Diskurs einführen konnten, was allerdings weder ein Argument für den Diskurs sein soll, noch für die Idiosynkrasie unbedingt ist), die ja nicht folgenlos ist. 40 Jahre Pop/Jugend/Hippie/Punk/Sonstwie-Kultur sind aus bürgerlichen Idiosynkrasien geboren, ohne im Erkenntnis-Limit von Burg oder Idio zu bleiben, und haben – neben leider auch Material für kollektive politische Selbstvernichtungen auf kleinster gemeinsamer Nenner/Ebene (von Woodstock bis Band Aid) zu liefern – geholfen, da wo kein Sozialimus herrscht, die Barbarei zu verhindern (und teilweise auch da, wo Sozialismus herrscht – allerdings tendiert Perestrojka-Sub, wenn man, wie ich, dem Sputnik Glauben schenkt, immer mehr zu New Age).
In der Welt, die wir vertreten, bricht sich die Produktivität und Kreativität der bürgerlichen Idiosynkrasie halt immer wieder an politischen Realitäten, so daß die der Idiosynkrasie eigene Radikalität nicht verloren geht, sich aber andrerseits nicht in Solipsismen verliert, dafür sorgen nicht zuletzt auch Vorgänge wie die erneute, extreme Beschränkung des Denkens und Schreibens der Leute, die dieses Blatt mittragen und auch auf die Gelder von ein paar erträglichen Stadtmagazinen angewiesen sind, die gerade so vernichtet werden von den bekannten Barbaren aus Bochum und Hamburg (vgl. Spex 2/89). Das für jeden einzelnen fruchtbare, Utopien herstellende, an bürgerlicher Radikalität entscheidende idio(tische)/(synkratische) Eigene auszuschalten oder ihm auch nur die angemaßte Wichtigkeit (denn das ist ja wohl das Ekelhafteste an uns allen Bürgerkindern, aber eben doch eine conditio sine qua non der Idiosynkrasie, die ich Außenstehenden durchaus gestatte, einigen Beiträgen dieser Zeitschrift, auch eigenen, vorzuwerfen) abzustreiten, führte dazu, die trotz allem immer noch wertvollsten, oppositionellen Triebe zu kappen, die ja mehr tun sollen als spielen.
Socialisme ou barbarie ist global schon die einzige Alternative, die wir uns vorstellen können, während wir aber Erste-Welt-intern auf einen Zustand zusteuern, der keinem von beidem ähnlich sieht, haben wir im Rest der Welt eindeutig mit barbarie zu tun, so daß es vielleicht nötig wird, den Zusammenhang von beidem neu zu denken, so zum Beispiel, daß ein reformistisches Hineinwachsen in eine z. B. sozialere Gesellschaft, die einige Grundrechte des Sozialismus garantiert, direkt mit der barbarie anderswo erkauft ist, weil nur ein gewisses BSP diese Reformen zugelassen hat. Socialisme ist ja nichts mehr, was irgendwo in der Welt mit Macht voran schreitet und irgendwo helfend eingreift, wo ein Ableger erste Keime entwickelt, sondern als Alternative zu barbarie nur noch auf der Ebene von Mikropolitik durchsetzbar. Faschismus und Sozialdemokratie haben als kapitalismuskompatible Staatsformen tatsächlich ausgedient, daß sie als immanente Facetten des Kapitalismus weiterexistieren, interessiert insofern nur am Rande, weil an ihre Stelle andere, noch nicht benannte Formationen bürgerlicher Herrschaft treten (werden) (reale Faschismen/Rassismen in der Dritten Welt sollten ja eben neu benannt und durchdacht werden, weil sie zum Funktionieren eine sozialdemokratische Idylle in der Ersten Welt brauchen und umgekehrt, und egal, was da an Krisen noch kommen wird: im Kern zyklenunabhängig), die aber nichts mit dem deutschen Faschismus und seinem personellen, strukturellen Weiterbestehen bis ins Jahr 69, noch mit der folgenden Epoche der deutschen Sozialdemokratie und ihrer wehrhaften, rasterfahndenden Trutzigkeit als Modell viel zu tun haben werden, sondern mit und vor allem gegen neue(n), von anderen Erfahrungen geprägte(n) Menschen veranstaltet werden muß, weil die Verhältnisse sich hier, und zwar auch wegen einer von Marxisten immer vernachlässigten Eigendynamik der Kultur, geändert haben. Das allenthalben mal wieder irrational aufgescheuchte Faschismus-Bewältigen im Herzen der bürgerlichen Parteien ist ja nichts anderes als ein hysterisches Ringen der Pilatus-Hände anläßlich der weit weg mit deutschem Geld und für deutsche Profite veranstalteten Greuel.
Abgesehen davon, daß man nirgendwo so oft wie bei Mrs. Benway nachlesen konnte, wem in der Kunst was gehört und wer welche Summen für was ausgibt, welche Staaten sich mit welchen Staatskünstlern schmücken etc. …, das nur am Rande, ist es tatsächlich interessant, die „Kunsthörigkeit/-manie“ in unserem Blatt zu untersuchen, die ja mehr ist als eine Schrulle, nämlich Ausdruck der Hoffnung, in diesem Bereich mehr oder weniger dasselbe zu praktizieren wie in anderen Teilen des Undergrounds, und mit welchen Problemen/Auseinandersetzungen man zu tun bekommt, wenn man damit nicht auf die klassische Kunstminderheit sich beschränken will, die Galerie einerseits für Ami-Geld sich öffnet und andrerseits in den 80ern von Spex-Lesern und Autoren aufgemacht wird. Es geht auch darum, daß in der Kunst sich entweder zuerst oder aber noch härter, noch unzensierter und in seiner Folgewirkung noch marginaler sich abzeichnet, welche Menschenbilder, welche Systeme und Positionen der veränderten Lage entgegengebracht werden können, ohne sich der Illusion hinzugeben, die Kunst und ihre Werke alleine und oder von selber hätten irgendeine politische Wirkung oder Immunität gegen Funktionszusammenhänge, die wir selbstverständlich nicht unter Kontrolle haben, so ist auch eine Geschichtsschreibung, die Kellers ersten deutschsprachigen Hip-Hop-Artikel zum Ausgangspunkt von ein paar historischen Betrachtungen macht, Zeiträume abschreitet an Hand von gemeinsamen öffentlich gemachten Erlebnissen, ebensowenig zu verwechseln mit der Behauptung, Keller hätte sich das, worüber er geschrieben hat, ausgedacht, wie die Festellung von Zusammenhängen im Denken von K-Gruppen mit der Punk-Ästhetik nicht letzteres komplett auf ersteres zurückführen wollte, sondern kulturpolitische Geschichte zurückführen auf gemeinsam öffentlich Erlebtes einer bestimmten Leserschaft. Worum es bei Texten dieser Art grundsätzlich geht, ist, das jeweils Neue an einem Zustand aufzuschreiben und da, wo das Neue etwas Altes verdrängt hat, das zu benennen. Diesmal hat sich, wie ausdrücklich festgestellt, das Neue nur neben das Alte gestellt, alte Einschätzungen stehen also unverbunden neben neuen.
Das Basis/Überbau-Problem ist spätestens dann objektiv ein anderes geworden, wenn immer signifikantere Teile des BSP mit Überbauproduktion erwirtschaftet werden, der Überbau also nicht mehr nur ein Regulativ der Basis, eine übergeordnete Funktion der Hardware-Produktion ist, sondern selber mehr und mehr zur Basis wird. Die Marxismus-Metaphorik im Popdiskurs ist zugegeben schlampig, aber eben nichts als Metaphorik, die mit einer ausdrücklichen Affirmation des Metaphernvorrats so viel zu tun hat, wie man Anhänger des Faustrechts sein muß, um das Wort Duell zu gebrauchen, zumal eben der Marxismus eben nicht mehr so intakt ist, für keinen von uns, daß ein von ihm einheitlich ausgehendes Denken irgendwohin führen könnte, wo man unsere Welt wiederfindet, und natürlich nehmen wir, wie viele Menschen, unseren Beruf zu wichtig. Aber sicher gefällt SST-Musik dem Ex-Abiturienten, aber, da das meiste, wenn überhaupt jemandem, immer auch dem Ex-Abiturienten gefällt, davon gibt es bald mehr als von jeder anderen bildungssoziologischen Klassifizierung, ist es doch viel interessanter, was von den vielen, verschiedenen Musiken, die Ex-Abiturienten so gefällt, uns Auch-Ex-Abiturienten aus tausend theoretischen und völlig unreflektierten Gründen besser gefällt als anderes und wie unsere Leser darauf reagieren. Tatsächlich lassen sich die feinen Unterschiede in der Pop-Kultur nicht mit den Diagnosen Bourdieus so ohne weiteres vergleichen, auch wenn die Rolle der feinen Unterschiede in der Pop-Welt nicht immer ruhmvoller ist und nur zu oft Zwangsneurosen konstituiert oder von ihnen aufgefressen wird. Wir und ich werden das Problem von Kultur und Gerechtigkeit nicht aus den Augen verlieren, aber ich bin sicher, daß ein zentralperspektivischer Marxismus wenig hilft, die heutigen Verhältnisse auch nur marxistisch zu analysieren, umgekehrt hilft aber ein neuer materialistischer, die aus Idiosynkrasien und Dekadenzen entstandenen, politische Realitäten gewordenen Subkulturen berücksichtigender Kampfbegriff, um neue Kämpfe in neuen Lagen als eben das zu bezeichnen, was sie sind: neu, deswegen nicht gerechter und besser als andere, aber neu zu durchdenken. Dies habe ich nicht getan und kann ich auch nicht, außer ein paar Auswirkungen auf die Pop-Kultur, alles weitere kann ich nur verlangen und dabei im Alltag auch den Kampfgefährten und alten Kumpel „Vulgärmarxismus“ in den meisten einfachen Konflikten begrüßen, damit die Alternative nicht bald heißen muß, New Age ou barbarie.