Kubrick’s Filme sind wie Olympiaden: hergestellt in vierjährigen Zyklen unter monumentalen Vorbereitungen und Dreharbeiten, von denen dann hin und wieder in den einschlägigen Medien die Rede ist, treffen sie schließlich auf eine hochgradig gespannte und aufnahmebereite Fangemeinde und erfreuen sich mittlerweile auch im etablierten, bürgerlichen Feuilleton der Resonanz und Gewichtigkeit der Bayreuther Festspiele. Nachdem Kubrick mit „Barry Lyndon“ die bis heute genaueste und vollkommenste Umsetzung des literarischen Genre ‚Roman‘ in Filmsprache gelungen ist, hatten viele auch bei „The Shining“ ihre Erwartungen an die Vorlage, den Bestseller von Stephen King, der auch schon die Vorlage zu Brian de Palmas „Carrie“ lieferte, geknüpft und eine ebenso perfekte Umsetzung eines bereits vorhandenen Ganzen erwartet. Aber Kubrick geht mit seiner Vorlage eher so um wie mit Arthur C. Clarkes „Space Odyssey“ bei „2001“; er macht sich die bereits in der Erzählung angelegte Auflösung des Zeit/Raum-Kontinuums zunutze und jagt den Zuschauer mit einer entfesselten Kamera in einen Irrgarten von Bezügen und Andeutungen.
Die Verwandschaft mit „2001“ drängt sich an vielen Details auf: Nicholsons Bewerbung zu Beginn, um den Job des Verwalters im einsamen Berghotel über Winter, ähnelt in ihrer fremdartig-starren Floskelhaftigkeit dem Dialog zwischen dem Wissenschaftler in „2001“ und seinen russischen Kollegen bei seiner Ankunft auf der Raumstation. Auch hier wird, wie in „2001“ von einer rätselhaften Epidemie die Rede ist, die Bedrohung nur dezent angedeutet – lächelnd und nur am Rande erwähnt der Hoteldirektor, daß einer von Nicholsons Vorgängern in diesem Hotel unter den harten Bedingungen der Einsamkeit sich und seine Familie ausgelöscht habe.
Nicholsons Filmsohn Danny, der Gespräche mit einem imaginären Alter Ego („Tony, der kleine Junge in meinem Mund“) führt, wird bei seiner Ankunft im Hotel vom alten Küchenchef, der über ähnliche Fähigkeiten verfügt, über seine Gabe aufgeklärt: Es sei das „Shining“, er könne alles sehen, was sich in diesem Hotel in der Vergangenheit zugetragen hat und was sich zukünftig zutragen werde. „Nicht alles davon war gut,“ fügt er warnend hinzu.
Von da an bleibt die Familie allein mit den Equipments des riesigen Hotels, wie die Raumschiffbesatzung auf dem Wege zum Jupiter. „Wie auf einem Geisterschiff“ , sagt Wendy (Shelley Duvall), die überzarte Ehefrau. Die Isolation in der Zeitlosigkeit dieses Geisterschiffes macht es dem Vergangenen möglich, sich in den Köpfen der real existierenden Kleinfamilie auszubreiten. Nicholsons Wahn, von Beginn an eingezeichnet in seine manieristische Mimik, bricht sehr bald aus. Vom „Trapperfieber“ hatte der Direktor am Anfang gesprochen, „Raumkoller“ heißt es bei Kosmonauten. Und auch der kleine Danny rast mit seinem kleinen Rennauto, von der Kamera verfolgt, über die unendlichen ausgestorbenen Gänge geradewegs in den Wahn. Die kleinen Töchter des Vorgängers flöten ihm zu „für immer, für immer“ mit ihm zu spielen. Nicholson begegnet deren Vater, der ihm versichert, „von Anfang an“ dagewesen zu sein. Wendy entdeckt, daß ihr Mann, der die Einsamkeit zum Schreiben nutzen wollte, nur einen Satz in unzähligen Wiederholungen auf seine säuberlich abgelegten Manuskriptblätter getippt hatte: „All work and no play makes Jack a dull boy“ (in der deutschen Fassung seltsamerweise mit „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“ übersetzt).
Die Familie bricht auseinander, die Besatzung arbeitet gegeneinander. Wendy hat es gleich mit zwei ausgefallenen Bordcomputern zu tun. Ihr Mann, der seine Zeit auf imaginären Gesellschaften zubringt, imaginären Alkohol tinkt und sich von seinem Vorgänger, dem Mörder Grady, zur Wiederholung der Mordtat anstacheln läßt, besorgt sich eine Axt. Der Junge kommt aus einem verbotenen Zimmer mit Würgemalen am Hals. Der Wahn galoppiert. Nicholsons Mimik überschlägt sich. Die Vergangenheit übernimmt die Gegenwart.
Schnitt.
In einem fernen Appartment liegt der alte Koch auf seinem Bett. Wie bei dem alten Mann am Ende von „2001“ verändert sich langsam sein Gesichtsausdruck. Während er mit gefalteten Händen daliegt, beginnt sein Herz zu pochen. Er spürt, da oben geht was vor. Das Hotel ist mittlerweile auch über Funk nicht mehr zu erreichen. Der Koch fliegt hin. Seine Reise etabliert wieder die Ordnung der Zeit, die logische Abfolge der Ereignisse, indem er nacheinander in drei verschiendenen Verkehrsmitteln gezeigt wird. Er betritt die Hotelhalle und sein gegen die Kälte warm eingepackter, breiter Körper wird wie ein Baum vom rasenden Nicholson gefällt.
Dieser Zusammenprall mit der Realität läßt aber auch den Film zusammenbrechen wie den liebenswerten Koch. Die Irrwege werden verlassen und Nicholsons Wahn verkommt zu primitiver Raserei: Mit der Axt hetzt er Frau und Kind in einer profanen Verfolgungsjagd durch Haus und Garten, bis sie sich retten können. Nicholson bleibt allein zurück und erfriert.
Das letzte Bild erst weist wieder auf das hin, was vorher war und entläßt den Zuschauer mit einem Rätsel: Im menschenleeren Hotel entdeckt die Kamera ein Schwarz-Weiß-Foto aus dem Jahre 1921, das Nicholson auf einer der Parties zeigt, die er im Wahn erlebt hatte.
Vor dem Hotel steht ein Heckenlabyrinth, durch das Nicholson am Schluß den Jungen jagt. Dieses mehrfach vorgestellte Labyrinth verweist auf die Struktur des Films. Der Zuschauer wird wie die Helden des Films immer wieder auf Wege scheinbar logischer Erklärung geschickt und muß eins ums andere Mal feststellen, daß keine der normalen Grusel/Horror/Kriminal-Lösungsangebote den Ausgang finden können. Erst die buchstäbliche Überwindung des Labyrinths im Garten befreien den Jungen. Vater und Zuschauer bleiben im Hotel zurück, um in der Unordnung des wahnsinnigen Bewußtseins zu verharren.

