Es tut mir leid, und ich bitte den Leser um Nachsicht, aber ich komme nicht darum herum, auch an dieser Stelle noch einmal das bekannte Massenblatt aus dem Verlag Gruner + Jahr zu erwähnen. Es gibt nämlich eine Rubrik im „Stern“, die nicht nur garantiert echt, also nicht gefälscht, sondern darüber hinaus auch richtig und zutreffend ist, die Horoskope nämlich, besonders meines. Da las ich nun diese Woche: „Es wird Zeit, daß Sie sich auf die neue Saison vorbereiten.“ Das mir! Habe nicht ich diesen Begriff nachweislich erfunden? Und wie kommt er jetzt via Astrologie und Gruner + Jahr zurück? Somebody up there likes me? Und dieser Unterton („es wird Zeit“), als hätte ich mir irgendwelche Versäumnisse zuschulden kommen lassen, ich, der ich doch jeden Scheiß mitmache…
…wie z.B. zu einem Tears-For-Fears-Konzert zu gehen. Wo mich dann nicht die musikalische, aber immerhin die soziologische Überraschung des Monats erwartet. Der Hamburger Popper hat als genetisches Muster irgendwo und irgendwie all die wilden Jahre überwintert und präsentiert sich jetzt in neuem Glanz. Wie früher sind die Mädchen appetitlich und meistens blond und die Jungs etwas blöd (nur Motorfahrzeuge im Kopf, viel Pubertät und Schulstreß auf der Haut), und man hört offensichtlich Tears For Fears, die schmerzfrei-belanglos von ihren Schmerzen und ihrem Mittelmaß säuseln. Der Kenner verläßt den Saal nach drei Stücken, fand sich aber lange vor Show-Beginn ein, um eingehend seinen soziologischen Studien zu frönen, die dann auch einige genetische Rätsel aufwarfen: Wie kommt es z.B., daß das erwiesenermaßen blondes Haar in letzter Zeit wieder so üppig und überschüssig produziert wird? Doch nicht allein an einer perfektionierten keralogischen Chemie?
Oder ich gehe zu Shriekback und erwarte ein Konzert, wo alle verbitterten enttäuschten Elemente der letzten Jahre zusammenkommen, die wie Barry Andrews (Ex-XTC-Fripp-Pop) und Dave Allen (Ex-Gang-Of-Four) zurück zu experimentellen New-Wave-Zeiten wollen, und erlebe zu meiner Überraschung ein gar nicht mal unflottes Donner-Bang-Bang-Donner-Grummel-Percussion(viel!)-Quintett, dem man seine publizistische Unterstützung durchaus nicht versagen sollte. Wohin einen die Borniertheit so führt: Fast wäre ich gar nicht hingegangen. Tatsächlich fanden sich die erwarteten düsteren musikbegeisterten New Waver ein, aber es entwickelte sich doch eine sehr eigenartige Hitze und Atmosphäre, wie man es kaum noch gewohnt ist.
Das Beste, was konservativer Pop zu bieten hat, sind und bleiben die Undertones, auch wenn ihre letzte LP an die hervorragende „Positive Touch“ vom Vorjahr nicht heranreicht, weil Feargal Sharkey diesmal nicht nur nostalgische Rockkritiker durch seinen Gesang Roger Chapman assoziieren läßt, sondern diesmal wirklich wie Chapman singt. Und den mögen wir nicht. Live war dieser unangenehme Eindruck nicht zu spüren: Fast noch kraftvoller als im Vorjahr illustrierten die fünf mißgestalteten Iren ihre beinahe (vgl. auch das Cover der letzten LP) religiöse Idee von Beat. Kaum eine Band der Welt gibt sich soviel Mühe (Arrangements, Komposition, Körpereinsatz, Rhythmus), um dann ausschließlich und sehr amüsant von Girls zu singen. Aber es war unglücklicherweise niemand gekommen. Die Koalition aus Alt-Rock-, Neo-Pop- und Punk-Anhängern, die letztes Jahr für ein volles Haus sorgte, scheint, wie so vieles, zerbrochen. 150 Versprengte verloren sich im Dunkel der Markthalle.
Was sonst noch lief? Nicht viel. Überprüft wurde alles gewissenhaft. Wie oft waren wir auf Streife! Der schwitzige schwarze New-Wave-durchsetzte „Bendula Club“ (in der Feldstraße) berechtigt zu der Hoffnung, daß er sich eines Tages zur Kulisse für leidenschaftliche Szenen entwickelt, Wenn es erst heiß wird. Weiterhin und wie im letzten Jahr nett und empfehlenswert ist das rentnerhafte Zeittotschlagen im „Schöne Aussichten“ (funktioniert aber nur, wenn man dabei nicht oder nur sehr mäßig trinkt): garantiert ruhig und erholsam, von leichten Sinnesreizen garniert, Kurzurlaub in the city.
