Tackhead – Na, wie fühlen sich meine Gangster heute morgen?

Einst waren sie die Soundsklaven der sagenumwobenen Sugarhill-Chefin Sylvia Robinson. Heute wirken sie im Dunkel der ein oder anderen Little-Steven-Hilfsaktion, trotzen den Umtrieben des CIA als Begleitband von Mark Stewart oder hängen bei renommierten Hip-Hop-Labels ab. Zusammen mit Adrian Sherwood streiten sie sich über unterschiedliche Vorstellungen von Jazz. Eine Fernsehdokumentation aus dem Reich der Geräusche von Diedrich Diederichsen.

Ich glaube, der Unterschied liegt in den mechanischen Geräuschen der Zeit. So wie das Geräusch in den vierziger Jahren ein rrrrrooooaaaaaaahhhhh war und Sinatra und andere Leute mit dieser Art Untertönen sangen. Jetzt haben wir das krrriiiiiiiissssssshhh-Geräusch der Jets, und die Leute singen auch da oben.

Roger McGuinn

Früher Rockabilly und Underground-Garagen-Rock’n’Roll hatte im Gegensatz zum satt instrumentierten R’n’B, aus dem er hervorging, kaum Melodien, die Texte waren ein Witz, aber klasse komische Geräusche. Sein größter Feind war der beliebige, wie für 35 Jahre später ausgrabende Amateur-Hipster ausgedachte Novelty-Witz, dessen historische Unschuld natürlich einst wie jetzt dennoch jedes Herz erfreut. Später kamen die komischen Geräusche bei immer gleichen und uninteressanten Melodien aus Fuzzboxen und Hammond- und Vox-Orgeln. Das war Beat oder Psychedelic oder die 60er, und Sky Saxon als Marcus Tybalt war vor allem ein genialer Soundman; das komische Klavier und der komische, im Raum stehende Krach. In den 70ern kamen die komischen Geräusche von Reggae-Platten, die Texte waren ein Witz, wer nahm sie schon ernst, wer hatte schon den wirklich wissenschaftlichen Überblick über die vielen Maxis, die ja angeblich stets das Interessanteste, den allerpursten Stoff zu bieten hatten? In den 80ern kommen die komischen Geräusche von Hip-Hop-und Elektro-Platten. Die Texte sind ein Witz. Der größte Feind von Hip-Hop und Sampling ist der blöde Novelty-Witz, dessen Unschuld und Herzensreinheit jedoch immer noch jedes unverhärtete Herz zu erschließen vermag. Wer hat schon den wissenschaftlichen Überblick über die unendlich vielen Maxis. Etc. Chorus. Refrain. (Irgendwie habe ich jetzt Heavy Metal vergessen. Egal. Und Country. Und das Motown-Schlagzeug.)

Die komischen Geräusche haben weder Sinn noch Vernunft. Die zwar unverzichtbaren, aber austauschbaren Texte sind irres Gebrabbel. Wenn Sinn oder Vernunft oder beide in Gestalt von MUSIKERN, INTELLEKTUELLEN, MASSENMEDIEN, STARSYSTEM oder auch nur TEENMANIA oder TANZBARKEIT sich Rock’n’Roll oder Beat oder Reggae zuwandten, übernahmen sie nicht die komischen Geräusche, sondern immer etwas anderes, das aus diesen herausgewachsen war, das sinnvolle, weil lesbare Nebenprodukt, oder sie übernahmen einfach nur die Struktur, nach der die komischen Geräusche einer bestimmten komische-Geräusche-Musik organisiert waren. Unter ihren Händen wurde aus den komischen Geräuschen entweder KUNST oder POP, ein GENIE oder ein STAR, Elvis und Sam Phillips, Sky Saxon oder Jim Morrison, Lee Perry oder Bob Marley. Nur Hip-Hop hat bisher weder einen Bob Marley noch einen Lee Perry hervorgebracht, auch wenn Scholly D vielleicht mal Lee Perry hätte werden können und Afrika Bambaataa sich ein wenig um die Marley-Rolle bemüht: Sie werden beide scheitern, denn etwas hat sich verändert. Der Triumph des komischen Geräuschs über alles andere ist so durchschlagend, diesmal, daß auch die Musiker und die Genies in Form von Tackhead, Fats Comets, Mark & The Maffia, von denen im Folgenden die Rede sein wird, vom Hip-Hop weder Zuhälterlyrics noch den überaus gemäßigten Antirassismus übernehmen, nicht den Aufstieg der schwarzen Nation und auch nicht irgendeine arschbewegende, neuartige Tanzbarkeit, irgendeinen Groove, den die Welt noch nicht gehört hat, keinen musikalischen oder inhaltlichen Sinn, sondern die KOMISCHEN GERÄUSCHE. Erstmals ist Underground-Musik als Underground-Musik von Musikern, Intellektuellen und Wissenschaftlern verstanden und in ihrem Sinne erweitert worden (während an der anderen Küste ja der Text, die Melodie, die Improvisation, der Text, das Gedicht, der Protest, der Sinn und der Mensch in richtiger und unangreifbar-naiver Weise zu ihrem Recht kommen, indem sie, auf die irrsinnigste und radikalste denkbare Art, von den für das jeweilige Gebiet zuständigen SST-Bands einfach neu erfunden werden, ohne daß sie irgendeinen vorherigen Underground verändern, verformen oder zitieren müssen). Hinzu kommt, daß auch der Massenpop in spe – wie ihn die Industrie gegenwärtig in britischen Crews, Teams und DJs zu finden hofft – vom Hip-Hop/Electro sich Geräusche und Geräuschproduktionsmittel aneignet, nicht Inhalte, Haltungen etc.

Tackhead ist eine Band, die aus dem Drummer und Programmierer Keith LeBlanc, dem Bassisten Doug Wimbish und dem Gitarristen Skip McDonald besteht, live am Mischpult gehört Adrian Sherwood dazu. Tackhead Sound System ist der DJ Gary Clail, der mit vier Cassetten-Recordern irgendwann live oder im Studio von Tackhead gespielte Klänge neu mischt und damit durch die Discotheken Englands zieht oder das Vorprogramm von Tackhead bestreitet. Mark & The Maffia sind Tackhead plus Mark Stewart (vgl. letztes Heft). Fats Comet ist die weniger experimentelle Dance-Seite von Tackhead. Von Tackhead und Fats Comet gibt es jeweils einige Maxis. Von Tackhead Sound System gibt es eine neue, sehr gute LP. Von Keith LeBlanc gibt es die hervorragende 86er Solo-LP Major Malfunction, mit Doug Wimbish, Skip McDonald und Adrian Sherwood, von Mark & The Maffia gibt es in dieser Besetzung zwei LPs, aber auch die vorangegangene ist schon von Adrian Sherwood produziert worden. Sherwood hat (vor allem auf seinem On-U-Label) seit 1978 unzählige Reggae-Platten von u. a. Creation Rebel, Dub Syndicate, New Age Steppers, London Underground, Singers And Players, African Head Charge und Lee Perry produziert und auf im gesamten Weltdubbereich ungehörte, neuartige Weise gemischt, außerdem produziert er gelegentlich eine Pop-Band, die sich wie er für komische Geräusche interessiert, wie zum Beispiel die Woodentops (vgl. Claras Interview vor zwei Jahren und Juttas Interview vor ein paar Monaten und die darin vorkommenden McGinty-Geräusche, die sie mühsam von ihren Tapes abkratzen mußten).

Die drei Amerikaner LeBlanc (weiß, dünn, leicht sommersproßig und kantig, zwischen Iggy und Top-Gun-Pilot), Wimbish (schwarz, Hendrix) und McDonald (schwarz, Hendrix) waren einst die Hausband des frühen, eigentlich ersten und längst verblichenen Hip-Hop-Labels (damals sagte man Rap) Sugarhill. Die enigmatische und charismatische, dazu legendenumwobene Sugarhill-Gründerin und -Chefin Sylvia Robinson, Ex-Sängerin („Little Sylvia“) und Rapperin („It’s Good To Be The Queen“) und Erfinderin der Maxi-Single („Shame, Shame, Shame“), hatte die Idee, sich eine Hausband zu leisten, um dem damals nur von Turntables begleiteten Rap eine solidere musikalische Basis zu geben, aber auch aus Interesse an dem Verfremdungseffekt, echte Musiker Turntable-Effekte spielen zu lassen. Wie wir noch sehen werden: die Wiege der Tackhead-Idee.

LeBlanc: „Sylvia ging jeden Abend in die Clubs, um herauszufinden, auf welches Riff die Kinder abfahren.“ Damals dachte man Scratchen nicht unbedingt als ein eigenständiges Stilmittel, einen Sound-Effekt oder ein revolutionäres Strukturprinzip, sondern als entstanden, weil sich Monotonie und Wiederholung besser anhören als Drama und Song, wenn man cool ist, weil man nämlich bestimmte, geile, komische Geräusche immer wieder hören wollte, aber nicht den ganzen Schmus drumherum. Ich erinnere mich, daß 81 in New York nur die Europäer geil waren auf das wilde Gescratche, wie es Grandmaster Flash auf der (ebenfalls auf Sugarhill erschienenen) „Wheels Of Steel“-Maxi vorführte. Die Schwarzen standen auf Endlos-Wiederholungen. Man wollte lieber das eine gelungene Riff hören als die verteufelte Abwechslung (vgl. auch Spacemen 3, höhö). „Sylvia dachte, es wäre was Neues, diese Riffs nicht zu scratchen, sondern von echten Musikern spielen zu lassen. Sie kam also jeden Morgen mit vier Takten an, und wir mußten dann den Rest des Tages das einspielen, egal, was los war, wir hatten Bereitschaftsdienst, das war eine interessante Arbeitsweise, und es war vollkommen neu. Wir haben damals eine Menge vorbereitet. Man hat uns ausgelacht: eine Rap-Gruppe was ist das? Seit wann braucht man Musiker dafür? Wir waren offiziell Musiker, und mit der Zeit wurden wir auch Songschreiber, nur nie offiziell als solche behandelt, aber die meisten Sugarhill-Melodien sind Erfindungen unseres Bassisten. Irgendwann findet man heraus, daß die Platten besser verkauft werden, als einem gesagt wird. Das ändert manches.“

Das Material, das die drei in ihren zwei, drei Jahren bei Sugarhill eingespielt haben, ist heute begehrtes Sampling-Material; von den 21 Samples, die Bomb The Bass verwendet hat, stammt ein gutes Drittel von Sugarhill-Maxis, von den Hip-Hop- und Sample-Platten, die mir für meine diesmonatige Singles-Kontrolle vorliegen, tönt mir jeder zweite Ton bekannt von alten Maxis entgegen und besonders oft dieses komische Gitarrenflageolett von „The Message“, eines der besten komischen Geräusche aller Zeiten, ohne dessen steinerne Weisheit die ganze komische, vielgelobte sogenannte Sozialkritik der „Message“ verpufft wäre, wie die gut hundert Rap-Maxis, die ich gerade an den Altvinylhandel gegeben habe.

LeBlanc: „Heute, wenn ich irgendwo im Studio bei Hip-Hop-Produktionen mitarbeite, muß ich oft zu Samples spielen, die von unseren eigenen Stücken stammen, das ist schon sehr komisch. Trevor Horn hat so eine neue Band, eine Rockband mit einem DJ, der mit ‚8th Wonder‘ von der Sugarhill Gang rumspielte, dazu sollte ich mir dann was einfallen lassen. Aber eigentlich war das damals schon genauso. Die Village Voice hat damals eine Liste aller Sugarhill-Platten veröffentlicht und dazugeschrieben, von wo wir was geklaut haben. ‚White Lines‘ basierte auf einem Riff von Liquid Liquid, ‚8th Wonder‘ stammte von dieser Band, deren Namen ich vergessen habe, die aber nur einen Hit hatten und es sich wohl deswegen nicht leisten konnten, uns zu verklagen. Joe Robinson war ja clever. Der hatte einen Anwalt, dem er, egal was anlag, wöchentlich 150 Dollar pauschal bezahlte. So hatte er nie Gerichtskosten und konnte in immer neue Runden gehen. Der Gegenseite bot er jedesmal für sie immer ungünstigere Vergleiche an, so hat er ’ne Menge Geld gemacht. Als ich damals ‚No Sell Out‘ mit der Stimme von Malcolm X produziert habe, meine erste eigene Produktion, habe ich das mit einer anderen Firma gemacht, Sugarhill hat das Stück vom Radio aufgenommen, schnell gepreßt und mit ihrem besseren Vertriebsnetz verteilt und schließlich unserer kleinen Firma eine einstweilige Verfügung geschickt. Das ist Business. Verdammt kalt da draußen. Es gab eine Menge Rechtsstreits, und die arme Witwe von Malcolm mußte durch die ganzen Sachen von damals wieder durch. Der Staatsanwalt, der den Fall untersuchte, war interessanterweise derselbe, der seinerzeit den Tod von Malcolm X aufklären mußte. Der hat die Sache begriffen. Eines Morgens stand er bei Sugarhill in der Tür und fragte: ‚Na, wie fühlen sich meine Gangster heute morgen?‘“

Die Studioprofis waren mitten im Copyright-Krieg, als er seinen Namen noch gar nicht hatte. Alle drei blieben als Freunde zusammen, jammten weiter, entwickelten Ideen, verdienten aber ihr Geld in mehr oder weniger langweiligen Studiojobs rund um Hip-Hop; Wimbish und McDonald auch zunehmend im Mainstreambereich, für diese Tour mit Mark Stewart ist er extra aus Japan eingeflogen worden, wo er vor im Schnitt 60.000 Leuten pro Abend spielte (mit Mick Jagger).

Sherwood: „Ich hatte vor ’85, glaube ich, nur ein einziges Mal mit einer Drum-Maschine gearbeitet und mit Disco eigentlich nichts am Hut. Dann wurde ich von Tom Silverman (Chef des Tommy-Boy-Labels und als solcher ebenfalls Arbeitgeber von LeBlanc) zum New Music Seminar nach New York eingeladen. Da habe ich Keith kennengelernt und wir haben Ideen entwickelt, deren Ergebnis Du jetzt hörst.“

LeBlanc: „Ich traf Adrian beim New Music Seminar in New York. Wir haben zu viert Nächte durchgeredet, nur über Musik. Erstmals zeichnete sich die Chance ab, daß wir unsere Ideen verwirklichen könnten.“

Sherwood: „Ich nenne es Disco, obwohl es eigentlich keine Discomusik ist. Das Problem mit fast allen Tanzplatten ist ihre Eindimensionalität, sie sind nur zum Tanzen da. Unsere Musik ist auch als Tanzmusik zwingend, aber darüber hinaus wird man noch durch tausend andere kleine Ereignisse stimuliert. Man kann sich das gut zu Hause anhören, und es hilft, wenn man eine gute Anlage hat. Major Malfunction von ’86 war so eine Platte, glaube ich, die in dieser Hinsicht sehr gelungen ist.“

Major Malfunction ist eine reiche, schöne Geräuschplatte. Ihre Beats sind eher Hip-Hop als europäischer Elektro-Dancefloor, aber jedem klassischen Hip-Hop-Groove werden entscheidende Sechzehntel angehängt, die der Berechenbarkeit des Abzählreims – der schließlich sonst alles zusammenhält (ob ausgesprochen oder nicht) – entgegenwirkt. Diese Vertracktheiten wären Jazz zu nennen, sie verstärken den Eindruck des Gebrodels, verhalten sich zu Hip-Hop wie Bitches Brew sich zu Funk verhält. Das Bitches Brew-Problem aber ist das Problem des überreich gedeckten Tisches, der spanischen Auffassung von Genuß: Dir schmeckt hier dieses Gewürz? Gut, nehmen wir die dreifache Menge! Ein Könner, wer es schafft, solche Schönheit anzurichten, ohne daß Grenzen verschwinden, alles in einem ungenießbaren Salat abstürzt. Bei Live-Auftritten sieht man, wie sie bis zum letzten Millimeter auf diesen Abhang mit Wonne und Hendrix-Soli zusteuern, ohne abzustürzen. Adrian, der Reggae-Produzent, ist da eine große Hilfe. Zwar hat er schon als solcher der Kunst der wohlgesetzten Pause, die Dub vor seiner Zeit vor allem war, neue Wildheiten und Eklektizismen hinzugefügt, andererseits kann er in diesem Kontext durchaus seine ganze Coolness aus unzähligen Creation-Rebel-Produktionen ausspielen und ganze Spuren plötzlich verschwinden lassen.

Sherwood: „Ich bin an den Reggae-Sachen weiter dran. Das läßt sich von diesem gar nicht so trennen. Es gibt auch im Charakter der Musik viele Gemeinsamkeiten, übrigens. Die Fähigkeit, zu improvisieren, die Fähigkeit, ohne Hosen auf die Bühne zu kommen und aus einem Equipment wie dem von letzter Nacht das Beste herauszuholen. Andererseits ist Improvisation nicht das richtige Wort: Es ist improvisiert, aber keine Improvisation, denn das wäre ja Jazz, und was wir machen ist kein verdammter Jazz, ist viel disziplinierter, härter, zugänglicher. Jazz langweilt mich zu Tode. Tackhead ist immer sehr organisiert, die Musiker wissen zwar nicht vor dem Konzert, was sie spielen werden, aber sie wissen es immer vier Sekunden, bevor sie es spielen.“

LeBlanc: „Wenn Du zu Adrian sagst: Jazz, denkt er an fieses, selbstverliebtes Gedaddel. Ich denke an gute, improvisierte Musik. Insofern ist das, was wir machen, zu 25 % Jazz.“

Sampling-Jazz, denn zu dem, was die drei live auf der Bühne aus Instrumenten herausholen, kommen Disketten mit Geräuschen, Sprachfetzen, Reden, die, live von der Bühne und improvisiert, der Musik hinzugegeben werden. Dazu kommt am Mischpult ein Sherwood, der live abmischenderweise Ideen einbaut und mit den Musikern kommuniziert und ein DJ Gary Clail, der der Band zum Warmwerden Irrsinnsremixe ihrer eigenen Studioreste vorspielt.

LeBlanc: „Wir sind wahrscheinlich das einzige live produzierende und improvisierende Produzententeam. Jeder von uns ist ein guter Instrumentalist und ein guter Produzent, jeder kann sofort jede andere Aufgabe übernehmen, und Adrian ist nicht nur gut am Mischpult, sondern auch am Keyboard, er ist in Wahrheit viel musikalischer als die Leute denken, er hat auch Melodie- und Kompositionsideen, wenn er vom Mischpult aus bestimmte Geräusche oder Linien über unsere Musik legt. Jeder hat viele Aufgaben, und das ermöglicht jedem, eine Menge Ideen zu verwirklichen, ohne ungesund stolz und selbstbezogen zu werden. Jeder kann genauso gut auf eine Idee verzichten wie eine erfinden, das ist besonders wichtig.“

Tackhead macht, um dem komischen Geräusch die schwere Bürde der Kunst und die ebenso schwere Bürde des Tanz/Pop aufzubürden, dreierlei: jazz- und musikermäßig, frei am Bande der Notwendigkeit Aufbrechen/Experimentieren, zweitens dem sichersten, abgeriegelt-technokratischen Bereich der Produktion (Computer und Mischpult) rauhen Live-Wind um die Ohren blasen, und drittens Erweiterung des Mix- und DJ-Begriffs. Tanzplatten aller Art sind ja für sich genommen nicht besonders interessant, sie sind ja heutzutage eher Programme oder Programmteile für die weiterverarbeitende Kunst des Mixes, als Werke in ihrem eigenen Recht. Interessant ist, was ein DJ aus den Platten macht in einer Situation und im Verhältnis zu allen anderen Platten, die er in dieser Situation miteinander in Verbindung bringen könnte. Tackhead beziehen sich auf zweierlei Weise darauf. Zum einen machen sie mit konventionellen Instrumenten und deren bruchloser Beherrschbarkeit eine Musik, die sich auf die gleichen Einheiten und Elemente bezieht, auf die sich auch ein DJ bezieht (nur daß sie dafür keine fremden Platten, sondern eigene Disketten oder selbst gespielte Töne verwenden), zum anderen wird jedes Konzert vom Auftreten Gary Clails eingerahmt, bzw. hat Gary Clail mit seiner Arbeit erst Tackhead durchgesetzt.

LeBlanc: „Eigentlich sollte Fats Comet unser kommerzielleres Standbein sein und Tackhead das experimentellere Spielbein. Aber Gary hat das Tackhead Sound System ins Leben gerufen, ist damit durch England gezogen und hat uns so bekannt gemacht, daß wir uns gezwungen sahen, diese Tackhead-Sound-System-LP zu machen.“

Gary Clail: „Normalerweise interessiere ich mich gar nicht besonders für Musik, und um die Wahrheit zu sagen, Disco-Platten langweilen mich zu Tode. Als ich diese Typen hörte, änderte sich das, und ich bekam Lust, etwas damit zu machen. Ich bat sie um übriggebliebene Tapes, später habe ich dann auch veröffentlichte Sachen verwendet, aber es gibt so irrsinnig viel, das sie einfach rumliegen haben. Ich arbeite mit vier Cassettenrecordern. Im ersten läuft ein Beat, im zweiten Samples und Sound-Effekte, im dritten mixe ich Tackhead-Stücke dazu, der vierte nimmt das Ganze auf. Dann lege ich die vierte Cassette ins erste Gerät, und die Prozedur beginnt von Neuem.“

LeBlanc: „Es ist auch gut, daß er jetzt damit schon weit rumgekommen ist, wo es diese ganzen nett aussehenden jungen Leute gibt, die unsere Platten sampeln und mit vereinfachten Versionen von dem, was wir tun, in die Charts kommen. Einfach, weil sie bereit sind, sich für 7.000 Dollar von einer Plattenfirma kaufen zu lassen. Wir wollen das nicht, auch wenn wir dann besser arbeiten könnten. Die Leute glauben ja, wir würden mit der neuesten High-Technologie arbeiten, was Unsinn ist. Major Malfunction ist mit drei Mitteln entstanden: 1.) Gedanken, 2.) Tape-Manipulation, 3.) ein alter AMS. Die Stereo-Magazine waren begeistert und wollten wissen, wie wir es gemacht haben, die hatten schon komplizierte Theorien, und wir mußten die armen Kerle anlügen, damit sie nicht zu enttäuscht waren. Adrian hat schließlich nur noch gesagt: ‚Wir haben einen AMS benutzt, der Rest ist geheim.‘ Ich meine, wir geben für eine Platte 5.000 Dollar aus eigener Tasche aus, für die Plattenfirmen 100.000 ausgeben. Das Ergebnis ist unser komischer Sound, denn wir müssen ständig Technologie überbeanspruchen. Das war auch auf dieser Tour ein kreativer Faktor: der ständige Kampf mit dem schlechten Equipment hier auf dem Kontinent. Wir brauchen zehnmal solange für eine Sache, bei der andere nur auf einen Knopf drücken, dafür haben wir eine bessere Kontrolle über die Feinheiten. Was Adrian live am Mischpult macht, wäre anders, wenn er digitale Geräte hätte, so ist es oft ein Hit & Miss, aber das ist die Schönheit.“

Sherwood: „Wir werden so viele eigene Labels wie möglich gründen, für meine Reggae-Sachen habe ich schon damit angefangen, letztes Jahr habe ich eine Platte mit Lee Perry gemacht, die wir an EMI verkaufen konnten. Im Moment tut jeder von uns irgendwelche Jobs, Keith arbeitet für Tommy Boy und Def Jam, Doug ist als Session-Bassist so gefragt, daß ihn die amerikanischen Musiker-Blätter allesamt zur Nummer eins gewählt haben, Skip ist ein gefragter Gitarrist …“

LeBlanc: „Adrian hat gerade die Talking Heads abgelehnt …“

Sherwood: „… und das hier ist unser Herzblut, das, was herauskommt, wenn man all diese Erfahrungen macht und sich überlegt, welche Musik heute wirklich gemacht werden sollte.“

Wenn sie mit Mark Stewart zusammenarbeiten, geht das ganze Produkt noch einmal durch dessen Hände und sie lassen ihn gewähren, wenn er es von seinem Nichtmusiker-Standpunkt bzw. Reggae-Fan-Geschmack aus weiterverarbeitet. Umgekehrt geben sie zu, daß seine Art des abwesenden Schlagwort-Gesangs ihren Umgang mit Stimmen beeinflußt habe. Bei Tackhead ist es öfters die Stimme Gary Clails, auf Major Malfunction gesampelte Reden/Lesungen von TV-Predigern, Einstein, Burroughs, für die LeBlanc, der sich gegen ungefragtes Sampling und sowieso eigentlich nur für Auto-Sampling ausspricht, um Erlaubnis gefragt hat (Burroughs soll begeistert gewesen sein), sofern sie nicht Feinde (Billy Graham, Jimmy Swaggart) oder tot (Einstein) sind. Die Bedeutung ist im Prinzip dieselbe wie bei Stewart und erinnert an verdeckte textliche Mitteilungen auf guten neuen Ölbildern. Diese Sprenksel sind weder im alten Sinne kritisch, noch erlauben sie dem bequemen Eskapismus des guten Groove die alleinige Herrschaft, vervollständigen eine Musik, die alles (die ganze gute und böse Welt) will, aber im Gegensatz zu allen anderen Musiken, die alles wollten, noch das will, was nie einer Musik gelang, die alles wollte: cool sein.

LeBlanc: „Wir alle wissen ja eigentlich, was in der Welt vor sich geht, wie der militärisch-industrielle Komplex funktioniert etc. Und in Amerika hast Du die Freiheit, alles zu sagen, solange Dir keiner zuhört. Vielleicht sollte ich das nicht sagen, der CIA wird mich hören und des Landes verweisen …“

Spex: Mach Dir keine Sorgen, bei knapp 50.000 Exemplaren im deutschsprachigen Raum.

LeBlanc: „Tut mir leid, das war der Geist von Mark Stewart, der durch mich sprach. Er denkt, der CIA sei hinter ihm her. Und manchmal denke ich, er hat recht. Jedenfalls ist schon ein Telefon von uns abgehört worden.“

Mach keine Sachen … Bisher war der größte Feind von LeBlanc/Wimbish/McDonald eher der schlechte Geschmack von Leuten, die politisch wichtige Benefiz-Platten zu verantworten hatten, bei denen Tackhead grundsätzlich immer mitmacht, etwa in Gestalt von Steven Van Zandt.

LeBlanc: „Wir haben eine Miners-Benefiz-Platte gemacht, wir haben bei diesem Stetsasonic-Ding mit Jesse Jackson mitgemacht, ohne je einen der Typen zu Gesicht bekommen zu haben, aber die haben uns immerhin Credits gegeben. Bei der Südafrika-Platte wollten Arthur Baker und ich die ultimative Free-Jazz-Funk-Hip-Hop-Fusion machen. Miles Davis kam ins Studio und war einfach großartig: was der spielen kann, in dem Alter! Unglaublich! Und dann hat er gerappt: You gotta get out here / You have the wrong color. Sehr bedrohlich, sehr gut, immer zwischen den Soli. Skip McDonald hat dazu Gitarre gespielt wie einstmals John McLaughlin in der alten Miles Davis Band. Baker und Van Zandt haben dann die Platte ruiniert. Van Zandt verschwand mit den Tapes, und es hieß dann Wochen später, wir können Miles’ Solo nicht gebrauchen, wir können dies und jenes nicht gebrauchen, im Prinzip alles, was an der Platte mal gut war. Nur Miles’ Rap haben sie gelassen, aber so weggemischt, daß man kaum noch was davon hört.“

Die Ideologie gewordenen Reste ehemals richtiger popmusikpolitischer Strategien verhindern hierzulande immer noch die richtige, neue Musik und die dazugehörige Kultur. Wenn jemand in einem Bereich (Dancefloor/Hip-Hop), wo die musikalische Seite fast ausschließlich auf deterministischen neuen Maschinen basiert, zu improvisieren beginnt und Jazz-Techniken übernimmt, dazu Begriffe wie Fusion in den Mund nimmt, muß er hierzulande immer noch mit den hochgezogenen Augenbrauen derer rechnen, die die Überwindung von Jazzrock und fetischisierter Virtuosität für ewig festgeschriebene kulturelle Errungenschaften halten (Punkism), wenn ein ehemaliger Hip-Hop-Künstler in haltlose Jimi-Hendrix-Begeisterung abstürzt, wird ihm immer noch das prinzipiell Scheußliche des Gitarrensolos/Rock vorgehalten (Grooveism), und wenn ehemalige Punk-Musiker, mit ungebrochenem Punk-Ethos im Umgang mit ihren Instrumenten gleichzeitig Byrds und Albert Ayler entdecken und sich heranpirschen, wird ihnen Muckertum/Musikantismus vorgehalten (verbissener Anti-Rockism/Popism). Alle antirockist Ideologien können getrost auf den Müllhaufen geworfen werden, wir haben andere/größere Probleme heute. Rock’n’Roll als eschatologisches letztes Ding einer Argumentationskette ist immer noch genauso unzulässig wie Groove/Funk/Soul/Pop oder was auch immer. Es kommt aber darauf an, ob ein alternder Mann sie benutzt, um nicht weiterdenken zu müssen, oder ein junger, dem zum ersten Mal Gott erschienen ist, in Gestalt eigener, von ihm in die Welt gesetzter Musik, das nur am Rande.

Es ist immer nützlich, den jeweils aufsteigenden, sich durchsetzenden Sound auf der Höhe seiner Durchsetzung mit seinem Gegenteil zu konfrontieren: Geräusche, die immer festgelegter abspulen, mit Improvisation und altmodischer Spielfreude (die sich dann mitten im komplizierten Drum-Break an der hinzugezogenen Diskette austobt). Wer sich nochmal den Hip-Hop-Jazz von Herbie Hancock oder den Elektro-Jazz-Rock von Sly & Robbie oder den Designer-Hip-Hop von Art Of Noise anhört, wird heraushören, daß diese Projekte gerade an den schicken Ideen scheitern, an den antirockistischen Konzepten, die ihnen zugrundeliegen. Das Geräusch wird nicht als Geräusch musikalisiert, sondern Musik, konventionelle, von Geräuschen dekoriert, auf ausgedachte Weise. Das aber war nicht gemeint, als sie damals in den 50ern echte Atombomben im Studio hochgehen ließen, um einen Song wie „50 Megatons“ aufzunehmen.