Wem in den späten 70ern der Habitus der weißen Rock-Musiker endgültig unausstehlich geworden war, wer das Schweißige, Pseudo-Emotionale, Rohe, Machistische und künstlich Primitive nicht mehr aushalten konnte, dem kamen die Talking Heads mit ihrer Eleganz und Intelligenz wie die Erlösung vor. Ohne Attitüden, nicht unzugänglich und nicht die Spur Rock’n’Roll-Klischee.
Obwohl David Byrne, Jerry Harrison, Tina Weymouth und Chris Frantz schon fast 5 Jahre in New York leben, wo sie sich kennen gelernt hatten, sind sie keine Produkte der dortigen CBGB-Punk-Loft-Boheme, wo die Gesetze von Bohemia und Snobismus heute noch so funktionieren wie im Paris des Marcel Proust. Sie sind selbstbewußt, aber nicht eitel.
Ariola-Gebäude Hamburg, Interview mit David, Tina und Chris.
David Byrne sieht wirklich aus wie Norman Bates – die Rolle von Anthony Perkins in Hitchcocks „Psycho“ – ein Image, das Texte wie der von „Psychokiller“, noch unterstreichen. Wie er hager verkehrt herum auf dem Stuhl sitzt, nett aber unsicher. Die Augen rollen von einer Zimmerecke zur anderen. Die Satzenden verschluckt er. Aber Tina erklärt, daß ich den Song „Psychokiller“ offensichtlich mißverstanden habe. Sie verwehrt sich gegen die Idee vom sympathischen Mörder, wie sie Perkins verkörpert, will sich keine Punk-Attitüden unterschieben lassen.
David Byrne sieht noch im Sitzen aus, als ob er steht. Diese Proportionen. Wie hypnotisiert muß ich immer wieder zu ihm hinsehen, während Tina erzählt: Von der neuen Platte FEAR OF MUSIC, von Eno, der sie wie schon MORE SONGS ABOUT BUILDINGS AND FOOD produziert hat, von Berlin, der Mauer, dem Kantkino. Chris fragt, wie es kommt, daß jemand „Teenage Jesus“ an die Mauer gesprüht hat.
Mit den Hippies in Roskilde konnten sie nichts anfangen, („Wir sind keine Freiluft-Band“) aber auch zur New Yorker-Avantgarde ist das Verhältnis eher distanziert. (Über Lydia Lunch von Teenage Jesus: „Ich weiß nicht, ob sie die Qualifikation hat, sich als Musikerin zu bezeichnen“).
Schließlich traue ich mich doch, sehe David an und stelle ihm die unsagbar dämliche Frage, was für Musik er gern höre. Die Geschwindigkeit des Augenrollens und Stuhlrückens nimmt zu. Dann fingert er aus den Ariola-Beständen eine obskure Platte mit südafrikanischer Volksmusik heraus. Die sei gut.
Und Gedichte? Jemand der sich so viel Mühe mit Texten macht, hat doch sicher literarische Vorbilder. David nennt einen Jungen, dessen Texte Bob Wilson („Einstein On The Beach“) verwendet hat. Auch hier entzieht er sich also dem Klischee, dem Richard Hell-Patti Smith-New York-Klischee, nämlich die alte Liste von Baudelaire bis Rimbaud, von Lautreamont bis Villon aufzuzählen. In der Tat haben seine Texte auch wenig mit diesen Autoren zu tun. Aber irgend eine Tradition muß doch auch für ihn gelten. Er schüttelt den Kopf.
Und was meint er mit Textzeilen wie Some civil servants are just like my loved ones/they work so hard and they try to be strong? Ja, er wolle die Dinge einfach von der anderen Seite her beschreiben. Jeder wisse schließlich, daß civil servants schrecklich sind, er würde sich langweilen sowas noch auszusprechen, dasselbe gelte für die Lobpreisungen der modernen Architektur oder für Titel wie „Don’t Worry About The Goverment“. Tina ergänzt, daß gerade zur Zeit von Watergate und der drohenden Pleite der Stadt New York, als sich alle über die Regierung Sorgen machten, es toll war so einen Text zu machen.
David redet jetzt mehr, aber sein Körper wirkt noch verspannter, plötzlich wird er zu einem anderen Interview abgeholt. Die Umstellung auf Tina und Chris fällt nun schwer. Die beiden sind ganz anders. Gesund, natürlich und klug. Glückliche Kindheit, wohlhabende Eltern. Musik macht ihnen Spaß. Jede Ideologisierung blocken sie ab. Keine Konflikte. New Waver seien in ihrem Publikum ebenso zu finden wie gestandene Hippies. Tina und Chris verweigern sich auch meinem Insistieren auf ihre Modernität, ihre Coolness, eben all dem, was die Talking Heads aus macht. Sie wollen es wohl nicht wahr haben, vielleicht ein Grund, warum sie mit den drögen Straits gejammt haben (vgl. SOUNDS 8/79, News).
Tina ist charmant und überhaupt nicht aggressiv, auch Chris ist verbindlich, stets um eine gute Atmosphäre bemüht. Es gibt offensichtlich wenig Widersprüche in ihrem Leben, oder sie wissen sie zu verbergen. Am Abend im Konzert kann man sehen, wie Tina das Baß spielen Spaß macht, ganz im alten Sinne von Rock-Spaß, wie bei Amateurgruppen.
Vorne dagegen David: lang und starr, aber kaum noch unsicher, Gitarre und Gesang geben ihm Souveränität.
Das Konzert präzise, aber spannend. Nicht ein unfreiwilliger oder improvisierter Ton. Nur Davids Stimme, die auf und abschwillt. Wenn er schreit, forciert er die Stücke, treibt die Band an. Sein Blick ist ruhig, geht aber über die Reihen der Zuschauer hinweg, irgendeinen Bestandteil der Beleuchtung fixierend. Nicht eine dieser doofen Stage-Freundlichkeit bricht er sich ab. Als er hereinkommt, stöpselte er seine Gitarre ein und sagt: „Here we go!“, am Ende „Bye!“. Zugabe. Und nochmal: „Bye!“
