Teens und Totentanz

Was sind die Residents gegen das Treiben der Hamburger in den letzten Wochen vor dem großen schwarzen Sommerloch? In diesen heißen und schwülen Tagen wird sogar ein Bowie von den Kaschemmen dieser Stadt angezogen wie die Motte vom Licht. Und wenn sie verbrennen…

Deswegen war es auch nicht nötig, Scheiß mitzumachen, um auf seine Kosten zu kommen. Man konnte sich von Großereignis zu Großereignis hangeln und hatte zwischendurch nie die Langeweile, die einen noch im letzten Monat zu zweifelhaften Veranstaltungen lockte. Über allem wehten die Fahnen des deutschen Meisters und Europapokalsiegers, dessen Triumphe die Hamburger mit der ihnen eigenen grimmigen, verbissenen Freude begingen, ohne in die unwürdige Ausgelassenheit zu verfallen, die in einer Stadt wie Köln selbst bei kleineren Triumphen wie dem Pokalsieg über don Lokalrivalen einsetzt. Hrubesch sang vier Lieder, und allein das kann einem die Tränen in die Augen treiben. Er wird jetzt ersetzt durch so schillernde Figuren wie den koreanischen Hardcore-Christen Bum Kun Cha und den Hannoveraner „Asi-mit-Niwoh“ Schatzschneider. Kann der HSV in der nächsten Saison am Supergroup-Syndrom scheitern?

Totes Tanztheater von den Residents. Haben wir uns so geirrt, oder sind sie einfach schlechter geworden? Die musikalisch schon auf Platten eher öde „Mole-Show“ wurde von Ballett und hin- und hergeschobenen Gary-Panther-Bildtafeln untermalt. Die Residents trugen Groucho-Marx-Masken, ein Zugeständnis an das Publikum (D), das sich fast ausschließlich aus routinierten Abaton-Spätvorstellungsbesuchern rekrutierte. Sollten sie den immens originellen Einfall gehabt haben, sich in die Tradition jenes vielbeschworenen „humoristischen Anarchismus“ einzureihen, mit dem sich zu identifizieren der Universitäten besuchende Teil der Erdbevölkerung seit Jahren nicht müde wird? Der komische Conferencier, der die Musik mit ironischen Kommentaren, ganz amerikanischer Campus-Humor, wenigstens vor dem Kiff-Dröhn-Effekt bewahrte, zeigte deutlich in diese Richtung. Das Durchschnittsalter betrug übrigens 35. Ich war der jüngste Besucher des Konzertes, was angenehm zu den Eindrücken des Kajagoogoo-Konzerts konstrastierte, dessen nicht nur ältester Besucher ich war, sondern auch der einzige männliche.

Limahl, Sänger dieser Teddybärenband, las seine Ansagen zum Entzücken der Teenies von mitgebrachten Zettelchen in Deutsch ab, ein ganz konservativer, fast vergessener Show-Effekt. Passend zum Publikum: Das hier waren nicht die neuartigen, aufregenden Kinder, die Culture Club lieben, auch nicht deren nicht ganz so neuartige Popper-Verwandten, die man bei Tears For Fears sehen konnte. Dies war das alte Smokie/Rollers-Publikum, zweite Folge: Teen-Elend, nicht Teen-Größe, pubertäre Traurigkeit, sexuelle Traumata. Ein schreckliches Zeichen unserer Zeit, daß sich die Geschichte auf so flache Weise selbst parodiert. Wenn man einen Hit von Kajagoogoo noch ertragen konnte (auch wenn es auffallend war, daß ich immer, wenn ich „Too Shy“ in der Öffentlichkeit hörte, den Drang vorspürte, Kaffee oder ein anderes den Kreislauf anregendes Getränk zu bestellen), bevor man ihn sich überhörte, braucht man sich den Rest gar nicht erst zu überhören. Man ist schon vorher allergisch. Trotzdem war es Fun. Teen-Freude, egal wo sie herkommt, ist einfach schöner als rätselnde und ratlose Studenten.

Blue Rondo A La Turk: Samba, Salsa, Beatnik, Picasso, Jazz, Lee Strasberg. Fitties, Fourties, Thirties, New York, Bahia, Don Cherry, Isaac Hayes, John Steed. Trotz allen Eklektizismus’ und des Drangs zum ultimativen Stil-Patchwork war es eine solide Tanzveranstaltung. Trotz vieler Mühe nicht mehr und trotz einiger billiger Ideen nicht weniger.

The Fall: Giganten vergehen nicht. Endlich etwas, das zwei Jahre später die gleiche Berechtigung hat wie vor fünf Jahren. Mark E. Smith und seine bäurischen Sklaven, immer noch dieselben übrigens, sagen ein weiteres Mal und wieder anders, daß nach ganz vielen Gedanken und Bizarrien am Ende des Tunnels der Meta-John-Lee-Hooker steht: Monotonie und Gitarrenprügel trotz allem und jetzt erst recht. Die Attacke, die Captain Beefheart mit einem verschrobenen Blues- und Expressionismus-Verständnis im Rücken gegen die Rockmusik ritt, wieder Aufnehmen, bei der Musik und beim Text, um die Rockmusik die inzwischen längst tot war, wiederzubeleben, nur um sie ein weiteres Mal zu töten. Den Rock retten, um ihn zu vernichten, aber den Rock zum Leben erwecken, um alles andere zu töten. Ein heldenhaftes Konzert, mit Gun Club und John Cale das Beste soweit.

Nachtrag: Nun ist auch das Wochenende mit den beiden Bowie-Konzerten vorbei, die tagelange Bowiemania, die die Stadt erschütterte, darf jetzt langsam abflauen. Gesehen hat ihn wohl jeder irgendwo, sei es im „Bendula“, im „Black Market“, im „Mad House“, bei Icehouse, in der New-Wave-Pizzaria gegenüber vom „Broadway“-Kino, mit dem China Girl auf dem Jungfernstieg promenierend, „B’sirs“ oder den Valentinskamp entlangschlendernd. Nur ich hab ihn nicht gesehen (außer im Konzert), was zwangsläufig zu einem Tadel denjenigen gegenüber führen muß, die für Freizeitprogramm von Bowie in der Hansestadt verantwortlich waren: Sie haben ihn auf die Alt-Männer-Piste geschickt, die nur deswegen ganz gut für ihn ausgesehen hat, weil Hamburgs scharfsinnige Mädchen ihn auch da gefunden haben, wo sie normalerweise nicht hingehen. Warum war er nicht im „Subito“ oder „Dopium“?

Bei seinem Konzert fiel auf: 1) „White Light, White Heat“ darf man nicht so spielen, 2) Die hohen Töne von „Life On Mars“ kriegt er nicht mehr, 3) Bis „Station To Station“ war er besser als hinterher, was bei einer solchen Mischung aus alt und neu besonders auffällt.