The Edgar Broughton Band: Als Böse noch Gut war

Als ich mich noch fragte, ob Jimi Hendrix, Cream oder wie von interessierter Seite gewünscht, Hawkwind oder Grateful Dead, oder, wie ich mir am meisten gewünscht hatte, die Incredible String Band zum Gegenstand dieses Artikels werden sollten, begab es sich, daß Xao Seffcheque mir erzählte, er sei gerade damit beschäftigt, eine Anthologie von Wire zusammenzustellen. Nach Bekunden meines Interesses erwähnte ich, daß die Anthologie, die wir heute brauchen, eine Edgar Broughton-Geschichte wäre. Da sagte er nur was von Pseudo-Politicos und wir wechselten das Thema.

Man denke nur darüber nach, welche ungeheure Reputation noch heute Ton, Steine, Scherben genießen, die großen gigantischen Vorfahren aller wichtigen neuen Deutsche-Welle-Gruppen, die unerschrockenen Häuserkämpfer und – wie sie wirklich waren – diejenigen, die es schafften, umherschweifende Haschrebellen und Jim Morrison unter einen Hut zu bringen. Was bleibt von Edgar Broughton, seinerzeit unumstrittener Vorkämpfer politischer Rockmusik in Europa: ein Nachgeschmack von Pseudo.

Pseudo – das ist nicht nur der oft bekämpfte fatale Echtheitsanspruch. Das ist vor allem ein Urmißtrauen gegen den einfachen wahren Satz aus der Prä-Nachdenklichkeit. Ja, post-nachdenklich sind sie alle heute. Rufen Rawums und zeigen den Hippies lange Nasen, beschwören Spaß und all den Jazz. Ja, auch zur Neo-Nachdenklichkeit fühlen sie sich zuweilen hingezogen, siehe den Boom von Lyro-Barjazz und Everything But The Girl und Elvis Costello. Aber daß es vor der Nachdenklichkeit einmal eine Zeit wunderbar wahrer Dickaufträger gab, besonders in England. Vergessen. Nicht echt. Pseudo.

Edgar Broughton war die Fortsetzung von Arthur Brown mit anderen Mitteln. War die Verlängerung englischer Alister Crowley-Begeisterung in Poppolitik und psychologischen Spinnkram. War Vorgänger und Weggefährte großartiger Bands wie Pink Fairies. War der Vater, irgendwie auch von Lemmy, aber mit mehr Verantwortungsgefühl, Pech und anderen Drogen.

Wollen wir uns auf wenige Werke der ersten beiden Broughton-LPs konzentrieren: „Wasa Wasa“ und „Sing Brother Sing“. Davon die Titel: „The Psychopath“, „Momma’s Rewarda“, „Apache Drop Out“ und, vor allem: „American Boy Soldier“.

Edgar sang mit der Stimme eines Kinderschlächters. Von der Idee ausgehend, daß politische Radikalität sich das Bild von Bosheit zunutze macht, das den Kindern des Establishments eingeimpft wurde, bevor sie outdroppen. Da das Establishment böse ist, muß natürlich das Böse des Establishments das Gute der Drop-outs sein. Er war der böse Mann. Charles Manson. Als die Hetze gegen Charles Manson begann, glaubte man in Hippie-Dropoutland zunächst an eine Verschwörung des Establishment, das an Charles Manson ein Exempel statuieren wollte, vorgeblich die Verknüpfung von Hippietum und Bosheit beweisend. Das Ergebnis hieß: Solidarität mit dem Satan. Aus diesem Motiv schrieb zum Beispiel Ed Sanders seine Geschichte der Manson-Family. Erst die Recherche machte ihm klar, daß die Family wirklich ein Haufen grauenhafter Wahnsinniger war und die halbe kalifornische Musikszene dazu. Aber aus Ed’s Impuls zur Recherche erklärt sich die Stimme von Edgar.

„Momma’s Reward“ war der Party-Hit der Edgar Broughton Band. Ein stumpfes Riff (heavy) und ein (für uns damals) unverständliches Genöhle von Edgar. Von der Funktion her vergleichbar mit Eater oder The Can. Begeisternd reduktionistisch. „Apache Drop Out“ ist eine ineinanderverwobene Collage aus Captain Beefhearts „Drop Out Boogie“ („You wanna drop out? Come on, come on, drop out! drop out!“) und „Apache“, dem bekannten Instrumental von den Shadows. Die reine Beschreibung zeigt an, zu was Edgar Broughton fähig war, wie sehr er Politiker, Künstler, Denker war (wenn auch zugegebenermaßen ein hochgradig bekiffter, zugewachsener Solcher). Also: Die knarzig-zynische Beefheart-Forderung, man möge doch, wenn man schon soviel tönt, den Bruch mit der Gesellschaft wagen und dann dazwischengeschaltet das ätherisch-losgelöste Western-Freiheitsversprechen der Shadows (beides von der Broughton Band ziemlich originalgetreu nachempfunden), das einerseits die Beefheart-Forderung unterstützt (so schön ist die Freiheit) und zweitens als bürgerliche Scheiße entlarvt (Die Freiheit ist nichts anderes als Zigarettenreklame mit Shadows-Musik, bestenfalls ein Western von John Ford). Wohlgemerkt beides, denn Broughton war klug. Er war nicht so schnell mit der Entscheidung gegen das Westernfreiheitsgefühl bei der Hand wie seine Fellow-Politicos, aber er fiel auch nicht auf Beefhearts Radikal-Individualismus herein. Denn aus Drop Out wurde bei Beefheart zwei Platten weiter „I’m goin up to the mountains for the rest of my life / before they take my wife / before they take my wild life.“ Eben Desperado. Bürgerlich. Unrasiert (wenn auch saugut).

„The Psychopath“ ist ein verschachteltes Drama von einem Kindermörder, der Schmetterlinge liebt. Irre. Verstehst du Bruder: ganz schön verrückt. Hier kommt die lächerliche Freak-Vorstellung vom Irren, Weirdo, Monster, die ganze Prä-Texas-Chain-Saw-Massacre-Begeisterung für das Abseitige, die noch nicht weiß, was sie ist, für wen sie spricht und was sie will, zum Ausdruck. Die Faszination für das Böse, die noch nicht weiß, daß das Böse die Rache des Guten für das Wegkolonialisierte darstellt. Wenn Edgar immer wieder mit durchgeknallter Stimme von den „Butterflies“ säuselt, lernt man, daß er, Edgar Broughton, schon damals begriffen hat, was Leute wie die Cramps heute weiterführen, daß die wahnsinnigen Verbündeten des Pop die Zombies und Norman Bates dieser Welt sind und nicht, wie z. B. die Einstürzenden Neubauten immer noch zu meinen scheinen, Leo Navratil und seine schizophrenen Mundmaler. Am Rande gebietet es mir die Fan-Pflicht, bei diesem Anlaß auf ein anderes verkanntes Meisterwerk hinzuweisen: Iron Butterflys 25minütiges „Butterfly Bleu“, ein Spätwerk dieser zuerst über- („INA GADDA DA VIDA“) und später unterschätzten Gruppe mit zwei sprechenden Gitarren und einer weiteren Version der Hippie-Passions-Trias: Schmetterling-Satan-Wahnsinn.

Die Edgar Broughton Band war zu ihrer Glanzzeit bekannt für besonders lange Haare und Free Concerts, als Vorläufer der sog. People’s Bands wie Pink Fairies ihre verdammte Pflicht.

Kommen wir zum Schluß zu Broughtons Meisterstück, dem Spätsechziger-Protestsong, der es mit den Rennern des Genres wie „God“ von David Peel & The Lower East Side, „Machine Gun“ von Jimi Hendrix, „Motor City Is Burning“ von MC5 oder „Dachau Blues“ von Captain Beefheart aufnehmen kann: „American Boy Soldier“. Eingeleitet von einem Dialog zwischen einem Army-Vertreter (Edgar mit bösester Manson-Stimme) und einem naiven Kanonenfutter-Boy (derselbe verstellt) über die Armee, gleitet dann in einen gemütlichen Country-Blues und verkündet dabei die ganze Wahrheit über die USA und ihren Krieg in Vietnam, musikalisch nicht zu weit von „Don’t Bogart That Joint“ von Fraternity Of Man, textlich das Härteste, was je dazu geschrieben wurde und was eben Amerikaner einfach nicht schreiben konnten, niemals schreiben werden können: „Oh American army! / I hope the Russians will get you.“ Dafür bekommt Edgar Broughton seinen Platz in der Hall Of Fame.

Als ich im Mai 1979 meinen ersten Tag in der „Sounds“-Redaktion verbrachte und alle anderen schon gegangen waren, klingelte plötzlich mein Telephon. In die laufende redaktionelle Arbeit noch nicht im Geringsten eingeweiht wußte ich nicht, was ich zu dem seltsamen Ansinnen des Mannes an der anderen Seite der Leitung sagen sollte, der mir anbot, jetzt und sofort und sonst nicht ein Interview mit Edgar Broughton zu führen, der gerade in der Stadt sei und seine neue Platte promote (eine uninteressante übrigens). Natürlich konnte ich nicht Nein sagen und wenig später waren der seltsame Promoter und der späte Edgar in der Redaktion. Leider wollte Edgar nur etwas von seiner mir damals gänzlich unbekannten neuen Platte erzählen, war ansonsten ziemlich wortkarg und ich versuchte, mit dem Promoter einen neuen Termin zu verabreden. Daraus wurde dann nichts.